V.


Sein Leben wurde langsam aber sicher zu einem eintönigen Trott, dem er nicht entfliehen konnte. Kageyama Tobio, der große Volleyball-Star von einst; das Einzige, was er noch zu bieten hatte, war ein mitleierregender Anblick, und das wusste er auch.

Er versuchte Frieden zu halten, versuchte sich Shouyous Willen unterzuordnen, weil das besser wäre, weil das notwendig wäre um Frieden zu halten, aber zugleich verspürte er auch keine große Lust in allem nachzugeben. Da sich Shouyou um ihn kümmerte, war er ihm gewisse Dinge schuldig, wie die auf ihn Rücksicht zu nehmen, wenn manche seiner Entscheidungen Shouyou ebenfalls betrafen, also fragte er nach bei Terminen, zu denen Shouyou ihn fahren sollte, ging zum Arzt, selbst wenn er nicht wollte, war so rücksichtsvoll wie er sein konnte seinem Ex gegenüber, aber der schien trotzdem immer unzufriedener mit ihm zu werden.

Shouyou drängte ihn dauernd dazu auszugehen, vermutlich deswegen, weil ihm selbst die Decke auf dem Kopf zu fallen drohte, doch da Tobio nicht bereit war sich der Welt in seinem derzeitigen Zustand zu stellen, lehnte er das immer ab. Und dann, als er von Kuroo-sans Angebot erfuhr, da sagte er Shouyou direkt ins Gesicht, dass dieser das alles einfach ohne ihn machen sollte, da er doch offenbar so dringend einmal Abwechslung in sein Leben bringen wollte, doch das führte natürlich wieder zu einem neuen Streit.

Früher wenn sie sich gestritten hatten (und sie hatten sich ja oft genug gestritten), da hatte sich Tobio immer darauf verlassen können, dass sie sich wieder vertragen würden, wenn nicht gleich am nächsten Tag, dann zumindest irgendwann in absehbarer Zukunft wieder. Volleyball hatte sie aneinander gebunden, und selbst nach ihrem letzten Streit, selbst nach ihrer letzten Trennung, da hatte Tobio nicht daran gezweifelt, dass sich Hinata Shouyou irgendwann in irgendeiner Form wieder in sein Leben zurück verirren würde. Aber jetzt war das anders.

Zum zweiten Mal seit sie zusammen zu Kozume-san gezogen waren, fürchtete er, dass Shouyou nicht nur weggegangen war und ihn verlassen hatte, nein, dass er ihn dieses Mal sogar für immer verlassen hatte, dass er dieses Mal nie wieder in sein Leben zurückkehren würde, da er ja keinen Grund mehr dazu besaß. Sie waren keine Partner mehr, in keinerlei Hinsicht, und sie waren auch keine Rivalen mehr, Shouyou besaß keinen Grund jemals wieder zu ihm zurückzukehren. Dieses Mal war er zu weit gegangen, seine eigenen Gefühle wichtiger zu nehmen als die von Shouyou, der sowieso schon alles aufopfern musste um sich um ihn zu kümmern, war ein Fehler gewesen.

Als er aus seinem Zimmer zurückgerollt kam um sich bei Kozume-san zu entschuldigen, hatte er feststellen müssen, dass Shouyou wieder weg war, und dieses Mal würde er vielleicht wirklich nicht zurückkommen, dieses Mal wäre er vielleicht wirklich für immer weg. Wirklich für immer.

Aber was hätte ich tun sollen? Mich als verkrüppelten Zuseher-Lockvogel zur Verfügung zu stellen, obwohl ich das nicht kann und nicht will? Aber es war ja nichts Neues, nicht wahr? Es war nichts Neues, dass seine emotionalen Bedürfnisse weniger wert waren als die von Hinata Shouyou. Wieso hatte er erwartet, dass sich das ändern würde, nur weil Hinata gekommen war um ihn in seinem dunkelsten Moment aufzufangen?

Dann werde ich eben ein verkrüppelter Lockvogel sein, wenn es das ist, was ich tun muss, damit er zurückkommt…

Er suchte Kozume-san in seinem Arbeitszimmer auf. Der ältere Mann schien gerade damit beschäftigt zu sein eines seiner Videos zu schneiden.

Tobio räusperte sich. „Ehm, ich … du kannst Kuroo-san sagen, dass ich meine Meinung geändert habe, wenn es noch nicht zu spät ist. Dass ich und Hinata ihm gerne zur Verfügung stehen, für was auch immer er braucht", erklärte er langsam, ohne Kozume-san dabei in die Augen zu sehen.

Der schwieg einen Moment. Dann meinte er: „Du weißt, dass du es nicht tun musst, wenn du nicht möchtest, ja? Es war ein Angebot von Kuro, kein Befehl oder dergleichen. Es ist keine Bedingung dafür, dass du weiterhin hier wohnen kannst."

„Natürlich", meinte Tobio nur.

Wieder herrschte einige Momente lang Schweigen zwischen ihnen. „Du solltest es auch nicht nur deswegen tun, weil du denkst, dass Shouyou das von dir erwartet", meinte Kozume-san dann.

Tobio sah nun auf und spürte wie verzweifelter Zorn in ihm aufwallte. Kozume-san hatte gut reden! Er konnte anstellen, was er wollte, sich daneben benehmen wie er wollte, Kuroo-san wäre immer für ihn da, immer bereit ihm zu helfen, würde ihn nie verlassen. Vermutlich könnte er es sich sogar erlauben in einen Krüppel zu verwandeln, Kuroo-san war ein Heiliger, der ihm das nicht übel nehmen würde, der ihn deswegen nicht verlassen würde.

Aber Tobio? Tobio hatte niemanden, niemanden außer seinen Ex-Mann, und den konnte er nur halten, wenn er seine eigenen Bedürfnisse zurückstellte und auch schon mal in den sauren Apfel biss.

Das alles lag ihn auf der Zunge, und das alles wollte er gerne einmal sagen, aber er wusste, dass er das alles nicht aussprechen durfte, weil er nicht wollte, dass Kozume-san erkannte wie mitleidserregend er wirklich war, was für einen Versager er in seine Wohnung und sein Leben gelassen hatte.

„Ich tue es nicht nur weil Hinata es von mir erwartet", erklärte er dann gepresst. Immerhin war das keine Lüge, er tat es, weil er es tun musste, damit er nicht vollkommen alleine endete.

Kozume-san musterte ihn einen Moment lang durchdringend. Dann nickte er. „Ich werde es Kuro sagen", meinte er dann.

Tobio nickte und wollte dann wieder davon rollen um Kozume-san seiner Arbeit zu überlassen.

„Kageyama", hielt dieser ihn auf, „Es wird nicht so schlimm werden. Es wird dir gut tun irgendetwas zu tun. Keiner wird dich zu etwas zwingen, was du nicht willst, oder was dir unangenehm ist. Keiner wird Kameras auf dich richten oder irgend so etwas. Es wird nicht so schlimm werden, versprochen. Ich habe auch schon ein paar Mal mit Kuro zusammengearbeitet, und er hat auf meine Bedürfnisse Rücksicht genommen. Ich musste niemanden sehen, den ich nicht sehen wollte, ich konnte alles von meinem Studio aus machen. Wenn du nicht willst, dann musst du nicht einmal aus der Wohnung heraus, du kannst mein Studio benutzen, nur telefonisch zugeschalten werden… Es wird nicht so schlimm werden."

Tobio wusste nicht warum, aber diese Worte ließen ihn beinahe in Tränen ausbrechen.

„Okay", meinte er nur und wollte nun wirklich dringend schnell weg rollen.

„Und Shouyou wird zurückkommen", fügte Kozume-san noch hinzu.

Tobio wünschte sich nur, er könnte so einfach daran glauben wie der andere Mann es tat.


Shouyou kam tatsächlich zurück. Er schien sogar gute Laune zu haben, was für Tobio, der sich die schlimmsten Szenarien ausgemalt hatte, äußerst irritierend war. Noch irritierender war, dass er die Neuigkeit, dass Tobio nun doch mit Kuroo-san arbeiten wollte, nicht einmal so richtig zur Kenntnis nehmen wollte. Dafür, dass er so einen Aufstand um Tobios Weigerung, sich als Ausstellungsstück präsentieren zu lassen, nur um Handballer bekannt zu machen, veranstaltet hatte, schien ihn das Thema nun gar nicht mehr zu interessieren.

Stattdessen hatte er auf einmal verdammt viel zu telefonieren und in sein Handy zu starren.

Tobio nahm an, dass ihm das alles eine Warnung hätte sein sollen. Aber es kam ihm nicht wirklich verdächtig vor.

Er wusste ja, dass Shouyou seinetwegen auf ein Sozialleben verzichtete und ihm das fehlte, vielleicht gleichte er das ja nur aus.

Offenbar hatte er sich mit Bokuto-san und Miya Atsumu getroffen, als er weg gewesen war, und vielleicht war er dabei wieder auf den Geschmack gekommen. Den Geschmack Freunde zu treffen, nicht den andere queere Volleyball-Stars zu treffen, zumindest hoffte Tobio das. Während von Bokuto-san keine Gefahr ausging, da dieser seit Jahren in einer monogamen Beziehung mit seinem ehemaligen Zuspieler, dem Manga Redakteur Akaashi Keiji, lebte (von etwa eineinhalb Jahren nach Akaashis Oberschulzeit, in denen sich die beiden getrennt gehabt hatten um „ihre Möglichkeiten auszuschöpfen bevor sie sich zu schnell binden konnten" wie Akaashi es ausgedrückt hatte, einmal abgesehen), war Miya Atsumu nach Tobios zugegeben veralteten Wissensstand immer noch zu haben, und er und Shouyou besaßen eine gemeinsame Vergangenheit.

Tobio hatte ihm noch nie über den Weg getraut. Schon damals in Jugendtrainingscamp nicht, als sie sich kennengelernt hatten und Miya-san ihm seinen ersten Kuss gestohlen hatte und ihn in tiefe emotionale Verwirrung gestürzt hatte, weil er ihn als einen Tugendbolzen und braven Jungen bezeichnet hatte, hatte Tobio den Kerl nicht wirklich gemocht (Man musste jemanden nicht mögen, um ihn zu küssen, was er damals gelernt hatte, und was ihn damals noch mehr verwirrt hatte), aber die Jahre danach, in denen sie gegeneinander gespielt hatten, hatten es nicht besser gemacht. Aber er war Manns genug um zuzugeben, dass er Hauptgrund seiner Abneigung gegen den blonderen Miya-Zwilling die Tatsache war, dass dieser eine romantische Vergangenheit mit Shouyou besaß.

Was, wenn er Shouyou zurück wollte? Und was, wenn Shouyou ihn zurücknahm?

Tobio hoffte zwar, dass Shouyou nicht gerade dann wieder anfangen würde mit Miya-san zu schlafen, wenn er seinen verletzten Ex-Mann pflegte, aber andererseits vielleicht wäre gerade das ein Grund für ihn es erst recht wieder zu wollen.

Aber immerhin war vermutlich (noch) nichts passiert, nicht wenn Bokuto-san als Anstands-Wauwau mit dabei gewesen war.

Und wenn was passieren würde? Könnte ich ihm dann wirklich einen Vorwurf machen? Ich an seiner Stelle würde auch Miya-san mir vorziehen, und ich habe ihm klar und deutlich gesagt und gezeigt, dass es für uns keine Zukunft gibt. Warum also sollte er so viel Rücksicht auf mich nehmen, dass er nichts mit einem attraktiven Volleyball-Spieler anfängt, mit dem ihm eine bewegte Vergangenheit verbindet? Immerhin war Miya-san immer noch in der Lage ihm Bälle zuzuspielen.

Also ja, Tobio würde es verstehen, allerdings würde er es vermutlich nicht ertragen. Vermutlich müsste ich dann … ausziehen… Und dann wäre er wieder alleine. Müsste hoffen, dass Miwa ihn wieder aufnehmen würde.

Oder ich muss einfach lernen es auszuhalten. Ich muss mit dem zufrieden sein, was ich kriege, und wenn Sex mit Miya-san Shouyou genug befriedigt um mich nicht vor die Türe zu setzen, dann muss ich damit zufrieden sein und meinen Schmerz darüber einfach unterdrücken.

Er musste es einfach versuchen. Und vielleicht, nur vielleicht, irrte er sich ja, und in Wahrheit ging es wirklich nur um freundschaftliche Treffen, und es würden in Zukunft auch weiterhin nur freundschaftliche Treffen bleiben.

Nun ja, irgendwann, nahm Tobio an, würde Shouyou wieder jemanden finden, mit dem er zusammen sein wollte, nachdem Tobio ihm nicht mehr geben konnte, was er brauchte (und es, wenn sie ehrlich waren, eigentlich auch niemals gekonnt hatte), aber bis dahin wäre Tobio vielleicht wieder in der Lage alleine zu leben. Bis dahin wäre er vielleicht nicht mehr so ekelhaft hilflos. Zumindest hoffte er das und wollte daran glauben, musste daran glauben.

Er missgönnte Shouyou sein Glück nicht, er wollte, dass Shouyou glücklich war, wirklich. Er wäre gerne derjenige gewesen, der Shouyou glücklich machen konnte, doch er musste einsehen, dass er dazu nicht in der Lage wäre. Also würde er ihn irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft endgültig verlieren, vielleicht nur an Volleyball, vielleicht an einen anderen Mann, was auch immer es sein würde, es würde passieren, das wusste er. Und alles, was er tun konnte, war sich damit abzufinden und zu versuchen darauf vorbereitet zu sein.

Und er hatte auch wirklich vor darauf vorbereit zu sein, nur jetzt momentan war er darauf noch nicht vorbereitet, jetzt momentan da war er zu verletzlich, da brauchte er Shouyou zu sehr um ihn ziehen zu lassen. Bis Shouyou vor Miwas Türe gestanden hatte, hatte er gedacht, dass er niemanden hatte, jetzt hatte er zumindest Shouyou, und ihn jetzt schon wieder zu verlieren, nein, damit käme er nicht zurecht.

Deswegen redete er sich einfach ein, dass er ihn jetzt noch nicht an Miya-san verlieren würde, dass er ihn noch ein wenig behalten würde, und dass er einfach umgänglicher, rücksichtsvoller und unterwürfiger sein musste um Shouyou in seinem Leben zu halten. Dass er einfach Shouyous Bedürfnisse an erste Stelle setzen musste und nicht seine eigenen. Mehr konnte er nicht tun. Das und alles, was er hatte, in die Physiotherapie zu stecken, das war alles, was er tun konnte. Auf alles andere hatte er keinen Einfluss, also versuchte er krampfhaft nicht darüber nachzudenken und nicht automatisch vom Schlechtesten auszugehen.

Dass Shouyou sich mit Freunden traf war nicht automatisch der Anfang vom Ende, es war einfach nur etwas, was der Orangehaarige brauchte, mehr nicht. Daran musste er glauben, da er ansonsten an nichts mehr hätte glauben können.

Trotzdem, warum diese ständige Abgelenktheit und Geheimnistuerei?

Um nicht weiter an die Möglichkeit zu denken, dass Shouyou plante ihn zu verlassen, zwang sich Tobio nicht weiter darauf zu achten. Und deswegen verpasste er alle Warnzeichen.

Er war so fokussiert auf die Idee, dass Shouyous neues Interesse an seinem Handy mit Shouyous Privatleben zu tun haben musste, dass er gar nicht erst auf die Idee verfiel, dass es dabei um ihn gehen könnte.

Doch natürlich ging es um ihn, was er allerdings erst viel zu spät feststellte, als auf einmal Yachi Hitoka tränennahe vor ihm in Kozume-sans Wohnung stand.

Tobio war nun doch mehr als nur ein wenig überrascht sie zu sehen. Niemand hatte ihn vorgewarnt. „Hitoka", stellte er etwas dümmlich fest, „Ich wusste nicht, dass du vorhast zu kommen."

Nun brach die junge Frau endgültig in Tränen aus. „Aber wie hätte ich denn nicht kommen können? Es war uns allen sehr wichtig dich zu sehen", erwiderte sie und putzte sich dann theatralisch die Nase.

Uns allen? Diese Formulierung verwunderte Tobio, doch seine Alarmglocken gingen erst los, als er Yamaguchi Tadashi erblickte, der gefolgt von niemand anderen als Tsukishima Kei bei der Wohnungstüre hereinkam. Hoffentlich wird es nur ein Klassentreffen und kein Treffen des Karasuno Volleyball-Clubs, war sein erster geschockter Gedanke, bevor er langsam formulierte: „Tadashi, Kei … was macht ihr denn hier?!"

„Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, dann muss der Berg wohl zu ihm kommen", meinte Tsukishima spitz, „Du hast ja auf keine Anrufe oder Anfragen geantwortet. Und wir wollten dich sehen. Oder hast du damit etwa ein Problem, Eure Hoheit?"

Automatisch schüttelte Tobio den Kopf. „Nein", log er, „Ich hatte nur nicht mit euch gerechnet." Er hatte mit überhaupt niemandmn gerechnet, wenn er ehrlich war, abgesehen vielleicht von Kuroo-san.

Yachi arbeitete inzwischen bei einer bekannten Design Firma, die sie ständig auf Trab hielt, aber Yamaguchi für ein Elektronikgeschäft in Miyagi und Tsukishima arbeitete für das Sendai Museum, beide hatten Miyagi nie verlassen, daher hatte Tobio eigentlich selten persönlichen Kontakt mit ihnen seit ihrem Schulabschluss gehabt, und nur Tsukishima hatte während seiner College-Zeit weiterhin Volleyball gespielt, es aber niemals in die Erste Liga geschafft. Sie hatten sich selten auf Klassentreffen gesehen, waren Facebook-Freunde geblieben, das ja, aber Tobio hatte nicht wirklich erwartet, dass sie mehr als nur ein wenig betroffen über sein Schicksal sein würden. Immerhin verband sie nichts mehr miteinander, nicht wirklich, und dass sie extra nach Tokyo kommen würden um ihn zu besuchen, nun das hatte er nun wirklich nicht erwartet.

„Nun, Freunde besuchen Freunde eben, wenn etwas Großes in deren Leben passiert", erklärte Tsukishima spitz.

Tobio verbiss sich eine „Sind wir Freunde?"-Retourkutsche. Er hatte immer gedacht, dass man mit jemandem regelmäßig Kontakt haben musste um ihn oder sie als Freund bezeichnen zu können. Und da er meistens nur zu seinen Teamkollegen und Rivalen regelmäßigen Kontakt hatte, hatte er seine ehemaligen Kollegen von der Oberschule nicht mehr zu den seinen gezählt. Aber offenbar schienen die das anders zu sehen, wenn man Yachis Tränen, Tsukishimas Wut, und Yamaguchis betretene Miene bedachte.

„Ich war nicht bereit für Kontakt", erklärte er alles.

„Ja, das dachten wir uns schon", schaltete sich Yamaguchi schnell ein. Nicht umsonst war er der Captain des Volleyballteams in ihrem Abschlussjahr gewesen. Tadashi hatte zwei Jahre seines Lebens damit zugebracht Friedenstifter zwischen seinem Kindheitsfreund und Tobio und Hinata zu spielen, und fiel nun automatisch wieder in diese Rolle zurück, wie es schien, „Deswegen haben wir dich nicht belagert und wollten dir alle Zeit geben, die du brauchst. Aber als Shouyou uns eingeladen hat, da sind wir natürlich sofort gekommen…"

Das bestätigte, dass es Hinata gewesen war, der ihre ehemaligen Mitschüler hierher eingeladen hatte. All seine geheimnisvollen Anrufe und das Gestarre auf sein Handy - es war dabei um Tobio gegangen, nicht um Hinata selbst. Und der hatte offenbar im Namen seines Ex-Mannes ihre alten Schulkameraden hierher eingeladen.

Nun, eigentlich hatte Tobio das schon geahnt, als er Yachi erblickt hatte. Weder sie noch Yamaguchi würden einfach so ohne Vorwarnung hier beim ihm auftauchen. Tsukishima würde es vielleicht tun, aber selbst bei ihm glaubte Tobio unter den gegeben Umständen nicht, dass er von sich aus einfach so gekommen wäre. Nein, das hier war alles eindeutig Hinatas Schuld!

„Ihr hättet euch keine Umstände machen müssen", erklärte Tobio langsam.

„Aber das mussten wir doch!", erklärte Yachi aufgelöst, „Wir waren so schockiert, als wir gehört haben, was passiert ist! Und Volleyball war immer dein Leben! Du und Shouyou, ihr hattet es bis ganz nach Oben geschafft. Ihr wart immer unser aller Helden. Und dann auf einmal, da ist dir das passiert, und dann war es mit einem Schlag für dich vorbei!"

Sie waren also aus Mitleid heraus gekommen. Sie waren gekommen um ihn zu bedauern.

„Ehm, vor allem wollten wir sicher stellen, dass es dir gut geht", warf Yamaguchi schnell ein.

„Ich komme zurecht", log Tobio, „Natürlich war es am Anfang hart, aber meine Schwester hat mir geholfen, und jetzt helfen mir Hinata und Kozume-san. Es fehlt mir an nichts."

Tsukishima wirkte nicht so als würde er das glauben.

„Hast du denn keine Schmerzen mehr?", wollte Yachi wissen.

Tobio zuckte nur mit den Schultern. „Ich bin deswegen in medizinischer Behandlung", erklärte er, „Mein Zustand wir langsam aber stetig besser."

„Aber bist du … bist du auch auf dem Weg der Besserung, oder ist es nur dein Körper?", wollte Yachi wissen.

Tobio wusste nicht wie er auf diese Frage antworten sollte. „Ich sehe das Leben jetzt aus einer anderen Perspektive als früher", erklärte er dann wahrheitsgetreu.

„Immerhin hast du Shouyou", meinte Yamaguchi, „Dass ihr wieder zusammen seid, das hat mich sehr gefreut. So ist aus allem, was passiert ist, zumindest etwas Gutes erwachsen."

Tobio beschloss ihn nicht zu korrigieren. Natürlich war es nahe liegend, dass sie annahmen, dass er und Hinata wieder zusammen waren, wenn sie zusammen lebten.

Tsukishima schüttelte nur unwirsch den Kopf. „Ich hab mir immer Sorgen gemacht, dass es dir erst auffallen könnte, dann wenn es zu spät ist", meinte er, „Dass es im Leben mehr gibt als nur Volleyball."

„Das ist mir aufgefallen, ja", erwiderte Tobio, „Aber ich wusste immer, dass es im Leben mehr gibt als Volleyball."

„Es gibt auch mehr im Leben als Volleyball und Hinata", merkte Tsukishima an.

„Wir sind hier um dich daran zu erinnern", meinte Yachi dazu, „Dass du immer noch Freunde hast. Dass wir dich alle lieben. Ich weiß, dass es hart sein muss tapfer zu tun und all das, aber keiner von uns denkt nicht an dich. Am Liebsten wären alle gekommen, aber Shouyou wollte dich nicht überfordern mit zu vielen Besucher auf einmal. Aber der ganze Volleyball-Club denkt an dich. Du warst damals immer so eine Art Wunder für uns alle. Wir alle haben dich schon damals so bewundert und dir dabei zugesehen wie du steil aufsteigst, mit den Besten des Landes, den Besten der Welt mithältst. Keiner von uns hat jemals nicht an dich gedacht, und wir denken auch jetzt alle an dich."

Tobio wusste, dass sie es gut meinte, wenn sie das sagte, und dass sie ihm damit nur mitteilen wollte, dass er mehr Menschen wichtig war als er dachte, aber ihre Worte trafen ihn aus anderen Gründen mitten ins Herz. Er schluckte. „Es tut mir leid, dass ich euch allen so viel Sorge bereitet habe", murmelte er.

„Aber nein, es war doch nicht deine Schuld", beeilte sich Yachi ihm zu versichern.

Doch diese Worte halfen nicht.

„Es uns wichtig, dass du wieder gesund wirst", versicherte ihm Yamaguchi.

Aber das machte alles nur noch schlimmer.

„Alles in Ordnung, König?", wollte Tsukishima wissen, dem aufzufallen schien, dass etwas nicht stimmte.

Doch der alte Spitzname löste jetzt nur noch Schmerz aus.

„Ich … ich danke euch allen, dass ihr gekommen seid um mich zu besuchen, und ich entschuldige mich dafür, dass ich euch nicht kontaktiert habe und eure Sorgen zerstreut habe. Aber leider müsst ihr jetzt wieder gehen. Ich habe einen wichtigen Termin. Hinata wusste davon wohl nichts. Ich habe ein Zoom-Bewerbungsgespräch in … zehn Minuten. Es tut mir Leid, dass ihr den langen Weg hierhergekommen seid, und ich jetzt keine Zeit für euch übrig habe", verkündete Tobio nun schnell, „Es war nett euch zu sehen. Ich muss mich vorbereiten. Auf Wiedersehen." Dann nickte er seinen Gästen zu, und rollte davon in sein Zimmer, in der Annahme, dass sie schon selbst hinaus finden würden (immerhin hatten sie auch selbst herein gefunden).

In seinem Zimmer angekommen atmete er als Erstes einmal tief durch. Doch auch das half nichts.

Wenn Hinata hinter seinem Rücken heimlich eine neue Affäre mit Miya Atsumu angefangen hätte, dann hätte das nur halb so weh getan wie das hier. Von allen Dingen, die Hinata ihm hätte antun können, was das hier eindeutig das Schlimmste.

Und Tobio wusste nicht wie er damit umgehen sollte.

Und er versuchte ja nicht zusammen zu brechen, aber er hatte keinen Erfolg damit. Es gab Schmerz und Kummer, den man nicht weg atmen konnte, den man sich nicht wegwünschen konnte, und der einfach stärker war als man selbst.

Tobio schloss noch einmal seine Augen, und dann gab er sich endlich doch seiner Verzweiflung hin, weil er einfach nicht mehr weiter stark sein konnte.


A/N: Ich habe ja den Rest von Karasuno versprochen, und langsam aber sicher kommt der auch vor. Zumindest in Teilen. Aber Kageyama ist darüber nicht erfreut.

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