KAPITEL V
"Zur Hölle mit Umständen, ich erschaffe Möglichkeiten." -Bruce Lee
Korra legte eine Hand gegen die Wand und strich über den kühlen rauen Stein. "Wer hat das hier erbaut?" fragte sie. Der kurze Bogengang war beleuchtet von Leuchtstoffröhren, deren kühles Licht die helle Haut der Equalistin beinahe bläulich wirken ließen.
"Wir wissen nicht genau wer es tat, aber es muss zur Zeit der Gründung von Republica entstanden sein. Als die Equalisten es fanden war es leerstehend und wir haben... einige geringfügige Veränderungen vernommen. Wir nennen es die Katakomben von Republica."
Der Name schien zu passen, fand Korra. Unzählige Tunnel mündeten hier in einer gewaltigen Halle die teilweise von Steinbögen und teilweise von metallenen Säulen verstärkt wurde. Der Platz wuselte nur so von Equalisten und weiter entfernt sah Korra eine gutes Dutzend riesiger Maschinen stehen. Im Zentrum der Halle thronte eine massive metallene Plattform auf der sich eine Menge versammelt hatte. Von Scheinwerfern beleuchtet strahlte sie blendend hell. Hoch oben wölbte sich die steinerne Decke zu einem Kuppelartigen Dach.
"Siehst du die Geländer dort hinten? Sie führen hoch zu unzähligen Räumen. Dort findet der Großteil unserer Organisation statt, da steckt ne' Menge Planung dahinter, weißt du. Außerdem treffen wir uns hier für interne Ankündigungen."
Interessiert hörte Korra ihr zu und prägte sich alles ein was später vielleicht noch einmal nützlich werden könnte, ihr Blick folgte Jinx ausgestrecktem Finger und in der Ferne konnte sie das besagte Geländer ausmachen.
"Also ...lebt ihr auch hier?" fragte sie überrascht.
Jinx winkte ab. "Nein, ich meine kurzfristig ist das ja mal in Ordnung aber die meisten von uns ziehen es vor über der Erde zu wohnen."
"Aber wie kommt es... dass noch niemand sonst das hier gefunden hat?"
Jinx zuckte mit den Achseln.
"Unter Republica verlaufen unzählige Tunnel, selbst wenn man von diesem Ort wüsste, würde man ohne genaueren Anhaltspunkt sehr lange suchen bis man uns finden würde. und wenn alles so läuft wie bisher, müssen wir uns aber ohnehin nicht mehr lange hier im Dunkeln verstecken. Aber das ist eben der Grund warum wir unseren Rekruten nicht den genauen Weg hierher zeigen... es gab ein paar Zwischenfälle, weißt du?"
Die Augen der Equalistin wanderten zur Plattform und sie runzelte enttäuscht die Stirn.
"Wir sind etwas spät dran, ich befürchte wir haben Amons Rede bereits verpasst."
Wie Schade.
Jinx und Tomo führten sie nun Richtung Plattform und Korras Herzschlag begann zu flattern wie die Flügel eines Kolibrisittichs. Sie hatte noch immer Tomos Schal in der Hand, ihren eigenen musste sie wohl im Laufe des Abends verloren haben. Mit einem verstohlenen Blick auf den Equalisten band sie sich das Stoffstück um ihren Hals und zog es so hoch es ging über ihr Kinn. Schon von weitem erkannte sie die weiße Maske mit dem roten Kreis auf der Stirn. Der Anführer der Equalisten stand auf einem Podest. Es war jedoch ein anderer Mann der mit einem Mikrofon in der Hand eine Rede hielt.
"...te ist ein ganz besonderer Tag! Ein jeder von uns hat einmal hier gestanden um seinen Dienst der Gerechtigkeit der Stadt zu widmen..."
Korra und ihre Begleiter hatten nun die Plattform erreicht. Es war der Lieutenant der die Rede hielt. Er trug die Equalisten Maske, die den oberen Teil seines Gesichts bedeckte. Sein gepflegter, schwarzer Bart zitterte, während der Equalist leidenschaftlich von den Tugenden seines Ordens berichtete.
"...und nun tretet vor junge Rekruten!"
Rund drei Dutzend folgten dem Kommando und lösten sich unter lautem Applaus aus der Menge. Korra wollte es ihnen gleichtun, aber schien wie auf der Stelle eingefroren, ihr Herz raste. Ein sanfter Stoß gegen ihre Schulter ries sie aus ihrer Trance. Sie warf einen kurzen Blick hinter sich, dort stand Jinx die ihr ermutigend den Daumen hoch hieb. Korra schluckte und nahm dann erst einen zaghaften Schritt nach vorne, dann den nächsten und langsam, mechanisch lief sie bis zur Mitte der Plattform und blieb neben einem dünnen Jungen mit hellbraunen Haaren stehen.
Unter dem grellen Licht der Scheinwerfer standen die Rekruten nun in einer Reihe. Die meisten von ihnen trugen zerschlissene Kleidung wie Korra. Mit hoffnungsvollen und ehrfürchtigen Gesichtern blickten sie auf Amon, als wäre er eine Art Gott und Korra überkam eine unerwartet heftige Welle Hass gegenüber ihrer neuen Kameraden.
Sie vermied es entschieden den Anführer der Equalisten anzusehen und konzentrierte sich stattdessen auf den Lieutenant. Als sie mit Mako zusammen Bolin befreit hatte, war das letzte Mal gewesen, als sie auf ihn getroffen war. Am Ende hatte er ausgeknockt auf dem Boden gelegen während sie auf Naga einen Abgang gemacht hatten. Sie unterdrückte ein selbstzufriedenes Lächeln ab der Erinnerung und zwang ihr Gesicht zu einer neutralen Miene.
"Es ist eine große Ehre unserer bedeutsamen Organisation beizutreten. Ein jeder von euch kann mit unserer Anleitung großes Vollbringen für diese Stadt..."
Der Lieutenant lief an der Reihe der Rekruten entlang und Korra hielt den Atem an als er sich ihr näherte.
Oh nein.
Seine Schritte wurden langsamer. Korra kniff für einen kurzen Moment die Augen zusammen, es sah so aus als würde er gleich genau vor ihr stehen bleiben. Unter dem Licht der Scheinwerfer wurde es langsam so warm, dass Korra spürte wie sich eine Schweißperle auf ihrer Schläfe bildete. Ihr Blick huschte zu Amon. Ein Fehler, seine Maske war in ihre Richtung gedreht. Er stand vollkommen ruhig da, aber Korra verwechselte seine Haltung nicht mit Gelassenheit - er schien nicht einen Muskel zu bewegen. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus und mit dem letzten Rest an Willenskraft zwang sie sich nicht panisch nach dem nächsten Ausgang zu suchen. Es war alles oder nichts, dass wusste sie. Ihr Plan konnte mit Leichtigkeit katastrophal schieflaufen.
Da wandte der Equalist sich an den Jungen neben ihr.
"Sag, wie heißt du, Kamerad?"
Der Angesprochene erbleichte ein wenig ab der unerwarteten Aufmerksamkeit.
"Benjiro." Sagte er dann langsam.
Der Lieutenant klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter und schritt dann weiter. Korra atmete erleichtert aus.
"In den kommenden Wochen werdet ihr an eure Grenzen kommen, seid euch bewusst, dass es kein ungefährliches wenngleich sehr nobles Unterfangen sein wird diese Stadt von der Bändiger Elite zu befreien. Schaut in die Gesichter eurer Kameraden neben euch, sie werden eure Brüder und Schwestern im Kampf werden!"
Korra sah aus dem Augenwinkel wie der Junge, der sich eben als Benjiro vorgestellt hatte, ihr einen flüchten Seitenblick zuwarf. Sie richtete ihren Blick jedoch starr auf den Lieutenant. Es war ganz sicher nicht ihr Anliegen hier Freunde zu finden.
"Aber hütet euch. Wer immer meint mit falschen Absichten der Revolution zu schaden... der wird merken wie nutzlos sein Unterfangen ist. Die Revolution ist nicht aufzuhalten, jeden Übeltäter wird die volle Härte unseres Gesetztes treffen und ich kann versprechen er wird die Sonne nie wiedersehen."
Konzentriert ruhig atmete Korra ein und aus und schickte einen stillen Dank an ihren alten Meister Tenzin, der ihr die Atemtechniken der Luftbändiger Nomaden gelehrt hatte.
"Schwört, dass ihr der Revolution dienen werdet. Schwört dass ihr von diesem Tag an mit allen Mitteln für die Gerechtigkeit kämpfen werdet!"
Der Reihe nach legten die Rekruten die Hände auf ihre Herzen und schwörten es.
Korra stand am Ende der Reihe und war somit als letztes dran.
Mit gestrafften Schultern und erhobenen Kinn sprach sie laut.
"Ich schwöre es."
Die Lüge ging ihr ausgesprochen leicht über die Lippen. Amon hatte selbst bewiesen, dass die Equalisten sich nicht an Abmachungen hielten.
"Ihr werdet nun in die Gruppen eingeteilt, in denen ihr die Grundausbildung vollbringen werdet."
Vier Equalisten traten vor, eine Frau und drei Männer.
Korra schnitt eine Grimasse, sie kannte einen der Männer bereits. Mit geschwellter Brust stand Tomo neben den anderen Ausbildern vor den Rekruten.
"Du," sagte er und deutete geradewegs auf Korra. Seine Miene war ernst und seine Augen kalt.
"Du wirst in meine Gruppe kommen."
Er sagte es, in einem Tonfall, der keinen Wiederspruch zuließ.
Korra presste die Lippen zusammen und nickte steif, sie konnte sich nicht vorstellen, dass er ausgerechnet sie ausbilden wollte. Vermutlich war es sein Plan sie im Auge zu behalten.
Im Moment wollte sie jedoch nichts lieber als wieder aus dem Scheinwerferlicht zu verschwinden, sobald die Gruppen vollständig eingeteilt waren, sprang sie erleichtert von der Plattform. In ihrem Nacken prickelte es plötzlich. Sie wandte sich um. Zu ihrem Entsetzen war Amons Maske immer noch in ihre Richtung gedreht. Für einen langen Moment starrten sie einander an, dann wandte Amon sich wieder ab und fing an mit dem Lieutenant zu sprechen.
Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend drehte sich Korra um. Vor ihr stand plötzlich die Equalistin.
"Glückwunsch, Konna! Tomo ist einer der besten Ausbilder, den wir hier haben."
Korra lächelte gezwungen.
"Mhm," stimmte sie vage zu.
"Ich Glückspilz."
Korra hatte erwartet sie würden den gleichen Weg zurückgehen, aber Tomo führte sie zu einem anderen Ende der Halle. In seinem Schlepptau neun junge Rekruten. Vor einem dunklen kleinen Lastwagen, der am äußersten Rand der Halle geparkt war blieben sie schließlich stehen. Der Equalist öffnete den Frachtraum des Fahrzeugs und deutete ihnen einzusteigen. Im Innern des Lasters waren zwei sich gegenüberliegende Bänke angebracht. Wortlos setzte sie sich an den äußersten Rand, legte ihre Hände auf ihren Schoß und tat als gäbe es nichts Interessanteres zu betrachten als ihre Finger. Die Wagentür schlug zu und sie spürte wie der Laster Geschwindigkeit aufnahm.
Mit verschlossener Miene hob sie vorsichtig den Blick von ihrem Schoß und musterte ihre neuen Kameraden. Sie fragte sich was für Menschen sich freiwillig dazu entschieden bei den Equalisten beizutreten.
Zwei junge Männer hatten die Köpfe zusammengesteckt und lachten leise. Der Größere der Beiden hatte schwarze Haare und dunkelblaue Augen. Er hatte etwas Gefährliches an sich, ohne das Korra genau sagen konnte was es war. Der andere erinnerte sie von seinem Äußeren her entfernt an Bolin. Er hatte braune, lockige Haare und grüne Augen.
Direkt gegenüber von ihr saß der dünne Junge neben dem sie auf der Plattform gestanden hatte. Als ihre Blicke sich kreuzten schenkte er Korra ein zaghaftes Lächeln das jedoch unerwidert blieb.
Flüchtig lies Korra ihren Blick über den Rest der Gruppe wandern. Es waren hauptsächlich Jungen in ihrem Alter. Nur ein einziges weiteres Mädchen saß stillschweigend in einer Ecke. Ihre braunen Haare hingen zu zwei Zöpfen geflochten über ihre Schultern und ihr Blick war unfokusiert in die Ferne gerichtet.
Korra schloss die Augen und lehnte ihren Kopf gegen die Innenwand des Lasters.
Wenn Mako und Bo mich jetzt sehen könnten...
In dem Augenblick wurde ihr erneut bewusst wie sehr sie ihre Freunde vermisste. In einem anderen Leben, in einer Welt ohne Amon hätte sie diese Nacht mit ihren Freunden auf dem Fest des Agni verbracht. Ihre größten Sorgen wäre es gewesen wie sie beim nächsten Pro-Bändiger-Spiel abschneiden würden und ob Mako endlich ihre Gefühle erwiderte. Die Umstände hatten sie jedoch hierhergeführt.
Der einzige Silberstreif am Horizont war, dass sie immerhin seit Tagen keine Wache mehr gesehen hatte. Das schien darauf hin zu deuten, dass sie es aufgegeben hatten in Republica nach ihr zu suchen. Das Gewicht, dass nun schon seit jener Nacht auf ihre Schultern gedrückt hatte schien sich bei dem Gedanken etwas zu lockern...
Mit einem plötzlichen Ruck kam der Lastwagen mit schlitternden Reifen zum Stehen und Korra wurde aus ihren Gedanken gerissen.
Die Wagentür schwang auf und zum Vorschein kam Tomo.
"Es ist schon spät, aber ich möchte euch noch unseren zukünftigen Treffpunkt zeigen."
Sobald Korra hinaus ins Frei trat nahm sie einen tiefen Atemzug der Nachtluft und spürte wie eine enorme Anspannung von ihr abfiel. Es tat gut wieder über der Erde zu sein. Zu ihrer Überraschung erkannte sie die Straße wieder. Sie befanden sich im Drachenviertel, vielleicht zehn Minuten von dem Teeladen entfernt. Tomo steuerte auf eines der Häuser zu. Es handelte sich um einen kleinen Buchladen am Straßeneck. Anstatt zur rot bemalten Haustür zu gehen lief er durch den schmalen Spalt der den Buchladen von dem angrenzenden Haus trennte. Korra und die restlichen Rekruten folgten ihm stumm, erwartungsvoll.
Hinter dem Haus befand sich ein kleiner Hinterhof mit einer Feuerstelle, der gut von neugierigen Blicken geschützt war.
Vor einer grauen Kellertür blieb der Equalist schließlich stehen.
"Diese Tür ist Tag und Nacht offen. Wir werden uns hier täglich bei Sonnenuntergang treffen. Solltet ihr ein Platz brauchen zum Schlafen oder um euch zu verstecken... der Besitzer dieses Buchladens ist ein Freund der Equalisten, uns stehen auch die Räume unter dem Dach zur Verfügung."
Korra runzelte die Stirn. Eher würde sie unter einer Brücke schlafen als in einem Versteck der Equalisten.
"Nun gut." Tomo klatschte einmal in die Hände.
"Es war eine lange Nacht und ich erwarte euch hier morgen."
Mit den Worten drehte er sich um und lief zurück zu dem Lastwagen.
Korra blinzelte und blickte ihm nach, als seine Gestalt in der Dunkelheit verschwand. Plötzlich allein mit den restlichen Rekruten.
"Noch jemand Lust auf eine Runde Feuerwhiskey?"
Der Dunkelhaarige mit den blauen Augen hatte einen Flachmann aus seinem Mantel hervorgezogen.
"Auf uns." grinst er und nahm einen Schluck bevor er den Behälter weiterreichte.
Korra murmelte eine Entschuldigung und wandte sich zum Gehen.
Als sie die leeren Straßen zu ihrem Schlafplatz entlanglief konnte sie nur den Kopf schütteln. Sie hatte es tatsächlich geschafft die Equalisten aufzuspüren und sich ihnen anzuschließen. Es war so absurd, dass sie spürte wie ihr ein ungläubiges Kichern entfuhr, das sich schon bald in ein ausgewachsenes Lachen entwickelte. Sie musste sich gegen eine Hauswand lehnen währen ihr Körper bebte. Es dauerte einige Zeit bis sie sich wieder soweit im Griff hatte, dass sie weiterlaufen konnte.
Ich werde noch verrückt.
Oh Schätzchen, sagte eine kleine Stimme in ihrem Kopf.
Dafür ist es schon zu spät.
A/N:
Ich möchte hier gleich mal klarstellen, dass Korra nicht verrückt wird sondern nur einen klassischen "Was ist mein Leben?" Moment hatte.
