Kapitel 16: Zwei Seiten

„Sie konnten nicht von außen gekommen sein!", zischte Tarson und schaffte es nun selbst Rishkan, der so einiges von ihm gewohnt war, richtig Angst einzujagen. Noch immer hielt er Nadjas Brief in seinen Händen und überflog die Zeilen. Es war sehr beunruhigend, dass sich Tarson nicht über ihre Zeichenkünste lustig machte. Anscheinend machte er sich richtig Sorgen, und das kam bei ihm nicht besonders oft vor.

„Anatol hat die Einhörner dazu gebracht, die Gegend rund um Hogwarts zu bewachen", fauchte Tarson weiter. „Der Kleine war ein Yatu. Die bekommen nur deshalb keine Herzanfälle beim Anblick eines Einhorns, weil sie keine Herzen haben. Und selbst der kleine Daeva hätte lieber die Flucht ergriffen."

„Nadja schreibt, dass dieser Daeva alles andere als klein war", warf Rishkan vorsichtig ein und studierte das Bild des Schlangenwesens. Tarson hatte ihm selbst gesagt, dass Deavas sehr vielgestaltig waren, aber über dieses Wesen waren beide überrascht gewesen. Hoffentlich hatte sich Nadja bei der Größe gewaltig verschätzt.

„Klein, groß, du weißt selbst, dass die Körpergröße kein Kriterium ist. Den Kampf mit einem richtigen Deava hätte sie nicht überlebt."

„Sei dir da bloß nicht so sicher", entgegnete Rishkan scharf und legte den Brief zu den Büchern. „Nadja hat schon ganz anderen Wesen das Fürchten gelehrt. Das solltest du eigentlich auch wissen."

Tarson lachte nervös auf und lief wieder auf und ab. Wann hatte er sich das eigentlich angewöhnt. Stammte diese Angewohnheit noch aus der Zeit, bevor Tarson die Seiten gewechselt hatte. Wahrscheinlich nicht, es passte absolut nicht zu dem alten Tarson. Offenbar kam auch ihm dieser Gedanke, denn er blieb fast ruckartig vor dem Fester stehen und starrte in den Garten. „Um endlich zur Sache zu kommen", riss ihn Rishkan aus seinen Gedanken. „In Hogwarts läuft jemand herum, der in Wirklichkeit für den Feind arbeitet?"

„Ja", zischte Tarson und rieb sich seine Finger. „Und diese Person sollte mir lieber nicht unter die Augen kommen, wenn ihm sein Leben lieb ist."

„Oder ihr", fügte Rishkan hinzu, der schon seinen Verdacht hatte.

Tarson lachte auf. „Natürlich denkst du an Pawn, aber so dumm ist Angra Mainyu nun einmal nicht, leider. Ich hoffe, dass Voldemort angesichts einer solchen Niederlage uns zusammenruft, um uns zur Schnecke zu machen. Vielleicht verrät er jetzt endlich, was sein Plan ist, oder ich verliere den Verstand. Wenn das so weiter geht, lasse ich ihn zu Staub zerfallen oder ich hetzte ihm einen seiner erst kennen gelernten Freunde auf den Hals. So mit mir herum zu springen!" Es folgte eine Reihe von Ausdrücken, die Nadja mindestens fünfzig Punkte gekostet hätten und dem Dunklen Lord ein fröhliches ‚Avada Kevadra' entlockte hätten. Rishkan konnte ihn sogar verstehen. Voldemort war zwar klug genug, seine Pläne nicht jedem dahergelaufenen Todesser zu verraten, aber auch dumm genug, sich überhaupt auf ein solches Spiel einzulassen. Er hatte irgendwie das Gefühl, dass der Dunkel Lord nicht bloß mit dem sprichwörtlichen Feuer spielte, sondern mit ein paar hundert Atombomben, und dass er sich gerade in diesem Augenblick fragte, was passieren würde, wenn er den großen roten Knopf drücken würde.

Rishkan seufzte und ließ die Feder über das Blatt Pergament huschen. Auch er vermisste Nadja, und er hielt es für sein gutes Recht ihr immer die Briefe zu schreiben, wenn er auch Tarson gestattete etwas dazuzufügen. „Glaubst du, wir sollen ihr sagen, mit wem wir es vermutlich zu tun haben?", fragte er vorsichtig.

„Bist du verrückt?" fuhr in Tarson an. „Das wird sie erst recht fertig machen. Aber schick ihr eine vollständige Liste von allen Krankheiten. Nur falls eine Epidemie ausbrechen sollte."

„Vielleicht noch ein ganzes Haus mitschicken?" knurrte Rishkan leise. „Ich will ihr einen Brief schreiben. Unsere Eule kann wohl kaum ein Paket transportieren."

Tarson Blick sagte eines: Ich habe nichts mit dem verrückten Vieh zu tun.

„Hast du wenigstens eine Möglichkeit gefunden, Angra Mainyu zu verjagen oder wenigstens aufzuhalten?" wollte Rishkan wissen.

„Ja."

„Ja? Und das ist alles? Je eher wir handeln, desto weniger Opfer wird es geben."

Tarson Blick verdüsterte sich plötzlich. „Ganz genau, deshalb suche ich ja auch weiter." Und Rishkan kannte ihn mittlerweile gut genug um zu wissen, dass er im Augenblick nicht mehr von ihm erfahren würde, noch nicht.

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„Was grinst du so blöd?", brüllte Voldemort seinen Verbündeten an. „Schließlich sind deine tollen Diener tot und Dumbledore rennt noch immer sehr lebendig herum. Potter weiß wahrscheinlich nicht einmal, was geschehen ist."

„Dann bleibt Euch wenigstens in diesem Fall die Schande erspart."

Voldemort kochte über vor Wut und rief genervt: „Crucio!"

„Das funktioniert nicht bei mir", erinnerte ihn sein Verbündeter mit dem gleichen dämlichen Grinsen. Das Wesen veränderte sich bei jedem Treffen, und das gefiel ihm noch weniger als das Grinsen und die Tatsache, dass ihm die stärksten Zauber nur ein süffisantes Lächeln entlocken konnten. Zuerst hat er ausgesehen wie ein ganz normaler Mensch, dann waren die beiden großen Hörner am Kopf gekommen, dann die überaus langen Eckzähne und jetzt hatte er auch entlang der Wirbelsäule ziemlich unbequem aussehende Stacheln. Jetzt fehlte nur noch, dass ihm Fledermausflügeln wuchsen. Aber auch sein Verhalten hatte sich geändert. War er anfangs noch demütig gewesen, so führte er sich nun auf, als ob er der Herr wäre. Was bildete sich dieses Ding überhaupt ein!

„Es war deine verdammte Pflicht diese Mörderwesen in Hogwarts einzuschleusen!", brüllte ihn Voldemort an.

„Was ich auch getan habe, Meister. Doch jemand hat sie aufgehalten."

„Wer? Dumbledore?" Der Gedanken, dass sein verhasster Gegner mit diesen Wesen so spielerisch fertig wurde, während er sie gerade mal zum Lachen bringen konnte, trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn. Geistesabwesend tätschelte er Naginis schuppigen Kopf.

„Das weiß ich noch nicht, aber ich werde es herausfinden", antwortete sein Verbündeter geheimnisvoll. „Schickt erst in ein zwei Wochen nach diesem Todesser, diesem Giftmischer Snape. Der lebt in Hogwarts und weiß vielleicht etwas Genaueres."

„Warum dann nicht sofort?"

„Weil dieser Dumbledore nach einem solchen Angriff sicherlich jeden Schritt eines ehemaligen Todessers überwachen wird. Entweder wird er nicht wegkommen, oder Dumbledore findet heraus, dass er noch immer regelmäßig zu Euch geht."

„Du findest die Sache ja richtig amüsant", zische Voldemort, der noch immer dieses dämliche Grinsen sehen konnte.

„Aber ja doch. Die Sache fängt an spannend zu werden. Und auch Ihr solltet Euch freuen. Ein zu rascher Sieg verliert viel zu schnell den Geschmack, wird schal und sauer."

Voldemort war es egal, wie der Sieg schmeckte. Er wollte ihn nur rasch haben. Darum hatte er sich auch mit dem Wesen eingelassen, offensichtlich ein nicht wieder gutzumachender Fehler.

„Ach, da wäre noch etwas", stellte sein Verbündeter mit diesem dämlichen Grinsen fest. „Der Preis ist seit gestern Nacht gestiegen?"

„Was soll das heißen, er ist gestiegen?" Voldemort versuchte so etwas wie einen Wutanfall, doch der Schrecken lähmte ihn. „Ich hätte gedacht, wir wären uns einig."

„Das war noch, bevor wir mit einem solchen Widerstand konfrontiert wurden", erklärte das Wesen ruhig. „Die Aktion erfordert etwas mehr Arbeit unsererseits und ich will doch nur, dass zusätzliche Mühe auch bezahlt wird. Das verstehen Sie sicherlich."

Voldemort schnaubte und hätte fast wieder ‚Crucio' gerufen. Doch im letzten Augenblick hielt er sich zurück. Noch einmal wollte er sich nicht bloßstellen.

„Ich bin mir sicher, dass wir uns einig werden. Schließlich verlange ich nur eine Kleinigkeit", fuhr das Wesen gelassen fort. „Aber wenn Sie wollen, können Sie auch jederzeit aus dem Vertrag aussteigen."

Voldemort begriff. Dies war die letzte Möglichkeit, einen Rückzieher zu machen und mit den altbewährten Methoden weiterzuarbeiten. Er würde nicht einmal sein Gesicht verlieren. Doch was würde das Wesen dann machen? Zu Dumbledore kriechen und ihm das gleiche Angebot machen wie ihm? Er bezweifelte, dass der verfluchte Direktor dieses annehmen würde, doch die Möglichkeit bestand und wenn Dumbledore nur verzweifelt genug wäre… „Natürlich bleiben wir im Geschäft", fauchte er. „Also, was verlangst du! Und strapaziere nicht meine Geduld."

Sein Gegenüber grinste wieder. „Nun, da wäre…"

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Ich hab keine Ahnung warum, aber irgendwie machen die Szenen, in denen Angra Mainyu vorkommt, eine Menge Spaß beim Schreiben. Dass sie deshalb aber leichter sind, kann ich leider nicht sagen.

Cyberrat: Der Ärmste wird noch einmal im Krankenbett landen, dann aber länger. Aber mehr will ich nicht verraten. Er tut mir aber jetzt schon leid. Ich hab auch einmal einen Hamster gehabt, ein ganz kluges Tierchen, dass sich den Käfig aufmachen konnte. Das Sofa hat er auch zerlegt, beziehungsweise wir haben es aufschneiden müssen, um ihn einmal zu retten.

Lucina: Du wirst es nicht glauben, aber irgendwie ist mein Kapitelvorrat gewachsen, obwohl ich mit dem Neunen noch gar nicht fertig bin. Hab mich nämlich bei der Nummerierung vertan.

Dax: Danke! :-)