Kapitel 13: Ruhe vor dem Sturm
Nadja saß in der Großen Halle. Ihr Blick wanderte immer wieder zwischen dem Honigbrot vor ihr und dem Tränkemeister am Hohen Tisch.
„Sag mal, kommt dir Snape heute nicht auch ein wenig blass vor?" wollte sie von Kenneth wissen, der sich gerade an seinem Tee verschluckte.
„Snape?" hustete Kenneth. „Wie kommst du denn darauf?"
„Nun, er sieht ein bisschen blass aus."
Kenneth schüttelte ungläubig den Kopf. „Sag mal, wo hast du eigentlich deine Augen. Der hat doch noch nie Farbe im Gesicht gehabt. Gerade du solltest das wissen, du siehst ihn ja um einiges öfter als wir."
Gerade deshalb fiel ihr auch auf, dass Snape an diesem Morgen ungewöhnlich blass aussah. Außerdem hatte er nur lustlos in seiner Schale herumgerührt und merkte nicht, dass Professor Flitwick ihm gerade irgendetwas erzählte und dabei ununterbrochen mit seinen Händen vor seinem Gesicht herumfuchtelte. Irgendetwas war da nicht so, wie es sein sollte.
„Schlag dir Snape aus den Kopf, den haben wir dann eh gleich im Unterricht", brummte Kenneth. Nun blickte auch er zum Lehrertisch und runzelte die Stirn. „Der sieht ja wirklich ziemlich niedergeschlagen drein. Welche Laus ist ihm jetzt schon wieder über die Leber gelaufen?"
„Vielleicht haben Potter und Co wieder etwas angestellt und er durfte sie nicht rauswerfen", mutmaßte Nadja.
Kenneth gluckste. „Ja, weil er die Gryffindors so gut leiden kann, vor allem den Potter. Woher weißt du eigentlich davon? Ach ja, du musst dir das Gefluche sicherlich jeden Freitag anhören."
Nadja bekam nicht die Gelegenheit zu antworten, denn in diesem Augenblick flogen die Eulen in die Große Halle. Sie schnappte sich sowohl Teller und Tasse und suchte unter dem Tisch nach Deckung. Auch ihre Nachbarn, allen voran Kenneth, beugen sich sicherheitshalber über ihre Tassen. Einige Zeit später hatten die meisten Eulen schon längst ihre Post abgeliefert, nur ein verrückter Steinkauz kreiste noch immer über dem Tisch der Hufflepuffs. Vorsichtig lugte Nadja aus ihrem Versteck und bekam prompt einen dicken Brief auf den Kopf. Während sie sich den dröhnenden Kopf rieb, konnte sie ein zufriedenes Kjuwit hören. Rishkan hatte wahrlich ein gutes Händchen beim Kauf von Tieren. Er schaffte es garantiert das verrückteste Tier zu erwischen.
Kenneth lachte. „Diesmal sind wir noch mal glimpflich davongekommen."
Nadja funkelte ihn nur verärgert an.
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In der Zaubertränkestunde fiel dann aber selbst dem dümmsten Schüler auf, dass etwas mit Snape nicht stimmte. Er sprach kaum ein Wort, kritzelte nur ein paar Anweisungen auf die Tafel und ließ sie dann mit dem Furunkeltrank alleine. Nicht einmal Nadja stellte er Fragen und am Ende der Stunde freute sich jeder darüber, dass sie keine Hausaufgaben hatten.
„Ist Snape krank?", wollte Pam, eine Ravenclaw wissen, in der Hoffnung, dass Nadja vielleicht etwas Genaueres wusste.
Nadja zuckte nur mit den Schultern. Sie konnte es nicht fassen, der erste Freitag ohne Nachsitzen.
In der Mittagspause las sie allerdings den Brief und sie begriff ein wenig. Rishkan hatte eine ganze Liste von Dingen und Wesen zusammengestellt, vor denen sie sich in Acht nehmen musste: Dreiköpfige Drachen (keine Panik, sind keine echten Drachen), vor Schlangen aller Art, ungewöhnlichen Krankheiten oder Anfällen von Raserei und Tobsucht. „Pass ein wenig auf deinen Zaubertranklehrer auf", hatte Tarson dazugekritzelt. „Der hat eine schlimme Nacht hinter sich." Nun, einige Fragen waren zwar beantwortet, doch da waren viele dazugekommen. Warum konnten sie ihr nicht einfach sagen, was geschehen war? Sie würde sich also Tarsons Rat zu Herzen nehmen und auf Snape Acht geben. Der hatte in seiner Zerstreutheit sicherlich nur vergessen, ihr wieder eine Nachsitzstunde aufzubrummen.
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„Musst du schon wieder nachsitzen?", wollte Filch wissen, als er sie auf dem Weg zum Kerker traf. Da Mrs. Norris Nadja irgendwie ins Herz geschlossen hatte, war er zu der Ansicht gekommen, dass sie nicht so schlimm wie die anderen Schüler war. Er war daher zu ihr ein wenig netter als zu den anderen Kindern und Jugendlichen.
Nadja beugte sich herunter und kraulte das Ohr der dürren Katze, die sich mit einem zufriedenen Schnurren bedankte. „Ja leider", log Nadja. „Ich hab noch immer keinen Einhorntrank gefunden."
Filch seufzte. „Musst den guten Snape wohl ziemlich verärgert haben. Nun, dann wünsch ich dir möglichst saubere Kessel." Irgendwo erklang ein Geräusch, als ob sämtliche Rüstungen wie Dominosteine umfallen würden, wahrscheinlich war das auch der Fall. „Peeves! Diesmal erwisch ich dich!", schrie Filch auf und eilte davon, dicht gefolgt von Mrs. Norris.
Nadja lächelte. Irgendwie hatte sie Mitleid mit dem Hausmeister. Fred und George Weasley waren zwar nicht mehr in Hogwarts, doch Peeves alleine reichte schon. Sie selbst hatte den Poltergeist nur ein einziges Mal gesehen, und da hatte dieser kreischend die Flucht ergriffen und sich seither nicht wieder blicken lassen. Anscheinend wusste er, was sie war.
Kurze Zeit später stand sie vor der Kerkertür und klopfte zaghaft. Kenneth hatte ihr zwar vorgehalten, dass sie vollkommen übergeschnappt war, aber sie hatte einen Auftrag und machte sich darüber hinaus ehrlich Sorgen.
Für einige Zeit geschah absolut nichts, doch als sie gerade wieder klopfen wollte, erklang ein gereiztes „Wer da?"
Nadja griff in ihre Tasche und sie konnte die silberne Statuette spüren. Seit dem Brief von heute lief sie nicht mehr ohne sie herum. Sie konnte über Leben und Tod entscheiden, wenn man nur rechtzeitig daran herankam.
„Wer ist da?", fauchte es von drinnen um einiges gereizter.
„Nadjeschda Delano", stammelte sie. „Ich muss nachsitzen."
Die massive Eichentür öffnete sich und ein ziemlich verwirrter Snape steckte seinen Kopf heraus. „Delano? Was machen Sie hier?"
„Nachsitzen. Heute ist Freitag."
Ihre Klassenkameraden hätten einiges dafür gegeben, jetzt Snapes Gesicht zu sehen. Der Tränkemeister sah nie verwirrt drein und schon gar nicht so bestürzt wie jetzt. „Sie müssen da etwas missverstanden haben, Delano. Sie müssen heute nicht nachsitzen." An seiner Stimme erkannte sie, dass er sich nicht ganz sicher war.
„Ich konnte Ihnen keinen Einhorntrank nennen", erfand sie. „Das bedeutet ja schließlich, dass ich nachsitzen muss." Sie bewegte sich auf sehr dünnem Eis.
Snape lächelte gequält. „Da müssen Sie etwas verwechseln. Ich hab Ihnen heute ja gar keine Fragen gestellt. Das war letzte Woche und die Woche davor und… Hab ich Sie wirklich gefragt?"
Nadja nickte und machte sich Sorgen. Dass Snape sich unsicher war, was er heute im Unterricht gesagt hatte, war kein gutes Zeichen. Was war gestern geschehen?
„Nun, wenn Sie unbedingt Kessel schrubben wollen, dann kommen Sie…" Er verstummte, denn von oben erklang ein schreckliches Brüllen, gefolgt von einem erstickten Schrei. „Potter!", zischte Snape und ein triumphierendes Glitzern trat in seine Augen. „Diesmal fliegst du von der Schule, da kann Dumbledore sagen was er will. Delano, Sie bleiben hier, bis ich unseren Helden gefunden haben!" Dann zückte er seinen Zauberstab und rauschte ab. Nadja stand vor der Tür und spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief und dann begriff sie, was dieses Gefühl zu bedeuten hatte: Snape war nicht etwa unterwegs um Potter oder einen anderen Schüler zu fangen, er lief schnurstracks in seinen Tod. Tarson hatte nicht übertrieben. Sie zog ihre Silberfigur aus der Tasche und rannte dem Professor hinterher.
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Bin ich froh, jetzt schon und nicht erst Montag das Kapitel hochladen zu können. Als mein Bruder mir nämlich vorgestern erzählt hat, dass das Internet wahrscheinlich bis Mai nicht mehr geht, hab ich schon das Schlimmste befürchtet. Und dann hätte ich mich mit dem Unicomputer begnügen müssen. Aber er hat's doch irgendwie wieder zum Gehen gebracht. Das nächste Kapitelchen kommt dann im Laufe der nächsten Woche (wahrscheinlich Mittwoch). Ich weiß, das ist bei dem kleinen Cliffhänger nicht besonders nett, aber sonst gehen mir irgendwann die Kapitel aus.
Cyberrat: Sie ist schon wieder da und bleibt es auch (bis auf die ein oder andere kurze Ausnahme).
Lucina: Die mehreren Fäden sind mir mittlerweile ein Gräuel. Da muss man so aufpassen, dass man nicht irgendwas durcheinander bringt. Das einzig Ärgerliche an meiner Arbeit ist nur, dass man so spät nach Hause kommt. Sonst ist sie recht lustig und interessant.
Dax: Danke für den lieben Smiley. ;-)
