VIII.
Shouyo war zu dem Schluss gekommen, dass die beste Methode um Tobio nicht noch mehr weh zu tun darin bestand ihm erst einmal aus dem Weg zu gehen, bis er wüsste was er tun könnte um alles wieder gut zu machen oder zumindest besser zu machen.
Er hatte nur helfen wollen, aber stattdessen hatte er Tobio weh getan, und der dachte nun, dass Shouyou ihn hasste und er nur eine Last für diesen wäre und wollte, dass er ihn verließ. Im Grunde hatte Tobio mit ihm Schluss gemacht, aber da sie nur noch auf den Papier verheiratet waren und keine Art von Beziehung führten … Nun, konnte Tobio in diesem Fall überhaupt Schluss mit ihm machen?
Shouyou hatte keine Ahnnung. Er wusste nur, dass der Mist gebaut hatte und die Dinge irgendwie wieder in Ordnung bringen musste, er wusste nur nicht wie.
Wie konnte er Tobio klar machen, dass der einzige Grund warum er ihre alten Teamkameraden eingeladen hatte, der war, dass er Tobio aufmuntern hatte wollen?
Aber was wenn er recht hat, was wenn es wirklich nicht funktioniert? Was wenn wir den Punkt erreicht haben, an dem wir beide einfach so grundverschieden geworden sind, dass wir uns nur noch gegenseitig unglücklich machen können?
Obwohl sie augenscheinlich immer wie Tag und Nacht gewesen waren, hatte sie Volleyball doch immer verbunden. Und jetzt, wo es diese Verbindung nicht mehr gab … was wenn es dann auch nichts anders mehr gab, das sie beide aneinander band? Was wenn Shouyous bloße Anwesenheit schon ausreichte um Tobio noch unglücklicher zu machen? Was wenn er ihn nur ansehen musste um unglücklich zu werden, weil er jemanden sah, der immer noch den Sport ausübte, den er nie wieder ausüben konnte?
Soll ich wirklich einfach zurück zu meinem Team gehen und ihn sich selbst überlassen? Wäre er dann besser dran als mit mir?
Aber das konnte Shouyou einfach nicht glauben.
Kageyama Tobio war ein so einsamer unglücklicher Junge gewesen, als sie sich kennengerlernt hatten, und schon damals hatte Shouyou unbewusst wie bewusst alles daran gesetzt um dafür zu sorgen, dass er zumindest etwas weniger einsam wurde. Schon damals hatte er instinktiv gespürt, dass Tobio nicht deswegen einsam war, weil er einsam sein wollte, und dass er sich in Wahrheit nach Nähe sehnte. Und so viel sich auch geändert haben mochte, das hatte sich nicht geändert, davon war Shouyou überzeugt. Tobio wollte nicht einsam sein.
Und ja, vielleicht war Shouyou nicht mehr die richtige Person um ihm Gesellschaft zu leisten, aber er konnte ihn auch nicht einfach so verlassen und auf das Beste hoffen; nein, er musste dafür sorgen, dass Tobio zumindest irgendjemand anderen in seinem Leben hatte, wenn er schon nicht für ihn da sein konnte.
Aber er wusste auch, dass er seinen Ex-Mann nicht einfach bei Kenma abladen konnte und zurück nach Brasilien verschwinden konnte. Kenma hatte schon so viel für ihn geopfert, es wäre nicht fair, wenn er ihn jetzt einfach dazu einteilen würde Kageyama Tobios Pfleger für die absehbare Zukunft zu werden.
Aber wem konnte er das aufbürden? Hatte er überhaupt das Recht dazu das irgendjemandem aufzubürden? Ich sollte es sein. Ich weiß, dass er mich nicht will, und ich weiß, dass ich ihn ständig nur weh tue, aber wenn ich es nicht tue, wie kann ich dann von jemand anderem erwarten es zu tun? Er war so unglücklich darüber seine Schwester zu belasten … und jetzt denkt er er wäre eine Belastung für mich… Wie kann ich ihm klar machen, dass das nicht der Fall ist?Über all das dachte er nach, während er auf dem Weg zu Kuroos Studio war, um an der Handballer-Sache zu arbeiten. Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er seinen Zielort erreichte.
Kuroo erwartete ihn in seinem Studio. „Oh, hi, wir sind gerade mit Kageyama fertig geworden. Nimm doch Platz und gib mir einen Moment, ja? Ich bringe das Skript mit, und wir besprechen noch einmal was deine Aufgabe ist", meinte der größere Mann zu ihm, und Shouyou nickte nur, und grübelte weiterhin vor sich hin, während er vor dem Studio wartete.
Kuroo kam schließlich von seinem Mischpult herüber zur Türe und trat dann zu Shouyou hinaus. „Also, ich dachte, wir könnten zusammen eine Tour hinüber zum Training der Handballer machen. Wir filmen kamerawirksam wie du zusiehst und sie trainieren, und dann sprichst du ein wenig mit ihnen. Lobst ihre Leistung, machst ihnen Mut, sprichst über Wettbewerbe im Allgemeinen … Kageyama hat schon über internationale Bewerbe gesprochen, vielleicht könntest du versuchen andere Themen abzugrasen. Sponsoring erwähnen und all das. Die könnten Sponsoren gebrauchen, und zwar dringend - deswegen machen wir das ja überhaupt erst", erklärte er, doch Shouyou hörte ihm schon nicht mehr zu.
„Kageyama hat sich schon zugeschalten? Hat er mit euch geredet? Wie hat er geklungen?", wollte er sofort wissen.
Kuroo musterte ihn einen Moment lang. „Also, um ehrlich zu sein … Am Anfang ist alles wirklich gut gelaufen, aber dann …. Ich mache mir ein wenig Sorgen um ihn", räumte der ehemalige Sportler dann ein.
Das hatte Shouyou schon befürchtet. Offenbar schien Tobio seiner Verzweiflung kaum noch Herr zu werden. Kuroo hatte ihm einen aufmerksamen Blick zugeworfen.
„Weißt du, es ist … Ich mache mir auch Sorgen um ihn, und ich weiß nicht … ich weiß nicht wie es weitergehen soll", gab Shouyou offen zu, „Mein letzter Versuch zu helfen ist nach Hinten losgegangen, und jetzt … um ehrlich zu sein weiß ich nicht was ich jetzt tun soll. Ob ich nicht durch meine bloße Anwesenheit alles schlimmer anstatt besser mache. Und was ich tun soll, wenn das so sein sollte." Er fühlte wie er unter der Last, die nun auf ihm ruhte, die Last jemandem, den er liebte, nicht helfen zu können, zunehmend zusammenzubrechend drohte.
„Weißt du was?", meinte Kuroo zu ihm, „Wie wäre es wenn, wir das alles machen" - er wedelte mit seinem Skript vor Shouyous Nase herum - „und uns sobald wir damit fertig sind, einfach ein wenig unterhalten und du mir sagst was eigentlich los ist. Ich kann nicht versprechen, dass ich dir helfen kann, aber zumindest zuhören kann ich. Und vielleicht fällt uns gemeinsam etwas ein, das wir tun können damit die Situation wenn schon nicht besser dann zumindest nicht noch schlechter wird."
Shouyou nickte und wünschte sich so sehr, dass auch wirklich dazu in der Lage sein würden zumindest das zu erreichen.
Shouyou konnte sich auf die Promotion für die Handballer kaum konzentrieren, so abgelenkt war er von den Gedanken an seinen Ex-Mann. Er gab sein Bestes, aber er nahm an, dass er irgendwie zerstreut herüberkam. Seine Antworten den Handballern gegenüber fielen alle irgendwie kurz und oberflächlich aus, und vermutlich hielten sie ihn für einen Volleyball-Snob, aber das war nun mal nicht zu ändern. Er wollte das alles nur schnell hinter sich bringen um mit Kuroo reden zu können.
Nach ihrem Besuch bei den Handballern kehrten sie ins Studio zurück, wo ihn Kuroo noch einmal kurz interviewte (dieses Mal versuchte Shouyou konzentrierter zu wirken), bevor sie für heute Schluss machten und gemeinsam einen Kaffee trinken gingen.
Nun hatte Shouyou endlich Gelegenheit jemandem alles, was in den letzten Tagen schief gegangen war, zu erzählen und seine eigenen Zweifel auszubreiten. Und doch fühlte er sich mit einem Mal unglaublich gehemmt. Zum ersten Mal seit langem fiel es ihm schwer die passenden Worte zu finden um zu beschreiben was in ihm vorging und was – und das war noch wichtiger – in Kageyama Tobio vorging.
Er beschrieb seinen Versuch Tobio mit Besuchern aufzuheitern und wie schief das alles gegangen war und suchte dann nach den richtigen Worten um alles andere auf den Punkt zu bringen. Er wollte nicht, dass Kuroo dachte, dass es sich nur um einen kleinen Streit zwischen ehemaligen Liebenden handelte, in dem es darum ging, dass einer nicht dazu in der Lage war auf den anderen Rücksicht zu nehmen.
„Ich glaube, dass Kageyama in einer Situation ist, in dem ihn alles, was ihn daran erinnert, was er verloren hat, unglücklich macht", meinte Kuroo gerade, „Deswegen hatte ich gehofft, dass es ihm helfen würde, wenn er sich mit etwas anderem beschäftigen kann, wenn er nicht über sich und seine Lage nachdenken muss. Aber funktioniert hat das nicht. Ich weiß, dass mir nicht zusteht mich einzumischen, aber ich glaube, dass es wichtig wäre, wenn er sich psychologische Unterstützung besorgt. Ich glaube, dass er einen Punkt erreicht hat, an dem wir ihm nicht mehr helfen können."
Shouyou wurde ganz flau im Magen als er das hörte. „Das wird er niemals tun", befand er, „Er fühlt sich schon so kaputt genug, und sein verdammter Stolz…. Ganz abgesehen davon ist er zu japanisch um sich diese Art von Schwäche einzugestehen."
„Dann solltest du dein Bestes tun um ihn zu überzeugen", meinte Kuroo, „Und ihn daran erinnern, dass das Ende seine Karriere nicht das Ende der Welt ist."
Shouyou zuckte die Schultern. „Ich bin nicht sicher, ob ich die richtige Person für diese Aufgabe bin", gestand er dem anderen Mann ein, „Wir beide, wir…" Er unterbrach sich und schüttelte den Kopf. „Hast du schon einmal gedacht, dass es keine Rolle spielt wie sehr du jemanden liebst, sondern du einfach nicht gut für diese Person bist, egal wie man es dreht und wendest, und dass es vielleicht besser wäre, wenn du vollkommen auf diese Person verzichtest, weil du ihr ansonsten einfach nur weh tun würdest? Weil ihr beide einfach zu unterschiedlich seid?", wollte er dann wissen, und bereute diese Frage im nächsten Moment schon wieder. Kuroo Tetsuro, der Don Juan aus seinem Bekanntenkreis, konnte solche Probleme doch wohl kaum kennen, nicht wahr? Doch zu Shouyous Überraschung erwiderte der andere Mann mit kratziger Stimme: „Oh, ja das habe ich. Einmal."
Shouyou blickte ihn mit großen Augen an. „Und was hast du … gemacht?", wollte er dann wissen.
Kuroo lächelte traurig. „Verzicht geübt, so sehr wie es nur irgendwie möglich war", meinte er, „Das Wollen und Sehnen vergraben, tief in mir, und versucht nie wieder daran zu denken." Er schwieg einen Moment lang. „Aber du, du hast ihn geheiratet. Es ist ein wenig spät für Verzicht." Er schien darüber nachzudenken. „Aber wenn du der Meinung bist, dass du nicht die richtige Person bist um Kageyama zur Vernunft zu bringen, dann solltest du dir vielleicht überlegen wer das sein könnte."
Shouyou nickte. Das war vermutlich ein kluger Rat. Und ja, Tobio würde noch wütender auf ihn werden, aber dann sollte er eben noch ein letztes Mal wütend auf ihn werden. Danach könnte er immer noch … nein, Kuroo hatte recht, so einfach war es nicht, nicht wahr? So einfach war es schon lange nicht mehr.
„Ich wollte ihn immer nur glücklich machen, weißt du? Von Anfang an. Na ja, nicht von Anfang-Anfanf an, am Anfang da wollte ich ihn besiegen, vernichten, am Boden sehen. Aber dann später, als ich ihn besser kennen gelernt habe, da wollte ich ihn glücklich sehen. Manchmal frage ich mich, ob ich in Wahrheit nicht nur seinetwegen so versessen darauf war der Beste von allen zu werden. Weil ich wollte, dass er jemanden hat, der immer auf seinem Niveau ist, der immer sein Gegner sein kann, damit er nie aufhören muss besser zu werden", erklärte Shouyou, „Aber ich hab Angst, dass er jetzt nie wieder glücklich werden kann, und das macht mich fertig, das macht mich mehr fertig als alles andere."
„Wenn du jetzt wegläufst, weil es dich unglücklich macht ihn unglücklich zu sehen, dann bist du selbstsüchtig", erwiderte Kuroo, „Verzichten und Weglaufen ist nicht das Gleiche. Kageyama braucht dich. Du bist sein Ehemann. Seine Karriere mag er nicht mehr haben, aber dich hater immer noch."
„Ich habe es nur einfach noch nie ertragen ihn unglücklich zu sehen", gab Shouyou zu.
„Und vielleicht hast du ihn deswegen zu Dingen gedrängt, für die er nicht bereit war, und damit alles noch schlimmer gemacht anstatt besser", schlug Kuroo fort, „Du musst ihn an erste Stelle setzen, Shouyou-kun. Und du kannst erst gehen, wenn du sicher bist, dass er ohne dich in seinem Leben glücklicher wäre als mit dir."
Aber das konnte er nur sein, oder etwa nicht?
„Manchmal beneide ich Bokuto und Akaashi, die hatten es immer so leicht. Ich weiß noch, dass ich immer gedacht habe, dass wir es doch alle so leicht haben sollten wie die beiden", meinte Shouyou, „Ich hab nie verstanden warum es für mich und Tobio, für uns alle anderen eigentlich, so viel schwerer war."
Kuroo lächelte wehmütig. „Ach, du kennst doch, Bo. Er hält mit seinen Gefühle nicht hinterm Berg. Jemand, der so offen ist, nun der fällt entweder böse auf die Nase oder schafft es sehr schnell sehr glücklich zu werden", meinte er dann.
Shouyou musterte ihn einen Moment lang. Dann fragte er langsam: „Diese Person … auf die du verzichtet hast … Das war aber nicht etwa Bokuto, oder etwa doch?" Er erinnerte sich noch sehr gut daran, dass sich Kuroo und Bokuto in ihrer gemeinsamen Oberschulzeit nahe gestanden hatten, und daran, dass es Gerüchte darüber gegeben hatte, dass Bokuto und Kuroo ein Paar gewesen wären, damals nach Akaashis Oberschul-Abschluss als sich dieser von Bokuto getrennt gehabt hatte.
Kuroo warf ihm einen überraschten Blick zu. „Was? Nein?! Bo und ich das wäre … Ich meine, wir haben es mal getan, nur um zu sehen wie es wäre, aber … wir sind definitiv nicht auf diese Weise aneinander interessiert gewesen", gab er beinahe entsetzt zurück, „Oh, nein, Bokuto Koutarou war immer schon ein Ein-Mann-Mann, und das war mir immer nur allzu recht."
Okay, soviel zu dieser Idee. Aber Kuroo war ihm so melancholisch erschienen, als er von Bokuto gesprochen hatte, und deswegen hatte Shouyou die Situation wohl falsch interpretiert. Aber vielleicht hatte er ja nur ähnlich wie Shouyou bereut, dass es niemals so einfach und direkt zwischen ihm und seiner geheimnisvollen Lieben gelaufen wie war wie zwischen Bokuto und Akaashi genau wie Shouyou im Bezug auf Tobio…
„Moment, ist es … Kenma?!", entfuhr es Shouyou dann, und er fragte sich wie er das niemals zuvor hatte bemerken können. Es war ihm doch selbst aufgefallen: Dass Kuroo für Kenma alles stehen und liegen ließ, während seine wechselnden sexuellen Partner nie sein Interesse halten konnten.
Kuroo erstarrte und wirkte beinahe ertappt. „Du darfst ihm das niemals sagen, Shouyou", meinte er dann ruhig, „Bitte. Kenma würde … er würde sich verpflichtet fühlen. Und das ist das Letzte, was ich will."
Shouyou blinzelte und versuchte seine verwirrten Gedanken zu ordnen. „Aber … aber er … aber du…" Er schüttelte den Kopf. „Ich meine, ihr könntet doch vielleicht einfach … einen Kompromiss finden", meinte er langsam, „Tobio hat sich auch nie besonders viel aus Sex gemacht, und wir haben …."
„Es ist nicht das Selbe", unterbrach ihn Kuroo, „Glaub mir, es ist etwas vollkommen anderes. Kageyama liebt dich auf diese Weise. Er will mit dir zusammen sein. Oder wollte das zumindest früher. Aber Kenma … Kenma interessiert das alles nicht. Nichts davon. Aber wenn es um mich geht, dann würde er sich dazu zwingen all die Dinge zu tun, die er eigentlich nicht tun will, weil er denkt, dass er sie für mich tun muss. Und damit könnte ich nicht leben."
Shouyou wusste nicht was er darauf sagen sollte. Er glaubte nicht, dass Kuroo recht hatte, aber er war sich auch darüber im Klaren, dass Kuroo Kenma besser kannte als er, und dass gerade er nicht das Recht dazu hatte anderen Beziehungsratschläge zu erteilen. Seine Beziehung zu der Liebe seines Lebens lag in Trümmern und war schon zuvor nicht gerade besonders vorzeigbar gewesen. Also, nein, was immer auch zu sagen hatte, Kuroo würde nicht auf ihn hören, und das aus gutem Grund.
„Es tut mir leid", meinte er dann, „Ich werde nichts sagen."
Zumindest wusste er jetzt, dass er nicht der Einzige war, dem es nicht bestimmt war mit dem einen Menschen, der zu ihm gehörte, der ihm alles bedeutete, glücklich zu werden. Vielleicht könnte er daraus zumindest ein wenig Trost ziehen, wenn schon sonst niemand etwas von dieser Offenbarung hätte.
Kuroo nickte. „Es ist besser so", meinte er, „Kenma … hat Besseres verdient. Ich meine, du hast recht, es kann nun mal nicht jeder so sein wie Bokuto und Akaashi."
Shouyou nickte nur bedrückt.
„Aber nur weil man mit jemanden nicht zusammen sein kann, heißt das nicht, dass man nicht das Beste für ihn wollen und tun kann. Oder dass man gar nicht mehr am Leben des Anderen teilhaben kann", meinte Kuroo, „Wenn du Kageyama helfen willst, dann soll dich das Wissen, dass ihr keine gemeinsame Zukunft habt, davon nicht abhalten. Ich bin dankbar dafür, dass ich immer noch Teil von Kenmas Leben sein kann, selbst wenn ich mir wünschen würde, dass es ein anderer Teil wäre, reicht mir das, was ich bekomme. Weil ich weiß, dass es das Beste für uns beide ist. Und sobald du herausgefunden hast, was das Beste für Kageyama und dich ist, wirst du dafür sorgen, dass es wahr wird, auch wenn es vielleicht nicht dem entspricht, was du dir für euch erhofft hast."
„Das werde ich- ich meine, das hoffe ich zumindest", murmelte Shouyou, aber er war immer noch der Meinung, dass die Dinge einfacher sein sollten, für ihn und Tobio genau wie für Kuroo und Kenma. Aber er widersprach nicht mehr. Was hätt es schon gebracht?
Er sollte sich lieber darauf konzentrieren seine eigenen Probleme zu lösen. Oder besser gesagt Tobios Probleme zu lösen. Und danach … nun danach würde er versuchen müssen stark genug für sie beide zu sein, so weh es auch tun würde. Im Stich lassen konnte er Tobio nicht, aber eine gemeinsame Zukunft hatten sie wohl auch nicht mehr. Wie er mit diesem Widerspruch fertig werden sollte, wusste er noch nicht, aber er würde einen Weg finden, das schwor er sich.
Kuroo hatte ja auch irgendwie einen Weg gefunden, nicht wahr? Vielleicht arbeitete er ja deswegen immer so viel und so unermüdlich, um sich abzulenken und um neue Chancen zu finden mit Kenma zu arbeiten. Vielleicht hatte er deswegen als Oberhaupt der Volleyball Assoziation zugestimmt Handball zu promoten, weil es ihm neue Perspektiven und neue Möglichkeiten eröffnete Kenma nahe zu sein und zugleich nicht zu nahe zu kommen.
Shouoyu konnte ihn nur still bewundern und ihn sich zum Vorbild nehmen. Doch das war einfacher gesagt als getan. Ihre Situationen unterschieden sich trotz allen Ähnlichkeiten doch sehr voneinander.
Nach Brasilien konnte Shouyou auf jedem Fall nicht zurückkehren, so viel war klar. Doch es gab genug Clubs in Japan, die ihn nehmen würden, das wusste er. Und ja, es würde Tobio verletzen, dass Shouyou immer noch spielte, aber es würde ihn noch mehr verletzen, wenn er vollkommen alleine zurückblieb. Vielleicht könnte Shouyou Liga wechseln, das würde ihm mehr Freizeit einräumen. Aber wäre Tobio wütend auf ihn, wenn er sein Potential nicht ausschöpfte und verschwendete? Wütender als wenn er ihn wegen seiner Karriere im Stich lassen würde? Redete er immer davon wieviel alle anderen von ihm erwartet hatte und wie sehr er sie enttäuscht hatte, weil er in Wahrheit genauso viel von Shouyou erwartete?
Ihm wurde klar, dass er mit Tobio über das alles sprechen würde müssen. Wenn er wollte, dass keine weiteren Missverständnisse mehr aufkamen, wenn er wollte, dass sie beide glücklich werden könnten oder zumindest weniger unglücklich, dann würde kein Weg daran vorbei führen über alles miteinander zu reden. Ratschläge von Bokuto und Kuroo waren eine Sache, aber sie waren kein Ersatz für diese tatsächliche Lösung.
„Aber woher weißt du es?", wollte er dann von Kuroo wissen, „Woher weißt du, dass die Lösung, die du gefunden hast, das Beste für euch beide ist? Hast du jemals mit Kenma darüber gesprochen?" Er funkelte Kuroo herausfordernd an. „Ich meine, mir ist gerade klar geworden, dass ich bisher immer davon ausgegangen bin, dass ich besser als Tobio weiß was er braucht. Dass ich mir Ideen von anderen abgeschaut habe und durchgeführt habe anstatt mit ihm über das zu sprechen, was er will und braucht. Und dass ich, wenn ich herausfinden will, was das Beste für ihn ist, darüber mit ihm sprechen muss. Und daher habe mich gefragt, ob du einfach beschlossen hast, dass du weißt was Kenma braucht, oder ihn in Wahrheit doch danach gefragt hast. Ich meine, ich weiß, dass du ihm nie gesagt hast, was du empfindest, aber hast du zumindest hypothetisch über eine ähnliche Situation mit ihm diskutiert? Denn wenn nicht, dann hast du vielleicht einfach entschieden was du für das Beste für ihn hältst anstatt das zu machen, was wirklich das Beste für ihn wäre", fuhr er fort.
Kuroo starrte ihn einen Moment lang irritiert an. Dann meinte er: „Ich kenne Kenma, Hinata. Ich weiß was das Beste für ihn ist."
„Ja, aber siehst du, genau das dachte ich auch über Tobio", gab Shouyou zurück, „Und du weißt wozu das geführt hat."
Kuroo warf ihm einen finsteren Blick zu, aber Shouyou ließ sich davon nicht beeindrucken. Vielleicht irrte er sich ja, aber Kenma war sein Freund, genau wie Kuroo, und er schuldete es beiden nicht einfach den Mund zu halten, sondern das auszusprechen, was er für richtig hielt. Natürlich würde er Kenma nichts verraten, aber er wollte nachher zumindest behaupten können, dass er getan hatte, was er konnte, um all seinen Freunden zu helfen.
„Denk einfach darüber nach", bat er Kuroo, „Und ich denke inzwischen über all das nach, was du mir gesagt hast, und suche nach einem Weg Tobio zu helfen. Oder besser gesagt nach jemandem, der Tobio helfen kann." Er warf einen Blick auf sein Smartphone. „Ich schätze das wird ihm nicht gefallen, aber ich muss wohl ein Ferngespräch nach Argentinien führen."
Immerhin war er sich ziemlich sicher, dass es nach all den Fehlern, die er begangen hatte, jetzt nur noch eine Person gab, die zu Tobio durchdringen würde, auch wenn er wusste, dass das genau die eine Person war, von der Tobio am Wenigsten wollen würde, dass Shouyou sie anrief, aber das nahm er in Kauf, da er nun mal bereit war alles zu tun, was notwendig war, um Tobio zu helfen.
Und dieses Mal tat er es wirklich für Tobio und nicht für sich selbst. Also musste er es tun, egal wie wütend es Tobio auch machen würde.
A/N: Drei Mal dürft ihr raten wen Shouyou jetzt anruft und die erste Antwort stimmt.
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