Kapitel 27: Canis et Cornus (1)
Auch Snape und Nadja hörten das Glockengebell.
Sie hatten den Bach erreicht, von dem Bethan gesprochen hatte, nicht viel mehr als ein kleines Rinnsal, das nur in der Mitte nicht von einer dünne Eisschicht überzogen war. Doch so klein das Rinnsal auch war, einfach hinüber springen konnten man trotzdem nicht und so waren sie schon seit einiger Zeit dabei eine möglichst schmale Stelle zum Durchwaten zu suchen, denn die Eisschicht war zu dünn, um das Mädchen zu tragen, geschweige denn Snape.
Als das Gebell erklang, so nah, als ob die Verursacher direkt hinter ihnen stünden, wäre er beinahe auf einem der vereisten Felsen ausgerutscht, doch er konnte noch in letzter Minute einen Ast ergreifen und sich festhalten.
„Was ist das?" flüsterte er und sah sich gespannt um. Das Bellen hielt an, wurde aber schnell leiser, etwas worüber Snape alles andere als unglücklich war.
„Gzakum", antwortete Nadja mit kaum wahrnehmbarem Zittern in ihrer Stimme. „Glockenhunde. Ich schätze Angra Mainyu und Voldemort wissen inzwischen, dass wir ihnen entwischt sind. Wir müssen so schnell wie möglich zu dem Menhir, bevor sie uns erreichen."
„Zum Glück rennen sie in die falsche Richtung", bemerkte Snape und besah sich wieder näher den Bachlauf. „Ich glaube, wir sollten es flussauwärts versuchen. Dort wird der Bach immer breiter."
„Warum nicht gleich hier durchs Wasser. Nass werden wir auf alle Fälle", schlug Nadja vor.
Snape hielt nicht viel davon. Er war noch vor seiner Schulzeit in Hogwarts einmal beim Spielen auf dem Eis eingebrochen. Obwohl er sich aus dem knietiefen Teich ohne Probleme befreien hatte können, war ihm das eisige Wasser noch in schmerzhafter Erinnerung. Das Fußbad im kalten Wasser wollte er nicht nur so kurz wie möglich machen, sondern auch noch so lang wie möglich aufschieben.
Ein kurzer Blick auf die kleine Hufflepuff beunruhigte ihn allerdings. Das Mädchen suchte verzweifelt nach einer Furt und warf immer wieder gehetzte Blicke über ihre Schulter, während sie am Bachufer weiterkletterte.
„Sie laufen fort", versuchte er sie zu beruhigen.
„Nein, sie sind schon ganz nah." In ihrer Stimme lag nun eindeutig Panik.
„Du glaubst also, ihr Bellen wird leiser, je näher sie kommen?"
„Ich glaub es nicht, ich weiß es." Mit diesen Worten sprang sie in den wadentiefen Bach und begann nach einem kurzen Schmerzensschrei und nach einigen Schrecksekunden heftig zitternd ans andere Ufer zu waten.
Snape wollte ihr gerade mit einem Fluch folgen, als er hinter seinem Rücken einen Zweig knacken hörte. Warum er sich nicht umdrehte, sonder zu Boden warf, wusste er nicht. Der Reflex rettete auf alle Fälle sein Leben. Er spürte einen Luftzug über seinem Kopf, roch fauligen Atem und konnte deutlich hören, wie zwei gewaltige Kiefer genau über ihm zusammenschnappten.
Noch eher er sich seinen Angreifer genauer ansehen konnte, wurde er am Handgelenk gepackt und Richtung Bach gezerrt.
„Wir müssen über den Bach", hörte er Nadja direkt vor sich und begriff erst jetzt, dass sie ihn vom Kampfgeschehen weggezerrt hatte. Im nächsten Augenblick glaubte er, dass ihn irgendein Cruciatus getroffen hätte, denn plötzlich schienen tausende eisige Nadeln auf ihn einzustechen und ihm die Luft aus den Lungen zu treiben, doch dann erinnerte er sich rasch wieder an sein unangenehmes Erlebnis in seiner Kindheit. Nun war nämlich genau das geschehen, was er möglichst vermeiden hatte wollen; er lag im eiskalten Wasser.
Nicht weit von sich entfernt hörte er aufgeregtes, hechelndes Atmen, wie von einem Hund, nein von mehreren Hunden. Snape drehte sich um und erst jetzt erblickte er diese Glockenhunde. Seiner Meinung nach verdienten diese Wesen – er zählte vier von ihnen, die nur wenige Schritte von ihm entfernt am Ufer lautlos bellend herum sprangen – die Bezeichnung Hund nicht ganz. Sie waren fast so groß wie Fohlen, von drahtiger Gestalt und mit einem mattschwarzen Fell bedeckt. Doch obwohl die Proportionen – wenn auch nicht die Größe – in etwa stimmten, irgendwie erinnerten sie ihn an bösartige Reptilien. Zum Glück schienen sie Angst vor Wasser zu haben.
„Schnell weg von hier", riss ihn Nadja zurück in die Wirklichkeit. „Sie werden nicht aufgeben, solange sie noch eine Spur von uns haben."
Snape rappelte sich auf. Der Schmerz in seinen Gliedmaßen war vollkommen verschwunden, genauso wie jedes andere Gefühl darin. Ihm fiel erst jetzt auf, dass er heftig zitterte und seine Zähne klapperten so stark, dass sie ihm die Kiefer bereits wehtaten, sosehr er sich auch anstrengte dies zu unterbinden. Sie mussten möglichst schnell aus dem eisigen Wasser.
Mechanisch wateten sie ans andere Ufer, das lautlose Herumspringen der Hunde mit Mühen ignorierend.
„Worum folgen sie uns nicht?" wollte Snape wissen, als sie wieder festen und vor allem trockenen Boden unter den Füßen hatten.
„Gzakum mögen kein Wasser. Sie hassen es." Die Stimme des Mädchens bebte deutlich und ihre Lippen waren blau angelaufen. Snape wusste, dass er wohl einen ganz ähnlichen Eindruck auf die Schülerin machte, nur dass er sich um einiges elender fühlte als sie aussah.
„Also sind wir in Sicherheit?"
„Nein, wenn sie uns nicht mehr sehen können, werden sie einen Übergang suchen. Sie sind schnell und sie werden ganz sicherlich einen finden", erklärte sie mit klappernden Zähnen. „Wir müssen ganz schnell Tarsons Menhir finden, sonst werden sie uns wieder einholen."
„Aber wenn sie sich nicht rüberwagen, können wir sie doch einfach von hier aus erledigen", er richtete Hatherlys Zauberstab auf einen der Hunde.
„Nein, das funktioniert sowieso nicht", rief das Mädchen entsetzt. „Aber es kann sie verärgern, und wenn sie zornig sind, dann überqueren sie vielleicht den Bach gleich. Wir müssen fort!" Und mit Worten lief sie auch schon weiter.
Snape sah ihr nach, dem weißen Nebelwesen, das ohne dem Knieselhaar wie ein ganz normales Kind aussah. Aber er hatte noch immer das Bild ganze deutlich vor sich. Außerdem sprachen Kinder nicht mit Dementoren, kannten keinen Angra Mainyu und wussten nichts über diese schrecklichen Hunde. Die Stimme der Vernunft flüsterte ihm zu, dass es das Beste wäre, genau das zu tun, was Nadja sagte, sie kannte sich auf.
Trotzdem drehte er sich um. Die Hunde würden sie weiterverfolgen und sehr wahrscheinlich hätten sie dabei auch Erfolg, wenn sie nicht schnell den Stein finden würden. Warum hatte Tarson die Protschlüssel so weit weg vom Kloster verstecken müssen? Ganz sicherlich wollte er diesen Bestien nicht noch einmal so nahe kommen wie eben zuvor. Hier konnte er sie ohne Probleme erledigen. Selbst wenn die einfachen Zauber nicht funktionierten, einen Avada Kevadra hatte bis jetzt nur Potter erlebt, und auch das nur mit einer große Portion Glück. Ihm fiel auch noch Bethan ein, aber wie weit dieser die Wahrheit gesagt hatte, wollte er lieber nicht beurteilen.
Er warf einen raschen Blick über die Schulter. Nadja war schon weitergeeilt, offenbar in der Annahme, dass er ihr folgen würde. Nun, das hatte er auch vor, aber zuerst wollte er diese Glockenhunde ein für alle Mal unschädlich machen. Er richtete den Hatherlys Zauberstab auf einen der vier Hunde, den größten und hässlichsten, machte die korrekte Geste und sprach deutlich „Avada Kevadra!", währen er hinter sich ein entsetztes „Nicht!" hörte.
Keiner der Hunde fiel tot um, keiner wurde von einem grünen Blitz getroffen, aber die Ungeheuer blieben stehen und starrten ihn aus hasserfüllt glitzernden Augen an. In diesem Moment begriff Snape, dass es sich nicht um Hunde handelte, die besonders schrecklich und blutrünstig waren, sondern um denkende Wesen, die ganz genau wussten, dass er gerade einen von ihnen umbringen hatte wollen – und dabei versagt hatte.
„Sie standen im unmittelbaren Kontakt mit Angra Mainyu. Daher können Sie überhaupt nicht zaubern, zumindest nicht in den nächsten vierundzwanzig Stunden, und wenn ich Sie wäre, würde ich es auch nicht probieren."
Er konnte Tarson Bethans Stimme ganz genau hören, als ob er direkt neben ihm stehen würde und sich nun köstlich ihn amüsierte. Entschieden schüttelte er den Gedanken ab. Er musste einen Fehler gemacht habe, wegen des Schreckens, dem unfreiwilligen Bad und dem ewigen Zittern und Zähneklappern.
Noch ehe er es noch einmal probieren konnte, sprang jener Hund, dem der Zauber gegolten hatte, auf ihn zu. Snape konnte das weit geöffnete Maul mit den riesigen Zähnen darin erkenne und die großen Pranken, wie sie auf ihn zusegelten. Instinktiv warf er sich zur Seite, als er ein scheußliches Schnaube hörte und im nächsten Augenblick wie von einem Bären gerammt zu Boden ging. Der riesige Hund hatte ihn angesprungen und lag nun auf ihn. Snape erwartete einen Biss oder etwas in der Art, aber der Hund rührte sich nicht mehr.
Snape dachte nicht lange nach. Instinktiv versuchte er den Hundekörper von sich zu stoßen und musste dabei feststellen, dass das Monster zwar nur so groß wie ein Fohlen war, aber mindestens soviel wog wie ein ausgewachsenes Pferd, zumindest kam es ihm so vor. Doch der plötzliche Kampflärm um ihn herum mobilisierte seine letzten Kräfte und irgendwie gelange es ihm schließlich doch, sich von der leblosen Umklammerung des Hundes zu befreien.
Um ihn herum tobte tatsächlich ein Kampf. Die übrigen drei Hunde hatten ebenfalls das Ufer überquert und schenkten ihm keinerlei Beachtung. Offenbar dachten sie, dass ihr Kamerad, unter dem er begraben worden war, ihn schon in Schach halten konnte, doch dieser war, wie Snape nun feststellen konnte, tot. Nadja merkwürdiger Dolch steckte in der Kehle des Ungeheuers.
Die übrigen drei Hunde hatten die kleine Hufflepuff umstellt, schnappten immer wieder nach ihr, während sie sich die Tiere mit einem Ast vom Leibe hielt. Wieder fiel Snape auf, wie zögerlich die Hunde angriffen, als ob sie sich viel lieber mit deutlich leichterer Beute zufrieden geben würden, obwohl sie ohne Probleme den trockenen Ast einfach durchbeißen hätten können. Egal was Angra Mainyu gesagt hatte, er uns seine Schergen – sogar diese Hunde – hatten Angst vor ihr, da konnte dieses Ungeheuer mit seinem Schachspiel behaupten, was er wollte.
Trotzdem musste er ihr zu Hilfe eilen, und in dem Augenblick, als er das dachte, ließ einer der drei Hunde von ihr ab und griff stattdessen ihn unvermittelt an. Snape wusste zwar, dass der Avada Kevadra gerade fehlgeschlagen war, doch es war mehr ein Reflex, der ihn seinen Zauberstab hochreißen und den ersten Stupor auf den angreifenden Hund losschleudern ließ. Wieder geschah nichts und diesmal kam kein hilfreicher Dolch geflogen, der den Angreifer ausgeschaltet hätte. Snape riss den Arm in jenem Augenblick hoch, als das Tier nach ihm schnappte und ihn zu Boden stieß, weshalb sich die Zähne in seinen Arm gruben und nicht in seinen Hals. Noch bevor er reagieren, ja sogar noch bevor er schreien konnte, weiteten sich die Augen des Hundes und er ließ los. Snape konnte sein Glück nicht fassen, als das Tier langsam, wie davon schlich, ihn nicht aus den Augen lassen, und dann hörte auch die beiden anderen Hunde und Nadja auf zu kämpfen. Sie alle starrten ihn an, mit Schreckens geweiteten Augen, als ob er sich soeben in ein Monster verwandelt hätte, oder besser gesagt, sie sahen alle einige Zentimeter hinter ihn.
Etwas hinter ihm schnaubte und Snape blicke zurück. Dort standen fünf Einhörner, Einhörner, so wie er sie kannte, weiße Pferde mit einem Horn auf der Stirn und nicht Miniaturausgaben wie das eine im Verbotenen Wald. Zwei der Einhörner positionierten sich wie Leibwächter beschützend an seiner Seite, währen die übrigen an ihm vorbei gingen und sich furchtlos den drei noch lebenden Hunden und Nadja näherten.
Die Hunde duckten sich und zogen ängstlich ihre Schwänze ein, einer fletschte immer wieder seine Zähne, doch geschah dies eindeutig allein aus Angst. Die drei Einhörner schien es nicht zu kümmern, denn sie gingen unbeirrt weiter, bis einer der Hunde die Nerven verlor und losstürmte, gefolgte von den beiden anderen. Snape konnte wieder dieses glockenartige Bellen hören, das nun immer lauter wurde.
Trotzdem schritten die Einhörner weiter, denn dort stand Nadja, die er nur ein einziges Mal so verängstig gesehen hatte, in seinem Keller, nachdem Professor Pawn gegangen war. Eines der Einhörner senkte bedrohlich sein Horn. Snape konnte es nicht fassen. Die Einhörner hatten vor, die Hufflepuff anzugreifen, nachdem sie die Hunde vertrieben hatten!
„Verschwindet sofort von ihr!", rief er ihnen zu, griff mir seiner unverletzten Hand nach dem fallen gelassenen Zauberstab, rappelte sich mühsam auf und eilte den drei Einhörnern nach, die Spitze des Zauberstabs auf die gehörnten Pferde gerichtet. „Los, fort!"
Die Einhörner wandten sich ihm zu und blickten ihn verständnislos an. Doch schließlich wichen sie zurück. Nadja entspannte sich ein wenig, wollte zu ihm, doch da wurden die weißen Tiere wieder aggressiv, bis das Mädchen wieder einen bestimmten Abstand zu den Einhörnern hatte, den diese aufmerksam bewachten, offenbar bereit bei dem kleinsten Übertritt wieder anzugreifen.
Snape ließ sich erleichtert und unendlich erschöpft zu Boden sinken. Sein ganzer Körper schlotterte, ob aus Erschöpfung, Angst oder einfach nur wegen der beißenden Kälte, wusste er nicht. Aber er war glimpflich davon gekommen. Der Hund hatte ihn zwar gebissen, aber seine Zähne hatten anscheinend nicht mehr als den Stoff erwischt und etwas seine Haut geritzt. Er hatte nicht einmal Schmerzen.
Doch nach einigen Augenblicken Starren auf seinen Arm, kamen ihm Zweifel. Der Blutfleck war zwar auf seinem schwarzen Hemd nur schwer auszumachen, aber er konnte trotzdem beobachten, dass er schnell wuchs, viel zu schnell für einen kleinen Kratzer. Gut, dann war der Kratzer ein wenig tiefer, aber nichts, was Madam Pomfrey nicht richten konnte. Versuchsweise versuchte er seine Finger zu bewegen und musste feststellen, dass es nicht gelang. Stattdessen durchzuckte seinen ganzen Arm, bis zur Bissstelle, ein stechender Schmerz, der aber sofort wieder verebbte. Keuchend riss er mit der Hand des unverletzten Arms den Ärmel hoch, etwas, was er im Nachhinein gerne unterlassen hätte. Der Biss war deutlich mehr als ein einfacher Kratzer. Die Zähne des Hundes hatten nicht nur Haut, Muskeln und Blutgefäße zerrissen, sondern auch den Knochen zersplittert, wie er anhand der weißlichen Knochenteile in der blutigen Masse erkennen konnte. Es schien fast so, als ob beide Teile seines Armes nur durch ein Paar Sehnen und ein kleines Wunder zusammen gehalten wurden. Nun, da er wusste, wie es um ihn stand, wunderte er sich darüber, dass die Wunde nicht viel stärker blutete. Madam Pomfrey und nicht einmal der beste Heiler in St. Mungo's würde seinen Arm retten können, da war er sich sicher. Noch beunruhigte ihn dieser Gedanke nicht, andere Dinge waren viel wichtiger, wie zum Beispiel das schlichte Überleben, die Portschlüsseln bei dem Menhir und auch diese Einhörner.
„Rishkan kann das richten", hörte er Nadja in einiger Entfernung von sich, die anscheinend ebenfalls die Reste seines Arms gesehen hatte.
„Natürlich", behauptete er mit einem zuversichtlichen Lächeln und wunderte sich selbst darüber, wie sicher ihm die Lüge von den Lippen ging. „Und wenn nicht er, dann irgendein anderer Heiler. So was ist nicht besonders schwer."
„Er kann auch die Vergiftung heilen", fuhr das Mädchen fort, ebenfalls matt lächelnd. „Und wahrscheinlich auch die zwei Dutzend Krankheiten, die sie sich zugezogen haben."
„Und Frostbeulen", fügte er hinzu. Wieder wurde er von einem weitern Schüttelkrampf gepackt und seine Zähne klapperten wie verrückt weiter. Er durfte nicht länger hier am Boden bleiben, wollte er nicht dafür sorgen, dass er hier noch erfror, nachdem er Voldemort, Angra Mainyu und sogar diesen Monsterhunden entkommen war.
Eines der fünf Einhörner stupste ihn freundlich und auffordern an. Mit aller Kraft nicht an seinen Arm denkend versuchte er aufzustehen und wäre sofort wieder umgefallen, hätte ihn ein weiteres Einhorn nicht gestützt. Entweder machte sich schon der Blutverlust bemerkbar oder…
„Nadja, das war doch soeben ein Scherz, das mit der Vergiftung?"
„Leider nein", antwortete sie fast entschuldigend. „Gzakum sind giftig."
Snape kämpfte einen weiteren Schwindelanfall nieder und hielt sich mit seiner gesunden Hand verzweifelt am Rücken eines Einhorns fest, was dieses mit stoischer Geduld zuließ.
„Und wie giftig sind diese Hunde?" wollte er wissen, als er wieder so halbwegs klar sehen konnte.
„Wir werden ganz sicher rechtzeitig zu Rishkan kommen", erklärte Nadja, doch er hörte Sorge aus ihrer Stimme.
Snape wusste, was das zu bedeuten hatte. Sollten sie nicht rechtzeitig bei diesem Rishkan ankommen, war ein fast abgebissener Arm das geringste seiner Probleme.
„Wir müssen aber zu Tarsons Menhir", warf das Mädchen ein. „Rishkan weiß nicht, dass wir hier sind."
Eines der Einhörner schnaubte zustimmenden, machte einen Schritt weg vom Bach und blickte auffordernd zu ihm zurück, während ein anderes Nadja mit bedrohlich gesenktem Horn noch weiter von ihm wegscheucht.
Die kleine Hufflepuff sagte nichts, doch auch sie schien genauso wie er zu ahnen, dass die Einhörner genau wussten, wohin sie mussten, und dass sie vorhatten, sie dorthin zu führen. Snape spürte ein vages Gefühl der Dankbarkeit. Die letzten drei Hunde hätten sie ganz sicherlich getötet und würden es auch jetzt noch tun, hätten sie diesen sonderbaren Geleitschutz nicht mehr. Entschlossen ließ er das Einhorn, das ihm bis jetzt als Stütze gedient hatte, los und schleppte sich dem voraus schreitenden Einhorn nach.
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Nach wenigen Metern reichte es nicht mehr, dass er sich gelegentlich an den Einhörnern anhalten konnte. Eines der Zaubertiere war irgendwann auf den Boden gesunken und er hatte sich mit schlafwandlerischer Sicherheit auf dessen weißen Rücken gezogen. Und selbst dort hatte er bald ernste Probleme. Mehrere Male wäre er einfach zu Boden geglitten, doch immer war eines der anderen Einhörner rechtzeitig zur Stelle, um einen Sturz zu verhindern.
Die kleine Hufflepuff war noch in der Nähe. Dann und wann sprach sie nämlich mit ihm, aber was sie genau sagte, bekam er langsam nicht mehr genau mit. Wahrscheinlich war es auch nichts von Bedeutung und wenn er Kraft genug hatte, nickte er sogar. Ab und zu hatte sie versucht, zu ihm zu gelangen, doch die Einhörner schienen sie nicht in ihre und damit auch seiner Nähe zu dulden und einmal wurde sie bei einem ihrer Versuche sogar von einem der Tiere richtig angegriffen, was aber diesmal Snape nichts weiter als ein erschöpftes Stirnerunzeln entlockte. Er war viel zu sehr beschäftigt mit der Schwerkraft und dem unvermeidlichen Schaukeln seines Reittiers.
Viel deutlicher waren die vielen Stimmen, die das Gzakumgift in seinem Kopf verursachte, oder besser gesagt die vielen Gefühle. Da waren bodenloser Hass und der Wunsch zu töten, wenn er an das Mädchen dachte, Sorge um einen Menschen, den er als sich selbst erkannte und Wut auf etwas, das hier in den Wäldern wütete, wo es nicht hingehörte, und immer wieder Neugier, Ehrfurcht und der Wunsch zu schützen. Es dauerte einige Zeit, bis er begriff, dass es nicht seine eigenen Gedanken waren, aber sehr viel besser fühlte er sich nach dieser Erkenntnis auch nicht. Entweder machte einen das Gift verrückt, oder nach den letzten Ereignissen verlor er langsam von selbst den Verstand.
Irgendwann spürte er auch das, was er bis jetzt zwar nicht vermisst, dessen Abwesen ihm aber doch aufgefallen war, den Schmerz. Es begann ganz langsam mit einem kaum merklichen Pochen an der Bissstelle, das irgendwann dem Gefühl wich, als ob er seinen ganzen Arm, auch den eigentlich fast abgebissenen Unterarm, seit Stunden in Eiswasser getaucht hätte.
Das Fieber – er wusste nun, dass er Fieber hatte – war gestiegen und er schätzte, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis er endgültig das Bewusstsein verlieren würde. Und dann…
Eine schiere Ewigkeit später hielten die Einhörner plötzlich an, was ihn etwas aus seinem fiebrigen Dämmerzustand riss. Er versuchte die Nebelschwaden von seinen Augen zu vertreiben und dann konnte er ihn sehen, einen menschengroßen Findling, Kalkstein aus Südengland, wie ihm der plötzlich wieder erwachende Verstand zuflüsterte, untypisch für diese Gegend. Noch bevor er gedanklich begann die Gründe und Mittel zu erörtern, warum und wie man diesen Felsbrocken so weit ins Landesinnere geschleppte hatte, um ihn hier in einem abgeschiedenen Waldstück aufzustellen, entdeckte er einen weitern Menhir, und auch einen dritten… und dazwischen eine mittelgroße Mülldeponie.
Sie waren hier falsch, dämmerte ihm. Bethan hatte von einem Menhir gesprochen. Das hier waren eindeutig zu viele und hier lag eindeutig mehr Müll herum, als die paar Potschlüssel von Bethan.
Sein Blick fiel auf einen weiteren Findling, den unscheinbarsten und am besten versteckten. Und dieser eine war von Moos gänzlich zugewuchert. Wahrscheinlich bestand dieser Menhir nicht aus Kalkstein, aber das konnte er angesichts der Verwachsungen und seines trüben Blicks nicht wirklich einschätzen, und er wollte es eigentlich auch gar nicht. Denn unmittelbar neben diesem Menhir befanden sich ein alter Turnschuh, eine Coladose und zwei schon arg mitgenommene Zeitungen, die gesuchten Portschlüssel.
Sein Herz pochte ein wenig heftiger angesichts dieses zarten Hoffnungsschimmers. Vielleicht könnte er Dumbledore noch rechtzeitig warnen, vielleicht konnte sogar jemand dieses Fieber und die Vergiftung heilen. Vielleicht dieser Rishkan…
Die neu gewonnene Kraft erlaubte es ihm trotz seines angeschlagenen Zustandes vom Rücken des Einhorns zu gleiten und er schaffte es sogar, einige Schritte vorwärts zu wanken, bis die Beine unter ihm nachgaben und ihn gerade noch Delano auffangen konnte, bevor er ganz zu Boden ging.
„Sie mögen diesen Ort nicht", erklärte ihm das Mädchen. „Aber ich glaube, es ist der Ort, von dem Bethan gesprochen hatte."
Snape wunderte sich mittlerweile nicht mehr darüber, woher die Hufflepuff das alles wusste, es war im Augenblick bedeutungslos. Er musste nur fort von hier! Mit Nadjas Hilfe schleppte er sich zu dem großen Felsbrocken.
„Wissen Sie, wie so ein Portschlüssel funktioniert?" wollte sie wissen.
„Einfach… anfassen", krächzte er.
Nadja sah ihn groß an, griff aber nicht wie erwartet nach einem der Portschlüssel sondern wandte sich wieder den Einhörnern zu, die ganz zurückgeblieben waren.
Wieder spürte Snape diese Gefühle der Verachtung, des Hasses und der nur schwer unterdrückten Mordlust. Sie kamen von den Einhörnern, wie er plötzlich begriff, obwohl ihm im Hinterkopf eine Stimme zuflüsterte, dass er ohne das Fieber nie auf eine so verrückte Erklärung gekommen wäre. Er drehte er sich ebenfalls um. Die weißen Tiere standen ruhig da und beobachteten ihn aufmerksam. Sie warteten darauf, dass etwas geschah.
„Also nur anfassen", hörte er Nadja neben sich und im nächsten Augenblick riss sie beide eine vergammelte aber verzauberte Zeitung fort.
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Der Portschlüssel brachte sie zu einer ruhigen Straße mit einfachen aber gepflegten Reihenhäusern. Snape hätte vor Enttäuschung los schreien wollen. Wohin hatte sie Bethan gebracht? Das hier war eine Muggelsiedlung!
Doch lange konnte er sich nicht darüber ärgern. Die paar selbstständigen Schritte bei den Menhiren hatten ihren Preis gehabt und nun forderte sein Körper den Kredit zurück, den er ihm gewährt hatte. Der Schmerz hatte schlagartig seinen ganzen Körper erobert und mit jedem Zittern glaubte er von abertausend unsichtbaren, aber sehr langen Nadeln gestochen zu werden, und er zitterte praktisch ununterbrochen. Außerdem erschienen schon wieder graue Nebelschwaden vor seinen Augen und sein Kopf fühlte sich so an, als sei er mit Watte gefüllt.
Nadja führte ihn sicher weiter und ohne ihre Hilfe wäre er schon längst zusammen gebrochen. Sie war nicht beunruhigt über das Ziel des Portschlüssels, sie schien sich hier auszukennen, und vielleicht waren sie daher wirklich nicht ganz falsch.
„Wir haben es bald geschafft", sprach ihm Nadja aufmunternd zu.
Snapes Blick klärte sich für einen Augenblick und er erblickte ein unscheinbares Haus, auf den sie beide geradewegs zusteuerte. Mit einem Mal hatte er Angst. Dieses Gebäude, so unscheinbar es auch tat, war böse, widerwärtig und ausgesprochen gefährlich, da war er sich sicher. Und das Mädchen führte ihn genau dort hin!
„Keine Angst! Sie sind hier in Sicherheit", versuchte ihn Nadja zu beruhigen. Aber er hörte gar nicht auf sie, wollte nur weg von diesem schrecklichen Ort, doch in seinem derzeitigen Zustand hatte er gegen sie nicht den Hauch einer Chance. Sie schob ihn einfach weiter.
Die Eingangstür kam immer näher, sprang plötzlich auf, als ob das Haus sie verschlucken wollte, und dann zerrte ihn Nadja hinein.
Das Angstgefühl war so plötzlich verschwunden, wie es gekommen war, und er fand sich in einem alles andere als beängstigenden Vorraum eines ganz normalen Reihenhauses wieder. Auf dem Treppengelände hockte ein mürrisch dreinblickender Kauz, der Snape vage bekannt vorkam.
„Rishkan, Rishkan!", rief Nadja, „Ich bin hier. Du musst sofort kommen…" Sie sprach weiter, aber Snape hatte plötzlich das Gefühl sehr tief zu fallen und achtete nicht darauf.
Dann lag er plötzlich auf einer Couch ohne eine Ahnung zu haben, wie er dorthin gekommen war.
„Sie sind also wieder unter uns", stellte freundliche Stimme fest, eine fremde Stimme. Snape konnte die Person nur ganz verschwommen wahrnehmen und die Stimme klang dumpf und wie aus sehr weiter Ferne.
Er wollte etwas sagen, doch bevor er noch seinen Mund öffnen konnte, kam ihm der Fremde zuvor. „Wir können später reden. Ruhen Sie sich erst einmal aus. Sie haben eine Menge Blut verloren und leiden unter einer nicht harmlosen Vergiftung."
„Du kannst ihm doch helfen?" wollte eine zweite Person wissen, die kleine Hufflepuff.
„Eine einfache Bissverletzung und etwas Gzakumgift? Solang es nicht mehr ist."
„Er war in der Nähe von Angra Mainyu", fuhr das Mädchen fort.
Für einige Augenblicke herrschte betretenes Schweigen, bis der Fremde schließlich mit deutlich hörbarem Bedauern sagte: „Es tut mir Leid, dass ich es dir nicht gesagt habe, aber…"
„Ich weiß, warum ihr es mir verschwiegen habt, und ich versteh es auch, aber Professor Snape könnte sich alle möglichen Krankheiten von Angra Mainyu geholt haben."
Die Gestalt nickte. „Keine Sorge, ich bring ihn schon wieder auf die Beine. Erinnere dich an Tarson, als wir ihn gefunden haben. Das war eine Herausforderung, die Verletzungen hier sind nur kleine Kratzer im Vergleich dazu, selbst mit einigen von Angra Mainyus Krankheiten. Kannst du mir eine Arzttasche und einige warme Decken holen? Und zieh dir dann unbedingt etwas Trockenes an, sonst hab ich noch zwei Patienten."
Snape konnte mehr hören als sehen wie sich Nadja entfernte und dann spürte er geschickte Hände, die sich an seinem verletzten Arm zu schaffen machten.
„Wollen wir doch mal sehen, was die Glockenhunde mit ihnen angestellt haben." Das Geräusch von reißendem Stoff und die Erwähnung der Monsterhunde erinnerte ihn wieder daran, dass auch der Orden von Angra Mainyu und seinen Plänen wissen musste.
„Dumb…", versuchte er mit einer Stimme, die ihm fremder nicht hätte sein können.
„Ich hab Ihnen doch gesagt, dass Sie nicht sprechen sollen", tadelte ihn der Fremde, doch es klang nicht verärgert. „Der Arm ist ja tatsächlich noch dran", stelle er plötzlich glücklich fest. „Sehr gut! Das wird ein Kinderspiel!"
„Dum…"
„Professor Severus Snape!" Diesmal klang die Stimme verärgert. „Ich weiß, dass Sie Dumbledore informieren wollen, aber sein Sie ehrlich! Was könnten Sie ihm in Ihren Zustand schon sagen? Bleiben Sie also ruhig liegen. Wir werden ihm schon sagen, wo Sie sind und was geschehen ist. Da brauchen Sie sich keine Sorgen machen."
Eine Hand legte sich auf Snapes Stirn, die sich wegen des Fiebers wie ein Eiszapfen anfühlte. Der Fremde sprach: „Schlaf!" und es war das Letzte, was er von seiner Umgebung wahrnahm.
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1) „Canis et Cornus": Ist lateinisch und bedeutet „Hund und Horn". So hieß das Kapitel auch ursprünglich. Spaßweise hab ich's übersetzt und das Ergebnis hat mir noch besser gefallen.
Bin ich froh, dass das Hundekapitel vorbei ist. Ich bringe solche Verfolgungsjagden irgendwie nicht zusammen und ich hab die Gzakum am Ende schon richtig gehasst, obwohl man die auch nicht wirklich gern haben kann. Beim letzten Teil war ich mir nicht ganz sicher, ob ich den nicht lieber ins nächste Kapitel geben sollte, aber ich glaube so ist's besser. Es gehört ja noch immer zur Flucht.
Weil die Frage, was eigentlich Nadja ist, schon öfter gestellt worden ist, ab dem nächsten Kapitel wird Snape Schritt für Schritt hinter das Geheimnis kommen. Außerdem lernt er endlich richtig – das heißt nicht verschwommen – Rishkan kennen.
Hoffentlich haben sich nicht besonders viele Fehler eingeschlichen.
Und jetzt zu den Reviews. Vielen, vielen Dank für die Antworten! Ich war so froh, dass nach der langen Zeit überhaupt jemand weiter liest.
Abhaya: Danke, danke für die liebe Antwort. Und es freut mich auch, dass du noch einmal die ganze Geschichte durchlesen willst. Die ist ja mittlerweile doch schon ganz schön lang. Bin ich froh, dass ich das mit dem Rattengift drinnen gelassen hab, das wollt ich nämlich schon fast streichen. Ich fürchte, der arme Snape wird diese Rattengiftmedizin auch bald kennen lernen. Was die Dementoren betrifft, so hab ich sie immer für vernunftbegabte Wesen (natürlich sehr unheimliche und gefährliche) gehalten, und die sollten meiner Meinung nach auch irgendwie kommunizieren können. Warum das Nadja auch kann, wird noch verraten.
Annchen: Auch vielen Dank! Mit Einhörnern hat Nadja nicht direkt etwas zu tun. Sie kennt nur Anatol, der ihr sicherlich nichts tun würde, aber der ist für ein Einhorn auch nicht ganz normal. Indirekt gib es natürlich schon eine Verbindung, sonst hätten die Einhörner nicht so feindlich reagiert. Was die Tippfehler angeht, so schätze ich, wirst du heute sicherlich fündig. Hab das Ganze viel zu wenig oft durchgelesen.
