Nicht böse – nur dumm
"Vermutlich erst Jahre später wurde uns bewusst, in welchen Ausmaß diese Kinder sich ihre Lasten aufbürdeten, sahen wir, welchen Schmerz sie stumm trugen. Wir sorgten uns, dass sie von ihrem Weg abkommen würden, unter der Last, die wir sahen, aber was wir sahen, war nur ein Bruchteil von dem, was sie wirklich trugen.
Stärke, hat Mister Weasley mir einst ins Gesicht geschrieen, Stärke ist, wenn man stehen bleibt, auch wenn jeder verstehen würde, dass man zusammenbricht. Ich habe es für Arroganz gehalten. Heute halte ich es für Weisheit."
Minerva McGonnagal, aus einem Interview in "Der zweite Krieg gegen die Dunkelheit".´


Das Trio wusste nicht, was für ein Glück es hatte, rechtzeitig und unbeschadet aus dem Wald zu kommen. Auf dem Rückweg trafen sie Richtung Kerker auf die Weasley - Zwillinge.

"Ron."
"Fred. George."
"Wir müssen reden. Alleine."
"Warum? Habt ihr ein Problem damit, dass ich ein Slytherin bin?"
"Nein, aber-"
"- dann lasst mich in Ruhe."
"Ronald Weasley!"
"Ja, Fred Weasley?"
"Komm mit."
"Nein."
"Wir wollen wissen, was falsch gelaufen ist."
"Was soll falsch gelaufen sein?"
"Was soll falsch gelaufen sein? Bitte – du bist in Slytherin!"
"Ich dachte, wenigstens ihr seid ein wenig vorurteilsfreier als die anderen.", meinte Ron.
"Was meinst du?"
"Sind Slytherins schlechter als all die anderen? Bin ich jetzt ein schwarzes Schaf der Familie?"
"Das haben wir nie gesagt.-"
"-aber gedacht, nicht wahr? Schon gut, glaubt ruhig, dass ich böse bin. Glaubt ruhig, ich diene dem, der die Eltern meines besten Freundes umgebracht hat, und dessen Leben zerstört hat. Glaubt ruhig, ich knie vor einem Verrückten nieder! Ihr müsst es ja wissen!"
"Ron! Das haben wir nie gesagt."
"Wie wahr.. Habt ihr mich verdächtigt, böse zu sein? Habt ihr daran gedacht, ich könnte dunkel geworden sein? Ja, habt ihr. Wisst ihr was: Ihr behauptet, die Slytherins und Snape wären die, die anfangen, und Vorurteile haben. Ihr seid keinen Deut besser als wir. Komm Harry, wir gehen. Wir müssen noch ein paar dunkle Aktivitäten machen. Heimliche Diskussionen und so. Wie wir dem Mörder deiner Eltern helfen können. Hoffentlich nimmt er es uns nicht übel, dass wir eine Muggelgeborene – sorry Hermione, ein Schlammblut- zur Freundin haben."
Ohne ein weiteres Wort drehten sich Harry und Ron um.

Es war das erste Mal, das Severus Snape die Zwillinge sprachlos sah. Er wollte gerade über die Dinge nachdenken, die er gehört hatte, als Draco Malfoy auf die beiden zukam.

"Probleme im Paradies, Potter?", grinste Malfoy die beiden an.
"Ich empfehle dir, wenn dir deine Gesundheit etwas wert ist, dass du uns aus dem Weg gehst.", stieß Potter mit zusammengebissenen Zähnen hervor.
"Whoa, ganz ruhig, Potter. Was, wenn ich nicht will?"
"Ich habe gerade meine berühmten Brüder sprachlos stehen gelassen. Glaubst du, es ist klug, mir als mein Erzfeind, heute im Weg zu stehen?", fauchte Weasley.
"Hey, schaut mal alle her, Klein-Potty ist wütend. Und er hat keine Mummy, die ihn trösten kann... " Harry zuckte zusammen. Malfoy grinste. Er hatte einen Nerv getroffen.
"Ist deine Mummy tot, Potty? Sei nicht traurig, war nur ein Schlammblut! Eine Schlammblut-Schlampe! Pottys Mummy war ne Schlammblut-Schlampe... Pottys Mummy war ne Schla-"
Harrys Faust raste in Dracos Gesicht.
Aus irgendeinem Grund konnte sich Severus Snape nicht überwinden, aus seiner dunklen Ecke hervorzukommen und Potter Punkte abzuziehen.
Severus Snape ahnte nicht, welche Szenen sich gerade in den Privaträumen des Trios abspielten. Vielleicht hätten sie seine Meinung über Harry Potter endgültig geändert.

"Ich wollte nicht... Es ist – so eine Versuchung. Ich könnte alles tun. Ich könnte verletzen, körperlich und emotional. Ich könnte sie Dinge tun lassen, die sie nicht wollen, sie finanziell ruinieren...", schluchzte Harry und hackte weiter auf irgendwelche Zutaten ein.
"Mit Macht kommt Verantwortung, Harry."
"Ich weiß nicht, ob ich sie tragen will. Es- Das Problem ist, es hätte keine Konsequenzen für mich. Die Zwillinge haben recht. Ich könnte dunkel werden. Versprecht mir, Ron, Hermione, dass ihr mich stoppt. Stoppt mich, bevor es zu spät ist," flüsterte er.
"Harry- bitte, sag so etwas nicht, wir lieben dich doch."
"Wenn ihr mich liebt, dann stoppt mich. Versprecht es."
Hermione und Ron blickten sich an. "Versprochen."
"Gut, und jetzt schauen wir, was wir mit Quirrell machen. Habt ihr diese Beschriftungs-Farb-Bomben?"
Hermione seufzte. Sie hasste es, wenn Harry das Thema wechselte.

Zwei Morgen später starrte Severus Snape nachdenklich auf den Mantel Quirrells. Ich bin auf der Suche nach Eldorado. War da noch jemand in diesem Schloss, der den Mann verdächtigte?

Harry wanderte alleine durch die Gänge, zurück zu ihren Räumen. Er war noch in der Bibliothek gewesen und hatte sich einige Bücher über Einhörner im Zusammenhang mit Zaubertränken geholt. Plötzlich hörte er hinter sich ein Rascheln. Jemand folgte ihm. Er zügelte seine Schritte.
"Petrificus Totalus!", flüsterte jemand hinter ihm, und bevor er ausweichen konnte, hatte ihn der Fluch schon getroffen. Er wusste, was der Fluch tat, und zwang sich, die Augen offen zu lassen, wissend, dass sie geschlossen bleiben würden, würde er zwinkern. Langsam kippte er um, traf mit dem Hinterkopf gegen eine Steinmauer. Seine Muskel blieben gefroren. Eine, zwei, nein fünf verhüllte Personen huschten zu ihm. Ihre Gesichter waren nicht erkennbar, also konzentrierte sich Harry auf Kleidung, Statur und Hände seiner Angreifer.
"Ist Potter auf einmal alleine?", flüsterte eine tiefe Stimme.
"Keine Freunde, die ihm helfen?", fragte die Person, die über ihm kniete. Harry fluchte. Er konnte keinen Muskel bewegen, nicht erkennen, wer ihn angriff. Und langsam fingen seine Augen an, zu schmerzen. 'Ruhig, Harry', dachte er 'es kann nicht noch schlimmer werden, als wie du es kennst.'
Der erste Hieb traf ihn mitten in die Magengrube. Harry hätte aufgeschrieen, hätte er seinen Mund kontrollieren können. 'Ein Schlag in den Bauch tut wesentlich mehr weh, wenn man ihn nicht anspannen kann', schoss es ihm durch den Kopf. Jemand ritzte mit einem Messer über Harrys Arm, so dass dieser gezwungen war, anzuschauen, wie das Blut langsam aus dem Wunden lief. "Ein Blitz, Potter.. Hübsch, findest du nicht auch? Aber das kennst du ja schon..."
'Sie werden mich nicht töten. Ganz ruhig, Harry. Sie werden mich nicht töten. Konzentrier dich auf die Angreifer'. Harry bemerkte, dass das Messer eine kleine Kerbe in der Mitte hatte. Dass die Hand, die es führte, braungebrannt war, dass der Fingernagel eingerissen war. Wieder trafen ihn Schläge. 'Ron und Hermione warten auf mich.' Sein Magen fühlte sich grauenhaft an. Er versuchte, nicht an das Blut zu denken.
"Wir werfen ihn in den Raum der Wünsche. In sieben oder acht Stunden hört jeder Klammerfluch auf und dort finden sie ihn nie, wenn wir uns eine versteckte Kerkerzelle wünschen.", befahl einer. Harry sah seine Schuhe, schwarz, das Schuhband war eingerissen.
Sie trugen ihn durch irgendwelche Gänge. Ein paar Mal blieben sie in einer Nische, wenn jemand entgegenkam, ein paar Mal rammten sie ihn unsanft gegen die Wand. Sie waren im siebten Stock, vor einer Wand, gegenüber von einem Portrait. Dort gingen sie ein paar Mal auf und ab, auf einmal erschien eine vergitterte Tür. Sie warfen ihn in eine Ecke und ein paar spöttische Kommentare später waren sie weg.

Albus Dumbledore pickte eine Notiz von seinem Schreibtisch.
An wen sollen sich die Menschen nach deinem Tod erinnern? An einen Helden, der für das Licht gefallen ist? An einen Freund, der immer da war? An ein geliebtes Familienmitglied? An einen hervorragenden Lehrer? An ein strahlendes Vorbild? An ein tragisches Opfer? An einen treuen Kameraden? An einen tödlichen Feind? An einen Verräter? An dich?

Harry Potter lag unbeweglich und verletzt in einem Raum. Hogwarts war noch immer der sicherste Ort der Welt.

Wie viel Zeit vergangen war, wusste Harry nicht. Fest stand, dass ihm alles weh tat. Fest stand, dass er sich nicht rühren konnte. Und fest stand, er war in einem unbekannten Raum, den sie Raum der Wünsche genannt hatten.
Ach, wie gern läge er jetzt in einem weichen, warmen Bett! Er seufzte innerlich. Wäre er doch nicht alleine ...
Plötzlich hob es ihn in die Höhe- 'Was zum Teufel' – Er lag in einem weichen, warmen Bett. 'Raum der Wünsche, also?' Er probierte, wünschte sich, es wäre ein Licht da. Es ploppte, ein Licht erschien.
Er wünschte sich, er könnte sich wieder rühren. Es passierte nichts. Er wünschte sich eine Decke. Sie erschien. Harry verstand. Der Raum der Wünsche erfüllte nur materielle Wünsche. Wie sollte er sich also befreien? Er würde einen Zauberstab brauchen, in seiner Hand. Und einen Spiegel, da er ihn nicht auf sich selbst richten konnte. Es ploppte, und er hatte beides.
'Finite', wollte er rufen, aber es klappte nicht. Er konnte seine Lippen nicht rühren. Verdammt! Brauchte man seine Stimme, um einen Spruch auszuführen? Beim Willkommensfest hatte Dumbledore doch auch nur mit einem Wink mit der Hand die Türen geschlossen. Finite, dachte er fest, aber es klappte nicht. Er hatte noch einige Stunden Zeit.
Konzentration war es, das wusste er. Konzentration und Vorstellungskraft. Er stellte sich vor, er konnte seine Lippen wieder rühren, wie die gefrorenen Muskeln langsam wieder auftauten. Finite.

Vier Stunden später konnte er wieder sprechen und flüsterte das Wort laut. "Finite". Er war müde. Er realisierte nicht, dass der Stab in seinen Händen nur aus Holz war. Er schlief ein. Zwei Stunden später würde er aufwachen, und durch einen Geheimgang in seinen Raum humpeln.

"Du musst in die Krankenstation, Harry."
"Hermione, Ron – nein. Wir machen das selber."
"Warum nicht?"
"Diese Genugtuung gebe ich ihnen nicht. Abgesehen davon müssen wir Heilzauber üben."
"Eines Tages, Harry, wird dich dein Stolz noch umbringen", prophezeite Hermione.
"Malfoy hat einmal nahezu die selben Worte verwendet", lächelte Harry düster, "vielleicht, Hermione, vielleicht. Aber was mich nicht umbringt, macht mich härter."
Keiner der drei schlief gut in dieser Nacht. Zum ersten Mal wurde ihnen richtig bewusst, was für einen schwierigen Weg sie gewählt hatten.
'Es war eine Illusion', dachte Harry, 'dass alles so glatt läuft. Und nun liegt es an uns, sie wahr zu machen.'
Seine Rippe schmerzte trotz der vielen Zauber. Hoffentlich war sie nicht gebrochen.
Manchmal, in Momenten, wo er nur noch wütend, verzweifelt, und müde war, stellte er sich vor, wie seine Faust in das Gesicht dieses verdammten Flints traf, wie dieser zurückstolperte, wie das warme Blut über seine Hand lief. Gewalt war nicht die Lösung, erinnerte er sich, Rache und Selbstjustiz der falsche Weg.

"Irgendwie ist das kitschig", sagte er laut, "der Held der Geschichte kommt überfallen, geschlagen und verletzt nach Hause, und entscheidet sich trotzdem gegen Rache und für das Richtige. Verdammt – warum erkennt das Schicksal nicht, dass Verlieren weder romantisch noch lebensverändernd oder inspirierend ist? Warum erkennt das Schicksal nicht, dass Verlieren einfach nur weh tut?"


A/N: Diese letzten Zeilen mussten einfach rein. Why can't they see that losing just sucks?
Anyway, danke für eure Reviews, ich hab mich bemüht, zu antworten.
Love,
Claire