Giselle

Es war ein schöner Tag, sonnig aber nicht zu warm, eine angenehme Brise erfrischte die Luft.

Ein zu schöner Tag um ihn drinnen zu verbringen, so dachte auch Remus Lupin. Wer wusste schon wann ein solcher tag wiederkam oder ob diesen überhaupt erleben würde, wenn er wiederkehren würde. In der Hand ein Buch und eine dünnen schäbigen Jacke über den Schultern durchwanderte er den kleinen Park in der Nähe des Grimmauldplatzes.

Dieser so genannte Park bestand aus einer alten Bank, die schon knarrte, wenn man sich auf sie setzte. Doch direkt darüber und das war genauso verwunderlich wie schön, ragten die Zweige eines Kirschbaumes gen Himmel. Gerade jetzt war es so schön wie noch nie anzusehen, mit seinen blassrosa Blüten.

Sirius hatte ihm einmal die Geschichte dieses Baumes erzählt. Ein junges Mädchen, die Tochter zweier reicher Politiker aus dem Ministerium für Zauberei und Hexerei, soll als 9- jährige hier einen Kirschkern vergraben haben und daneben ein totes Rotkelchen, an dem es sehr gehangen hatte. Jeden Tag kam sie zu dieser Stelle um zu sehen wie weit das Pflänzchen schon sei. Das ging circa drei Jahre so, bis die Familie verschwand. Sirius hatte das Mädchen gekannt, hatte sogar oft mit ihr gespielt oder sie zu kleinen Ausflügen durch London mitgenommen. Sie war einer der wenigen Lichtblicke in seiner Jugend gewesen, neben seinen Freunden. Sie war so alt wie er gewesen.

Remus schluckte schwer. Der Gedanke an Sirius tat weh, es war noch kein ganzes Jahr her, seit er in den Torbogen in der Mysteriumsabteilung gestürzt war und nicht wiederkehrte. Das Buch in seiner Hand war das Tagebuch Siriuss, niemand hatte gewusst, dass er eines führte und selbst Remus hatte es erst vor zwei Tagen unter einer Diele im ehemaligen Schlafzimmer seines Freundes gefunden. Obwohl es weh tat, dass Sirius nun nicht mehr in diesem Zimmer weilte, war es doch ein Ort der Zuflucht für Remus, wenn er nicht mehr weiter wusste, kam er hier her. Durch einen Zufall war die Diele genau an der Stelle zerbrochen, unter der das Tagebuch lag. Bisher hatte er noch nicht hineingelesen.

Es lag kein bestimmter Grund dafür vor weshalb er das Tagebuch hier lesen wollte.

Seufzend setzte er sich auf die alte Bank unter den Kirschbaum. Skeptisch und abwägend, ob es klug wäre in den geheimen Gedanken seines besten Freundes zu lesen. Dabei zitterten seine Knie nervös auf und ab, mit den Händen und dem Buch darauf. Ein beschrifteter Umschlag löste sich aus den Seiten und fiel auf den Boden. Remus hob ihn auf und las was auf dem Umschlag stand: „ Giselle Turner- Wood".

Giselle Turner- Wood? Diesen Namen hatte er noch nie gehört, nie war er über Siriuss Lippen gekommen. Wieder sah er abwägend aus, doch dann öffnete er den Brief einfach, auch wenn es nicht seine Art war, die Briefe seiner , vor allem wenn sie geheim waren, zu lesen. Logisch, denn wenn sie geheim waren, konnten ja nur der Empfänger und der Adressat von diesem Brief wissen und sonst keiner.

Tief einatmend öffnete er den Inhalt, der aus einer Seite bestand, beidseitig und in großer Schrift geschrieben.

„ Liebste Giselle,

ob dieser Brief dich erreicht oder nicht, möge das Schicksal entscheiden.

Wenn ich sterbe, aber dennoch jemand diesen Brief, durch einen glücklichen Zufall findet. So sollte dieser Brief dich erreichen, denn er ist für das gelingen unseres Sieges gegen Lord Voldemort beinahe unverzichtbar. Bisher jedoch hatte ich Angst davor diese Waffe zu benutzen denn sie gefährdet nicht nur den Gegner sondern auch denjenigen der sie anwendet.

Ich hielt es für richtig dir den Schlüssel zu geben, der Zugang zu dieser Waffe verschafft. Meinen Freunden habe ich ihn mit Absicht nicht gegeben, denn es will sehr gut überlegt sein, die Waffe zu benutzen. Besonders James und Peter hätten höchstwahrscheinlich überreagiert, bei Remus bin ich mir da nicht so sicher, aber ich denke hätte er genau gewusst wie gefährlich diese Waffe ist, hätte er sie nie benutzt. Es ist gut den Schlüssel bei dir aufzubewahren.

Neben meinen Freunden bist du mein Engel, den ich nie vergessen werde, egal ob ich tot oder lebendig bin, mein Geist wird immer bei dir sein.

Da meine Tochter ja recht wenig von mir hat, denn dafür ist sie einfach viel zu schön, wird es wohl nur mein bloßer Gedanke an dich sein, der dich durchs Leben begleitet. Lass sie mit derselben Weisheit und Lebensphilosophie aufwachsen, die dir ebenso eigen ist, nur unseren jungendlichen Leichtsinn, den sollte sie nicht vermittelt bekommen.

Es tut mir Leid dass Robyn nie ihren Vater kennen gelernt hat , aber die Momentane Lage erschwert das ein wenig. Ich hoffe mein Weihnachtskind hat einen liebevollen Ersatzvater, denn ich würde es ihr nicht wünschen gänzlich ohne Vater aufwachsen zu müssen und auch du sollst nicht allein leben, denn das wäre das Schrecklichste.

Gib meiner Tochter einen Kuss von mir und lass dich durch diesen Brief geküsst sein.

In Liebe, dein Sirius Black, der Gefangene von Azkaban.

Remus wurde beinahe schlecht dabei als er diesen Brief las.

Nie hatte Sirius davon erzählt, er habe eine heimliche Jugendliebe oder gar eine Tochter mit dieser. Nie war davon ein Wort gewesen. Hatte Sirius also selbst vor seinen besten Freunden ein Geheimnis. Es war unverständlich.

„ Mein Gott Sirius, musst du mir sogar nach deinem Tod noch Geheimnisse aufgeben?", fragte Remus resigniert und wütend.

Doch was für eine Waffe war das, von der er da sprach? Widerwillig musste er sich eingestehen, dass er erst diese Giselle finden musste um das zu erfahren und zweifelsohne würde er dann auch Robyn, seine Tochter kennen lernen.

Eine Tochter namens Robyn? Robyn? War nicht der Vogel, der hier mit dem Kirschkern vergraben worden war, ein Rotkelchen gewesen? Robyn, richtig Robin geschrieben, bedeutete Rotkelchen.

War also dieses Mädchen, dass den Vogel hier begraben hatte, auch die Mutter von Siriuss Tochter. Es könnte sein, denn die Assoziation war eindeutig auf das Rotkelchen bezogen. Vogel und Mädchen hatten denselben Namen. Giselle und das Mädchen mit dem Rotkelchen waren also ein und dieselbe Person, sie war sein Lichtblick gewesen.

Doch Sirius war unverschämt gemein, er hatte keine Adresse auf den Umschlag geschrieben. Es war also des Lesers Sache, diese zu ermitteln. Ergo, Sirius hatte damit gerechnet, dass jemand den Brief las und er hatte die Geschichte mit Absicht beim großen Abendessen erzählt und zwar so dass sie jeder mitbekommen hatte, jedes Ordensmitglied. Niemand hatte gewusst was er damit sagen wollte. Er eine Vorsorge also, falls er überraschend sterben sollte. Nur derjenige der aufmerksam zugehört hatte und sich alles merken konnte, würde auch die Adresse und damit den Schlüssel finden können.

„ Was für ein ausgefuchster Hund", grinste Remus leicht. Sirius ließ ihn also nicht allein, er gab ihm noch ein paar Rätsel auf, obwohl es eher Zufall war dass er den Brief gefunden hatte.

Zufall oder doch Schicksal, das hing zu sehr aneinander, als dass man es auseinander halten könnte.