Zusätzliche Warnings: Hygiene-Fragen, Exkremente + Verdauungsbeschwerden


III.


Am Ende vom Tag konnte man sich immer nur auf sich selbst verlassen, daran war Tobio im Laufe seines Lebens immer wieder auf schmerzhafte Weise erinnert worden.

Seine Eltern waren nie für ihn da gewesen, seine Schwester hatte ihn verlassen, sein Großvater war ihm einfach weggestorben, seine Freunde hatten ihn in der Mittelschule im Stich gelassen, und sein Volleyball-Team und seine Senpais ebenfalls, und am Ende der Mittelschule war sogar niemand mehr da gewesen um seine Bälle anzunehmen. Sie hatten einfach alle damit aufgehört ihm den Rücken frei zu halten, sogar sein Coach hatte ihn auf die Bank befohlen anstatt sich für ihn einzusetzen. Damals bei jenem Match hatte Tobio jeden Glauben an die Menschheit, den er noch besessen hatte, endgültig verloren. Damals war ihm klar geworden, dass es ein Fehler war sich auf andere zu verlassen, und dass er sich nur auf sich selbst verlassen konnte.

Doch dann war die Oberstufe passiert, und er hatte das Karasuno-Volleyball-Team kennenglernt und festgestellt, dass es offenbar doch Menschen gab, auf die er sich verlassen konnte, und die ihm nicht im Stich lassen würde, selbst wenn er sich daneben benahm oder ihren Anforderungen nicht gerecht wurde.

Doch am Ende der Oberstufe hatte Shouyou ihn verlassen um nach Brasilien zu gehen. Und obwohl die Tobio die Gründe dafür verstanden hatte, hatte es doch weh getan, und dass ihre Beziehung kurz darauf zerbrochen war, nun das hatte nur noch mehr weh getan. Er erinnerte sich an die Fotos von Shouyou und Oikawa, die er auf deren Social Media gesehen hatte, und daran wie weh ihm dieser Anblick getan hatte.

Seine Freunde von der Karasuno er hatte sie immer seltener gesehen, immer seltener mit ihnen gesprochen, bis er schließlich beinahe vollkommen jeden Kontakt zu ihnen verloren hatte. Ein Teil von ihm gab sich selbst die Schuld daran. Wenn er sich mehr Mühe gegeben hätte in Kontakt zu bleiben … Aber ein anderer Teil fragte sich warum eigentlich immer nur er derjenige war, der seine neue Adressen und Telefonnummern an die anderen weitergab, der ihnen die E-Mails schreiben musste, der sich bemühen musste in Kontakt zu bleiben. Warum gab sich zur Abwechslung niemand anderer einmal Mühe in Kontakt zu bleiben? Warum musste er Neuigkeiten aus deren Leben aus der Social Media oder von anderen Personen erfahren und nicht von ihnen selbst? Nun, weil er ihnen offenbar nicht wichtig genug war um mit ihm befreundet zu bleiben, deswegen.

Also ließ er sie ziehen, ließ sie ihr eigenes Leben leben so wie er einst Miwa ihr eigenes Leben hatte leben lassen. Nur Shouyou konnte er nicht ziehen lassen, weil Shoyou als Einziger von der Karasuno weiterhin Volleyball spielte und so weiterhin Teil seines Lebens blieb. Selbst wenn er ihn hätte aufgeben wollen, wäre es ihm nicht gelungen. Shouyou blieb also immer Teil seines Lebens.

Doch er bewies Tobio auch immer wieder, dass er sich eben nicht auf ihn verlassen konnte, dass er am Ende genauso wie alle anderen sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse wichtiger nahm als die von Tobio. Und nicht einmal ein Ehering schien ihn dazu zu bringen Tobios Bedürfnisse zumindest genauso wichtig zu nehmen wie seine eigenen.

Weil er also wusste, dass er sich auf niemanden verlassen konnte, hatte er auch nicht damit gerechnet, dass jemand kommen und sich freiwillig um ihn kümmern würde. Miwa und Ichiru waren dazu verpflichtet ihn zu helfen, weil es schlecht aussehen würde, wenn sie das nicht täten, und er hatte jeden Tag aufs Neue gemerkt wie ungerne sie ihn in ihren Leben hatten. Aber dann war Shouyou aufgetaucht, ausgerechnet Shouyou, und schien nicht vorzuhaben wieder wegzugehen. Schien vorzuhaben sich um ihn zu kümmern, ob er damit einverstanden war oder nicht.

Und ein Teil von ihm, der war von dieser Geste so gerührt, dass er daran glauben wollte, dass sie ernst gemeint war. Dass Shouyou sich nicht nur aus falsch verstandenem Pflichtgefühl heraus um ihn kümmerte. Doch er versuchte sein Bestes diesen Teil von sich zum Schweigen zu bringen, sich daran zu erinnern, dass er sich nicht auf Shouyou verlassen konnte, dass er sich auf niemanden verlassen konnte.

Es brauchte nicht sehr lange um ihm klar zu machen, dass Shouyou nicht wusste worauf er sich eingelassen hatte. Genau einmal umziehen brauchte er dazu um das zu erkennen. Und noch schlimmer war, dass Shouyou Kozume-san da ebenfalls hineingezogen hatte, und der noch weniger so wirkte als wüsste er worauf er sich eingelassen hatte, und noch weniger wie jemand wirkte, auf den man sich verlassen konnte von ihm nicht im Regen stehen gelassen zu werden sobald es schwierig wurde.

Kozume-sans Wohnung bestand aus mehr Computern, Spieleautomaten, Konsolen, und Fernsehern als rechtlich erlaubt sein sollte. Er hatte eigene Zimmer, die nur zum Computerspielen da zu sein schienen, und andere Arbeitszimmer, in denen er seine Computer stehen hatte, auf denen er seine Videos schnitt, mit Aktien handelte, und seine eigenen Spiele programmierte. Und ein weiteres Zimmer mit Kamera, Mikrofon, und sämtlicher Ausrüstung zum Videodreh gab es auch noch.

Tobio war sich nicht sicher wie genau er und sein Rollstuhl in diese Wohnung passen sollten, doch offenbar hatte Kozume-san ein Gästezimmer (auch wenn dieses mehr wie einen entrümpelte Abstellkammer wirkte), in dem jemand das Krankenhausbett für Tobio aufgebaut hatte. Tobio fragte sich allerdings wo Shouyou vorhatte zu schlafen. Für einen Moment befürchtete er, dass die Antwort lauten könnte in Kozume-sans Bett, aber dann schalt er sich selbst als paranoid. Er war sich ziemlich sicher, dass Shouyou und Kozume-san nur platonische Freunde waren, aber zugleich kam ihm dieses ganze „Zu dritt zusammenziehen"-Szenario doch überaus seltsam und verdächtig vor.

Auf jeden Fall rechnete er nicht damit, dass er lange hier bleiben würde. So oder so. Entweder würde Shouyou zuerst die Geduld mit ihm verlieren, oder Kozume-san würde es tun (er tippte auf Letzteres). Was dann aus ihm werden würde, nun das war eine andere Frage.

Nach dem „Rollstuhl in die Wohnung schaffen"-Debakel folgte der erste wahre Härtetest als Tobio zur Toilette gehen musste. Shouyou wirkte bereit und eifrig ihm zu helfen, was alles noch viel schlimmer und erniedrigender machte als es sowieso schon der Fall war. Seinem Ex-Ehemann so ausgeliefert zu sein, so vollkommen hilflos vor jemandem zu sein, vor dem er immer hatte stark sein wollen, immer hatte stark und unbesiegbar sein müssen … das war neu und unangenehm.

Schlimmer wurde es, als er am Abend gewaschen werden musste. Kozume-sans Bad war ziemlich klein und besaß nur eine Dusche, keine Badewanne. Das bedeutete, dass Tobio sich nicht alleine waschen konnte und bei so gut wie jedem Handgriff Hilfe brauchte. Die Situation war nicht mehr nur demütigend, sie war beinahe unaushaltbar. Sich vom Krankenhauspersonal oder seiner Schwester waschen zu lassen war eine Sache, doch von Shouyou? Nein, das war etwas vollkommen anderes.

Vermutlich wundert er sich jetzt warum er eine so hilflose und lächerliche Figur wie mich überhaupt jemals geheiratet hat. Die Zeiten in denen er Bälle über das Netz geschmettert hatte waren wahrhaft vorbei. Was nützten einem starke Arme, wenn seine Beine vollkommen nutzlos waren?

Shouyou tat so als würde er sich an all dem nicht stören. Nachdem er Tobio fertig gewaschen und ihm beim Abtrocknen geholfen hatte, half er beim Anziehen und brachte ihn sogar noch ins Bett. Er half ihm dabei sich in sein Bett hinüber zu hieven und dort bequem hinzulegen.

„Falls du in der Nacht was brauchst, dann ruf einfach. Ich werde gleich vor der Türe schlafen und bin in Sekundenschnelle abrufbar", erklärte ihm Shouyou dann fröhlich.

Tobio wäre eine Bettpfanne lieber gewesen, aber offenbar hatte keiner daran gedacht eine vorzubereiten, also beschloss er, dass er, falls es notwendig werden sollte, alles einfach so lange wie es möglich wäre zurückhalten würde, und hoffentlich erst am Morgen seine nächsten Toilettengang hinter sich bringen müsste.

Und der Gedanke daran, dass Shouyou vor der Türe lauerte wie eine Art Wachhund, der nur darauf wartete, dass es Ärger gab, behagte ihm auch nicht. Er nahm an, dass der andere Mann es gut meinte, aber Miwa hatte sich diese Mühe nie gemacht, sie hatte Tobio ein Babyphone überreicht und zusammen mit Ichiru in ihrem eigenen Schlafzimmer geschlafen. Sie hatte ihm zumindest ein bisschen Freiheit und Würde zugestanden.

Trotzdem behauptete Tobio: „Werd' ich tun. Mach bitte die Türe hinter dir zu, ich will Kozume-sans mitternächtliche sogenannte Arbeit nicht ungewollt mithören."

„Klar, versteh ich. Dann … schöne Träume, Kageyama", meinte Shouyou, verschwand aus dem Zimmer, und schloss die Türe hinter sich.

Tobio wartete einige Momente bis er sich sicher sein konnte, dass sein Ex-Mann nicht zurück ins Zimmer kommen würde oder gerade an der Türe lauschte, bis er seine Frustrationstränen zuließ. Es war schon länger her, dass er sich über seinen Zustand in den Schlaf geweint hatte, aber heute, heute konnte er nicht anders als das einfach wieder zu tun.


Er sagte sich, dass er sich an seine neue Lebenssituation gewöhnen musste und das alles war. Dass es besser werden würde, wenn er sich erst mal damit abfand, dass der einzige Mann, für den er sich attraktiv hatte fühlen wollen, ihn nun sah wenn er einfach nur abstoßend und schwach war.

Doch es wurde nicht besser. Nicht wirklich.

Shouyou weckte ihn am nächsten Morgen mit unerhörter guter Laune auf, half ihm bei der Morgentoilette und servierte ihm und einem übernächtig wirkenden Kozume-san dann freundlich etwas, das er als „brasilianisches Frühstück" bezeichnete. Tobio war nicht begeistert, aber anders als Kozume-san aß er höflich auf.

Nach dem Frühstück fragte Shouyou ihn nach seinem Tagesplan. Da kein Arzttermin und auch keine Rhea anstanden, hatte Tobio keinen. Shouyou bot ihm an, dass sie einen Ausflug machen könnten, doch das war wirklich das Letzte auf das Tobio Lust hatte (jetzt oder jemals wieder in der nächsten Zeit). Kozume-san bot ihnen großzügig seine Videospiele an, doch auch auf die hatte Tobio keine Lust (er spielte selten bis nie Videospiele, die hatten ihn noch nie interessiert, außer wenn es darum gegangen war Shouyou zu übertreffen). Danach verwies Kozume-san auf den einzigen im der Wohnung vorhandenen Fernseher. Um Shouyou zufrieden zu stellen ließ sich Tobio überreden mit ihm gemeinsam zwei Stunden fernzusehen.

Doch das Programm deprimierte ihn, da die Soap, die sie sich gemeinsam ansahen, einen B-Plot an einer Oberschule beinhaltete, in dem man im Hintergrund andere Schüler im Turnsaal Volleyball spielen sehen konnte, während sich die Protagonistinnen über Jungs, die ihre Herzen gebrochen hatten, unterhielten. Danach folgten die Nachrichten, die Tobio wie immer noch mehr deprimierten (die Welt ging ganz eindeutig unter, sich etwas anderes einzureden war purer Spinnerei), und noch mehr als üblich als die neuesten Sportergebnisse erwähnt wurden. Auf die Dokumentation danach konnte Tobio sich nicht konzentrieren, und schließlich zog er sich in sein Zimmer zurück, behauptete lesen zu wollen, doch er konnte sich nicht auf die Seiten mit den Schriftzeichen darauf konzentrieren und starrte die meiste Zeit über nur deprimiert auf sein Buch anstatt es wirklich zu lesen.

Zum Mittagessen gab es Bento-Boxen, die sie leise in Tobios Zimmer zu sich nehmen mussten, da Kozume-san gerade eine Aufnahme machte.

Tobio entschuldigte sich für den Nachmittag und schützte Müdigkeit vor um in seinem Zimmer alleine gelassen zu werden. Er ließ sich wieder in sein Bett verfrachten und erst am Abend zum Abendessen wieder herausholen.

Kozume-san schien in seiner Arbeit endlich eine Pause einzulegen und aß zusammen mit ihnen eines von Shouyous selbstgemachten Reisgerichten. Danach wünschte er ihnen eine gute Nacht und kehrte wieder an seine Arbeit zurück, während Tobio sich auf eine neue Runde Körperpflegte vor dem Schlafengehen einstellen musste. Nichts von all dem war weniger demütigend als beim letzten Mal, und offenbar hatte immer noch niemand daran gedacht, dass eine Bettpfanne eine gute Idee sein könnte, da Tobio immer noch ohne eine auskommen musste.

Was sich rächte, als es in dieser Nacht in seinem Bauch zu rumoren begann, und er nicht anders konnte als Shouyou doch um Hilfe zu rufen. Sie schafften es gerade noch auf die Toilette, doch Tobio stellte zu seinem Entsetzen fest, dass der Durchfall bekommen hatte und daher die Toilette nicht so schnell wieder verlassen konnte, oder eigentlich so gut wie gar nicht. Also waren er gezwungen zusammen mit Hinata den Rest der Nacht auf der Toilette zu verbringen, wo sie nur einmal von einem übernächtig aussehenden Kozume-san überrascht wurden, der über die Tatsache, dass seine Toilette gerade blockiert wurde, nicht gerade erfreut wirkte.

Nachdem der Spuk vorbei war, musste Tobio zulassen, dass Hinata ihn seinen Hintern säuberte und noch einmal duschen und seinem Ex dann zuhören wie dieser auf ihn einredete, dass er doch zum Arzt gehen sollte, worauf Tobio, der sowieso schon mehr Zeit als ihm Recht war in Arztpraxen zubrachte, überhaupt keine Lust hatte.

Er wurde vielleicht ein wenig laut, als er Protest einlegte, und Shouyou schmollte daraufhin den ganzen restlichen Morgen über und sprach kein Wort mehr mit ihm, bis Tobio, der es nicht wagte zu frühstücken, erklärte, dass er es für notwendig hielt seinen Physiotherapie-Termin für Heute abzusagen, da er nicht mitten in der Therapie einen Unfall riskieren wollte. Hinata nahm das zum Anlass wieder mit dem Thema Arzt daher zu kommen, woraufhin Tobio ihm einfach davon rollte und sich in seinen Zimmer versteckte, aus dem er nicht vorhatte wieder herauszubekommen, bis Hinata sich bei ihm entschuldigen würde.

Nur, dass Hinata nicht auftauchte um sich zu entschuldigen. Stattdessen stand irgendwann auf einmal Kozume-san in seinem Zimmer. „Shouyou hat behauptet, dass du leise bist", verkündete er als würde er diese Tatsache für eine dreiste Lüge halten.

„Es tut mir leid, dass ich laut geworden bin und deine Gastfreundschaft missbraucht habe", erwiderte Tobio sofort.

Kozume-san zuckte die Schultern. „Ich nehme an, dass ich an deiner Stelle auch manchmal schreien wollen würde", erwiderte er, „Du solltest dich lieber bei Shouyou entschuldigen als bei mir."

„Ist er … weg gegangen?", wollte Tobio vorsichtig wissen, aber das war nicht die Frage die er eigentlich stellte, die Frage, die er eigentlich stellte war: Hat er beim ersten Anzeichen von Problemen die Flucht ergriffen? Hat er mich so schnell im Stich gelassen?

„Er ist ein wenig spazieren gegangen um einen klaren Kopf zu bekommen", meinte Kozume-san.

Tobio nickte nur. Das tat Shouyou manchmal, wenn sie sich stritten. „Um nicht noch mehr Dinge zu sagen, die er bereuen würde", wie er es nannte. Tobio hatte darin immer einen anderen Weg, auf den Shouyou ihn verließ, wenn es schwierig wurde, gesehen. Er war immer davon ausgegangen, dass Shouyou eines Tages nach einem dieser Spaziergänge einfach nicht mehr zurückkommen würde. Vielleicht wäre es ja heute so weit.

„Er macht sich nur Sorgen", fügte Kozume-san dann hinzu.

„Er kann mir keine Vorschriften mehr machen, er ist derjenige, der gegangen ist", meinte Tobio dazu nur bitter, „Meine Entscheidungen sind meine Entscheidungen, bei denen hat er kein Mitsprache-Recht mehr."

Kozume-san nickte zustimmend. „Aber manche Leute drücken ihre Zuneigung halt aus, indem sie sich einmischen. Kuro will mich auch ständig zum Arzt schleppen, erinnert mich daran zu Essen und all das. Manchmal kommt er einfach unaufgefordert mitten in der Nacht mit Bento-Boxen vorbei und zwingt mich eine Arbeitspause einzulegen. … Bei E-Sport-Turnieren hab ich ihn deswegen schon das eine oder andere Mal angeschrien, besonders damals nachdem er einfach den Stecker von meinem Computer abgezogen hat nur damit ich zwischendurch mal schlafe….", berichtet er, „Ich finde das ja alles auch sehr lästig. Andererseits gibt es aber niemanden sonst, dem ich wichtig genug bin als dass er oder sie sich irgendwie um mich kümmern würde." Einen Moment lang wirkte er traurig. Dann wich dieser Ausdruck aus seiner Miene, und er fügte hinzu: „Du bist Shouyou eben immer noch wichtig. Deswegen hat er sich doch bereit erklärt dir zu helfen, und das beinhaltet für ihn wohl auch sich im Allgemeinen um deine Gesundheit zu sorgen, ob du damit einverstanden bist oder nicht."

Tobio dachte darüber nach. Vermutlich hatte Kozume-san recht, vermutlich zeigte ihm Shouyou auf diese Art und Weise einfach seine Zuneigung. Er wollte, dass es Tobio gut ging, aber das änderte nichts daran, dass er sich herrisch aufführte und nicht das Recht dazu hatte Tobio vorzuschreiben wie er zu leben hatte. Aber andererseits ist er auch derjenige, der mir die Scheiße vom Hintern waschen musste. Vermutlich stand es ihm in diesem Fall eben doch zu sich in Fragen von Tobios Gesundheit einzumischen. Immerhin betrafen diese ihn ebenfalls. Aber heißt das auch, dass er automatisch mehr Recht hat darüber zu entscheiden als ich?

Ein Teil von Tobio dachte, dass derjenige, der die Scheiße aufwischte, mehr Mitsprachrecht über ihre Vermeidung in der Zukunft haben sollte, als derjenige, der sie hinterlassen hatte. Und das war ein zutiefst beunruhigender Gedanke, weil wenn er ihn weiterdachte, dann begann er nur mit Verdauungsfragen und endete …na ja, wo eigentlich?

„Das war auf jeden Fall alles, was ich zu diesem Thema sagen wollte", meinte Kozume-san dann, „Ehm … ruf mich, falls du Hilfe brauchst, solange Shouyou weg ist."

Tobio nickte und sah dem anderen Mann dann hinterher als der sein Zimmer verließ.

Er kann es so gut meinen wie er will, ich will mir einfach keine Vorschriften von ihm machen lassen!, stellte Tobio fest. Aber wie konnte er Shouyou das klar machen? Wie konnte er ihn dazu bringen das zu akzeptieren und seine Grenzen zu respektieren?

Soll ich ihn einfach daran erinnern, dass es vorbei ist? Das ändert nichts daran, dass er mich … pflegt. Und das ohne jede Gegenleistung. Muss ich auf ihn hören, wenn ich ihn nicht dafür bezahle, dass er sich um mich kümmert? Und wenn ich das nicht tue, wird er dann gehen?

Wieso nur hatte Tobio jemals zugestimmt mit Hinata zu gehen? Ja, er hatte Miwa und Ichiru entlasten wollen, aber das hier … das hier musste einfach unweigerlich zur Katastrophe führen! Sich von seinem Ex-Mann helfen zu lassen, was für eine dumme Idee war das gewesen! ... Warum war ihm nicht gleich klar gewesen, dass das nur zu Problemen führen würde?

Dachte er in Wahrheit vielleicht so ähnlich wie Kozume-san über Kuroo-san und fand es schmeichelhaft, dass sich jemand, den er liebte, tatsächlich auch darum scherte ob er lebte oder starb? Hatte er so eine Situation heraufbeschwören wollen? Wollte ein Teil von ihm in einem Streit darüber, ob er wegen Verdauungsbeschwerden zum Arzt gehen sollte oder nicht, einen Liebesbeweis sehen?

Aber was hätte ich davon? Ich will ihn nicht zurück. Ich weiß, dass er für mich nicht das empfindet was ich für ihn empfinde. Sehne ich mich so verzweifelt nach Zuneigung, dass ich bereit bin jedes noch so kleine Zeichen, das man als Zuneigung deuten könnte, anstelle einer funktionalen Ehe anzunehmen?

Kozume-san lebte alleine in dieser riesigen Wohnungen, arbeite scheinbar ständig, und vergaß zwischendurch offenbar das eine oder andere Mal absichtlich darauf zu schlafen oder zu essen, nur damit sein bester Freund auftauchte und sich um ihn kümmerte. Und dann gab er vor sich darüber zu ärgern, obwohl es ihn in Wahrheit freute, dass ihm Beachtung geschenkt wurde. Obwohl er wusste, dass er sich darauf verlassen konnte, dass jedes seiner Probleme 15 Minute nach einer einzelnen Textnachricht gelöst werden würde, ergaunerte er sich trotzdem jedes Zeichen von Zuneigung, das er bekommen konnte.

War Tobio genauso? Hatte er Shouyou in Wahrheit deswegen nichts von seinem Zustand gesagt, weil er eine Reaktion provozieren wollte, die ihm zeigen sollte, dass er seinem Ex doch noch etwas bedeutete?

Nein, das kann nicht sein, das wäre doch … peinlich, tragisch und bemitleidenswert. So bin ich doch nicht. Das wollte er zumindest glauben.

Aber dann fiel ihm ein, dass er kein Volleyball-Star mehr war, dass er nie wieder fliegen würde, nie wieder anderen Bälle zuspielen würde, nie wieder ein Service-Ass schlagen würde, nie wieder einen unmöglichen Ball annehmen würde. Dann fiel ihm ein, dass hier schmollend in einer umgewandelten Abstellkammer in der Wohnung eines Bekannten in einem Rollstuhl saß, und sich nicht einmal alleine den Hintern von Scheiße säubern konnte. Er war peinlich, tragisch und bemitleidenswert.

Und vielleicht war er auch schamlos. Vielleicht war er schamlos genug um jede Unze an Zuneigung zu nehmen, die er kriegen konnte, nur um sich weniger alleine und verzweifelt zu fühlen. Und vielleicht störte ihn die Erkenntnis, dass es so sein könnte, gar nicht so sehr wie sie das eigentlich sollte.

Denn eigentlich müsste er jetzt, wo ihm klar geworden war, dass er diese ganze Situation, in der sich nun befand, selbst mit voller Absicht provoziert hatte, sofort ausziehen wollen um seinen letzten Stolz zu retten. Doch er war zu verzweifelt um das zu wollen. Er konnte nirgends hin. Er wollte nicht zurück zu Miwa und Ichiru, und er hatte sonst niemanden. Und – und das war das Schlimmste daran - er wollte nicht weg von Shouyou; er wollte nichts mehr als, dass dieser von seinem Spaziergang zurückkam, dass dieser ihn dieses Mal nicht wieder verließ. Er wollte das so sehr, dass er sogar bereit war sich zu entschuldigen, dass er sogar bereit war sich anschaffen zu lassen zum Arzt zu gehen. Nicht weil es Shouyou zustand ihm das anzuschaffen, sondern weil es ihn dazu bringen könnte zu bleiben. Denn solange Shouyou ihn nur nicht wieder verließ, solange er nur nicht wieder alleine sein musste, war er bereit dazu alles zu tun was dafür notwendig war.

Denn, ja, im Grunde war er weniger peinlich, tragisch, bemitleidenswert und schamlos als er verzweifelt war. Anders als im Fall von Kozume-san gab es niemanden in seinem Leben, der innerhalb von 15 Minuten auftauchen würde um seine Probleme für ihn zu lösen. In seinem Leben gab es nur seinen herrschsüchtigen Ex-Mann, der gekommen war als er ihn am Dringendsten gebraucht hatte, und von dem er jetzt jede Sekunde erwartete im Stich gelassen zu werden. Und dem er jetzt auf einmal alles recht machen wollte um genau das zu verhindern.

Was ist nur aus mir geworden? Was ist aus Kageyama Tobio geworden?

Tobio wusste es nicht. Er wusste nur, dass er nicht mehr der Mann war, der er einst gewesen war, und das auf viel tiefergehende Art und Weise als ihm bisher klar gewesen war. Und dieser Gedanke machte ihm nicht nur Angst, nein, er ließ ihn auch resignieren.

Vielleicht deswegen, weil er einfach zu müde zum Kämpfen war.


A/N: Reviews?