Kapitel 12: Danach
Voldemort stierte in die Dunkelheit. Er hatte zwar nicht genau gesehen, wohin Bethan und Snape mit den Leichen verschwunden waren, doch als er den flackernden Schein erkennen konnte, wusste er, wie die beiden die wertlosen Muggel entsorgen wollten. War ihm nur recht, wenn sie brannten. Die Muggel hatten schließlich auch einst Zauberer auf Scheiterhaufen gezerrt (meistens dabei aber nur andere Muggel erwischt). Er hätte selbst auf die Idee kommen müssen, als er gemerkt hatte, dass sich die Toten praktisch nicht mit magischen Mitteln verändern ließen. Gut, er hatte schon früher gewusst, dass der Giftmischer logisch denken konnte, er hatte es nur wieder vergessen.
Voldemort wandte sich wieder vom Fenster ab und grinste seinem Gast zufrieden ins Gesicht. „Ich habe dir ja gesagt, dass er ein treuer Diener ist, Wurm. Dieser Grünschnabel hätte ohne ihn nicht einmal einen Schritt machen können. Ich gebe zu, ich hatte schon meine Zweifel, aber jetzt…" Er sah wieder zum Fenster. Nebel war aufgezogen und verhüllte das Feuer so gut, dass man meinen könnte, es wäre nie dort gewesen. Irgendetwas beunruhigte ihn an diesem Nebel, er hätte aber nicht sagen können, was.
„Und seid Ihr Euch sicher, dass es vielleicht nicht umgekehrt gewesen ist?"
Voldemort lachte auf. „Bethan? Der verrückte Bethan? Der ist dümmer als Goyle und feiger als Pettigrew. Du hättest sehen müssen, wie der einen Nervenzusammenbruch bekam, nur weil ich ihn etwas länger angestarrt habe. Frage mich wirklich, wie Snape den dazu bringen konnte Tote anzufassen, vor allem solche." Noch immer fragte er sich, warum er Bethan, von dem er und auch alle anderen Todesser nichts außer den Namen wussten, aufgenommen hatte. Er musste einen vorübergehenden Anfall von Wahnsinn gehabt haben. Schön, dass er ihn doch zu etwas gebrauchen hatte können.
Voldemort bemerkte sehr wohl, dass ihn sein Verbündeter höhnisch angrinste und bei jedem seiner Todesser hätte er ihm dafür den Cruciatus gezeigt. Leider funktionierte Magie nicht bei ihm und allem, was er anfasste. Nein, ihm gefiel dieser Gesichtsausdruck ganz und gar nicht.
„Gebt mir Zeit", raunte dieser. „Zeit, um den Verräter unter Euren Anhängern zu finden. Ich schicke Euch dafür einige meiner Diener, und diese sind mir tatsächlich treu ergeben. Es sind darüber hinaus ganz exzellente Magier, oh ja."
„Zuerst will ich, dass Hogwarts fällt", knurrte Voldemort. Nicht einmal der Avada Kevadra funktionierte bei dem, das hatte er schon ausprobiert. Zum Glück hatte sein Verbündeter diesen Mordversuch nur für einen Scherz gehalten.
„Keine Sorge, Hogwarts wird fallen und das bald. Dumbledore hat keine Ahnung, wie er uns beide aufhalten könnte."
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Snape zitterte wieder am ganzen Körper, als er vor dem Wasserspeier zu Dumbledores Büro stand und „Lakritzschnecken" (nur Albus konnten solche Passwörter einfallen) rief. Sein Zittern verstärkte sich noch, als dieser den Weg freigab und Snape schnell die Treppe hinaufeilte. Hoffentlich schlief der Direktor noch nicht. Er hätte es nicht gewagt ihn zu wecken und morgen würde er vielleicht nicht mehr den Mut finden ihm Bericht zu erstatten.
Sämtliche Direktoren Hogwarts, oder besser gesagt deren Porträts, blinzelten ihn verschlafen an, wurden aber schnell wieder munter und betrachteten ihn sowohl interessiert wie auch etwas angewidert. Erst jetzt wurde sich Snape wieder seines Aussehens und wohl auch seines Gestanks bewusst – Bethans angeblicher Heiltrank hatte zwar etwas von seiner Wirkung verloren, doch er konnte noch immer kaum etwas riechen.
„Severus?"
Snape wirbelte herum und erkannte Professor Dumbledore. Der Direktor hatte offenbar tatsächlich schon geschlafen, denn er trug einen purpurnen Schlafmantel über seinem Nachthemd, und auf seinem Kopf saß noch eine Schlafmütze aus Goldbrokat mit einer purpurnen Quaste. Er wirkte noch immer etwas verschlafen – wie spät war es überhaupt? – doch als er ihn genauer erkannte, wich die Müdigkeit sofort von ihm.
„Ich weiß, es ist spät, Albus, aber es ist etwas Schreckliches geschehen." Bei dem Gedanken an den heutigen Abend drehte sich ihm fast wieder der Magen um, und vor seinen Augen erschienen schwarze Nebelschwaden.
„Du siehst schrecklich aus", stellte Dumbledore besorgt fest. „Nimm am besten einmal Platz, bevor du mir noch umkippst." Auf einen Wink mit Dumbledores Zauberstab erschien ein mit rotem Samt bezogener Stuhl direkt hinter Snape, der sich dankbar darauf niederließ. Langsam klärte sich wieder sein Blick, doch die Übelkeit blieb.
Dumbledore deutete mit dem Zauberstab auf seinen Spion, sagte: „Ratzeputz!" und Snape sah plötzlich so aus, als ob er den ganzen Tag nur im Klassenzimmer gesessen wäre.
„Bist du erst jetzt zurückgekommen?", wollte der Direktor schließlich besorgt wissen.
Snape nickte nur und starrte auf den Boden. Im Geiste überlegte er, wie er Albus am besten von dem Ganzen erzählen könnte. „Der Dunkle Lord hat Menschen umgebracht, wahrscheinlich Muggel", begann er schließlich.
Dumbledore erblasste. „Muggel? Wie viele?"
Snape raufte sich die Haare und er zitterte wieder bei der Erinnerung. „Ich weiß es nicht, ich hab sie nicht gezählt, aber sicherlich weit über zwanzig, vielleicht sogar dreißig. Aber das war nicht das Schlimmste."
„Ganz ruhig, Severus! Fang ganz von vorne an! Ich bin da und höre dir zu."
Snape nickte und dann begann er zu erzählen, wie Dumbledore wollte von Anfang an. Von dem Gespräch mit Bethan, von Voldemorts Rede, von dem Auftrag und wie sie ihn ausgeführt hatten und schließlich, wie ihn Bethan nach Hause geschickt hatte. Am Anfang musste ihm der Direktor jedes Wort buchstäblich aus der Nase ziehen, doch schließlich sprudelte das Erlebte wie ein Wasserfall aus seinem Mund. Er ließ nichts aus, weder Bethans plötzlichen Sinneswandel noch die Gefühlskälte, die bei der Arbeit über ihn gekommen war. Für letztere schämte er sich richtig.
„Das ist ganz normal", versuchte ihn Dumbledore zu beruhigen, doch auch er sah ziemlich mitgenommen aus. „Die Seele versucht sich gegen diese Belastung zu schützen und man tut einfach nur das, was von einem verlangt wird."
„So etwas Ähnliches hat mir auch Bethan gesagt. Bei Merlin, der hat mir mehr Angst eingejagt als Voldemort! Du hättest ihn sehen müssen, so gefühllos kann kein Mensch sein."
„Aber er hat dir geholfen", warf der Direktor ein.
Snape nickte zerknirscht. Er hatte keine Probleme damit anderen ohne ein Wort des Dankes zu helfen, aber er hasste es, wenn er in jemandes Schuld stand.
„Er scheint ein guter Schauspieler zu sein, wenn er sogar dich so leicht täuschen konnte", fuhr Dumbledore fort. „Vielleicht war auch der Rest gespielt."
„Anscheinend weißt du mehr über ihn als ich."
Der Direktor lächelte traurig. „Schön wäre es. Ich werde sofort einen Brief ans Ministerium schreiben und den Orden informieren. Und du solltest dich hinlegen. Hast du noch etwas von deinem Schlaftrank."
„Für heute wird es noch reichen, aber wenn das so weitergeht, werde ich bald einen nachbrauen müssen."
Erst als er auf dem Weg zum Kerker war, wurde ihm bewusst, dass ihm Dumbledore nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte.
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Tarson saß an seinem Arbeitstisch und stieß immer wieder einen zornigen Fluch aus, während seine sonderbaren Finger wie nervös Spinnen über die Seiten eines alten Buchs huschten und sie immer wieder umblätterten, was ihm offenbar nicht einmal aufzufallen schien. Es wurde Zeit endlich Erfolge zu erzielen. Die ganze Aktion hatte ihm seine Handschuhe gekostet, kostbare Handschuhe aus samtenem Maulwurfspelz. Außerdem hatte er sich vor zwei Stunden in den Spiegel geblickt und gemerkt, wie sich seine Haut langsam dunkler färbte. Er hatte diesen ekelhaften Heiltrank von Rishkan geschluckt – den Inhalt der ganzen Phiole, obwohl 10 Tropfen gereicht hätten – und seine entzündete Haut mit einer nicht weniger wirksamen Heilsalbe bestrichen, vor allem sein Ohr, das höllisch brannte. Die Nacht würde schlimm werden, aber er war im Großen und Ganzen noch mal glimpflich davongekommen. Er sollte ganz aus dem Geschäft aussteigen, doch leider war er der Experte, wenn es um sie ging, da konnte er nichts machen.
„Warum denn so zornig?" wollte eine Stimme hinter ihm wissen, die es irgendwie schaffte sowohl besorgt als auch spöttisch zu klingen.
„Kannst du mir sagen, wer gerne gehäutete Menschen hat?" Tarson musste sich nicht umdrehen um zu wissen, dass die Person hinter ihm erblasste. „Ja, du hast richtig gehört. Gehäutet. 32 Personen. Männer, Frauen und Kinder."
„Du meinst…?" Die Stimme hinter seinem Rücken brach ab.
„Nein, ich weiß nicht, ob sie noch am Leben waren oder schon tot, ob es Zauberer waren oder Muggel und schon gar nicht, warum das ganze Theater. Und gerade dieses warum wäre ganz schön zu lüften. Voldemort ist nicht so dumm, wie ich dachte. Er hat kein Sterbenswörtchen darüber verloren, warum die Unglückswürmer sterben mussten, oder noch besser, für wen. Kein einziger Todesser weiß etwas darüber, nur Snape, und genauso wie ich hat der erst heute etwas davon erfahren. Auch in den Zeitungen ist nichts von Vermissten gestanden." Wieder begann die Wut in ihm zu brodeln. Er hatte Voldemort ganz schön unterschätzt, ihn für einen Möchtegern Welteroberer gehalten und musste nun feststellen, dass hinter dessen flachen Stirn sich nicht nur Wahnsinn (vor allem Größenwahn), sondern auch eine bisher ignorierte Schläue verbarg. Voldemort hatte nicht wahllos Menschen entführt und ermordet, er hatte sich solche gesucht, deren Verschwinden nicht auffiel: Obdachlose und illegale Einwanderer, von denen es auch hier in Großbritannien mehr als genug gab. Sein Morden fiel kaum auf, noch nicht. Doch die Toten, so bedauernswert ihr Schicksal auch war, stellten nicht das eigentliche Problem dar.
„Das bedeutet…?"
„Ja, da draußen rennt mindestens einer von ihnen herum, ein ziemlich mächtiger sogar, der vielleicht ohne größere Probleme eine Kleinstadt ausradieren kann. Und ich möchte gerne wissen, wer oder was es eigentlich ist, zumal ich ernsthafte Zweifel habe, dass Voldemort es überhaupt kontrollieren kann."
„Wohl kaum", pflichtete ihm die andere Person bei. „Und, hast du schon einen Verdacht?"
Tarson starrte schweigend auf eine Seite, die unter anderem ein schwebendes Auge mit einem Zähne bespicktem Maul darstellte. Um die Größenverhältnisse zu zeigen, hatte jemand mit Bleistift ein Strichmännchen dazugezeichnet, das nicht viel größer als ein Zahn des Ungetüms war. Nun, er hatte heute so einiges erfahren…
Wie in Zeitlupe blätterte er zurück und zeigte ein menschenähnliches Wesen, das trotz Hörner und langen Fangzähnen richtig harmlos im Vergleich zu dem Auge wirkte. „Das meiste passt, obwohl hier nicht erwähnt wird, dass er so auf Menschenhaut steht. Wenn wir Nadjas Berichte berücksichtigen, könnte er es sogar sein."
Die Person hinter ihm holte scharf Luft. „Dann hätten wir ein Problem."
„Ein verdammt großes Problem sogar." Hier war kein Strichmännchen gezeichnet, doch Tarson bezog sich nicht auf die Körpergröße des Wesens. „Außerdem wurde mir gesagt, dass er dahinter steckt, obwohl ich meiner Informantin nicht ganz traue."
„Informantin?"
„Was sagt dir Nasu?" Tarson ging langsam die Geduld aus, davon besaß er ohnehin nicht viel.
„Die Fliege! Sag bloß nicht…"
„Ja, aber ich bin noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen und ich werde es nicht mehr tun", rechtfertigte er sich. „Wenn wir noch länger warten, könnte sich ein solches Drama ganz leicht wiederholen, und dafür will ich mich nicht verantworten."
„Der Zweck heiligt die Mittel. Das hast du schon einmal gesagt, wenn ich mich nicht täusche."
„Es kam kein lebender Mensch zu Schaden, wenn du darauf anspielst, und die anderen waren schon tot, und zwar sehr lange."
„Anatol wird toben."
„Du musst es ihm nicht unbedingt unter die Nase binden. Aber sieh mal, die Fliege könnte durchaus Recht haben. Voldemort mag Schlangen, Angra Mainyu mag Schlangen. Die Schlange ist sogar sein Symbol. Du erinnerst dich, Nadja wurde von einer Schlange angegriffen."
„Er wäre nicht der einzige, der Schlangen mag. Außerdem, warst du nicht derjenige, der behauptete, dass Nasu eine verdammte Lügnerin sei? Ich glaube nicht, dass sie ausgerechnet ihren Herrn verraten wird."
„Gerade weil sie das getan hat, glaube ich ihr. Sie verabscheut Angra Mainyu aus tiefstem Herzen."
Die Person hinter ihm seufzte resigniert. „Also gut, du bist der Experte. Halte aber trotzdem deine Augen offen. Angra Mainyu ist mir selbst für hundert Voldemorts eine Spur zu hoch. Außerdem hätte dieser ganz andere Trümpfe ausgespielt."
„Ganz andere Trümpfe! Lass mich mal zusammenfassen. Was haben wir da." Er schlug eine Muggelzeitung auf. „Die größte Trockenheit seit über 50 Jahren hat ganz Großbritannien im Würgegriff. Seit zwei Monaten hat es keinen Tropfen mehr geregnet, ein wenig untypisch für diese Gegend, findest du nicht? Wenn es Sommer wäre, würde das jedem auffallen, aber so… Und da, Stürme mit einer Windgeschwindigkeit von über 100 Stundenkilometer fegen fast täglich über Wales und Südengland und verwüsten das Land. Sag einmal, muss noch ein dreiköpfiger Drache über das Land fliegen, bevor du merkst, was hier vor sich geht?"
„Azi Dahaka ist kein Drache."
„Fein, aber sieht fast wie einer aus. Wenigstens weißt du, von wem ich spreche." Tarson seufzte, er wollte sich nicht streiten. „Vielleicht irre ich mich ja, vielleicht sind das alles nur Zufälle und Nasu lügt wirklich, doch ich fürchte, so viel Glück werden wir nicht haben." Er starrte wieder in das Buch. „Ich werde weitersuchen. Und du, erfind endlich irgendeinen Zaubertrank für Nadja, wenn du schon keinen findest! Wir haben die Ärmste zum Spionieren und Aufpassen nach Hogwarts geschickt, nicht zum Kesselschrubben. Es könnte sein, dass sie langsam gebraucht wird."
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Weil ich morgen und übermorgen wohl nicht einmal einen Blick auf einen Computer werfen kann (Arbeiten bis um acht, aber auch nur wenn ich Glück habe), schick ich gleich heute das neue Kapitel. Es passiert zwar nicht viel, aber ich hoffe, es gefällt euch trotzdem.
Cyberrat: Das mit Tarsons Händen dauert noch, bis es aufgeklärt wird (auch Ellen weiß es noch nicht). Das mit Snape tut mir Leid, aber ich wollte den Unterschied zwischen Snape und Tarson möglichst deutlich zeugen, und ich glaube, die einzigen, denen ein solcher Anblick nichts ausmacht, sind Voldemort, seine neusten Verbündeten und eben Tarson. Nebenbei macht Snape vieles nicht ganz freiwillig. (Ellen weiß das schon.)
Ellen: Das Lob ist ja selbstverständlich. Was meinst du mit den Kapitelüberschriften? Hab ich das nicht schon die ganze Zeit gemacht? Muss gleich einmal nachschauen. Deine Geschichte hab ich auch schon entdeckt. Werde sie am Wochenende in Angriff nehmen und freu mich schon darauf.
Cardie und Dax: Juhu, neue Leser. Danke für die netten Reviews!
