Kapitel 22: Zauberdolch und Schokofrösche

„Was macht ein kleines Schlammblut mit einem so hübschen Messer?" wollte Lucius Malfoy mit süffisanter Stimme wissen und hielt den golden schimmernden Dolch interessiert in der Hand.

Nadja spielte Basilisk, aber leider kannte Malfoy die Regeln nicht. Er dachte offensichtlich nicht im Traum daran tot umzufallen oder wenigsten zu Stein zu erstarren. Doch etwas anderes geschah.

„Autsch! Verdammtes Messer!" Malfoy ließ den Dolch laut scheppernd zu Boden fallen und beobachtete angewidert, wie Blut aus einem tiefen Schnitt auf seinem Zeigefinger quoll. Auf einen Schlenker seines Zauberstabs heilte allerdings die Wunde sofort.

Nadja grinste zufrieden, als ob sie damit gerechnet hätte, und Lucius schien sich sehr zu beherrschen ihr keine Ohrfeige zu verpassen. Doch er erinnerte sich anscheinend noch rechtzeitig an Voldemorts Verbot. So hob er lediglich den Dolch auf und steckte ihn sicher in seine Tasche zu der Silberfigur, die ihr Lucius ebenfalls abgenommen hatte.

„Jetzt zu dir, Giftmischer!" fauchte er, riss ihm den Todesserumhang von den Schultern und untersuchte die Taschen. „Nun, ich habe mich wohl ein bisschen in dich getäuscht. Ich dachte, du wärst schon erwachsen, aber das…" Malfoy zog eine Packung etwas abgegriffener Karten hervor, Sammelkarten der Schokofrösche. „Nicht einmal mein Sohn hat die noch. Sehr hübsch. Merlin, Faust, Morgana und sogar Dumbledore. Sag einmal, schleppst du deine Kartensammlung eigentlich überall mit? Selbst zu einem Todessertreffen?"

Das tat Snape tatsächlich, vor allem zu einem Todessertreffen, und dafür hatte er sehr gute Gründe.

„Nun, die wirst du wahrscheinlich nicht mehr benötigen", stellte Malfoy fest und begann eine Karte nach der anderen vor seinen Augen zu zerreißen. „Ich hab zwar keine Ahnung, was der Dunkle Lord mit dir vorhat, aber in diesem Punkt bin ich mir sicher."

Snapes letzte Hoffnung verwandelte sich unter Lucius' Hand langsam in Konfetti.

„So, das hätten wir. Ratte, du kannst sie verschnüren!" Lucius wandte sich wieder an Snape, während Pettigrew begann Delano sorgfältig zu fesseln. „Dann wünsche ich dir viel Spaß! Es heißt, der neue Verbündete unseres Herrn habe einen etwas merkwürdigen Sinn für Humor. Vielleicht steht er ja auf Sammelkarten." Lucius lachte noch einmal über seinen Witz, den nicht einmal Pettigrew (der über alles lachen konnte, was nicht ihn persönlich betraf) lustig fand und ließ sie mit Wurmschwanz und drei weiteren Todessern alleine.

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Kurze Zeit später waren Snape und Delano alleine in der nur von einer Fackel erhellten Zelle. Der Tränkemeister fragte sich, warum man ihnen das Licht gelassen hatte, denn in einer völlig dunklen Zelle dem Kommenden zu harren hielt er um einiges unerträglicher. Aber er wollte sich nicht beschweren. Es war ohnehin schon ungemütlich genug. Die Fesseln schnürten ihn so fest ein, dass er kaum atmen konnte und seine Finger und wahrscheinlich auch Zehen blau anliefen. Ihm war eiskalt – den Umhang hatte man ihm nicht zurückgegeben – und die absonderlichsten Gedanken gingen ihm durch den Kopf (Wer wird Potter retten, wenn ich nicht mehr da bin? Wer wird für mich weiter unterrichten? Wer wird neuer Hauslehrer werden?"), als er so in der Ecke auf nacktem Stein lag und auf seinen Tod oder Schlimmeres wartete.

Delano schien hingegen fest entschlossen zu sein zu entkommen. Als Pettigrew sie gefesselt hatte, war ihm aufgefallen, dass das Mädchen tief Luft geholt und jeden einzelnen Muskel angespannt hatte. Anfangs hatte er nicht so recht gewusst, warum das Ganze, doch langsam begriff er. Nun, da Delano ausgeatmete hatte und Pettigrew weit weg war, saßen die Fesseln locker und sie hatte es um einiges bequemer als er. Doch damit ließ sie es nicht genug sein, sondern kämpfte darum ihre Fesseln ganz los zu werden. Gerade eben versuchte sie an ihre Winterstiefel zu gelangen – er hatte keine Ahnung warum, ihren dort versteckten Dolch hatte man ihr schließlich abgenommen – und plötzlich waren ihre Füße frei. Als Snape das registriert hatte, konnte Nadja wieder ungehindert ihre Hände bewegen und kurze Zeit später nahm sie triumphierend den Knebel aus ihrem Mund. „Endlich!" seufzte sie erschöpft. „Ich hab' fast schon geglaubt, dass ich die nie mehr loswerde." In diesem Augenblick entdeckte Snape des Rätsels Lösung, jenen kleinen goldfarbenen Dolch, den Snape schon zweimal gesehen hatte, einmal in der Kehle eines Schlangenstabmenschen und schließlich in Malfoys Hand. Lucius hatte ihn ja mitgenommen. Wie kam er hierher?

„Haben Sie diesen arroganten Affen gesehen?" wollte sie aufgebracht wissen. „Möchte bloß wissen, was er macht, wenn er plötzlich einem ausgewachsenen Chinesischen Feuerball gegenübersteht, ohne Zauberstab und einer Armee unterwürfiger Hauselfen?"

„Mmm, mmm!"

„Oh, tut mir Leid, Professor!" Im nächsten Augenblick war sie an seiner Seite und nahm ihm den Knebel aus dem Mund.

„Wie konnten Sie es wagen, Ihr Versteck zu verlassen!"

„Sie hätten besser auf mich hören sollen, sonst würden wir beide nicht in diesem Schlamassel stecken", konterte das Mädchen. „Sogar Anatol hat versucht Sie aufzuhalten. Der hat einen Sechsten Sinn für drohende Gefahren."

„Anatol?" Niemand hatte versucht ihn aufzuhalten, außer eben die kleine Hufflepuff und...

„Ja, das Einhorn."

„Wohl eher Minieinhorn", erinnerte sich Snape laut.

Delano rümpfte ihre Nase und begann seine Fesseln mit ihrem Dolch zu durchtrennen. „Schön, da jeder seine Fehler gemacht hat", murrte sie, „sollten wir uns überlegen, wie wir am Besten von hier verschwinden. Ich mag nämlich diese Biester mit ihren Stäben nicht besonders und möchte nicht ihren Herrn kennen lernen."

„Den kennen Sie bereits. Sie dienen dem Dunklen Lord."

Das Mädchen lachte amüsiert. „Das glaubt er wahrscheinlich oder hofft es zumindest, aber wenn sie andere Befehle von ihrem richtigen Herrn erhalten, dann könnte das für Voldemort eine unangenehme Überraschung werden. Ach ja, das wollte ich Ihnen schon lange sagen, ich habe auch einen Vornamen. Dieses Delano irritiert mich immer ein wenig. Die meisten nennen mich Nadja."

Snape war befreit und bewegte seine eingeschlafenen Finger und Zehen. Mit schmerzhaftem Stechen begann wieder das Blut zu zirkulieren, aber das war nichts im Vergleich zum Cruciatus. „Warum haben Sie…" Er betrachtete ihr Gesicht – das Mädchen hatte ihn schließlich tatsächlich gewarnt und ihn auch jetzt von den mörderischen Fesseln erlöst, da konnte er ihr schon ein wenig entgegenkommen – und verbesserte sich: „Warum hast du noch deinen Dolch?"

Nadja grinste schelmisch. „Automatisch zurückkehrender Dolch. Ein Geschenk von meinem Vater." Ihre Miene verdüsterte sich plötzlich. „Das einzige, was ich jemals von ihm bekommen habe. Und warum haben Sie wirklich Schokofroschkarten einstecken?"

Diesmal konnte Snape ein Grinsen nicht unterdrücken, obwohl ihn die Frage wieder an ihre ausweglose Situation erinnerte. „Nun, ich habe dem Direktor mein Wort geben müssen, niemandem davon zu erzählen. Aber wenn wir von hier entkommen sollten, werde ich Dumbledore bitten, bei Ihnen… dir eine Ausnahme zu machen." Er redete schon so, als ob sie in Sicherheit wären.

„Gut, ich werde Sie daran erinnern." Sie stand wieder auf und begann systematisch mit ihrem Dolch die Wände abzuklopfen, jeden noch so kleinen hervorstehenden Stein zu prüfen und die Tür misstrauisch zu beäugen. „Sie könnten mir durchaus helfen", meckerte sie nach einiger Zeit.

„Und bei was, wenn ich fragen darf?"

„Vielleicht gibt es hier irgendeine Geheimtür, den Zugang zu einem Fluchtunnel", antwortete Nadja, als ob sie den beißenden Unterton in seiner Stimme nicht gehört hätte.

„Ein Fluchttunnel? In einer Kerkerzelle?" Snape verstand die Welt nicht mehr.

„Das ist kein Kerker, das ist der Keller eines Klosters. Heinrich der Achte, ein Muggelkönig, hat eine neue Religion eingeführt und verfolgte jene, die sich nicht bekehren ließen. Eine ganz lukrative Tätigkeit, wenn man bedenkt, wie viele Kirchenschätze von den Klöstern in seine Hände wanderten. Vor allem Mönche und Priester waren mit dieser Art der Missionierung nicht ganz einverstanden und retteten das Wertvollste ihrer Schätze. Also ist es sehr wahrscheinlich, dass auch dieses Kloster einen Geheimausgang hat, durch den man Kirchenschätze schmuggeln konnte."

„Ich bin mir ganz sicher, dass der Dunkle Lord den Ort genauer untersuchen ließ, bevor er ihn zum Kerker umfunktionierte", entgegnete Snape, stand aber trotzdem auf, um seine eingeschlafenen Beine aufzuwecken.

„Selbst wenn", antwortete Nadja ruhig ohne ihn anzusehen, „Menschen machen Fehler, selbst Menschen wie Voldemort. Und vielleicht entdecken wir einen solchen."

Snape kam sich irgendwie dumm vor, einen Kerker nach Geheimtüren abzusuchen, aber unnütz herumstehen wollte er auch nicht. So widmete er sich der Fackel, einer ganz normale Fackel mit normalem Feuer und nicht einem Hauch von irgendeinem Zauber. Trotzdem griff er danach.

In diesem Augenblick hörte er wie draußen ein Riegel verschoben und die Tür langsam aufging.

„Sie haben es geschafft!", rief Nadja begeistert.

Auch Snape drehte sich überrascht um. Die Tür war tatsächlich offen, doch da traten fünf Todesser mit gezückten Zauberstäben hinein. Dahinter konnte er weitere Todesser erkennen und sogar zwei Dementoren.

„Wieso hat euch Pettigrew nicht gefesselt", wollte einer der Todesser wissen, der Stimme nach Nott.

„Ist doch jetzt egal", diesmal anscheinend Avery. „Der Verräter kommt mit und das Kind stellt keine Gefahr für uns dar. Los zurück, Kleine!"

Nadja sah so aus, als ob sie die Worte und die gezückten Zauberstäbe ignorieren und sich auf die Todesser und Dementoren stürzen wollte, schließlich hatte sie ihren Dolch bei sich, doch zu Snapes Erleichterung wich sie schließlich doch zurück.

Ein weiterer Todesser beschwor magische Seile, die sich um seine Arme schlangen und auch seine Beine so weit fesselten, dass er zwar noch gehen, aber unmöglich laufen konnte.

„Mitkommen!" fauchte Avery und zerrte ihn hinaus zu den andern. Der klitzekleine Hoffnungsschimmer, den er vor wenigen Augenblicken noch gesehen hatte, verschwand, als sich die Kerkertür hinter ihm schloss, und daran waren nicht nur die beiden Dementoren schuld.

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Zu seinen Wächtern gesellten sich nach wenigen Metern zwei Schlangenstabmenschen, die nun, da Nadja weit weg war, ihre alte Ruhe zurück gewonnen hatten. Der ganze Zug, es waren mit ihnen und den beiden Dementoren mittlerweile elf Wächter – Voldemort wollte anscheinend auf Nummer sicher gehen – führte ihn fast durch das ganze Kloster, hinauf in den ersten Stock und machte schließlich vor einer schlichten Holztür Halt.

Die feinen Haare auf Snapes Unterarmen stellten sich plötzlich auf und die düstere Vorahnung von einer drohenden Katastrophe, nicht nur für ihn selbst, erfüllte sein Denken.

Notts plötzliches Lachen klang seltsam hohl hinter der weißen Maske und Avery öffnete die Tür. Snape hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich umzusehen, da stießen sie ihn auch schon hinein. Es war ein ganz unangenehmes Gefühl, als ob er durch flüssiges Eis stolperte, doch es dauerte nur einen Augenblick an. Snape drehte sich um und wollte versuchen die Tür aufzureißen bevor sie verschlossen wurde, aber es gab keine Tür mehr, nur eine schwarze Wand.

Das Schlimmste erwartend drehte er sich langsam um. Doch da war keines dieser Ungeheuer, die Hogwarts angegriffen hatten, nicht einmal ein Schlangenstabmensch, kein Dementor und kein einziger Todesser. Tatsächlich war er vollkommen alleine.

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Weil es kein besonders langes Kapitel ist und weil ich keine Ahnung habe, ob ich in den nächsten Tagen zum Posten komme (Prüfungsstress bei dem schönen Wetter), geht es schon heute weiter. Außerdem brauche ich ein paar Reviews, die mich von Chemie (zitter) ablenken (ich glaub, ich wird jetzt ein wenig egoistisch).
Ähm, was den Cliffhanger betrifft… Ich verspreche hoch und heilig, nächste Woche (wahrscheinlich Mittwoch) geh es weiter und dann werden einige Geheimnisse gelüftet. Ellen, meine Betaleserin, hat da sehr viel länger warten müssen. Nun ein ganz großes Lob an meine Leser und für die netten Reviews.

Abhaya: Keine Sorge, das Messer ist erst der Anfang von Malfoys Strafe. Er wird bald Tarson verärgern, und der ist eine Person, die man lieber nicht verärgern sollte. Überleben wird er es wohl trotzdem.

Lucina: Hast du die Wasserpistole noch? Wäre heute nämlich ganz angenehm.

Dax: Kein Smiley, sondern Worte. Ich fühle mich ganz geehrt. Weiter geht es nächste Woche. Danke für das Review. :-)