Zusätzliche Warnings: Trigger-Warning für dezidierte Selbstmord-Gedanken in diesem Kapitel


IX.


Kozume war extra nett zu ihm. Das war nicht zu übersehen und sorgte dafür, dass Tobio sich nur noch mieser fühlte als sowieso schon. Offenbar machte sich Kozume Sorgen um seinen übersensiblen Mitbewohner, der nicht damit zurecht kam, dass sein altes Leben vorbei war, und deswegen besonders umsorgt werden musste.

Normalerweise war Kozume jemand, der anderen ihren Freiraum ließ, doch heute ließ er es sich nicht nehmen im Fünf Minuten-Takt in Tobios Zimmer vorbeizusehen um ihm entweder Dinge zu bringen, die dieser nicht brauchte, oder ihm Aktivitäten vorzuschlagen, auf die dieser nicht eingehen wollte, oder ihm unnötige Frage zu stellen, deren Antworten sie beide bereits kannten.

Nach seinem Ausbruch gegenüber Kuroo-san am Vormittag, war Tobio in sein Zimmer zurückgerollt um für sich alleine zu sein, wogegen Kozume vorerst auch nichts einzuwenden gehabt hatte.

Als er ihn ungefähr zehn Minuten später gefragt hatte, ob er etwas brauchte, war Tobio das auch noch nicht verdächtig vorgekommen, doch als er ihm wenig später kommentarlos Haferschleim ins Zimmer brachte, begann sich Tobio zu wundern und hörte damit erst auf, als ihm nach zwei weiteren Unterbrechungen klar wurde, dass Kozume ihn nun offenbar bewachte/überwachte, weil er sich Sorgen um ihn machte.

Tobio hätte ihm gerne gesagt, dass diese Sorgen unbegründet waren, doch leider waren sie das ja nicht. Nicht wirklich.

Und die Tatsache, dass Kozume sich um ihn Sorgen machen musste, bewies nur wieder wie viel besser alle dran wären, wenn er nicht Teil ihres Lebens wäre. Wenn es mich einfach nicht mehr geben würde, dann müsste er seine Zeit nicht damit verschwenden nachzusehen wie es mir geht. Dann hätte er weniger Stress. Zugleich aber war ja vielleicht genau das Kozumes Befürchtung, dass Tobio sich etwas antun könnte.

Doch Selbstmord in der Wohnung eines anderen wäre unhöflich. Tobio war besser erzogen worden. Leider fehlte ihm die Möglichkeit so wie alle anderen die nächste Brücke aufzusuchen, seine Schuhe auszuziehen, und einfach zu springen. Er konnte auch nicht den Zug nehmen oder von einem hohen Gebäude springen. Er konnte nirgendwo alleine hingelangen um dort allem ein Ende zu setzen, genau das war ja sein Problem. Er war so armselig, dass er sich nicht einmal das Leben nehmen konnte. Wie ironisch und furchtbar zugleich war das nur?

Doch was sollte er nur tun? Am Ende würde er alleine zurückgelassen werden, das war ihm klar. Und dann, wenn es soweit war, nun vielleicht würde er dann in der Lage sein einfach alles zu beenden. Doch bis dahin … bis dahin musste er irgendwie die Kraft aufbringen weiterzumachen, am Morgen aufzuwachen, sich dem nächsten Tag zu stellen, so zu tun als gäbe es etwas, für das es sich zu leben lohnte.

Er musste das tun, denn wenn er es nicht tat, dann würde er sich schon sehr bald ganz alleine wiederfinden. Kozume war vielleicht sehr geduldig, aber ein Heiliger war er definitiv nicht. Irgendwann würde es ihm zu viel werden, dass sein Mitbewohner – um den er nie gebeten hatte – zu schwach war um damit klar zu kommen, dass er nie wieder Volleyball spielen können würde.

An diesem Tag bekam er auf jeden Fall ziemlich viel von Kozume, aber dafür nichts von Hinata zu Gesicht. Ein Teil von ihm hatte gehofft, dass sein Ex-Mann wieder auftauchen würde, wenn er mit seiner Arbeit für Kuroo-san fertig war, doch offenbar wollte er ihn nicht sehen, offenbar hatte er wirklich vor das zu tun, was Tobio ihm angeschafft hatte: Er wollte zurück zu seinem Team gehen und Tobio verlassen. Und Tobio davor nicht mehr ins Gesicht sehen müssen.

Am nächsten Morgen teilte Kozume ihm mit, dass Hinata hier gewesen war, doch offenbar war er schon wieder weg. Ja, es konnte nicht deutlicher sein: Hinata Shouyou wollte nichts mehr mit Kageyama Tobio zu tun haben.

„Mir ist klar, dass du nicht zugestimmt hast mein Pfleger zu werden, aber wenn Shouyou auszieht; dann würde ich darum bitten, dass du mir ein wenig Zeit gibst selbstständiger zu werden, bevor du mich rauswirfst", meinte Tobio also beim Frühstück zu Kozume, „Ich werde so schnell wie möglich dazu lernen, das verspreche ich dir. Mir bei der Physiotherapie besonders viel Mühe geben, und…."

„Shouyou hat nichts davon gesagt, dass er hier auszieht", unterbrach ihn Kozume mit gerunzelter Stirn, „Aber selbst wenn er das tun würde, würde ich dich nicht einfach rauswerfen. Selbst wenn du keine Hilfe brauchen würdest, würde ich das nicht tun. Du bist nicht der schlechteste Mitbewohner. Du bist nicht laut oder ablenkend. Manchmal fällt mir gar nicht auf, dass du da bist, so leise bist du. Außerdem habe ich mich daran gewöhnt, dass du hier wohnst. Von mir aus kannst du solange bleiben wie du möchtest."

Tobio brach spontan in Tränen aus, als er diese Antwort hörte.

Kozumes Augen weiteten sich erschrocken. Er klopfte Tobio auf die Schulter, schien aber nicht zu wissen, was er sonst tun sollte. „Shouyou kommt zurück", behauptete er, „Er hat dich nicht verlassen."

Doch Tobio wusste es besser. Er konnte es ja auch verstehen – er würde sich selbst ebenfalls verlassen, wenn er an Hinatas Stelle wäre. Und es war nur eine Frage der Zeit bis Kozume seine Meinung ändern würde, und ihn trotz allem loswerden wollen würde. Sobald ihm klar werden würde, dass Hinata eben nicht zurückkommen würde und, dass er als Vollzeit-Pfleger für Tobio einspringen müsste, würde er schon bald genug von seinem Mitbewohner haben.

Vielleicht schon früher als gedacht. Immerhin hatte Tobio heute einen Physiotherapie-Termin, zu dem er irgendwie kommen musste. Und da Hinata sich abgesetzt hatte, musste ihn irgendjemand anderer dorthin fahren.

Kozume besaß weder Auto noch Führerschein und war eindeutig zu schwach um Tobio alleine öffentlich zum Therapiezentrum zu schaffen. Damit blieb nur die schlimmste aller Möglichkeiten: Hilfe von vollkommen Fremden, die nicht dafür bezahlt wurden, Rollstühle Treppen hinunter und hinauf zu schleppen.

„Ich muss ein Taxi anrufen, für meinen Termin heute", erklärte Tobio langsam.

„Oh, nein, das musst du nicht. Wir haben doch schon besprochen, Kuroo fährt dich heute", meinte Kozume sofort.

Tobio hob fragend eine Augenbraue, als er das hörte, doch er kommentierte diese Aussage nicht. Und er fragte auch nicht um wen genau es sich bei „wir" handelte, und ob ein Arrangement ähnlich wie dieses in Zukunft noch öfter vorkommen würde. Stattdessen meinte er nur: „Okay." Und ließ sich dann später am Tag von Kuroo-san fahren.

„Es tut mir leid, dass ich dir so viele Umstände mache", sagte er zu diesem, nachdem dieser ihn gemeinsam mit Kozume in sein Auto gehievt hatte und losgefahren war.

„Sind keine Umstände", erwiderte Kuroo-san nur, „Außerdem hast du mir mit dem Handballer-Promotion-Zeug ausgeholfen, oder nicht? Freunde helfen einander aus."

Ach, wir sind Freunde? Tobio stellte ihm diese Frage nicht. „Ist Hinata gestern aufgetaucht?", wollte er stattdessen wissen.

„Ja, er war da", erwiderte Kuroo-san ruhig und warf ihm einen flüchtigen Blick über den Rückspiegel zu. „Er macht sich Sorgen um dich, weißt du?"

Falls das wahr war, dann hatte Shouyou eine seltsame Art diese Sorgen zu zeigen. Tobio zuckte mit den Schultern. „Er wird wohl bald wieder das Land verlassen", meinte er nur dazu, „Momentan fühlt er sich vielleicht zu schuldig um es gleich zu tun, aber es war noch nie ein Problem für ihn mich zu verlassen." Er schwieg einen Moment lang. „Vermutlich ist es besser so." Er wollte den vollen Umfang seiner Verzweiflung dem anderen Mann nicht offenbaren. „Er soll so leben wie es am Besten für ihn ist."

Kuroo-san wirkte skeptisch, als er das hörte. „Und du denkst, dass er ohne dich besser dran ist?", wollte er wissen.

Tobio lachte bitter auf. „Jeder wäre ohne mich besser dran", meinte er nur, „Ich war schon vorher kein Hauptgewinn, aber jetzt …" Er schüttelte seinen Kopf. „Ich meine, ich verstehe es. Früher, da habe ich es nicht verstanden, wollte es nicht verstehen. Aber jetzt verstehe ich es."

„Aber ihr seid verheiratet", betonte Kuroo-san, „Hat das nichts zu bedeuten? Denkst du nicht, dass das Hinata etwas bedeutet?"

Tobio zuckte die Schultern. „Ich wollte nie, dass sich er sich um mich kümmert, nur weil er denkt, er habe sich dazu verpflichtet als wir geheiratet haben", erwiderte er, „Wenn ich geahnt hätte, was kommen würde … dann hätte ich ihn nie geheiratet. Er schuldet mir nichts. Ich wünschte, er würde das nicht denken. Ich wünschte, er würde verstehen, dass er seine Entscheidungen basierend auf seinen eigenen Bedürfnissen fällen sollte und nicht auf meinen. Das wäre besser für uns beide."

Kuroo-san erwiderte nichts und war den Rest der Fahrt über uncharakteristisch still. Tobio war das nur recht - es war emotional auslaugend über all das zu sprechen und dabei so zu tun als würde ihm das alles nicht das Herz zerreißen, und als ob er damit leben könnte, dass Shouyou ihn wieder – und dieses Mal für immer – verlassen würde. Die Stille war ihm lieber.

Trotz allem was Kozume gesagt hatte, gab er sich heute besonders viel Mühe bei der Physiotherapie, soviel sogar, dass sein Therapeut ihn ermahnte seinen Körper nicht zu überfordern.

Überfordern – was für ein Witz. Seine minimalen Fortschritte waren nicht gerade etwas, womit er angeben konnte, oder was ihm dabei helfen würde bald ausziehen zu können. Wenn er in den Tempo weitermachte, dann würde er Kozume so oder so nach lange auf als Mitbewohner erhalten bleiben.

Erschöpft und frustriert ließ er sich von Kuroo-san zurück nach Hause fahren und ging auf dessen Versuche Konversation zu machen kaum ein.

Kuroo-san brachte ihn mit Hilfe ein paar Nachbarn zurück in die Wohnung und verabschiedete sich dann. Tobio konnte leise Stimmen aus Kozumes Studio kommen hören, bei denen es sich um Kozume und Shouyou zu handeln schien. Er überlegte einen Moment lang hineinzurollen und Shouyou zur Rede zu stellen, ihm ins Gesicht zu schreien, dass er es ihm schuldig war ihm zu sagen was genau er plante zu tun. Aber er hatte keine Kraft dazu, und eigentlich wollte er die Antwort gar nicht hören. Also rollte er stattdessen wieder in sein Zimmer und hoffte, dass Shouyou nicht zu ihm herein kommen würde.

Doch natürlich hatte er nicht so viel Glück. Wenig später drang Shouyou unaufgefordert in sein Zimmer ein. Er trat allerdings mit eingezogenen Kopf und vorsichtigen Schritten ein, so als hätte er Sorge, dass Tobio ihm den Kopf abbeißen würde.

Tobio starrte ihn stumm an.

„Ich – ehm, ich wollte mich entschuldigen", erklärte Shouyou und kratzte sich verunsichert am Kopf, „Ich weiß, du glaubst mir das wahrscheinlich nicht, aber ich wollte dir nie weh tun. Ich bin einfach … wirklich so blöd. Bokuto hat mir diesen Floh ins Ohr gesetzt, und Atsumu hat mich gewarnt, dass es eine dumme Idee ist, aber ich habe nicht zugehört, und deswegen … ja, also es tut mir leid."

Tobio nickte nur. Er wollte lieber nicht riskieren etwas direkt dazu zu sagen.

„Ich … ich will dir nie weh tun. Das ist das Letzte, was ich will. Und wenn du mir schon sonst nichts glaubst, dann glaub mir wenigstens das", fuhr Shouyou fort, „Wir beide, wir müssen uns bald unterhalten, richtig miteinander reden, meine ich. Nicht jetzt natürlich. Du hast einen langen Tag hinter dir, aber bald. Ich – ehm, wollte dich nur vorwarnen."

Tobio nickte wieder.

„Tja, das war's auch schon wieder. Ehm, ich weiß nicht, ob … brauchst du heute noch meine Hilfe, oder? … Kenma hat angeboten das Notwendigste an meiner Stelle zu übernehmen, wenn dir das lieber ist?"

Tobio räusperte sich. „Ja, ich … denke, es ist besser, wenn Kozume das Heute übernimmt", meinte er.

Jetzt war es an Shouyou zu nicken. „Ja, dann … sehen wir uns Morgen, schätze ich", murmelte er, und dann war er auch schon wieder verschwunden.

Ja, er würde Tobio eindeutig verlassen. Das war es, worüber er mit ihm reden wollte. Tobio freute sich nicht darauf, oh nein, und er hoffte, dass sie dieses Gespräch nicht schon morgen führen würden. Aber zugleich wusste er auch, dass es keine Rolle spielte wie lange er ihr Gespräch auch hinauszögerte, am Endergebnis von diesem würde er nichts ändern können.


Nach einer schweren Nacht kam Tobio am nächsten Tag nur schwer zu sich und noch schwerer aus dem Bett. Aber er musste sich der Realität stellen: Sein Versuch mit seinem Ex-Mann gemeinsam das alles hier durchzustehen war so gut wie zu Ende. Nicht aufzustehen würde daran nichts ändern. Also quälte er sich aus dem Bett.

Er rechnete nicht damit Shouyou zu Gesicht bekommen, und war daher auch nicht überrascht, dass Kozume die morgendlichen Pflichten an seinem Körper am heutigen Tag übernahm. Was ihn jedoch überraschte war, dass dieser ihm ein paar Stunden nach dem Frühstück mitteilte, dass er einen Gast hatte.

So viel zu Shouyous Entschuldigung. Wen hat er jetzt schon wieder eingeladen?

Tobio rollte in das Wohnzimmer und fand dort dann jemanden vor, den er, wenn er ehrlich war, nicht dort erwartet hätte: Oikawa Tooru in all einer Pracht.

„Senpai?!", entfuhr es ihm, und er war sich einen Moment lang nicht sicher, ob er träumte. So weit er wusste war Oikawa immer noch in Argentinien (und im Grunde wusste er immer sehr genau darüber Bescheid wo sich Oikawa gerade befand). Und er hatte sich doch sicherlich nicht die Mühe gemacht nur wegen Tobio nach Tokyo zu kommen. Das wäre überaus … uncharakterstisch.

„Was machst du hier?", platzte es aus Tobio hinaus.

Oikawa hob die Augenbrauen und erwiderte: „Nun, Momentan sitze sich in Kozume Kenmas Wohnung und werde angestarrt als wäre ich ein Alien. Ist es so schwer zu glauben, dass ich einen alten Freund besuchen kommen würde?"

„Ja", lautete Tobios einzige Antwort darauf.

Oikawa biss sich auf die Lippen. „Okay, ich gebe zu, dass es nicht meine Idee war zu kommen. Shouyou hat mich darum gebeten. Offenbar ist keiner hier in der Lage dir Vernunft einzubläuen, also muss ich ran", räumte er dann ein.

Tobio konnte immer noch nicht glauben, dass Oikawa einfach so aus Argentinien nach Japan gekommen war, nur um mit ihm zu sprechen. Aber andererseits hatte er diese seltsame Freundschaft, die seinen ehemaligen Senpai mit Shouyou verband, noch nie verstanden, aber es wunderte ihn nicht, dass Oikawa alles für Shouyou tun würde. Die meisten Leute waren dazu ziemlich schnell bereit.

„Du hättest dir nicht die Umstände machen müssen herzukommen", meinte Tobio dann, „Deine Unannehmlichkeiten tun mir sehr leid."

„Wenn ich das so höre, dann scheint es als ob ich wirklich herkommen musste. Seit wann bist du so höflich zu mir? Wir sind schon lange nicht mehr auf der Mittelschule", erwiderte Oikawa sofort.

Tobio ersparte sich eine Antwort.

„Komm schon, was soll der Unsinn? Wir haben zu viel durchgemacht um jetzt so anzufangen", meinte Oikawa, „Also zur Sache: Du willst einfach …. was? Aufgeben? Ist es das, ja?"

Tobio spürte wie angesichts dieses abwertenden Urteils von jemandem, der die letzten Monate nicht einmal Teil seines Lebens gewesen war, Zorn in ihm aufflammte – oder vielleicht war das einfach nur der Fall, weil dieses Urteil ausgerechnet von Oikawa kam.

„Wenn du an meiner Stelle wärst, dann würdest du…", setzte er an, doch Oikawa unterbrach ihn.

„Ja, ja, es muss furchtbar sein seine Karriere vorzeitig beenden zu müssen. Das stürzt einen schon mal in Depressionen, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit etc.", spottete der ältere Mann, „Klar, wenn ich an deiner Stelle wäre, dann würde mich meinem Ruf und Charakter entsprechen als Drama-Queen gebärden, schimpfen, weinen, schreien, mich volllaufen lassen, meine Medikamente absetzen, und viel anderes dummes Zeug machen."

Er zuckte die Schultern und fuhr fort: „Aber weißt du was ich nicht tun würde? … Aufgeben! Verdammt noch mal, Tobio-chan, du bist doch ein Kämpfer! Wann hättest du jemals zuvor einfach so aufgegeben? Wo ist der Junge geblieben, der sich den Sprungaufschlag selbst beigebracht hat, als sein egoistischer aber gut aussehender Senpai sich geweigert hat ihn in dieses Geheimnis einzuweihen? Ein Schicksalsschlag und was? Du stellst dich tot und hoffst, dass das bald nicht mehr nur Schauspielerei sein wird?"

„Wie willst du den Rest deines Lebens verbringen? Ich hab gehört, dass du nicht einmal bereit bist über ParaVolley nachzudenken! Shouyou hat mir gesagt, dass du das Gefühl hast uns andere zu enttäuschen, nun ich habe Neuigkeiten für dich: Du enttäuscht uns wirklich. Nicht wegen dem, was passiert ist, sondern wegen der Art und Weise wie du darauf reagierst! Ich dachte du spielst Volleyball, weil du den Sport liebst. Aber offenbar wolltest du immer nur den Ruhm."

Tobio traute seinen Ohren nicht. „Was? Nein, wie kannst du das sagen?! Es war mir egal, ob ich berühmt bin, oder nicht. Ja, ich wollte der Beste sein, aber ich wollte deswegen der Beste sein, damit ich am Längsten am Platz stehen kann! Und jetzt kann ich das nicht mehr, jetzt kann ich gar nicht mehr am Platz stehen! Ich dachte, dass ausgerechnet du, abgesehen von Shouyou, derjenige sein würde, der das am Besten versteht!", entfuhr es ihm.

Mit einem Mal fühlte er sich wirklich wieder wie in der Mittelschule - missverstanden von und hilflos gegenüber seinem Senpai, den er nur bewunderte, und dem er sich verbunden gefühlt hatte, und der als Einziger so zu sein schien wie er (und in den er unglaublich verknallt gewesen war, auch wenn ihm das damals natürlich nicht bewusst gewesen war). Wie konnte Oikawa ihn so …. im Stich lassen? Schon wieder!?

„Und trotzdem verlässt du den Platz freiwillig, nur weil es hart wird?", fuhr Oikawa ihn an, „Weißt du, dir ist das vermutlich nicht klar, aber du hattest es immer unglaublich leicht, und es ist Zeit, dass dir das einer mal ins Gesicht sagt. Wir anderen, wir haben uns abgestrampelt bis zum geht nicht mehr um so gut zu werden wie wir sind. Shouyou und ich, wir waren nie mit so viel Talent gesegnet wie du, wir mussten uns unseren Erfolg erkämpfen. Für jeden gelungenen Spielzug mussten wir dreimal so hart arbeiten wie du. Nachdem ich es nie zur Nationalmeisterschaft geschafft hatte, war ich ein unbekannter Spieler, als ich nach Argentinien gegangen bin. Ich wusste, dass ich gut bin, aber niemand anderer wusste es!"

„Ich musste mich jedem aufs Neue beweisen, immer und immer wieder!", behauptete der ältere Mann, „Shouyou musste Beachvolleyball lernen um auf deinem Niveua mitspielen zu können. Selbst Ushiwaka oder Bokuto – der eine unfähig mit seinem Team zu kommunizieren, der andere seinen wechselnden Emotionen unterworfen; jeder Erfolg war am Ende etwas, das sie sich erkämpfen mussten. Aber du … dir ist einfach immer alles in den Schoss gefallen. Du warst einfach so derartig gut. Klar, du hast Tag und Nacht dafür trainiert, aber das hat nur dazu geführt, dass du noch besser wurdest und direkt aus der Oberschule in die Liga rekrutiert wurdest. Weißt du wie selten das ist?"

„Also ja, es ist hart für dich, natürlich ist es das. Aber in Wahrheit ist das Leben jetzt für dich einfach nur so hart wie es für alle anderen immer war, weil dir das, was du liebst, nicht mehr einfach so in den Schoss fällt."

„Du denkst du kannst nicht ohne Volleyball leben? Nun, dann kämpf darum, dass du das nicht musst! Es gibt so viele Möglichkeiten den Sport weiterhin Teil deines Lebens sein zu lassen. Aber darüber denkst du nicht einmal nach, nicht wahr?", wurde ihm vorgeworfen, „Weil du zu stolz bist. Weil du zu stolz bist um weniger zu sein als der Superstar, der du warst." Oikawa schüttelte seinen Kopf und schnaubte abwertend. „Und das macht mich verdammt wütend, weil ich dachte, dass wir mehr von dir erwarten können."

Tobio fand endlich seine Stimme wieder. „Aber es wäre nicht mehr das Selbe. Ich kann nicht einfach nur Trainer spielen oder für die Assoziation arbeiten. Nicht wenn ich weiß wie es sich anfühlt zu spielen. Und ParaVolley … ich weiß nicht mal, ob sie mich zulassen würden….", widersprach er heftig.

Oikawa schnaubte erneut. „Unsinn. Wohnst du nicht bei der besseren Hälfte von einem ganz hohen Tier der Assoziation? Natürlich würden sie dich zulassen! Selbst wenn du nicht mehr springen kannst, jeder würde sich um dein Zuspiel prügeln, und das weißt du auch. Und komm mir jetzt nicht mit so was wie Fairness. Darum geht es dir nicht. Du willst dich einfach nicht so weit erniedrigen. Weil du nicht verstehst wie hart diese Leute gearbeitet haben um das, was wir beide für verständlich hingenommen haben, zumindest irgendwie nachfühlen zu können!", meinte er kurz angebunden.

„Ich verstehe es sehr wohl! Wie könnte ich es nicht verstehen, wo doch ich derjenige bin, der weiß wie es sich anfühlt nicht alleine aufs Klo gehen zu können! Du irrst dich, ich blicke nicht auf sie herab, oder halte mich für was Besseres! Ich weiß einfach wie es ist auf der anderen Seite zu stehen! Ich weiß wie es ist alles zu haben, und jetzt … jetzt hab ich nichts mehr! Wie kann ich mich dann je mit weniger zufrieden geben?", brüllte ihn Tobio an.

„Nichts mehr, ja? Ich nehme an, dein Chibi-chan und all deine Freunde zählen nichts?", hielt Oikawa dagegen.

„Ich habe keine Freunde! Und Shouyou hab ich auch nicht mehr! Volleyball war alles, was ich hatte! Warum versteht das nur keiner!", schrie ihm Tobio entgegen.

Oikawa schüttelte den Kopf, als würde er Tobio für ein stures Kind halten, das ihm nicht zuhörte, wo diese Beschreibung doch auf ihn zutraf. „Ja, deswegen bist du ja auch obdachlos und ich jetzt hier", erwiderte er nur trocken. Dann seufzte er. „Vielleicht hast du ja recht, vielleicht versteht es wirklich keiner, aber vielleicht bist du derjenige, der nicht versteht. Ich hab's dir gesagt: Volleyball ist eben nicht alles. Ich hab das auch mal gedacht, aber jetzt wo ich bald aufhöre…"

„Was heißt das: Wo du bald aufhörst?!", fiel ihm Tobio überrascht ins Wort.

Ein Oikawa Tooru, der freiwillig aufhörte Volleyball zu spielen, das schien ihm eine fremdartiges Konzept zu sein.

„Nun, ich habe im Grunde alles erreicht, was ich jemals erreichen wollte. Ich habe mir einen Namen gemacht, Spiele gewonnen, viele sogar, Titel errungen, sogar Ushiwaka besiegt. Laut Kuroo bin ich ein bekannter Name in Japan. Ich gelte als einer der besten Spieler der Welt. Ich weiß, alle denken ich bin gierig, aber was kann man mehr erreichen wollen? Ich dachte der Hafen der Ehe wäre der krönende Abschluss. Iwa-chan und ich werden wohl irgendwo hinziehen, wo wir auch als Ehepaar anerkannt werden, und ich werde dort immer Volleyball spielen, aber der Profi-Sport gehört bald zu meiner Vergangenheit, nicht mehr meiner Zukunft", berichtete Oikawa.

„Aber … aber was willst du denn dann tun?", wunderte sich Tobio.

„Ich dachte an einen zweiten Bildungsweg. Oder vielleicht werde ich Künstler. Oder eine berühmte Persönlichkeit. Na ja, Letzteres bin ich ja schon, aber ich könnte Kapital daraus schlagen, das tun genug andere Leute ebenfalls. Es ist ganz aufregend nicht zu wissen wie es weitergeht. Ich hatte immer Ziele vor Augen, aber jetzt, nun jetzt kann ich stattdessen herausfinden wer ich bin. Oder wer ich sein sollte um Iwa-chan nicht zu sehr in den Wahnsinn zu treiben, wenn wir im selben Land zusammenleben", erklärte Oikawa,. „Ja, ich weiß, das schockiert dich jetzt, aber Tobio-chan Volleyball ist Teil meines Lebens, nicht mein Leben."

„Und auch wenn du der Meinung bist, dass das bei dir anders ist, so kann ich dir versichern, dass dem nicht so ist. Ich weiß, du denkst, dass du das hier nicht überleben kannst, aber ich versichere dir: Du kannst es. Du musst es nur wollen, und deine Augen öffnen und erkennen, dass du eben nicht alleine bist, und dass, egal wie hoffnungslos sich jetzt alles anfühlt, es immer mehr als nur eine Möglichkeit gibt weiterzumachen, wenn man nur bereit ist für diese offen zu sein."


A/N: Endlich Oikawa. Eigentlich hätte er schon früher in diesem Kapitel auftreten sollen, aber da alleine der Flug von Argentinien nach Japan mindestens 27 Stunden dauert, hat er mehr Zeit gebraucht.

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