A/N: Viel Spaß :)
KAPITEL XIII
He wears a mask and his face grows to fit it – George Orwell
Das Innere des Waschbeckens sah aus, als wäre er beim Rasieren mit der Klinge abgerutscht. In einem stetigen Rhythmus perlten Tropfen der roten Farbe von seinem Gesicht und seinen Händen herab und landeten in dem weißen Porzellanbecken.
Eine wütend rote Narbe starrte ihn in seinem Spiegelbild entgegen. Wie ein Canyon klaffte sie von seinem Scheitel schräg hinab zu seinem Kinn und teilte sein Gesicht in zwei Häften. Leidenschaftslos nahm Amon sein Kunstwerk in Betracht und drehte probehalber seinen Kopf um die falschen Wunden von jedem Winkel zu begutachten. Zufrieden mit dem Ergebnis lehnte er sich schließlich zurück und fuhr mit einem Lappen über die Farbreste, die sich wie eine Blutlache in dem Waschbecken angesammelt hatten.
Es war der lästigste Teil seines Morgens und doch achtete er stets peinlichst genau darauf die qualvoll stumpfsinnige Angelegenheit noch vor Sonnenaufgang zu erledigen. Es war ein notwendiges Übel. Ein kleines Puzzleteil seines Plans, wenn man so wollte, welches die Macht besaß sein gesamtes Lebenswerk zu vereiteln.
Seufzend fuhr Amon sich durch seine dunklen Haare, bedacht weder das Wachs noch die Farbe zu verschmieren, dann griff er nach seiner Maske, die neben dem offenen Fenster gelegen hatte.
Eine Bewegung im Augenwinkel ließ ihn innehalten und interessiert trat er näher an das Fenster heran.
Draußen heulte an jenem Morgen ein Wind, der die Bäume ächzen und Vögel verstummen ließ. Fröstelnd steckte Korra ihre kalten Hände in ihre Achseln und ließ sich vor der heruntergebrannten Feuerstelle ins Gras sinken. Die Welt war noch farblos an dem frühen Morgen; Mit der Sonne, irgendwo hinter den hohen Berggipfeln versteckt, war die einzige auszumachende Farbe ein blasser, blauer Dunst am Horizont. Müde fuhr Korra sich durch ihre zerzausten Haare, die ihr feucht im Nacken klebten und versuchte die Träume zu vergessen, die noch immer hinter ihren Liedern tanzten.
In der kalten Luft bildete ihr Atem kleine Nebelwolken vor ihrer Nase.
Feuerbändigen entspringt dem Atem.
Seufzend stocherte sie mit einem kleinen Zweig in der kalten Asche der Feuerstelle und versuchte die aufkommende Bitterkeit hinunterzuschlucken. Ihre Hände wirkten im matten Licht der Morgendämmerung gräulich. Kalt und Leer.
Da spürte sie plötzlich ein Prickeln im Nacken und fuhr herum.
Argwöhnisch huschte Korras Blick von dem stillen, dunklen Waldrand hinüber zur Hütte. Das Erdgeschoss lag noch immer im Dunkeln, die Rekruten schienen also noch zu schlummern. Im ersten Stock brannte jedoch ein Licht. Mit einem mulmigen Gefühl beobachtete Korra, das leere Fenster für eine Weile, bevor sie sich wieder abwandte und ihre Knie näher an ihren Körper heranzog.
Plötzlich presste sich eine Hand auf ihren Mund.
Korra überlegte nicht lange sondern rammte instinktiv ihren Ellenbogen gegen ihren Angreifer, der daraufhin dumpf aufstöhnte. Erfolgreich befreite sie sich aus seinem Klammergriff, rollte zur Seite und wirbelte mit klopfendem Herzen herum. In dem fahlen Licht brauchte sie eine Sekunde um die graue Gestalt zu erkennen, dann stöhnte sie genervt auf.
Anstelle eines Fremden oder eines Maskenträgers blickte sie in das belustigte Gesicht von Azok.
"Morgen, Sonnenschein."
Als Antwort funkelte sie ihn nur böse an.
Unschuldig zuckte der dunkelhaarige Rekrut daraufhin nur mit den Schultern.
"Es war viel zu einfach, sich dir anzuschleichen", kommentierte er beiläufig und ließ sich gegenüber von ihr vor der Feuerstelle ins Gras sinken, ganz so, als wäre nichts passiert. Verärgert über Azok und nicht zuletzt sich selbst, klopfte Korra verdrossen den Dreck von ihren Kleidern. Der Rekrut beobachtete sie unterdessen schweigend.
"Schlechte Nacht?" fragte er und ihm waren wohl die dunklen Ringe unter ihren Augen nicht entgangen.
Schlechtes Jahr, dachte sie düster aber nickte nur.
"Wie hältst du es hier draußen eigentlich in diese Kälte aus?" fragte er und rieb sich seine Hände.
Korra verschränkte die Arme vor ihrer Brust um das Zittern ihrer eigenen Hände zu verstecken.
"Es macht mir nichts aus", behauptete sie kühn.
Ungläubig hob Azok eine Braue. "Na wenn du das sagst… Falls dem aber nicht so ist, besitze ich glücklicherweise die beste Medizin gegen Kummer und Kälte." Der Stoff seiner Jacke raschelte, als der Rekrut in seine Tasche griff und einen kleinen Gegenstand hervorzog.
"Fang."
Geschickt schnappte Korra den Gegenstand aus der Luft. Es war ein metallener Flachmann. Zögerlich schraubte sie die Flasche auf und schnupperte daran. Der unerwartet scharfe Geruch von Alkohol schlug ihr entgegen und angeekelt rümpfte sie die Nase.
Azok schien sich über ihre Miene zu amüsieren. Wortlos reichte sie ihm den Gegenstand zurück, woraufhin er einen großen Schluck aus der Flasche nahm.
Stumm musterte Korra unterdessen den jungen Mann und es kam ihr beinahe so vor, als würde sie ihn zum ersten Mal richtig ansehen. Von all ihren Trainingskollegen war er ihr vielleicht am ähnlichsten was seine Fähigkeiten betraf. Er schien sich außerdem am meisten der Sache der Equalisten verschrieben zu haben. Sein kurzer Haarschnitt und strenge Wangenknochen verliehen seinem Gesicht etwas Militantes und wenn sie ihn in einem Wort beschreiben müsste, so wäre das vermutlich hart. Im fahlen Licht der Morgendämmerung erhaschte sie jedoch einen flüchtigen Einblick, der ihr bisher verbogen geblieben war. Zum ersten Mal bemerkte sie die identischen dunklen Schatten unter seinen Augen. Korras Augen glitten von den Ansätzen einer silbernen Narbe an seinem Schlüsselbein zu dem Flachmann, den er beinahe verkrampft in der Hand hielt.
"Ist es dafür nicht noch ein wenig früh?" fragte sie zögerlich.
Der Rekrut schien ihre Frage abzuwägen.
"Entweder früh oder sehr spät, das hängt davon ab ob es früher Morgen ist oder späte Nacht, findest du nicht? So oder so ist es das beste Zeug um zu vergessen."
Was genau es war, dass er vergessen wollte, sagte er nicht und Korra hakte auch nicht nach. In stiller Übereinkunft saßen sie schweigend vor der kalten Feuerstelle.
"Ich kann gar kein Feuer machen", platzte Korra nach einer Weile heraus und machte sich auf Spott gefasst.
Azok zuckte schlicht mit den Schultern.
"Das habe ich mir schon gedacht", sagte er bloß und deutete dann auf zwei dunkle Steine, die neben der Asche im Gras lagen. Feuersteine.
"Hinter der Hütte liegt noch ein Stapel Holz. Ich sage du trägst es her und ich zeige dir wie man Feuer macht, deal?"
Dankbar, dass er keine große Sache daraus machte, rappelte Korra sich vom Boden auf. Die taubedeckten Grashalme knirschten unter ihren Stiefeln während sie einen Bogen um die dunkle Waldhütte schlug. Am Waldrand unter einem kleinen Vorstand entdeckte sie das trocken-gelagerte Feuerholz und sammelte einige Scheite in einen Weidenkorb. Sie wollte sich gerade umdrehen und zurücklaufen, als ihr plötzlich ein metallenes Schimmern zwischen den Bäumen ins Auge fiel. Neugierig umrundete sie den Holzstapel und fand sich plötzlich vor einer verwitterten Gartenmauer wieder.
Das schmiedeeiserne Tor hing etwas schräg in den Angeln und krächzte als Korra es aufschob. Es hatte sich vermutlich einmal um einen Rosengarten gehandelt, aber es musste Jahre her gewesen sein, seit sich zuletzt jemand um den verwilderten Flecken Erde gekümmert hatte. Unkraut, Dornenbüsche und verdorrte braune Ranken wucherten neben dem Weg und zerrten am Saum von Korras Kleidern.
Am hinteren Ende des Gartens ragte neben der Mauer eine alte Bergkiefer in die Höhe. Neugierig schlenderte Korra durch das Labyrinth in Richtung des Baums und landete schließlich vor einem kleinen dunklen Teich. Eine einzelne, weiße Blume, die neben dem Ufer wuchs, fiel Korra ins Auge und sie setzte ihren Korb ab um sich zu der Winterlilie zu bücken, die dem Wetter zum Trotz in voller Blüte stand.
Erst in ihrer knieenden Position fiel ihr Blick auf den Grabstein.
Zur Hälfte von Ranken verdeckt stand er wie ein stiller Wächter unter der Kiefer. Die Jahre hatten den Stein an einigen Stellen schwarz verfärbt und mit Moos überzogen, aber die Inschrift war noch immer lesbar.
Geliebte Frau und liebevolle Mutter
Yasuko S: 130 AG – 158 AG
Respektvoll senkte Korra den Blick und murmelte einen Segensspruch. Sie fragte sich, was für eine Frau die junge Mutter wohl einst gewesen sein mochte.
Mit dem unwohlen Gefühl ein Störenfried auf dem kleinen, verwilderten Friedhof zu sein, warf sie einen letzten Blick auf das Grab, bevor sie ihren Korb wieder hochnahm und sich abwandte. Ihr Vater, der einst vom spirituellen Norden in den Süden gezogen war, hatte in ihrer Kindheit viele Geschichten über die Geisterwelt erzählt und so wusste sie, dass man um keinen Preis einen fremden Geist um seine Ruhe bringen durfte.
Bedauerlicherweise war einer bereits vor Ort, auch wenn seine Rüstung nicht im Entferntesten zu den transparenten Erscheinungen passte, von denen ihr Vater einst erzählt hatte.
"Eine ungewöhnliche Wahl für einen Morgenspaziergang."
Korra machte beinahe ein Satz in die Luft und der Korb mit dem Feuerholz glitt aus ihren Fingern und landete schmerzhaft auf ihren Füßen.
Amon stand am Eingang des kleinen Friedhofs, einen Arm hielt er hinter dem Rücken und mit dem anderen strich er beiläufig über das verwitterte Mauerwerk. In der frühen Morgendämmerung war es vor allem das Weiß der Maske, das aus den Grautönen der Umgebung hervorstach.
Erschrocken und überrumpelt von dem plötzlichen Erscheinen des Equalisten unterdrückte sie den Impuls sich in den Arm zu pfetzen um sicher zu gehen, dass dies kein Traum war. Wie auf der Stelle festgefroren sah sie zu, wie Amon den kleinen Friedhof durchquerte und schließlich ebenfalls vor der Kiefer stehen blieb. Seine Arme waren in der üblichen Position hinter seinem Rücken verschränkt, aufrecht in seiner Haltung und elegant mit jeder Bewegung, wirkte er an dem frühen Morgen wie aus dem Ei gepellt. Sie spürte wie sein Blick über ihre zerzausten Haare und verknitterte Uniform glitt und war plötzlich froh um das fahle Licht der Morgendämmerung, dass die Röte ihrer Wangen verbarg.
"Ich wusste nicht, dass es ein Friedhof ist", beeilte sie sich zu erklären und bückte sich um die Holzscheite vom Boden aufzulesen. Als sie sich wiederaufrichtete, überkam sie für einen kurzen Moment ein unerklärliches Déjà-vu Gefühl. Vorsichtig wagte sie einen Blick auf den Equalisten, doch falls er verärgert war, so merkte man es ihm jedenfalls nicht an. Seine Aufmerksamkeit galt dem Grabstein, vielleicht ein höfliches Zeichen, dass sie nun verschwinden sollte. Und das hätte sie auch nur zu gerne getan, doch als sie noch einmal einen Blick auf das Grab warf, formte sich urplötzlich ein Gedanke in ihrem Kopf, den sie aussprach, noch bevor sie ein zweites Mal darüber nachdenken konnte.
Geliebte Frau und liebevolle Mutter.
"War sie deine Frau?"
Noch im gleichen Atemzug biss Korra sich fest auf die Zunge. Es war eine unangenehm, unangenehm persönliche Frage. Aber es war zu spät um die Worte zurückzunehmen. 'Liebevolle Mutter' stand auf dem Grabstein geschrieben. War es möglich, dass der Equalist eine Familie hatte, Kinder? Amon der Familienvater, Amon der Geliebte. Die Vorstellung war so absurd und trieb ihr gleichzeitig die Farbe in die Wangen, als sie merkte, dass sein Blick auf ihr ruhte. Wenn sie es nicht besser wüsste, so würde sie sagen er war amüsiert.
"Nein", sagte er dann schlicht und Korra war beinahe erleichtert. Alles andere hätte vermutlich ihr Weltbild zerstört.
"Sie war jedoch mit einem Equalisten verheiratet. Ihr Mann erträgt es nicht, diesen Ort zu besuchen und hat ihn deswegen unserer Organisation zur Verfügung gestellt."
Korra runzelte die Stirn und blickte erneut auf das Grab. Es wäre vermutlich am besten gewesen, dass Thema damit abzuhaken und aus dem Gespräch zu entfliehen. Neugierde tötete den Katzenwels, hatte einer ihrer Bändigungsmeister zu sagen gepflegt. Aber ihr Interesse war bereits geweckt.
"Sie ist vor über zehn Jahren gestorben, vor der ganzen… Revolution. Wie kann sie dann mit einem Equalisten verheiratet gewesen sein?", fragte sie und ihre Stimme klang skeptischer, als sie es beabsichtigt hatte.
Es war seltsam ein Gespräch mit jemandem zu führen, dessen Mimik verborgen war. Korra hielt sich selbst nicht für den besten Menschenkenner, jedoch war sie vollkommen ratlos, was die Emotionen ihres Gegenübers anging. War es Neugierde, Spott, Verärgerung oder Gleichgültigkeit, was sich unter der Maske auf seinem Gesicht abzeichnete? Sie konnte nur seine Augen sehen und die waren unergründlich. Nervös zupfte sie an einem ihrer Jackenärmel.
"Genauer gesagt, war ihr Todestag die Geburtsstunde der Revolution."
Damit hatte sie nicht gerechnet. Überrascht flackerte ihr Blick erneut zu dem verwitterten Grabstein. Zu den sterblichen Überresten der Frau, die laut Amon einen Bürgerkrieg ausgelöst haben sollte. Es klang tragisch und romantisch, fast wie eine Geschichte aus den alten Schriftrollen, welche Meisterin Katara gerne gelesen hatte. Gleichzeitig war es aber auch Amon, der ihr diese Geschichte erzählte, was sie automatisch an dem Wahrheitsgehalt zweifeln ließ.
"Dann muss sie wohl eine ziemlich besondere Frau gewesen sein", hörte sie sich sagen.
Amon musterte sie einen Moment lang schweigend.
"Das war sie in der Tat. Jung und gutherzig, eine Nichtbändigerin." Seine blasse Augen schweiften von Korra zu dem Grab und wieder zurück.
"Gestorben vor ihrer Zeit."
Es lag etwas Klinisches in seinem Blick, so als würde er genau abschätzen, welche Reaktion sie auf die Geschichte zeigen würde und Korra fühlte sich mit einem Mal seltsam ertappt, so als könnte er jedes ihrer Geheimnisse von ihrem Gesicht ablesen, wenn sie noch länger in seine hellen Augen blickte. Nervös zupfte sie am Saum ihrer Jacke.
Amon schnalzte missbilligend mit der Zunge, dann griff er kurzerhand nach den verknitterten Manschetten ihrer Jackenärmel und krempelte sie beiläufig um. Überrumpelt von der plötzlichen Berührung unterdrückte Korra den Impuls ihren Arm reflexartig zurückzuziehen während gleichzeitig ein seltsamer Schauer ihren Arm hochjagte. Amons Augen waren unterdessen auf ihren Unterarm gerichtet, auf dem fast alle Farben des Regenbogens in Form von Blutergüssen vertreten waren.
"Vielleicht, kann dir ihre Geschichte eine Lehre sein", fügte er trocken hinzu und strich mit einem Daumen über die blauen und gelben Flecken. Korra schluckte und versuchte das seltsame Prickeln auf ihrer Haut zu ignorieren. Im nächsten Moment ließ er ihre Hand auch schon wieder los und Korra merkte erst jetzt, dass sie den Atem angehalten hatte. Als wäre nichts geschehen verschränkte Amon die Arme erneut hinter seinem Rücken und wandte sich wieder dem Grab zu.
"Vor vielen Jahren versuchte die Agni Kai Triade die Geschäfte von Yasukos Ehemann zu erpressen. Er war dafür bekannt Nichtbändiger einzustellen, was ihn zu einer beliebten Zielscheibe für die Bande machte. Der ehemalige Avatar war wenige Jahre zuvor gestorben und die Triaden fühlten sich mutiger denn je. Yasukos Familie weigerte sich jedoch auf die Erpressungen einzugehen, ich bat ihnen meine Hilfe an, die sie allerdings stolz ablehnten. Kurze Zeit später legte die Bande in einer Nacht ein Feuer in dem Haus der Familie. Yasuko ist bei lebendigem Leib verbrannt, bei dem Versuch ihre Tochter aus den Flammen zu retten."
Entsetzt weiteten sich Korras Augen und zugleich spürte sie eine irrationale Schuld in sich aufkeimen. Zu dem Zeitpunkt von Yasukos Tod war sie acht Jahre alt gewesen, im Trainingslager in der südlichen Tundra. Niemandem von Nutzen. Nicht, dass sie nun, in ihrem erwachsenen Alter von größerem Nutzen für die Bürger der vier Nationen war…
"Keiner der Verbrecher wurde je zur Rechenschaft gezogen. Die Polizei und der Stadtrat war und ist machtlos gegen die Triaden. Als Yasukos Ehemann dies erkannte, verpflichtete er sich meiner Sache. Wenn wir diesen Bändigern nicht das Handwerk legen, tut es keiner, Konna. Sie werden weiter Unschuldige erpressen, plündern und morden. Vergiss das nicht, wenn du das nächste Mal Mitgefühl mit einem dieser Gesetzlosen empfindest."
Korra runzelte die Stirn und öffnete den Mund um sich zu verteidigen. Es war nicht so, dass sie Mitleid mit Mördern hatte, so wie Amon die Dinge erklärte hörte es sich alles verdreht an. Doch bevor sie protestieren konnte, unterbrach der Equalist sie mit einer Handbewegung. Mittlerweile war die Sonne über die entfernten Bergspitzen gewandert und zum ersten Mal erkannte sie seine Augenfarbe. Grau.
"Es wird bald Zeit dich auf deine ersten Aufträge in Republica zu schicken. Kann ich darauf vertrauen, dass du mit dem nötigen Ernst bei dieser Unternehmung dabei bist?"
Dies war ein entscheidender Moment, dass war ihr bewusst. Mit klopfendem Herzen nickte sie bestimmt, wenngleich sich ihr Magen flau anfühlte. "Ich werde das nächste Mal nicht zögern", versprach sie leise.
"Ich schätze, dass werden wir sehen."
Bevor sie etwas erwidern konnte drückte Amon einen kleinen Gegenstand in ihre Hand. Sie sah zu, wie er sich abwandte und den verwilderten Weg des kleinen Friedhofs entlangschritt. Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tags erleuchteten seine braune Tunika in einem warmen Licht. Dann fand sie ihre Stimme wieder.
"Hat sie es geschafft?"
Amon hielt inne und warf einen Blick über seine Schulter.
"Hat sie ihre Tochter retten können? Yasuko", hakte Korra nach.
"Das Mädchen war zu dem Zeitpunkt des Feuers nicht in dem Haus."
Mit einem Kloß im Hals sah sie dem Equalisten nach, bis er aus ihrem Blickfeld verschwand. Der Himmel leuchtete am Horizont inzwischen in einem feurigen Orange und tauchte den grauen Wald in einen goldenen Glanz. Korra konnte jedoch die Schönheit nicht wertschätzen und spürte stattdessen ein mulmiges Ziehen im Magen. Es sah aus, als stünde der Himmel in Flammen.
Sie blickte hinab auf den Gegenstand in ihrer Hand.
Es war ein Schlüssel.
Als sie zur Feuerstelle zurückkehrte begrüßte Azok sie ein wenig verschnupft.
"Musstest du die Bäume erst pflanzen?", fragte er schnippisch aber verstummte, als er ihr blasses Gesicht sah. Er zeigte ihr daraufhin wie versprochen das Feuermachen, doch Korras Gedanken waren woanders. Immer wieder huschte ihr Blick zu der Kellerluke und mit Anspannung und einer guten Portion Beklommenheit wartete sie auf den Beginn des Trainings.
Der Kellerraum war bis auf die metallene Box leer. Eine Leuchtstoffröhre summte leise über Korras Kopf und spendete kühles bläuliches Licht. Widerwillig öffnete Korra das metallene Schloss woraufhin die Tür mit einem Klicken aufsprang. Augenblicklich schlug ihr ein intensiver Schweißgeruch entgegen und die feinen Härchen auf ihren Armen stellten sich.
Zusammengekauert auf dem Boden saß das bleiche Triadenmitglied mit dem Kopf zwischen seinen Knien versteckt.
Schweigend blickte Korra auf den Wasserbändiger herab.
"Hast du schon einmal jemanden umgebracht?", hörte sie sich fragen.
Der Mann hob den Kopf und als ihre Blicke sich trafen, blitzte Wiedererkennung in seinen kleinen blauen Augen auf.
Als Antwort spuckte er vor ihren Füßen auf den Boden.
Am Mittag ähnelte Korras Stimmung den grauen Gewitterwolken, die sich am Himmel zusammengebraut hatten. Es war der vielleicht härteste Tag ihres Trainings. Über Stunden drillte Amon bereits die Rekruten mit einer erbarmungslosen Härte, die ihnen trotz der Kälte den Schweiß auf die Stirn trieb. Korra wurde unterdessen das Gefühl nicht los, dass er es speziell auf sie abgesehen hatte.
Zerrissenheit. Das war das Gefühl, welches sie empfand bei dem Anblick des Wasserbändigers, den sie in den vergangenen Stunden wiederholt besiegt hatte. Yasukos Geschichte echote noch immer in ihrem Hinterkopf und der Gedanke an die gestrigen Erlebnisse am See erfüllte sie jedes Mal mit einer kathartischen Genugtuung, wenn sie die Chi-Punkte des Bändigers durchtrennte. Es verstieß gegen alles, was Tenzin ihr einst beigebracht hatte. Doch das Gefühl der Gerechtigkeit ebbte schnell ab und ließ sie zurück mit einer seltsamen inneren Leere.
Sie war also nicht sonderlich enttäuscht, als ein dunkler Transporter zur Mittagszeit anrollte und vor der Hütte parkte. Die Miene des Fahrers, der aus dem Wagen ausstieg war besorgt. Neugierig versuchte Korra das Gespräch zu überhören, welches zwischen ihm und Amon stattfand. Doch der Wind verschluckte ihre Stimmen, weshalb sie nur einige Gesprächsfetzen ausmachen konnte.
"Wir wissen nicht ob … Zustand ist … der Stadtrat hat soeben …".
Was auch immer der Fahrer Amon erzählte schien ihm nicht zu gefallen. Seine Haltung wirkte angespannt und Korras Vermutung bestätigte sich kurze Zeit später, als der Equalist sich an die Rekruten wandte.
"Packt eure Sachen. Wir kehren nach Republica zurück."
