Kapitel 25: Knieselhaar und Krokodil

Aus den vielen Augen dieses Rieseneselhirsches wurden zwei grüne Kinderaugen, die ihn aus einiger Distanz verschreckt anstarrten. Es dauerte etwas, bis er die kleine Hufflepuff erkannte, die ihm gegenüber in einer Ecke kauerte. Ihren Dolch hielt sie kampfbereit in der Hand, als ob sie damit rechnete, er könnte sie jederzeit angreifen.

„Sind Sie es wieder, Professor?" wollte das Mädchen mit bebender Stimme wissen.

„Warum sollte ich es nicht sein", versuchte Snape betont barsch zu erwidern und setzte sich auf, doch auch in seiner Stimme lag ein ungewohntes Zittern. Er hatte keine Ahnung, wie er auf einmal vom Astronomieturm am Meer hierher gekommen war, an den Ort, den er nur nach einiger Zeit gründlichen Nachdenkens als Voldemorts Kerker erkannte. Und langsam dämmerte ihm die Erkenntnis, dass seine Erlebnisse der letzten Stunden vielleicht eine seltsame Art von Traum gewesen war, irgendeine Form der Gedankenkontrolle. Angra Mainyu war ein Genie in Legilimentik gewesen, auch wenn er es nicht so nennen wollte. Künstlich erzeugte Träume könnten ebenfalls zu seinem Spezialgebiet gehören.

Das Mädchen atmete erleichtert auf und steckte sofort den Dolch weg. Der Anblick erinnerte ihn wieder an Angra Mainyus Worte. Er glaubte ihm nicht, was seine angeblich nicht vorhandene Angst vor Nadja betraf, aber er zweifelte keinen Augenblick daran, dass er sie – und wohl auch ihn – irgendwie versuchen würde zu beseitigen.
„Seit wann bin ich wieder zurück?" wollte er wissen und setzte sich auf. Erst jetzt bemerkte er, dass er erbärmlich fror, dagegen machen konnte er wenig. Seinen Umhang hatte man ihm schließlich abgenommen und der Kerker war eiskalt.

„Vor", Nadja blickte auf die Muggeluhr an ihrem Armgelenk, „ungefähr sieben Stunden."

Snape öffnete seinen Mund, um etwas zu erwidern, doch ihm wollte nichts zu seiner grenzenlosen Verwunderung einfallen, und so schloss er ihn wieder.

„Und davor waren Sie schon mindestens drei Stunden fort", fuhr das Mädchen ungerührt fort.

Snape kam nicht dazu, sich darüber zu wundern, denn von draußen kamen plötzlich Schritte.

Nadja war sofort auf den Beinen, ergriff die brennende Fackel und war mit einem Satz hinter der Tür, bereit sie auf den ersten Kopf niedersausen zu lassen, der einen Blick in den Kerker riskieren wollte.

Snape hingegen versuchte sich auf die Schritte zu konzentrieren, wie viele Personen sie verursachten und wer, aber die Wände waren dick, und es war ohnehin ein Wunder, dass sie die Schritte überhaupt gehört hatten.

Das, was dann geschah, konnte er allerdings laut und deutlich hören: Einen überraschten Schrei, der sofort verstummte, das Scheppern eines Metallgegenstands, der auf den Steinboden fiel und schließlich das Plumpsen eines schweren, aber nachgiebigen Körpers auf den Boden, ähnlich eines Sandsacks – nur dass Snape irgendwie wusste, dass es sich um keinen Sack handelte – und schließlich öffnete sich fast lautlos die Tür.

Snape wich zurück, und das rettete wohl sein Leben, denn durch die Tür kam Bethan, maskenlos, in der Hand ein blutiges Messer.

„Na warte, du Monster", zischte Bethan, als er Snape bei seiner ersten, wohl als Überraschungsangriff gedachten Attacke knapp verfehlte und zu einer neuen ausholte. „Du ahnst ja gar nicht, wie lange ich schon, weiß, dass du dahinter steckst."

Snape musste wieder ausweichen, aber diesmal erwischte ihn Bethans Messer am Arm, nichts weiter als ein Kratzer, der kaum schmerzte, aber der Beweis, dass ihn Bethan umbringen wollte, aus welchen unverständlichen Gründen auch immer.

„Hast wohl gedacht, wir merken das nicht. Den fehlenden Regen, die Stürme. Und sieh dich jetzt an, noch vor wenigen Augenblicken im Glauben einen großen Sieg errungen zu haben und schon wieder eine Niederlage." Diesmal hatte Bethan mit der freien Hand seinen Arm erwischt und wollte ihn schon zum Messer ziehen, als eine noch immer brennende Fackel auf Bethans Arm mit dem Messer niedersauste.

Der junge Todesser ließ ihn mit einem Schrei, der mehr überrascht als verletzt klang, los und versuchte sowohl nach dem ebenfalls fallen gelassenen Messer zu hechten und gleichzeitig einen Blick auf seine plötzlichen Angreifer zu erhaschen. Als er das Mädchen mit der Fackel in der Hand bemerkte, vergaß er sein Vorhaben und fiel ziemlich ungeschickt auf den Boden.

Die kleine Hufflepuff war sofort neben ihm, und diesmal hatte sie ein Messer, ihr eigenes, in der Hand, was Bethan offenbar sehr beeindruckte, denn er rührte sich nicht.
„Bist du verrückt?", zischte das Mädchen. „Warum um alles in der Welt willst du ausgerechnet Professor Snape umbringen."

„Nadja? Ich hab dich überhaupt nichtgesehen", hustete Bethan und wollte sich wieder aufrappeln, allerdings hielt ihn Nadja Messer davon ab, es tatsächlich zu tun. „Du verstehst nicht", fuhr er daher fort. „Das da vorne ist nicht Snape, das ist…"

„Angra Mainyu?", brachte Nadja seinen Satz zu Ende. „Nein, Angra Mainyu war da. Er hat sieben Stunden mit mir geredet, und es war alles andere als ein nettes Gespräch. Aber jetzt ist er fort. Du hättest soeben den echten Professor Snape umgebracht."

Eine Mischung aus Entsetzen und Schuldgefühl mischte sich in Bethans vor kurzen noch rasenden Gesichtsausdruck.

„Warum habt ihr mir nicht gesagt, dass er hinter all dem steckt?" fuhr Nadja fort, und es klang so, als ob sie den Tränen nahe war.

Snapes Augen wanderte verwirrt von Nadja zu Bethan und wieder zurück. „Ihr kennt euch?"

Bethan warf ihm einen Blick zu, der sein Blut zum Gefrieren brachte, aber seine Frage auch mit einem klaren ‚Ja, doch das geht Sie überhaupt nichts an' beantwortete. Daher verzichtete er darauf, auch nach Angra Mainyu zu fragen. Ganz offensichtlich kannten sie ihn, beide.

„Es tut mir leid", sagte Bethan schließlich. „Wir waren uns nicht sicher, und wir wollten dich nicht unnötig beunruhigen. Nadja, darf ich jetzt aufstehen?"

„Wenn du den Professor in Ruhe lässt", gab sie zur Antwort und ließ den Dolch in ihrem Stiefel verschwinden.

Bethan rappelte sich daraufhin mühsam auf und kam erst nach einiger Zeit auf die Beine. Snape konnte nun erkennen, dass sich Bethan seit dem letzten Mal deutlich verändert hatte, als ob er einige Jahre gealtert wäre oder gerade eine schwere Krankheit überstanden hatte. Sein Gesicht war aschfahl und wirkte eingefallen, die lebhaften Augen hatten einiges an Glanz eingebüßt und die dunklen Ringe darunter machten unmissverständlich klar, dass irgendetwas nicht mit ihm stimmte.

Auch Bethan starrte ihn an, und Snape war sicher, dass er ebenfalls keinen guten Eindruck machen musste.

„Bist du dir vollkommen sicher?" wollte der junge Todesser nach einer Ewigkeit des Schweigens und gegenseitigen Abschätzens wissen.

Najda nickte, öffnete die Kerkertür und blieb wie angewurzelt stehen.

„Er ist tot", erklärte Bethan, während er in seinen Taschen herumkramte und schließlich einen schlichten Ring daraus herauszog. Dabei ließ er Snape keinen Moment aus den Augen.

Snape hingegen erhaschte nun ebenfallseinen Blick auf den Gang, wo er einen leblosen Todesser liegen sah. Bethan hatte ihn nicht mit einem Zauber, sondern mit dem Messer getötet, das verriet zumindest die langsam wachsende Blutlache am Boden. Für den Augenblick regte sich kein Schrecken in ihm, zu viele Menschen hatte er in den letzten Stunden(?) sterben sehen. Einer mehr oder weniger, wenn auch diesmal real, machte da auch nichts mehr, zumindest nicht in diesem Augenblick.

Bethan hielt inzwischen den Ring vor seinen Augen und musterte durch ihn den Tränkemeister. „Sie haben sich ja tatsächlich überhaupt nicht verändert", stellte er irritiert fest, ließ die Hand mit dem Ring sinken und schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist ein Wunder oder…", seine Augen verengten sich misstrauisch, „… ein guter Trick. Ich für meinen Teil würde kein Risiko eingehen."

Bethan zückte diesmal nicht sein Messer, sondern den Zauberstab und richtete ihn auf ihn, und diesmal rührte sich die kleine Hufflepuff nicht, sondern beobachtete vollkommen unbesorgt das Geschehen.

„Das ist doch verrückt, Bethan", versuchte ihn Snape zu beschwichtigen und wich zurück. „Ich bin nicht Angra Mainyu. Ich hab ihn gesehen, das war aber auch schon alles." War es natürlich nicht, da war ja noch der Traum, aber das zählte ja nicht.

„Normalerweise überleben Menschen eine Begegnung mit Angra Mainyu nicht unbeschadet, wenn überhaupt. Es sei denn, man macht Geschäfte mit ihm. Aber anscheinend gibt es wohl Ausnahmen." Mit diesen Worten steckte Bethan den Zauberstab zurück und sah ihn noch einmal kopfschüttelnd durch den Ring an. „Gut, dann sollten wir wohl irgendwie dafür sorgen, dass ihr von hier fortkommt."

„Nicht dass ich etwas dagegen hätte", sagte Snape ein wenig überrumpelt, „aber warum möchten Sie mich auf einmal nicht mehr umbringen?"

Bethan lächelte nur, sagte aber kein Wort. Stattdessen antwortete Nadja: „Weil Sie vor Tarsons Zauberstab Angst gehabt haben. Wenn Angra Mainyu in Ihnen noch gewesen wäre, wäre Ihr Körper für die meisten Zauber unempfindlich. Für die wenigen Ausnahmen braucht man keinen Zauberstab. Angra Mainyu weiß das und hätte sich nie von einem Zauberstab einschüchtern lassen."

„Der hat nur vor Einhörnern Angst", unterbrach sie Bethan. „Und auch da nur vor den ganz großen."

„Und was ist das für ein seltsames Ding?" fragte Snape weiter.

„Oh, das ist nur ein Knieselhaar", behauptete Bethan und hielt ihm den seltsamen Ring hin. „Nehmen Sie's ruhig. Mittlerweile brauch ich es nicht mehr, zumindest hab ich das noch heute Morgen gedacht."

Snape nahm das so filigran wirkende Knieselhaar in die Hand und betrachtete es genauer. Es war tatsächlich ein Haar, das wie eine Seite im Ring gespannt war. Ob es tatsächlich von einem Kniesel stammte, konnte er natürlich nicht sagen.

Bethan war nicht mehr bei ihm, sondern klopfte wie Nadja zuvor die Kellerwände ab, trotzdem sprach er weiter: „Rishkan, ähm, ein guter Bekannter, hat es verzaubert. Wenn man durchsieht, kann man das Tierchen erkennen, das der Seele des Betrachtenden am meisten entspricht."

Snape hielt nun ebenfalls den Ring vor seine Augen und sah hindurch – auf Bethans Körper mit einem Krokodilkopf darauf. Snape zwinkerte und sah wieder durch. Das Bild hatte sich nicht verändert. Noch immer lief Bethan mit dem Krokodilkopf durch die Gegend und klopfte mit seinem Zauberstab die Wände ab.

„Außerdem kann man damit ganz leicht erkennen, ob jemand ein Todesser ist oder nicht", sprach der Krokodilkopf weiter. „Das Dunkle Mal leuchtete nämlich durch jede noch so dicke Kleidung, auch wenn betreffende Person es überhaupt nicht trägt und nur so inkognito dem Dunklen Lord dient. Bei Leuten, die sich von ihm abgewandt haben aber trotzdem irgendwie das Dunkle Mal auf ihrer Haut tragen, kann man hingegen kein Dunkles Mal erkennen, so wie bei Ihnen und bei mir."

Snape warf durch den Ring einen Blick auf Bethans Arm und wollte sich davon überzeugen. Natürlich sah er kein Dunkles Mal durch seinen Kleidung leuchten, aber ob ihm nun Bethan einen Bären aufgebunden hatte oder die Wahrheit sprach, das konnte er damit nicht erkennen. Wenn er aber Recht hatte, dann wäre ein solcher Gegenstand in den Händen des Ministeriums ein wahres Wundermittel, in denen von Voldemort eine Katastrophe. Als Beweis krempelte er seinen eigenen Ärmel auf und er konnte tatsächlich kein Dunkles Mal auf seiner Haut erkennen.

„Tun Sie mir bitte einen Gefallen", unterbrach Bethan seine Gedanken, „nur falls Voldemort Sie noch einmal fragen sollte, und verraten Sie es ihm nichts davon. Ich müsste die Existenz des Knieselhaares leugnen und es zu Hause lassen, und das einzige, was mich bei so einem Todessertreffen ein wenig aufheitern kann, ist einen Haufen von Schakalen, Schlagen, Pfauen und anderen netten Tierchen in schwarzen Umhängen zu sehen, wie sie ihre finsteren Pläne schmieden."

„Warum bist du nicht früher gekommen?", wollte Nadja plötzlich wissen. „Ich sitze schon länger als zehn Stunden hier unten. Eigentlich hab ich damit gerechnet, dass du diesen Voldemort und die Todesser irgendwie ablenkst, dass wir entkommen können."

Bethan lachte bitter und zog den Kragen seines Hemdes so weit hinunter, dass er die Kehle sehen konnte, und die zahlreiche, farbenfrohen Linien darauf, vor allem in Rot, Grün, Blau und Violett. Was immer Bethan geschehen sein mag, angenehm war es auf keinem Falle gewesen, doch es erklärte sein körperliche Verfassung.

„Ein verdammter Avada Kevadra", zischte er, und für einen Augenblick erschien eine solche Mordlust in seinen Augen, dass es Snape wieder mit der Angst zu tun bekam, bis er begriff, was er soeben gesagt hatte.

„Sie haben einen Avada Kevadra überlebt?" wollte er wissen, oder vielmehr, er wollte sich vergewissern, dass er sich soeben verhört hatte.

„Ich hätte gedacht, ein solcher Spruch wäre tödlich?" mutmaßte Nadja neben ihm.

„Normalerweise stimmt das auch, aber es gibt Schutzschilder, mit denen man das Schlimmste abwenden kann. Langsam werd ich paranoid, aber in diesem Fall hat mir meine Vorsicht das Leben gerettet. Rishkan wäre dann aber fast mit seiner Medizin, seinem angeblich so gesunden Schlangenfraß und der verordneten Bettruhe das gelungen, was diese verfluchte Hexe", aus seinen Augen sprühten regelrecht Funken, „vermasselt hat. Dank sei Voldemort, der mir diesen netten Heuler geschickt hat, sonst wäre ich noch immer da."

„Eine Aurorin hat versucht Sie mit einem Avada Kevadra zu töten", fragte Snape nach, für den das alles noch immer keinen Sinn machte.

„Nein, eine Todesserin", knurrte Bethan. „Sie hat mich dabei erwischt, wie ich den Auftrag mit einem Verdunkelungszauber, kombiniert mit einem Panikzauber, sabotiert habe."

„Und sie wollte Sie töten", versuchte Snape den sich ihn bietenden roten Faden zu ergreifen.

„Nein." Snapes Faden löste sich in Luft auf. „Sie wollte mich vor Voldemort zerren und ihm berichten, was ich getan habe. Das konnte ich natürlich nicht zulassen. Ich hab sie mit einem Erstickungszauber verflucht – ich will mir ja keinen Ärger mit dem Ministerium und den Verbotenen Flüchen einhandeln. Wie es ihr dann gelungen ist, den Avada Kevadra trotzdem zu wirken, ist mir ein Rätsel, aber sie hat es irgendwie getan. Apparieren ist mir gerade noch geglückt, bevor mich die Auroren erwischen konnten, aber die Hexe kann froh sein, dass sie an dem Zauber gestorben ist, sonst würde sie sich jetzt den Tod wünschen."

Snape hegte die stille Hoffnung, dass sich Bethan irgendeinen makaberen Scherz mit ihnen erlaubte, aber ein flüchtiger Blick auf das entsetzte Gesicht des Mädchens neben ihm zerstreute diese Hoffnung sofort. Und lag nicht draußen ebenfalls ein Todesser, dem Bethan kurzerhand die Kehle durchgeschnitten hatte? Gar nicht zu reden von dem, was Bethan mit ihm getan hätte, wenn Nadja nicht gewesen wäre.

„Und der Dunkel Lord hat Sie nicht irgendwie bestraft", versuchte Snape das Thema zu wechseln.

„Warum sollte er?", entgegnete er, und mit einem zufriedenen Leuchten in den Augen fügte er noch hinzu: „Voldemort würde doch nicht einen Cruciatus oder etwas Ähnliches an seinem besten Freund ausprobieren, auch wenn dieser ein wenig zu spät kommt."

Snape glaubte, sich soeben verhört zu haben. „Was meinen Sie mit Freund? Der Dunkle Lord hat keine Freunde. Ich glaube kaum, dass der Begriff überhaupt eine Bedeutung für ihn hat."

Bethans Augen glitzerten voller Stolz. „Dann können Sie sich ja vorstellen, wie schwierig es ist, ihn dazu zu bringen, bei mir eine Ausnahme zu machen."

„Und als nächstes wollen Sie behaupten, dass der Dunkel Lord unter dem Imperiuszauber gestanden ist und Sie deshalb nicht bestraft hat."

Bethan lachte. „Doch nicht der Imperius, der ist ja viel zu plump, viel zu auffällig und Voldemort wüsste spätestens jetzt, was ich mit ihm gemacht hätte. Der Amicus-Zauber ist da viel eleganter. Man muss den Verzauberten nicht ständig kontrollieren, dieser macht keine komischen Sachen, die er niemals tun würde, und man ahnt auch dann nichts vom Zauber, wenn die Wirkung längst zu Ende ist."

„Einen solchen Zauber gibt es nicht."

Wieder lachte Bethan. „Sie müssten das doch eigentlich wissen. Sie haben ihn ja selbst am eigenen Leib gespürt. Erinnern Sie sich noch? Als Voldemort uns zum Leichenentsorgen verdonnert hat."

Snape verlor wieder ein Stückchen von seiner Selbstsicherheit. Bethan hatte ihn damals ganz sicherlich nicht verzaubert, er hatte keinen Zauber gesprochen, ja nicht einmal seinen Zauberstab eingesetzt.

„Normalerweise hätten Sie sich nie rumkommandieren lassen, hätten irgendwas getan, nur nicht das Richtige. Ich war regelrecht dazu gezwungen, als Sie mir eine Ohrfeige verpassen wollen."

Snape dachte wieder an den Abend zurück, an seine Verachtung, die sich praktisch in einem Augenblick in Luft aufgelöst hatte. Obwohl es ihm Bethan gerade gesagt hatte, so hielt er das Ganze noch immer nicht für einen Zauber

„Glauben Sie's oder glauben Sie's nicht", unterbrach der junge Todesser seine Gedanken. „Ich für meinen Teil finde, dass wir schon viel zu lange geredet haben, und Voldemort wartete auf euch beide."

„War er der einzige Wächter?" wollte Snape wissen und deutete auf den Toten.

„Wenn's so leicht wäre, aber ich muss Sie enttäuschen. Ich hab mich unsichtbar gemacht und bin ihm nachgegangen, als er euch beide holen wollte, vorbei an fünf Todessern und zwei Yatus, bis zu dieser Tür." Auf Snapes fragenden Blick erklärte er: „Das sind die Leute mit den netten Stäben, die sich anfangen zu bewegen, wenn man sie länger anschaut. An die Todesser könnte ich euch beide vorbeischmuggeln, aber nicht an die Yatus. Bleibt uns nur noch der Geheimgang."

Snape verdrehte die Augen. Schon wieder ein Geheimgang.

„Aber hier gib es keinen Geheimgang", entgegnete Nadja. „Ich hab alles abgesucht, und zwar wirklich alles."

„Das liegt daran, dass es ihn noch nicht gibt, aber das wird sich ändern. Geht jetzt bitte einen Augenblick zurück, stört mich nicht, und egal was passiert, bleibt dort stehen und rührt euch nicht vom Fleck."

„Das darfst du nicht", hauchte Nadja.

„Ihr beide könnt auch gerne hier bleiben, aber dann überlebt ihr die nächste Stunde nicht mehr."

Nadja biss sich so fest auf die Unterlippe, dass sie zu bluten begann, doch sie sagte kein Wort mehr. In ihren Augen flackerte aber die Angst.

Bethan hingegen steckte Messer und Zauberstab weg und starrte auf die Wand, auf der einst die Fackel gesteckt war. Dann begann er zu murmeln, immer und immer wieder die gleichen unverständlichen Worte, und wenn es tatsächlich nur wenige Minuten waren, so schien es Snape, der jeden Augenblick mit dem Auftauchen eines weitern Todessers rechnete, als ob Stunden verstreichen würden. Dann begann die Luft zu schwirren, ein unangenehmes Brausen war zu hören, und dann verdichtete sich langsam die Luft, bekam zuerst eine bräunliche Farbe, dann eine rundliche Gestalt und mit einem plötzlichen Knacken hockte vor Bethan ein Wesen, das wie eine Mischung aus Raupe, Käfer und Maulwurf aussah, allerdings doppelt so groß war wie er. Das Wesen war zwar nicht so groß wie die Monsterschlange, die Hogwarts angegriffen hatte, wirkte mit den riesigen Grabschaufeln aber fast gefährlicher.

Snape befürchtete einige Zeit lang, dass das Wesen sie angreifen würde, aber das tat es nicht. Es stand nur da, gab hie und da ein gutturales Knurren von sich, funkelte Bethan so feinselig an, als ob es nur so aus Spaß einmal seine scharfen Grabschaufeln an ihm ausprobieren wollte, doch es tat nichts, und schließlich verstummte es ganz.
Bethan begann wieder zu sprechen, aber diesmal kein monotones Murmeln, sondern so etwas wie ein Befehl, ebenfalls in einer im vollkommen unbekannten Sprache. Daraufhin wandte sich das Wesen schwerfällig der Wand zu und begann ohne die geringste Mühe dort das Mauerwerk aufzureißen, und zwar vollkommen geräuschlos. Nach nur wenigen Schaufelbewegungen war ein niederer Gang entstanden, der aber schon einige Meter ins Erdreich ragte.

Zitternd drehte sich Bethan zu ihnen um. „Folgt ihm! Er wird für euch den Tunnel bis jenseits der Klostermauern graben. Dann müsst ihr alleine weiter, immer Richtung Nordnordwest, über einen kleinen Bach, vorbei an eine verkrüppelte Trauerweide bis ihr zu einem halb von Moos bedeckten Menhir kommt. Dort liegen ein alter Schuh, eine Coladose und zwei Zeitungen, allesamt Portschlüssel. Nehmt aber nur einen von ihnen, ich brauch vielleicht die übrigen noch."

„Ein einfaches Apparieren würde doch auch funktionieren", behauptete Snape.

Bethan seufzte tief. „Nein, Mister Snape. Sie standen im unmittelbaren Kontakt mit Angra Mainyu. Daher können Sie überhaupt nicht zaubern, zumindest nicht in den nächsten vierundzwanzig Stunden, und wenn ich Sie wäre, würde ich es auch nicht probieren. Trotzdem, nehmen Sie das mit!" Er warf ihm einen Zauberstab zu, den Snape gerade noch rechtzeitig aus der Luft fangen konnte. „Hatherleys Zauberstab. Er wird ihn nicht mehr brauchen und wenn er hier bleibt, wird Voldemort misstrauisch werden. Verwenden Sie ihn aber auf keinen Fall!"

„Und wie sollen wir uns orientieren?" wollte Nadja wissen.

„Snape, Sie haben noch mein Knieselhaar."

Der Tränkemeister wollte es ihm zurückgeben, doch Bethan schüttelte nur vollkommen erschöpft den Kopf, währen die Kreatur unbeirrt weiterschaufelte. „Nehmen Sie das Haar an der Seite, wo es nur lose in einer Drahtschlinge steckt, und ziehen Sie es heraus, aber nur dort."

Snape brauchte einen Augenblick, bis er die Öse überhaupt entdeck hatte und noch einige Zeit, bis er mit seinen halb erfrorenen Fingern Bethans Anweisung befolgen konnte. Aber schließlich hing das Haar nur noch an einem Ende, während das andere in die Richtung wies, wo der Tunnel begann.

„Das Knieselhaar funktioniert fast wie ein Kompass, nur dass er nicht nach Norden, sondern zu den Portschlüsseln zeigt. Ihr könnt sie also unmöglich verfehlen. Und jetzt ab mit euch in den Tunnel!"

Nadja war der Kreatur schon gefolgt und wartete nun mit der Fackel in der Hand auf ihn. Was blieb ihm also übrig, als Bethans Befehl zu befolgen. Das Wissen, dass ihn Bethan vielleicht gerade mit dem Zauber belegt hatte, von dem er noch vor kurzem gesprochen hatte, hätte ihn beinahe dazu gebracht zu bleiben. Doch das wäre alles andere als klug gewesen, und wenn er das Ganze irgendwie überleben würde, hätte er Zeit genug, Bethan wegen seines angeblichen Zaubers zur Rede zu stellen. Das hier war eindeutig nicht der richtige Augenblick dafür. Und auch auf die die Gefahr hin, dass er gerade wieder ein Opfer von Bethan Zauber war, betrat erden immer länger werdenden Gang und folgte dem Licht der Fackel und dem lautlosen Schaben der Kreatur, während hinter ihm der Gang wieder einbrach, als hätte er nie existiert.

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Tarson ist alles andere als ein Heiliger, ich glaube, das merkt man endgültig nach diesem Kapitel. Aber keine Sorge, er wird nicht noch einmal versuchen Snape umzubringen.

Dax: Danke für das Lob und für die netten Worte.

Lucina: Versprechen gehalten. Nadja ist wieder da und auch Tarson. Ich weiß, dass das letzte Kapitel ein wenig verwirrend ist, soll auch so sein, denn schließlich ist es ein maßgeschneiderter Alptraum für Snape.

Abhaya: Mir hat der arme Sev auch leid getan, und wenn der noch wüsste, was alles mit ihm passiert… Was die Bewusstseinmanipulation betrifft, so wird das Angra Mainyu noch ein paar Mal versuchen (nicht so spektakulär). Aber Snape ist nicht umsonst ganz gut in Oklumentik. Angra Mainyu meistert er auch noch.