A/N: … Lange ist es her, aber die Geschichte geht nun weiter. Die folgenden 3 Kapitel werden in Kürze folgen.


KAPITEL XIV

Die Abwesenden haben immer Unrecht.
- G. G. Casanova


Das ohrenbetäubende Tönen der Sirenen war bereits Meilen von Republica entfernt zu hören. Schwere Regentropfen prasselten gegen die Scheibe und verschleierten Korras Sicht, als der Wagen schließlich die Außenbezirke der Stadt erreichte. Auf den Straßen herrschte Chaos. Das Geräusch quietschender Reifen und die Ausrufe aufgebrachter Passanten erschufen eine Kakophonie, die Korra in den Ohren schmerzte. Die allgemeine Anspannung in der Luft war geradezu greifbar und als der Wagen schließlich zum Stillstand kam, war Korra innerlich bereits auf einen Straßenkampf vorbereitet. Sobald sie aus dem Transporter kletterte, erkannte sie jedoch die vertraute rote Tür des Buchladens. Innerhalb weniger Sekunden im Regen war sie bereits bis auf die Knochen durchnässt. Eine Gestalt trat durch die Tür nach draußen; Tomo.

Ohne Umschweife bugsierte er die Gruppe in das Innere des Buchladens, wo es nach Tee roch und sich Regale mit verstaubten Büchern aneinanderreihten. Der Eigentümer, ein älterer Mann mit krausem Bart saß hinter der Theke und schien eilig damit beschäftigt zu sein etwas auf ein Stück Papier zu kritzeln.

"Der Stadtrat führt in mehreren Stadtteilen Razzien durch", sagte Tomo unverblümt und Korras Blick huschte zu Amon um seine Reaktion abzuschätzen. Seine Haltung blieb jedoch unverändert.

"Was wissen wir über diese Durchsuchungen?", fragte er milde.

Tomos Blick flackerte für einen Moment zu den Rekruten, bevor er wieder auf Amon landete.

"Sie waren an den meisten öffentlichen Plätzen. Im Stadtpark, in den Obdachlosenheimen. Sie haben auch auf den Straßen Personen kontrolliert, unter anderem im Viertel des Wasserstamms. Außerdem haben sie die Kanalisation durchsucht."

"Sie waren im Rattenweg?"

"Es scheint so. Zum bisherigen Zeitpunkt haben sie keine privaten Gebäude durchsucht, weshalb wir unsere Leute zum größten Teil nicht evakuiert haben. Es ist unwahrscheinlich, dass wir das Ziel dieser Razzien sind. Bisher können wir nur spekulieren, es schwirren eine Menge Gerüchte durch die Stadt, aber unsere Quellen konnten noch nichts bestätigen."

Amon schwieg einen Moment. Er faltete die Arme hinter seinem Rücken und wandte sich von Tomo ab, zu dem kleinen Fenster, welches zur Straße gerichtet war.

"Und was besagen diese Gerüchte?"

Tomo zögerte und sein Blick flackerte erneut zu den Rekruten, als würde er bevorzugen das Gespräch unter vier Augen weiterzuführen.

"Nun…", fing er zögerlich an.

"Nun?"

"Es heißt, sie suchen nach dem Avatar", beendete Tomo stirnrunzelnd seinen Satz. Mit einem Mal wurde es ausgesprochen still in dem kleinen Laden. Selbst die Feder des eifrigen Buchhändlers erstarrte mitten in der Bewegung. Korra erbleichte. Als wäre ein Zauber gebrochen, kam sie sich plötzlich schrecklich entblößt vor. Als könnte jeder, der sie ansah nun ohne weiteres ihre wahre Identität erkennen. Mit klopfendem Herzen senkte sie ihren Blick auf ihre Füße, während die Haut in ihrem Gesicht prickelte. Durch die Wände des Geschäfts sickerte noch immer das gedämpfte Surren der Sirenen.

Amon war der erste, der nach einer kurzen Stille wieder das Wort ergriff.

"Sie ist also noch in der Stadt", sinnierte der Equalist leise und an niemanden gerichtet.

Korra schloss die Augen. Drei Tage war es her, seit der Orden des Weißen Lotus sie in der Stadt gesichtet hatte. Doch niemals hätte sie erwartet, dass der Orden solche Konsequenzen ziehen würde.

"Es scheint so", erwiderte Tomo, "Falls die Gerüchte stimmen, falls der Avatar sich tatsächlich noch in Republica aufhält… wie werden wir dann vorgehen?"

Alle Augen richteten sich auf Amon, dessen Blick noch immer nach draußen gerichtet war. Das blasse Profil seiner Maske wurde in unregelmäßigen Abständen von hellem Scheinwerferlicht erleuchtet.

"Wir werden gar nichts tun", sagte er ruhig.

Korra runzelte überrascht die Stirn und auch Tomos Stirn lag in tiefen Furchen. Für einen Moment sah es aus, als würde er seinem Anführer wiedersprechen wollen. Doch bevor er etwas erwidern konnte, wandte Amon sich zur versammelten Gruppe.

"Ich sorge mich nicht um den Avatar. Ohne seine Bändigungskräfte ist er wehrlos und wird uns so schnell keine Probleme bereiten. Während die Polizei ihre Ressourcen vergeudet, werden wir unsere Ziele nicht aus den Augen verlieren. Zeigen wir den Bürgern dieser Stadt, dass wir uns um ihre Belange kümmern und nicht einem Relikt hinterherjagen."

Korra musterte Amon, der von der ganzen Situation noch immer unberührt wirkte und fragte sich unwillkürlich, was es wohl brauchte, um den Mann aus der Fassung zu bringen. Es erfüllte sie nicht gerade mit Stolz, dass Amon sie so einfach als ungefährlich abschrieb – wehrlos, pah! – aber die Furcht, die sie zuvor überkommen hatte, legte sich ein wenig, ab seinen Worten. Das letzte, was sie gebrauchen könnte, wäre, wenn die Equalisten sich an der Suche nach ihr beteiligen würden.

"Tomo, du wirst mich zum Hauptquartier begleiten. Ich möchte, dass alle Truppen vor Sonnenaufgang einsatzbereit sind."

Amons blasse Augen schweiften kurz über die versammelten Rekruten, die ihn allesamt mit großen Augen anblickten. "Die Zeit ist gekommen, um euren Dienst für die Stadt unter Beweis zu stellen. Auch wenn ihr noch eine Menge lernen müsst, habe ich großes Vertrauen in eure Fähigkeiten. Sobald die Polizei abgezogen ist, werden wir die betroffenen Stadtteile aufsuchen. Ihr solltet euch besser erholen, es wird eine kurze Nacht werden. Koh, wenn du so freundlich wärst unsere Gäste nach oben zu begleiten?"

Der Buchhändler sah von seinen Notizen auf und neigte den Kopf.

Während Azok und Chan bereits auf die Treppe zum oberen Stockwerk zusteuerten, trugen Korras Füße sie automatisch zur Eingangstür.

Auf den Straßen wird es vor Polizisten nur so wimmeln… aber Mako ist irgendwo dort draußen.

Sie klammerte sich an den Gedanken wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring, während sie sich gefasst machte, ins Auge des Sturms zu treten. Ihre Hand legte sich um die Klinke. Vielleicht konnte sie Mako aufspüren, vielleicht konnte sie –

Sie hatte die Tür gerade einmal einen schmalen Spaltbreit aufgezogen, da schnellte plötzlich ein anderer Arm an ihr vorbei und drückte entschieden gegen das Holz. Geräuschvoll schnappte die Tür wieder zu und Korra wurde aus ihrer Trance gerissen. Sie hob den Blick und fand sich Angesicht zu Angesicht mit der weißen Maske wieder. Amons Augen verengten sich, während er auf Korra herabblickte.

"Habe ich mich unklar ausgedrückt, Rekrut?"

Der Equalist überragte sie um eine Kopflänge. Eingesperrt zwischen der Tür und Amons Körper blieb ihr nichts anderes übrig, als auf der Stelle zu verharren. Zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Ausbildung wirkte Amon verärgert. Missbilligung lag unmissverständlich in seinem tadelnden Blick und Korra fragte sich unweigerlich, was sie getan hatte, um seine Missgunst auf sich zu ziehen.

"Geh nach oben. Niemand von euch verlässt heute Nacht dieses Gebäude", verkündete er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch zuließ.

Korra schluckte und nickte widerwillig. Für einen langen Moment starrten sie einander an, bis mit einem Mal die übliche Contenance in Amons Augen zurückkehrte und er seinen Arm sinken ließ, sie freigab. Korra zögerte nicht lange, sondern machte auf dem Absatz kehrt und folgte den anderen Rekruten zur Treppe. Sie spürte deutlich wie Amons Blick ihr folgte, sich in ihren Rücken bohrte, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden war.

In ihrem Kopf überschlugen sich noch immer die Gedanken, während sie wie betäubt den Stimmen der anderen folgte.


Der Dachstuhl war warm und trocken. In einem kleinen Kamin prasselte ein munteres Feuer, welches tanzende Schatten in den Raum warf. Es war gemütlicher, als Korra es erwartet hatte. Vor dem Kamin waren Sitzkissen ausgebreitet und dahinter stand ein einladendes Sofa. Im hinteren Teil des Raums waren die Schlafstätten einiger Rekruten ausgebreitet, Azok, und Chan hatten sich dort schon vor Wochen einquartiert. Korra tauschte einen Blick mit Sona, die still und genauso ratlos im Eingang des Raums stehen geblieben war. Das Mädchen schien sich unwohl zu fühlen und spielte nervös mit ihren braunen Zöpfen.

"Rechts dort hinten ist das Badezimmer", erklärte der Buchhändler und deutete auf eine Tür, die Korra noch nicht aufgefallen war.

Dankbar steuerte sie darauf zu und erst als die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war und sie den Schlüssel umgedreht hatte, erlaubte sie sich ihre stoische Maske abzulegen. Es war ein kleiner Raum und mit einem kurzen Blick nahm sie sein Inventar auf. Eine Dusche, ein Klo, ein Waschbecken mit Spiegel und sogar eine Badewanne.

Ihre Hände umklammerten das kühle Porzellan des Waschbeckens während sie um Kontrolle rang. Sie konnte die Angst nicht leugnen, die sich in einem eisernen Griff um ihr Herz gelegt hatte. Hört es denn nie auf, fragte sie sich im Geiste. Die Paranoia, das ständige über die Schulter schauen.

Der Blick in den Spiegel erforderte Überwindung. Ihre dunklen Haare waren im Nacken verknotet. Eine Kruste aus Schweiß und Dreck gab ihrem Gesicht eine markante Kontur, doch ihre Augen leuchteten ihr unerwartet hell entgegen. Wenn doch nur der Blauton ein anderer wäre, weniger auffällig.

Korra vergewisserte sich, dass die Tür hinter ihr abgeschlossen war, dann schälte sie sich aus ihrer Jacke. Der Stoff fiel mit einem leisen Rascheln auf den Boden, dicht gefolgt von ihrer roten Schärpe, ihrer Hose und dem Rest ihrer nassen Uniform. Für einen Moment betrachtete sie die blasse Narbe an ihrer Schulter, die von Pings Feuerball zurückgeblieben war, dann stieg sie in die Dusche. Das heiße Wasser bohrte sich wie feine Nadeln in ihre kalten Glieder und Korra schauderte.

Nachdem sie sich ausgiebig sauber geschrubbt und ihre Haare mithilfe eines Kamms entwirrt hatte, blieb ihr nichts anderes übrig als erneut in ihre feuchten Kleider zu schlüpfen. Als sie das Badezimmer verlies, fühlte sie sich wieder einigermaßen gefasst. Die anderen Rekruten saßen um den Kamin versammelt und Korra gesellte sich zu ihnen.

Als Benjiros Blick auf sie fiel, weiteten sich seine Augen. Versteinert blieb Korra stehen und hob alarmiert eine Hand zu ihrem Gesicht.

"Was ist?", fragte sie mit aufwallender Panik. Er wird doch nicht…

"Nichts, gar nichts", beeilte Benjiro sich ihr zu versichern, während ein Hauch von Pink sich auf seine Wangen stahl.

Azok, der den Austausch überhört hatte, grinste amüsiert.

"Für uns brauchst du dich doch nicht so herausputzen, Sonnenschein, du verdrehst dem armen Benjiro ja noch den Kopf."

Korras Augenbrauen fuhren in die Höhe, während gleichzeitig eine Anspannung von ihr abfiel. Dann schnaubte sie auf eine nicht sehr damenhafte Weise und lies sich im Schneidersitz nieder.

Glücklicherweise lies Azok schnell ab und die Rekruten fingen an voller Tatendrang über den morgigen Tag zu diskutieren.

"Ich kann es kaum erwarten endlich mal raus aus dem Keller zu kommen und ein wenig Praxiserfahrung zu sammeln."

"Hm", murmelte Benjiro und streckte seine Schultern bis sie knackten. "Wir wissen noch nicht, was unsere Aufgabe sein wird. Vielleicht werden wir nur die Nachhut bilden, den anderen Equalisten hinterherputzen, ihnen Tee kochen…"

"Bitte nicht", entrüstete sich Chan. Auf Azoks Gesicht breitete sich jedoch ein amüsiertes Lächeln aus, als hätte er gerade an eine lustige Erinnerung denken müssen.

"Jedenfalls sollten wir versuchen Amon nicht im Weg zu stehen." Azoks Augen richteten sich auf Korra und er hob mahnend einen Finger. "Für heroische Rettungsaktionen wird der Gute morgen vermutlich keine Zeit haben, also hältst du dich besser von jeglichen knietiefen Gewässern fern."

Korras Augen verengten sich gefährlich.

"Achtung, Azok", gluckste Chan, "du bewegst dich auf dünnem Eis."

Azok und Chan kicherten und Korras düsterer Blick wankte. Die Erinnerung an den unliebsamen Tag trieb noch immer die Farbe in ihre Wangen.

Für eine Weile entwickelte sich das Gespräch der Rekruten zu einem angenehmen Hintergrundgeräusch und Korra gelang es ihre bedrückenden Gedanken zu ignorieren. In dem trockenen Dachstuhl vor dem warmen Kamin konnte sie beinahe vergessen, was für ein Sturm draußen durch die Straßen der Stadt fegte. Aber dann nahm die Unterhaltung eine Wendung, welche Korra am liebsten vermieden hätte.

"All dieser Zirkus nur für den Avatar", sagte Chan abfällig, während das Horn eines vorbeirauschenden Streifenwagens seine Worte untermalte. "Ich habe gehört, sie wäre schon längst auf den Vulkaninseln verschwunden."

"Nein, die ist zum Südpol zurückgekehrt und versteckt sich in ihrer eisigen Burg unter dem Rockzipfel des Weißen Lotus", erwiderte Azok mit einem trägen Grinsen ohne von seiner Tasse aufzuschauen.

"Das arme Ding, was wird sie bloß den lieben langen Tag tun, ohne Pressekonferenzen und Probändigerspiele?"

Mit versteinerter Miene blickte Korra in die Flammen, die an den Wänden des Kamins leckten und schwieg. Die Rekruten hatten nie einen Hehl um ihre Bändigerfeindlichkeit gemacht. Ihre Bändigerfeindlichkeit war schließlich der Grund, weshalb sie alle hier waren. Da lag es auf der Hand, dass auch der Avatar nicht hoch im Kurs bei ihnen stehen würde. Und doch spürte Korra einen verräterischen Stich im Herzen, während ihre Augen zu Azok streiften und sie spürte, wie das zarte Band der Kameradschaft in ihrer Brust verkümmerte. Ernüchtert straffte sie die Schultern. Sie hatte sich von Anfang an vorgenommen, keine Freundschaft zu ihren Kameraden aufzubauen, aber in den letzten Tagen war es beinahe einfach gewesen diesen Vorsatz zu vergessen.

"Warum meint ihr ist sie abgehauen?", fragte Benjiro nachdenklich in die Runde.

"Ach, das ist einfach. Sie wurde vor der ganzen Stadt bloßgestellt, das hat ihr Ego nicht verkraftet."

Mit zusammengebissenen Zähnen, versuchte Korra die Stimmen auszublenden, während das Blut in ihren Ohren pochte. Die Geschichten um den verlorenen Avatar hatten längst ein Eigenleben entwickelt. Während die anderen weiterdiskutierten, versuchte Korra das intensive Verlangen zu unterdrücken, die Rekruten mit der Wahrheit zu belehren. Während sie im Stillen noch immer verbittert über die Ungerechtigkeit der Situation grollte, erstarb die leise Musik, die aus Chans Radio geplätschert war und wurde ersetzt durch eine Stimme, die zu leise war, um sie zu verstehen.

Es dauerte einen Moment, ehe die Rekruten die plötzliche Stille bemerkten.

"Wer hat den Sender gewechselt?", beschwerte sich Chan, bevor er aufblickte und sah, dass das Radio noch immer unberührt an seinem Platz stand.

"Mach das mal lauter", forderte Azok, der sich vorgelehnt hatte um die Stimme besser zu verstehen.

"Wir unterbrechen unser Abendprogram heute wegen einer Eilmeldung. In Kürze werden wir die Pressekonferenz von Ratsmitglied Tarrlok übertragen…"

Die Rekruten tauschten überraschte Blicke. Für einige Sekunden drang nichts als Statik aus den Lautsprechern des Geräts, dann ertönte eine allglatte Stimme, die Korra nicht vermisst hatte.

"Im Namen des gesamten Stadtrats wende ich mich mit großem Bedauern an die Bürger und Bürgerinnen dieser Stadt. Ich möchte ihnen die Wahrheit über die heutigen Ereignisse nicht verschweigen. Vor wenigen Tagen wurde Avatar Korra in Republica gesichtet. Wie bereits bekannt, ermittelt die Polizei schon seit Wochen um ihr ungeklärtes Verschwinden aufzudecken. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass der Avatar entführt wurde… Doch nun in den letzten Tagen haben wir Antworten auf Fragen erhalten, von denen ich gehofft habe, sie nie stellen zu müssen. Amon und seine Schergen haben dem armen Mädchen mehr geraubt, als nur ihre Bändigungskräfte…"

Tarrlok legte eine schwere Pause ein und lies den Satz unvollendet in der Luft hängen, eine Andeutung an Dinge, die zu finster waren um sie auszusprechen.

"Mit schwerem Herzen muss ich ihnen mitteilen, dass es schlecht um Avatar Korras Zustand steht. Ihr Geist ist umnachtet, zerbrochen an den Schandtaten, die man ihr angetan hat. Sie stellt in ihrem jetzigen Zustand sowohl für sich selbst, als auch für andere eine Gefahr dar. Wir bitten deswegen darum jegliche Hinweise auf ihren Aufenthaltsort direkt der Polizei mitzuteilen. Ich wiederhole, bitte versuchen sie für ihre eigene Sicherheit nicht sich selbst dem Avatar zu nähern. Gehen sie mit Hinweisen unverzüglich zur Polizei. Informationen, die zu Avatar Korra führen werden mit vierzig tausend Yuan entlohnt.

In dieser dunkelsten Stunde, die diese Stadt je erleben musste, möchte ich an die Werte erinnern, auf denen Republica einst erbaut wurde. Es war Avatar Aang, der die Vision einer Stadt verfolgte, in der Menschen aller vier Nationen in Frieden und Harmonie zusammenleben. Wem schulden wir es, wenn nicht ihm, seiner Nachfolgerin mit allen Mitteln zu helfen. Solange ich Stadtrat bin, werde ich alles in meiner Macht Stehende tun um die Verbrechen Amons zu sühnen. Wir werden nicht zulassen, dass eine Bande feiger Terroristen unsere wundervolle Stadt in Geiselhaft nimmt! Wir werden nicht zulassen, dass die Verbrechen an Avatar Korra unbestraft bleiben. Wir müssen uns als Stadt, als Einheit, denen entgegenstellen, die versuchen die Säulen Republicas zum Einsturz zu bringen! Um den Equalisten endgültig das Handwerk zu legen, erlasse ich deshalb mit sofortiger Wirkung eine Ausgangssperre für alle Nichtbändiger ab zweiundzwanzig Uhr. Versammlungen von Nichtbändigern sowie das Campieren auf öffentlichen Plätzen wird zugunsten der öffentlichen Sicherheit ebenfalls untersagt. Ich versichere ihnen, dass Amon und seine Schergen sich schon bald vor einem Tribunal verantworten müssen. Jeder der ihre kriminelle Vereinigung mit etwaigen Mitteln unterstützt, macht sich ebenfalls strafbar. Ich bedanke mich für ihr Verständnis und stehe ihnen gerne für weitere Fragen bereit."

Ein Wirrwarr aus Stimmen drang aus dem Radio, während jeder Reporter anscheinend gleichzeitig versuchte dem Stadtrat eine Frage zu stellen.

In Korras Kopf klingelte es und ihre Hände bebten vor Wut.

Wie kann er es wagen.

"Diese Wieselratte", schimpfte Azok mit rotem Kopf. "Er stellt Amon praktisch als, als… Vergewaltiger dar um uns Nichtbändigern noch mehr Rechte zu nehmen!"

"Eine Ausgangssperre!"

Die anderen Rekruten verfielen ebenfalls in Schimpftriaden, bis auf Sona, die stumm und leichenblass daneben saß.

Korras Kiefer malmte, während eine Welle der Wut nach der nächsten über sie hereinbrach. Abwechselnd heiß und eiskalt. Die Lügen, die Schande, die Schmach. Es war zu viel. Die Rekruten merkten in ihrer eigenen Rage gar nicht, wie Korra ruckartig aufstand und mechanisch aus dem Raum marschierte.


Die Lichter der Scheinwerfer erleuchteten die Scheiben des Fensters in unregelmäßigen Intervallen. Korras Augen folgten einem schwarzen Wassertropfen, der über das Glas kullerte. Der Asphalt der Straßen unter ihr glänzte nass und reflektierte die blauen und roten Lichter der vorbeirauschenden Polizeitransporter. Korra stand im Halbdunkeln des Treppenhauses und beobachtete das Treiben auf der Straße, ohne wirklich hinzusehen. Das Wissen, dass alle Einwohner der Stadt, ihre Freunde und Familie inbegriffen, nun glaubten, sie habe den Verstand verloren war unerträglich. Fast genauso schlimm war, wie Tarrlok ihr Verschwinden schamlos für seine Zwecke instrumentalisiert hatte. Auch wenn Korra Tarrlok keineswegs vertraut hatte, so hatte sie doch nicht erwartet, dass der Politiker mit solcher Ruchlosigkeit seine Ziele verfolgte. Außerdem stand eines nun sicher fest: Der Stadtrat und der Weiße Lotus arbeiteten zusammen. Und da der Stadtrat die Polizei kontrollierte, würde es schwierig werden einen Verbündeten in der Stadt zu finden.

Erschöpft lehnte Korra ihren schweren Kopf gegen die kühle Fensterscheibe.

Zwei Männer in Uniform auf Patrouille traten in ihr Blickfeld, bevor sie wieder hinter der nächsten Straßenecke verschwanden. Sie musste an Mako denken, der in diesem Moment dort draußen war, in einem Transporter oder auf der Straße. Nah und gleichzeitig unerreichbar.

Etwas Weiches strich plötzlich um ihre Knöchel und Korra machte beinahe einen Satz in die Luft. Zu ihren Füßen hatte sich unbemerkt eine schlohweiße Maderkatze angeschlichen, deren fluffiger Schwanz spielerisch um Korras Knie strich. "Yue, hast du mich erschreckt", sagte Korra und streckte dem Tier vorsichtig eine Hand entgegen. Die Maderkatze blickte Korra aus aufmerksamen, grünen Augen entgegen, die so anders waren als die dunklen, treuen Augen Nagas. Misstrauisch beäugte Korra die kleinen, scharfen Fangzähne des Tiers und zog vorsichtshalber ihre Hand zurück.

"Ach, da bist du ja Fräulein Maho."

Korra wandte sich um und erblickte den Eigentümer des Buchladens am Fuße der Treppe stehen. Die weiße Maderkatze stolzierte ihm entgegen, machte einen Satz auf seine Schulter und rollte sich dann wie ein Schal um den Hals des alten Manns. Dort thronte sie und blickte feixend auf Korra herab.

"Wie ich sehe hast du bereits mit der Dame des Hauses Bekanntschaft gemacht", sagte der Buchhändler mit einem kleinen Lächeln und erklomm die Treppenstufen.

"Ich fürchte sie mag mich nicht besonders", sagte Korra.

"Ach, sie ist Fremden gegenüber nur schüchtern", erklärte er und kraulte das Tier liebevoll hinter den Ohren.

"Sie weiß schließlich nicht, was du und die restlichen Rekruten für uns und diese Stadt alles leisten."

Die grünen Augen des alten Mannes waren bereits vom Alter getrübt, aber sein Blick war mindestens genauso scharfsinnig wie der seines Haustiers.

Korra zwang sich zu einem müden Lächeln.

"Dein Name war Kho, richtig?"

"Kho, wie…"

"Der böse Geist?", beendete der Buchhändler ihren Satz mit gehobener Augenbraue. "Meine Eltern müssen geglaubt haben, dass ich einmal ein großer Abenteurer werden würde. Stattdessen habe ich meine Leidenschaft in Büchern und alten Schriftrollen gefunden. Ich sehe mich selbst als Meister der Worte. Das Kämpfen mit Fäusten überlasse ich lieber anderen."

Korra nickte und ihr Blick schweifte wieder zum Fenster.

"Worte können auch mächtig sein", gab sie zu bedenken.

"Du hast Tarrloks Rede gehört", stellte der alte Mann fest.

Korra nickte.

"Es war ein äußerst cleverer Schachzug des Stadtrats, man hätte fast meinen können, dass ihm das Wohl des verschollenen Avatars tatsächlich am Herzen liegt.

"Wird die Stadt … das alles einfach so glauben?", fragte Korra zögerlich.

"Was? Das Amon den Avatar geschändet hat, sie in den Wahnsinn gefoltert hat? Das Tarrlok eine Ausgangssperre nur zum Schutz der Stadt ausruft? Schwer zu sagen, es wird die Stadt jedenfalls verunsichern. Und Tarrlok wird sich nur zu gerne zum Retter Republicas küren. Ich habe die Befürchtung, dass es kein guter Tag für unsere Sache war. Obwohl die Ausgangssperre uns vermutlich neue Rekruten bescheren wird…"

Der Buchhändler seufzte und trat ans Fenster.

"Wusstest du, dass Republica einmal Kranichfisch hieß? Eine einzelne Straße mit drei Läden, die das Erdkönigreich mit Meeresfrüchten belieferte. Ich bin vor über fünfzig Jahren in dieser Stadt angekommen und habe gesehen, wie sie von einem Fischerdorf zu einer Metropole herangewachsen ist. Aber ich kann mich in all diesen Jahren nicht daran erinnern, dass der Stadtrat sich jemals so offen gegen die eigenen Bürger gewendet hat."

Für eine Weile standen sie schweigend nebeneinander an dem Fenster und blickten nach draußen. Dann legte der alte Mann väterlich eine Hand auf Korras Schulter.

"Es ist wohl besser, wenn du dich jetzt ausruhst. Morgen gilt es schließlich die Scherben aufsammeln."