A/N: Viel Spaß :)
KAPITEL VIII
"One way or another, I'm gonna find ya' I'm gonna get ya', get ya', get ya', get ya'"
Es gab wohl keinen Ort der mehr Haus für Klatsch und Tratsch jeglicher Art bot, als ein Teeladen. So mach alter Greis fing über Politik und die Geschenisse der Welt zu philosophieren, sobald er eine Tasse dampfenden Jasmintee in den Händen hielt. Jeden Nachmittag traf sich außerdem eine Gruppe junger Frauen um sich gegenseitig über die jüngsten Gerüchte Republicas auszutauschen, während sie vornehm an ihren Pfefferminztees nippten.
Und an Gerüchten mangelte es Republica nicht.
Wenn man ihnen allen Glauben schenken würde, dann wäre der Himmel wohl grün und blau. Der Anführer der Equalisten ein Mensch und ein Geist, der fleischgeworden in die Welt getreten war. Der Avatar tot und lebendig, auf einer Expedition zum Südpol.
Ja, von allen wilden Theorien rankten sich wohl am meisten um das mysteriöse Verschwinden des Avatars.
Ein Reisender mit einem geflickten Umhang hatte auf alles ihm heilige geschworen, er habe den Avatar mit eigenen Augen auf einer tropischen Insel der Feuernation gesehen.
Ein Hafenmitarbeiter hatte alle anderen Theorien vehement abgestritten. Es war seiner Ansicht nach Fakt, dass jeder wusste, dass der Avatar sich den Sumpfbändigern im Urwald des Erdkönigreichs angeschlossen hatte.
Wieder ein andere hatte ganz trocken erklärt, dass der Avatar nun schon seit Wochen tot sei, die Reinkarnation war jedoch schiefgelaufen und nun steckte seine Seele im Körper eines neugeborenen Koala-Schafs fest.
Was jedoch keiner von ihnen vermutete war, dass das Objekt aller Spekulationen ihnen milde interessiert zuhörte, während es ihnen ihren Tee einschenkte.
Es war wirklich erstaunlich wie blind die Menschen für das Offensichtliche vor ihr Nase waren.
Und doch war es ein gefährliches Spiel, davon war Korra sich bewusst. Hin und wieder spürte sie ein Augenpaar auf sich ruhen. Sah im Blick mancher Kunden wie diese für einen Moment veruschten ihrem Gesicht einen Namen zuzuordnen.
Keiner brachte jedoch die zwei Puzzleteile zusammen. Niemand sprach sie darauf an. Trotzdem befürchtete sie jeden Tag, dass die Polizeigarde im nächsten Moment durch die Tür stürmen würde.
Doch als auch das nicht geschah, spürte Korra, wie sie sich allmählich entspannte und die Befangenheit von ihr abfiel.
Aber vor allem wurde sie unvorsichtiger.
Es war früh am Abend, als sie nach vollendeter Schicht sich auf den mittlerweile vertrauten Weg zu dem Buchladen machte. Auf den Straßen war zu dieser Stunde einiges los, vollgestopft von Leuten die sich entweder gerade auf den Heimweg von ihrer Arbeit machten, oder bereits auf dem Weg zu einer Kneipe waren um den Abend dort ausklingen zu lassen.
Korra hatte ihren Hut und Schal zurückgelassen, nur das schwarze Tuch der Equalisten hatte sie um ihren Hals gebunden. Das Wetter war für den Herbst unerwartet schön. Nicht eine Wolke hing am kühlen blauen Himmel, wenn man von dem dunkelgrauen Rauch absah der aus den hohen Schornsteinen des Industrieviertels qualmte. Nur ein leichter Wind zupfte an ihren Haaren und lies an manchen Ecken trockenes, orangenes Laub durch die Luft tanzen.
Ein Mann mit einer gestreiften Jacke und einem buntem Hut saß auf der Gartenmauer von einem der Häuser und spielte auf einem Sungihorn. Als er Korra erblickte schenkte er ihr ein breites, zahnloses Lächeln und stupste mit einem Stiefel gegen den Hut der auf dem Bordstein vor ihm lag. Darin glänzten ein paar silberne Münzen.
Noch lange nachdem sie an ihm vorbeigelaufen war hatte sie noch immer die Musik im Ohr und summte leise die unvertraute Melodie vor sich hin.
Als sie um die nächste Ecke bog, zwei Straßen entfernt von dem Buchladen, blieb sie jedoch jäh stehen.
Keine zwanzig Meter entfernt liefen auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Männer. Ihre Kleidung unterschied sie deutlich von den übrigen Passanten. Das Weiß, so vertraut wie der Schnee ihrer Heimat und das Blau wie der Ozean. Die Insignie ihrer Helme glänzte hell.
Jegliche Schutzmauern die Korra in den letzten Tagen und Wochen um sich errichtet hatte, zerfielen zu Staub. So fühlte sich auf einen Schlag klein, machtlos und die plötzliche Welle an Hilflosigkeit die über sie hereinbrach war schwindelerregend.
Als hätten die Beiden ihr Erscheinen gespürt wandten sie sich zu ihr um, zwei Augenpaare suchten und fanden Korra in dem Meer aus Passanten.
Die Zeit schien für einen ewigen Augenblick stillzustehen, vielleicht lag es auch nur an dem Adrenalin, dass durch ihre Adern pumpte.
Nur am Rande ihres Blickfeldes nahm sie noch war wie sich die Männer schemenhaft auf sie zubewegten, denn sie war bereits herumgewirbelt und in die entgegengesetzte Richtung losgesprintet. Das war in Mitten der Passanten gar nicht so leicht. Panisch bahnte sie sich ihren Weg, rempelte mit ihren Ellenbogen blind links und rechts Leute an. Hinter sich hörte sie die wütenden Stimmen und erbosten Ausrufe konnte aber kein Wort davon verstehen.
Sie duckte sich unter einem Arm hindurch der nach ihr greifen wollte und schlüpfte in eine schmale dunkle Gasse.
Es schien als würde sich ihr Schicksal wiederholen.
Sie war geradewegs in eine Sackgasse gerannt.
Nein.
Ihr Blick glitt panisch über ihre Umgebung und blieb schließlich an einem metallenen Baugerüst hängen.
"Ich hätte schwören können, sie ist hierreingebogen!"
"Sieht so aus als hättest du dich geirrt," antwortete eine zweite Stimme gedehnt.
"Lass uns zurückgehen, sie kann nicht weit sein. Wir sollten uns aufteilen."
"Meinst du das ist klug, immerhin ist sie-"
"War," verbesserte die Stimme knapp.
"Sie war es."
Damit schien die Diskussion geklärt und die Schritte entfernten sich. Wenige Meter über dem Flecken auf dem die beiden Männer gestanden hatten atmete Korra erleichtert aus. Sie lag bäuchlings auf dem Baugerüst, so klein wie möglich gegen die Hauswand gedrückt.
Sie hatte geglaubt, es wäre aus, als sie die Männer in der Straße erblickt hatte.
Wütend schlug sie ihren Kopf gegen eine der Metallstangen und verfluchte sich selbst, dass sie so unaufmerksam und offen durch die Straßen gewandert war. Die Konsequenzen die ihr unüberlegtes Handeln nach sich ziehen würden waren äußerst unangenehm.
Sie wissen jetzt sicher, dass ich noch in Republica bin.
Sie wagte es noch nicht ihr Versteck zu verlassen, überzeugt davon, dass die Beiden noch immer in der Nähe waren. Um sich abzulenken fing sie an langsam auf hundert zu zählen.
"Was machst du da?"
Korra fiel beinahe vom Gerüst.
Die Stimme kam nicht von unten, sondern von über ihr. Sie hob den Blick und dort, eine weitere Stufe höher als sie stand-
"Benjiro?", fragte Korra ungläubig. Erleichterung durchströmte sie augenblicklich. Seine braunen Haare sahen vom Wind zerzaust aus und standen in alle Richtungen ab.
Unzählige Fragen schwirrten in Korras Kopf. Sie war immer noch etwas benommen von den jüngsten Ereignissen. Langsam rappelte sie sich auf.
"Bist du mir gefolgt?"
Es klang deutlich kühler, als sie es beabsichtigt hatte.
Benjiros Augen weiteten sich und er hob entschuldigend die Hände. "Ich war auf dem Weg zum Training als ich gesehen habe wie du weggerannt bist."
Korra runzelte die Stirn. Etwas schien nicht zu passen.
"Wie bist du so schnell hierhergekommen?", fragte sie skeptisch.
"Ähm, naja..." In einer flüssigen Bewegung schwang er sich an einer der Metallstangen herunter und landete leichtfüßig und geräuschlos neben Korra.
"Du hast den langsamen Weg auf dem Boden genommen."
Meinte er damit, dass er über die Dächer gekommen war? Sie wollte ihn gerade danach fragen, da bemerkte sie wie er sie mit einem seltsamen Ausdruck musterte.
"Was?", verlangte sie stattdessen und verschränkte defensiv die Arme vor der Brust.
"Ich will dir nicht zu nahetreten oder so und es geht mich ja auch nichts an, aber ... weshalb wirst du von den Wachen des Weißen Lotus verfolgt?"
Korra schwieg und suchte nach den richtigen Worten, einer glaubhaften Lüge. Da wurde ihr bewusst wie gerne sie ihm die Wahrheit erzählen würde. Wie befreiend es sich wohl anfühlen würde sich einer anderen Menschenseele anzuvertrauen.
"Du hast Recht, es geht dich nichts an," murmelte Korra stattdessen mit zugeschnürter Kehle.
"Wir sollten uns außerdem beeilen, sonst kommen wir noch zu spät. Du kennst ja Tomo."
Für einen Moment schien es als wollte Benjiro noch etwas erwidern, dann seufzte er.
Ohne auf eine Antwort zu warten machte sie Anstalten von dem Gerüst herunterzuklettern, zögerte jedoch und spähte stattdessen unsicher in die Gasse unter ihnen.
"Ich weiß einen besseren Weg."
Korra drehte sich erneut zu ihm um und nun war das vertraute Lächeln wieder auf seinem Gesicht.
Er deutete ihr an ihm zu folgen. Flink kletterte er das Gerüst nach oben und Korra hatte alle Mühe ihm hinterherzukommen. Dabei war sie selbst keine schlechte Kletterin.
Leicht außer Atem erreichte sie nach Benjiro das Hausdach auf das das Gerüst mündete. Von oben eröffnete sich eine ganz neue Perspektive des Viertels.
Die Straßen sahen aus wie schmale Flüsse, die sich durch einen Dschungel aus buntzusammengewürfelten Häusern schlängelten. Am Horizont war die Sonne gerade dabei unterzugehen und die letzten Strahlen fielen auf das Dach und wärmten Korras Gesicht. Der Wind war hier oben jedoch deutlich stärker und Korra drückte fröstelnd die Hände in die Achseln.
Benjiro war neben einem verrußten Schornstein stehen geblieben und spähte in die Straßen unter ihnen, eine Hand schützend gegen das blendende Licht der Sonne über die Augen gelegt.
"Da hinten ist der Buchladen," sagte er und deutete mit dem Finger in eine Richtung.
Benjiro mochte zwar dünn und schlaksig sein aber er bewegte sich mit einem erstaunlichen Geschick über die Dächer Republicas. Zielsicher hatte er instinktiv den besten Weg gewählt, die schmalsten Stellen gefunden, an denen das Überqueren von einem Dach zum nächsten am leichtesten fiel, bis sie schließlich nach überraschend kurzer Zeit sich auf dem Dach des Equalistenunterschlupfes wiederfanden.
Dort kletterten sie schweigend nacheinander an der Fassade des Gebäudes hinunter zum Innenhof.
Benjiro machte Anstalten zur Kellertür zu laufen.
"Es tut mir leid, dass ich dich vorhin so angefahren habe," sprudelte es aus Korra hervor.
Er drehte sich um, seine Miene war verständnisvoll und es war eindeutig, dass er sie nicht zwingen würde über das Thema zu sprechen.
Aber jetzt da sie angefangen hatte zu Reden purzelten die nächsten Worte bereits aus ihrem Mund bevor sie sie aufhalten konnte.
"Diese Männer jagen mir ... Angst ein. Sie sind starke Bändiger und ich bin nur ein-"
Das Wort blieb ihr im Hals stecken und zu ihrem Entsetzen spürte sie ein unerwartetes heißes Prikeln in ihren Augen. Blinzelnd richtete sie ihren Blick gen Himmel und biss sich auf die Innenseite ihrer Wange.
"Ich bin nur ein Nichtbändiger," beendete sie leise ihren Satz.
Plötzlich legten sich zwei dünne Arme um sie und zogen sie in eine zaghafte Umarmung. Mit zugeschnürter Kehle erwiderte sie die Geste. Den ganzen Tag über im Teeladen hatte sie sich ermahnt in Zukunft mehr Abstand zu den restlichen Rekruten zu halten, aber die Gründe dafür schienen im Augenblick zu verblassen. Da traf sie die Erkenntnis, dass dies die erste Umarmung war die sie bekommen hatte seit... mit einem Kloß im Hals grub sie ihre kurzen Nägel in die geflickte Jacke ihres Gegenübers.
Nach einem langen Moment wischte Korra sich heimlich über die Augen, lies ihre Arme sinken und nahm einen Schritt zurück.
Sie sah ihn an und schenkte ihm ein wässriges Lächeln.
Danke.
Gefasst lief sie zum Kellereingang, schob das schwarze Tuch, dass um ihren Hals gebunden war über die Nase und zog dann die schwere, graue Tür auf.
Wie erwartet waren die restlichen Rekruten bereits versammelt.
Genauer gesagt waren nicht nur die Rekruten versammelt.
Korra erblasste.
Tui, La und Yue steht mir bei.
"Und ihr seid euch sicher, dass eure Augen euch nicht getäuscht haben?"
"Sie war es, sir. Ich schwöre bei Agni, daran besteht kein Zweifel."
"Gut. Ich möchte, dass auf der Stelle alle Einheiten nach Republica zurückkehren. Bis auf den Sonderbataillon im Erdkönigreich selbstverständlich..."
"Sir." Die Wache wandte sich zum Gehen.
"Wartet," befahl er leise.
"Ihr werdet sie nicht noch ein weiteres Mal verlieren, habt ihr verstanden?"
Der Mann verneigte sich tief bevor er sich erneut umwandte und den Raum verlies.
Nachdenklich zupfte der alte Mann an seinem Bart, trat ans Fenster und spähte hinaus. Von dem hohen Gebäude aus hatte man einen fantastischen Ausblick auf die Yue Bucht und die dahinterliegende, schlafende Stadt.
Und irgendwo dort versteckte sie sich.
Geduld war jedoch nie ihre Stärke gewesen.
Er hatte in seinem Leben schon viel Zeit mit Warten verbracht. Und warten würde er, bis sie früher oder später erneut einen Fehler begehen würde.
Und dann, dann kam die Zeit zum Handeln.
