Kapitel 21: Dachs und Schlange

Das, was er seit fast zwei Jahren gefürchtet hatte, war eingetreten. Er hatte sich diesen Augenblick fast jeden Abend vorgestellt, kurz bevor er einschlief, und war zu dem Schluss gekommen, dass er vor Angst sterben müsste. Nun allerdings war diese Todesangst wie weggeblasen. Er fühlte stattdessen, dass eine ungeheure Last von seinen Schultern genommen worden war. Nie wieder fürchten müssen ertappt zu werden, nie wieder das Suchen nach Ausreden. Voldemort würde ihn töten, das war eine Tatsache, doch er würde diesem Tod so würdevoll wie er konnte entgegen schreiten. Er wollte dem Dunklen Lord und seinen Anhängern anders als der unglückliche Ministeriumsspion in Erinnerung bleiben.

Trotz der riesigen Menschenansammlung war es vollkommen still geworden; kein nervöses Räuspern, kein Getuschel, kein Rascheln der Kutten. Selbst zu atmen schien jeder vergessen zu haben.

Snape richtete seinen Blick hoch zu Voldemort und wieder bereute er den Tag, an dem er ihm ewige Treue geschworen hatte. Ganz langsam erhob er sich – kein Todesser und nicht einmal Voldemort wollte ihn daran hindern. Als ob er ganz einfach die Halle verlassen und gehen könnte, wie bei einem Kinderspiel, bei dem man nicht mehr mitmachen wollte.

„Du hast also tatsächlich den Mut, mir nach allem noch in die Augen zu sehen", zischte Voldemort und erinnerte ihn an eine gereizte Kobra.

Snape gab keine Antwort. Wo blieb nur der grüne Blitz?

Plötzlich erschienen die fünf Schlangenstabmenschen neben ihm und packten ihn grob an den Armen. Mit einer ungeheuren Kraft, die er ihnen gar nicht zugetraut hatte, zwangen sie ihn wieder auf die Knie. Ihre Berührung brannte auf seiner Haut, als ob ihre Hände aus Eis wären.

„So ist es schon viel besser", stellte Voldemort zufrieden fest. „Dein Verrat hat mich sehr getroffen, nach allem, was ich für dich getan habe. Ich habe dir die Familie gegeben, die du nie hattest. Ich habe dir nicht Verachtung, sondern Respekt entgegen gebracht. Und habe ich dich nicht wieder gnädig aufgenommen, obwohl du bei meiner Rückkehr nicht erschienen warst?" Voldemort wartete einige Augenblicke auf eine Antwort, die allerdings nicht kam. Aber das störte ihn offenbar nicht. „Doch du hast Glück. Ich bin gerade mit einem Experiment beschäftigt, bei dem ich die Hilfe eines Freiwilligen brauche."

„Wollt Ihr auch mir die Haut abziehen, um Wesen wie diese zu schaffen?" fragte Snape so ruhig wie möglich, doch ein leichtes Zittern in seiner Stimme konnte er nicht verbergen.

Voldemort lachte schrill, doch kein einziger Todesser wagte es einzustimmen. „Du hast also die richtigen Schlüsse gezogen. Gratulation! Doch in zwei Punkten muss ich dich enttäuschen: Zum einen waren meine Freunde", er deutete auf die fünf Schlangenstabmenschen, „schon immer da, ich musste ihnen nur noch einen angemessenen Körper geben. Und zweitens wirst du es nicht so schön haben wie jene Muggel, in denen sie jetzt stecken. Cru…!"

Snape duckte sich und erwartete jenen höllischen Schmerz, den er schon einige Male hatte spüren müssen, doch es kam nichts. Auch die seltsamen Kreaturen ließen ihn einen Augenblick lang los und er hörte, wie sie in ihrer zischenden Sprache leise zu tuscheln begannen. Snape hob verwirrt den Kopf. Seine Sicht wurde natürlich von unzähligen Beinen versperrt, doch er sah, dass auch Voldemort leicht überrascht in Richtung Ausgang blickte.

„Meister!" rief jemand von dort, der Stimme nach Katie Blain. „Ich hab einen Schnüffler gefunden, oder besser gesagt eine."

Voldemorts Nüstern weiteten sich vor Aufregung und seine roten Augen leuchteten unheilvoll. „Unser Giftmischer braucht anscheinend Geleitschutz", höhnte Voldemort.
Alles lachte, nur in Snapes Hals begann ein bitterer Klotz zu wachsen. Seine schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt, als sich Blain durchgekämpft hatte und den regungslosen Körper eines elfjährigen Mädchens rücksichtslos vor Voldemort Füßen und Snapes Nase fallen ließ. Snape kannte das Gesicht des Kindes leider nur zu gut auch ohne es zu sehen.

„Erkläre!" verlangte Voldemort und musterte interessiert die kleine Hufflepuff.

„Ich habe Wache gehalten, ganz so wie Ihr verlangt habt, Meister. Plötzlich sah ich einen Schatten herumschleichen. Ich hab sie geschockt und erst nachher festgestellt, dass sie anscheinend aus Hogwarts kommt." Sie warf einen verächtlichen Blick auf Snape.

Dieser wusste nicht, ob er erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Natürlich war er froh, dass Delano am Leben war, doch meistens war der Tod um etliches angenehmer als Voldemorts Gastfreundschaft.

Voldemort verpasste dem Mädchen einen leichten Tritt mit dem Fuß. „So weit ich diesen Narren von Dumbledore kenne, wird er gar nicht zufrieden sein, dass du eine Schülerin bei deinen Ausflügen mitnimmst." Nun konnte Snape und sicherlich auch Voldemort das Hausabzeichen sehen. „Auch noch Hufflepuff! Du bist wirklich tief gesunken."

„Rühren Sie das Mädchen nicht an!" schnaubte Snape und wunderte sich schon im nächsten Augenblick über seinen Mut.

Voldemorts Augen richteten sich vergnügt auf den Tränkemeister. „Sonst was? Ich halte gerade deinen Zauberstab in meiner Hand und selbst mit Stab wärst du mir noch immer haushoch unterlegen."

Doch plötzlich bekam Snape Unterstützung von jenen, von denen er es am wenigsten erwartet hatte, von den Schlangenstabmenschen. Alle fünf waren auf die Knie gefallen und winselten etwas von Gnade, Rache und drohender Gefahr, allerdings so durcheinander, dass Snape kaum etwas verstehen konnte.

„Ich fasse es nicht!" brüllte Voldemort. „Ihr habt vor einem kleinen, wehrlosen Kind Angst?"

Das Gewinsel verstummte, doch in den Augen der fünf spiegelte sich Todesangst.

„Also dann zu dir, Giftmischer", wandte sich Voldemort wieder an Snape. „Wer ist das Mädchen und wie kommt sie hierher?"

Es hatte zwar keinen Sinn, trotzdem schwieg er beharrlich.

Voldemort schnaubte verächtlich. „Dich werde ich auch noch zum Sprechen bringen. Crucio!"

Snape glaubte plötzlich, dass sich seine Knochen mit flüssigem Feuer füllten, dass jeder einzelne Muskel entzweigerissen und jedes Gelenk verbogen wurde. Trotzdem gab er sich alle Mühe nicht zu schreien. Nach einigen Augenblicken, für ihn aber nach einer Ewigkeit, ließ der Schmerz endlich nach. Noch immer zuckten seine Glieder unkontrolliert auf dem Boden, ein stechender Schmerz auf seiner Zunge und der Blutgeschmack in seinem Mund verrieten ihm, dass er sich in die Zunge gebissen hatte, doch es war vorerst vorüber.

„Nun, ich höre!" Voldemorts Stimme klang fast freundlich.

„Ich diene nur Albus Dumbledore und ich werde niemanden verraten, der nicht auf Eurer Seite steht." Die Worte kamen ihm wegen seiner arg in Mitleidenschaft gezogenen Zunge nur mühsam über die Lippen, trotzdem konnte jeder und ganz besonders Voldemort die Verachtung darin deutlich hören.

Doch statt eines neuen Cruciatus-Fluch hörte er nur ein vergnügtes Lachen. Dann deutete der Dunkel Lord mit seinem Zauberstab auf die bewusstlose Delano und sprach: „Enervate!"

Im nächsten Augenblick schlug das Mädchen ihre Augen auf und blinzelte ziemlich irritiert in die Runde, bis ihr Blick bei Voldemort hängen blieb. Sie schien zu wissen, wer vor ihr stand, doch wenn sie deswegen irgendwie beunruhigt war, so verbarg sie es sehr gut. „Der, dessen Name nicht genannt werden darf, persönlich", flüsterte sie überrascht und rieb sich ihre schmerzenden Glieder – Blain hatte sie recht unsanft auf den Steinboden fallen lassen. „Dass es mir ein Vergnügen wäre, kann ich allerdings nicht behaupten."

„Anscheinend haben wir noch jemanden mit einem selbstmörderischen Mundwerk gefunden", stellte Voldemort zufrieden fest. Die versammelten Todesser lachten nervös, nicht sicher, ob das den Dunkeln Lord nicht verstimmen könnte.

Delano lächelte selbstsicher. „Das Lachen wird euch noch vergehen", prophezeite sie der Menge, und plötzlich war alles wieder still. „Das Spiel ist aus Voldemort." – Fast gleichzeitiges Zusammenzucken sämtlicher Todesser beim Nennen des Namens ihres Herrn. – „Das Gebäude ist umstellt. Draußen warten alle Auroren des Ministeriums darauf, dass die zehn Minuten, die ich ihnen gegeben habe, um sind. Wie lange war ich eigentlich bewusstlos?"

Draußen wartete niemand vom Ministerium, nicht einmal Dumbledore wusste, wo er war, geschweige denn irgendein Auror. Doch in diesem Augenblick kaufte er Delano diese Worte durchaus ab, und er war nicht der einzige. Die Todesser wurden nervös und die Schlangenstabmenschen waren ohnehin nur mehr ein Häufchen Elend, seit das Mädchen wach war.

„Das war wirklich gut, Miss", lobte Voldemort. „Ich muss Sie aber darauf hinweisen, dass mehrere Zauber mich warnen, falls sich irgendein Mensch diesem Gebäude nähert, der kein Todesser ist."

„Wenn diese Zauber wirklich funktionieren würden, hätten Sie nicht Ihren Aufpasser gebraucht, um mich zu fangen", entgegnete Delano nicht im Geringsten eingeschüchtert.

Auf Voldemorts Gesicht erschien nun ein ganz neuer Ausdruck, den Snape und sicherlich auch alle anderen Todesser niemals zuvor gesehen hatten, Unsicherheit.

„Nun, wenn wir das mit den Bannen und so gelöst haben, dann könnt Ihr mich und Professor Snape gehen lassen", fuhr das Mädchen seelenruhig fort. „Vielleicht kann ich sie ja davon überzeugen, dass sie keine Todesflüche einsetzen und so…"

Die Augen des Dunklen Lord leuchteten bedrohlich. „Draußen ist niemand. Anscheinend wirken die Banne nicht bei Kindern, doch das werde ich ändern. Crucio!"

Wieder war es Snape, der die Vorzüge dieses Fluchs kennen lernen musste. Weil er so unerwartet kam, konnte er einen Schmerzensschrei nicht mehr unterdrücken. Morgen würde er den ärgsten Muskelkater haben, obwohl, ein Morgen gab es wahrscheinlich gar nicht. Als er seine Umgebung wieder einigermaßen wahrnehmen konnte, hatte sich die kleine Hufflepuff verändert. Wenn Blicke töten könnten, wäre sogar jemand wie Voldemort auf der Stelle zu Staub zerfallen, so viel Verachtung und Abscheu lag in ihren Augen.

„Bringt die beiden unversehrt in den Kerker und verschnürt sie gut!" befahl Voldemort fünf Todessern, unter ihnen Malfoy und Pettigrew. „Ich werde mich später ausführlich mit ihnen beschäftigen und unseren guten Giftmischer wieder auf den rechten Weg zurückführen."

Sie wurde grob in die Höhe gezerrt und aus der Halle geführt, in Snapes Fall mehr geschleift. Irgendwie hatte er den ganzen langen Weg den absurden Eindruck, dass sich Voldemort und Delano zu kennen schienen.

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Ich weiß, das ist auch ein Cliffhanger, aber meiner Meinung nach kein so gemeiner wie der letzte. Der war wirklich gemein, aber das fällt einem beim Schreiben nicht so auf (zumindest nicht, wenn man so schreibt wie ich). Daher hab ich eingesehen, dass eine Woche wirklich zu langist, und das neue Kapitel gleich jetzt gepostet. Wieder herzlichen Dank an alle Leser!

Dax: Danke:-) Danke:-)

Abhaya: Lucius hab ich auch nie ausstehen können. Ich überleg mir gerade, was ich ihm alles antun könnte, ohne dass ihn Rowling in kleine Stückchen zurückbekommt.

Lucina: Die Wasserpistole war sehr überzeugend. Also hier das nächste Kapitel.