XIV.


Nach dem Anruf seiner Schwester und Oikawas Abflug wirkte Tobio einige Tage lang verstimmt, auch wenn er offenbar versuchte es sich nichts anmerken zu lassen. Shouyou machte sich wieder einmal Sorgen und begann sich zu fragen, ob es so klug gewesen war Tooru die Aufgabe mit Tobio zu sprechen zuzuschieben. Vielleicht sollte er doch selbst das Thema Therapie ansprechen, auch auf die Gefahr hin seinen Ehemann damit zu verärgern.

Doch Tobio tat so als ob alles in Ordnung wäre, er fuhr zu seinen Terminen, gab sich sichtlich Mühe freundlich zu sein, und wirkte alles in allem genommen nicht besonders depressiv, zumindest verglichen mit den Phasen, die er durchgemacht hatte, bevor sie sich ausgesprochen hatten.

Also beschloss Shouyou erst einmal nichts zu sagen, aber Tobio weiterhin im Auge zu behalten. Wenn sich sein Zustand verschlechtern sollte, könnte er das Thema immer noch aufbringen, doch wenn es ihm von selbst wieder besser gehen sollte, dann wäre es nicht notwendig auf der Idee zu beharren, zumindest noch nicht.

Doch Tobio überraschte ihn, indem er ungefähr zwei Wochen nach Oikawas Abflug von sich aus beim Frühstück plötzlich meinte: „Ich denke, dass ich mir vielleicht psychologische Betreuung suchen sollte."

Shouyou erwischte diese Aussage kalt, während Kenma, der an diesem Morgen wie immer in letzter Zeit bei ihnen saß, während er zugleich über seinem Tablet brütete, nur unbeeindruckt die Augenbrauen hob.

„Toll! Ich meine … ich … wenn du denkst, dass das eine gute Idee ist, dann unterstützte ich es natürlich", verhaspelte sich Shouyou glatt.

Kenma warf ihm einen vielsagenden Blick zu, und meinte seinerseits: „Du solltest das machen, was du brauchst. Und wenn du denkst, du brauchst psychologische Betreuung, dann hol sie dir."

Shouyou nickte heftig. „Genau. Was er gesagt hat", meinte er.

Tobio musterte ihn einen Moment lang. Dann meinte er: „Du musst nicht Oikawa vorschicken, weißt du? Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann sag es mir. Ich weiß, dass ich dir vorgeworfen habe Entscheidungen für mich zu treffen, aber das heißt nicht, dass du mir keine Anregungen liefern kannst."

Shouyou fühlte sich ein wenig schuldig, als er das hörte. „Ich wusste nur, dass du das nicht hören willst, und dachte, dass es besser ist, wenn es von Tooru kommt. Ihm hörst du zu", meinte er peinlich berührt, „Und ich wollte nicht, dass du böse auf mich bist oder denkst, dass ich finde du wärst nicht gut genug für mich so wie du bist. Denn das bist du. Und wenn du nicht willst, dann musst du nicht hingehen!"

Tobio nickte. „Manchmal werde ich böse auf dich sein", erklärte er, „Das wird sich nicht vermeiden lassen. Aber deswegen sollst du keine Angst haben mir etwas zu sagen. Ich werde deswegen nicht weggehen." Du bist derjenige, der in der der Vergangenheit immer gegangen bist, sagte er nicht, aber sie hörten es beide trotzdem.

„Okay, ich verspreche, dass ich mich in Zukunft bemühen werden dir Dinge dieser Art selbst zu sagen", erwiderte Shouyou, „Ich mache mir nun mal Sorgen um dich, aber auch um uns. Ich will nicht, dass es wieder so wird wie vorher."

„Das will ich auch nicht", gab ihm Tobio zu, „Aber dafür musst du genauso ehrlich zu mir sein, wie ich zu dir sein soll."

„Du meinst so ehrlich wie du in den letzten Wochen seit Miwas Anruf warst?", schoss Shouyou zurück.

Kenmas Blicke irrte beunruhigt zwischen ihnen beiden hin und her.

Tobios Miene verfinsterte sich einen Moment lang, doch dann entspannte er sich sichtlich und meinte: „Du hast recht. Ich war auch nicht ehrlich. Ich wollte nicht, dass die Dinge zwischen uns davon belastet werden wie ich mich fühle. Wir haben beide Fehler gemacht."

Shouyou nickte, und drückte vorsichtig Tobios Hand. „Ich glaube, wir wollten beide einfach, dass es gut läuft zwischen uns, und das war uns wichtiger als die wirklich wichtigen Dinge", stellte er fest, „Aber das sollte nicht so sein. Dass es dir gut geht, ist mir hundert Mal wichtiger als dass wir zusammen sind, okay? Dieses Kommunikations-Ding, das müssen wir noch üben. Und vielleicht wäre deswegen eine Therapie auch nicht so schlecht. Wenn du willst, dann kann ich ja manchmal mitkommen, nachdem du dich daran gewöhnt hast dorthin zu gehen. Dann können wir gemeinsam daran arbeiten besser miteinander zu kommunizieren."

Tobio hob die Augenbrauen. „Ein Paar-Therapie? So wie im Fernsehen? Mal sehen." Er wirkte nicht begeistert von diesem Vorschlag. „Früher hatten wir kein Problem ehrlich zueinander zu sein", stellte er wehmütig fest.

„Na ja, wir konnten uns auch beide nie beherrschen und sind immer sofort mit allem herausgeplatzt, was uns durch den Kopf gegangen ist", meinte Shouyou dazu, „Wir sind eben rücksichtsvoller geworden."

„Du warst einer der wenigen, die es mir nicht übel genommen haben, wenn ich das getan habe", sagte Tobio, „Ich konnte dir alles sagen, du hast es nie missverstanden."

Shouyou drückte seine Hand fester. „Das kannst du immer noch. Hey, Boke, das kannst du immer tun! Ich schwöre dir, dass sich das nicht geändert hat und nie ändern wird, okay?", versicherte er ihm und tippte ihn gegen die Stirn, „Aber ich kann keine Gedanken lesen, und wenn du still wirst, dann mache ich mir Sorgen, und komme auf komische Ideen."

„Ich glaube, ich habe früher einfach darauf vertraut, dass du mich auf jeden Fall richtig verstehst, während ich mir jetzt Gedanke mache wie du auf alles reagierst, was ich zu dir sage", erwiderte Tobio, „Ich hab einfach Angst, dass du mich so sehen könntest wie … ich bin."

„Dummkopf! Ich habe dich immer so gesehen wie du bist!", erwiderte Shouyou hitzig, „Ich glaube eher, dass du Angst hast, dass ich dich so sehen könnte wie du dich selbst siehst - und eines kannst du mir glauben: Du siehst dich selbst in einem ganz anderen Licht als alle anderen dich sehen. Es gibt keine Seite an dir, die mich verjagen könnte. Ich kenne alle deine schlechten und guten Eigenschaften, und ich habe dich trotzdem geheiratet, oder nicht? Nichts, was sich seit dem in deinem Leben verändert hat, hat irgendetwas an dir geändert. Du bist der stärkste Mensch, den ich kenne, das alles…" Er deutete auf den Rollstuhl. „.. beweist nur wie stark du wirklich bist. Dass es dir damit nicht immer gut geht, ist doch klar; und das musst du nicht vor mir verbergen. Wenn du das tust, dann mach ich mir erst recht Sorgen um dich."

Tobio drückte nun seinerseits Shouyous Hand. „Ich bin nicht stark, aber für dich will ich es sein", erwiderte er leise. Und bei diesen Worte wirkte er beinahe schüchtern.

Shouyou küsste vorsichtig seine Hand. „Und ich will für dich mutig sein, mutig genug um ehrlich sein zu können", versicherte er dem anderen Mann.

Kenma starrte beide mit großen Augen an. „Streitet ihr euch, oder seid ihr dabei auch zu vertragen?", wollte er wissen, „Ich kann das nicht sicher feststellen."

„Wir arbeiten an unserer Beziehung", erklärte ihm Shouyou, „Dazu gehört ein bisschen was von beiden."

Kenma nickte nur, und wandte sich dann wieder seinem Tablet zu.

Shouyou fiel auf, dass Tobio ihn unterdessen mit einem sanften Blich musterte. „Ich bin wirklich froh darüber, dass ich dich in meinem Leben habe", erklärte der dunkelhaarige Mann leise.

Shouyou fehlten die Worte darauf zu antworten. Stattdessen küsste er noch einmal Tobios Hand.

In diesem Moment war er ebenfalls einfach nur sehr froh darüber, dass er Teil von Tobios Leben sein durfte. Alles andere erschien ihm mit einem Schlag weniger wichtig.

Und vielleicht war das mehr wert als jede Paar-Therapie.


Psychotherapie war wenig überraschend nicht Tobios Ding. Aber er ging hin, er ging hin und stand sie durch, so wie er alles andere durchstand. Er ging nicht gerne hin, aber es schien zu helfen. Langsam aber sicher wurde er immer weniger schwermütig und schien sich daran zu gewöhnen jemand anderen als Shouyou an seinem Innenleben teilhaben zu lassen.

Nachdem seine ursprünglichen Kommentare über seine Therapeutin zunächst nicht besonders schmeichelhaft gewesen waren, änderte sich das langsam aber sicher ebenfalls, er sprach öfter neutral von ihr. Sagte Dinge wie „Doktor Nakamura sagt das auch", wenn Shouyou feststellte, dass er zu hart zu sich selbst war oder sich zu viel zu schnell zumutete. Oder erklärte, dass Doktor Nakamura der Meinung wäre, dass es gut für Tobio wäre sich vermehrt mit Sport auseinanderzusetzen, selbst wenn es nicht sein eigener wäre, wenn er sich gemeinsam mit Kenma ein Handball-Match ansah. Und dann irgendwann sagte er positive Dinge über sie.

„Doktor Nakamura hat mir sehr geholfen", erklärte er einmal nach einer Sitzung, die einigen Tagen gefolgt war, an denen es Tobio eindeutig nicht gut gegangen war.

Shouyou blickte ihn erstaunt (und ein wenig stolz) an, als er das hörte, und stellte fest, dass Tobio es ernst zu meinen schien. Die gefürchtete Therapeutin war nicht mehr ein Feind, dem sich sein Mann stellte, weil er dachte es tun zu müssen, sondern jemand, den er als Verbündete ansah. Shouyou war froh über diese Entwicklung. Zu einer Paar-Therapie ließ sich Tobio aber trotzdem nicht überreden.

„Ich will nicht, dass sie mir sagt, dass wir nicht gut für einander sind; denn vielleicht sind wir das ja nicht. Aber ich kann nicht ohne dich leben, zumindest will ich das nicht", meinte er nur knapp dazu, „Was sie mir sagt, ist meine Sache, aber ich will nicht, dass sie dir etwas sagt, das uns gefährdet."

Shouyou fragte sich, was Doktor Nakamura Tobio wohl über ihn sagte. Im Grunde sah er die Sache ähnlich wie Tobio, er hielt sich nicht für den besten Partner, den Tobio in seiner derzeitigen Lage haben konnte, aber er wollte den anderen Mann nicht aufgeben, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ, dazu liebte er ihn zu sehr. Und doch war er sich nicht sicher, ob sie eine gemeinsame Zukunft hatten.

Manchmal dachte er an all diese Geschichten, die man immer wieder über Paare, hörte, die Krisen gemeinsam durchstanden – Krebserkrankungen eines Partners, Verlust eines gemeinsamen Kindes, Beistand bei der Selbstfindung eines Partners – nur um sich dann am Ende erst recht zu trennen. Ehen, die auseinander gingen, nachdem der Krebs in Remission gegangen war, transsexuelle Menschen, die sich von dem Menschen trennten, der ihnen jeden Schritt ihrer Reise lang beigestanden war – all diese Geschichten, die davon handelten wie Menschen während schwerer Zeiten zueinander hielten, einander aber am Ende doch gehen lassen mussten, vielleicht weil sie alles gegeben hatten, was sie gehabt hatten, und keine Liebe mehr füreinander übrig hatten, oder weil die Menschen, die sie nach überstandener Krise waren, nicht mehr die gleichen waren, die sie gewesen waren als die Krise begonnen hatte.

Waren er und Tobio eines dieser Paare? Tobios Unfall hatte sie wieder zusammengebracht, und sie klammerten sich aneinander wie Ertrinkende, doch wer sagte, dass sie am Ende ihrer Reise, wenn Tobio sein Leben wieder im Griff hatte, und wieder lebte als hätte er nie etwas anderes getan, immer noch zusammen sein würden? Was wenn ihnen dann klar werden würde, dass sie nichts mehr gemeinsam hatten? Dass sie nicht mehr die Kinder waren, die sich als Teenager ineinander verliebt hatten und ihren Zwanzigern geheiratet hatten, weil sie das für eine gute Idee gehalten hatten?

Doktor Nakamura würde das vielleicht sofort erkennen, und Shouyou wollte nicht jetzt schon wissen, dass er Tobio unweigerlich verlieren würde. Nein, er wollte daran glauben können, dass sie ein Happy-End erwartete. Dass sie aus der Krise als gestärkt zusammen hinausgehen würden, vereint und glücklich.

Nur, dass es nicht immer einfach war daran zu glauben.

„Früher war es eben viel einfacher daran zu glauben, dass alles gut werden wird. Ich wusste einfach, dass ich der beste Volleyball-Spieler der Welt werden würde, wenn ich mir nur wirklich genug Mühe gebe. Und ich wusste einfach, dass nichts zwischen Kageyama und mich kommen kann, ob wir nun in verschiedenen Ländern leben, in verschiedenen Mannschaften spielen, oder zur der gleichen gehören. Ich hatte keine Zweifel, aber jetzt… jetzt schiene ich einfach an allen zu zweifeln. Es ist als ob ich immer mehr Ängste entwickeln würde je älter ich werde", erklärte Shouyou Kenma einmal, während Tobio bei einer seiner Therapie-Stunden war, „Vielleicht werde ich einfach nur immer neurotischer, ich weiß es nicht. Ich will ihn nicht verlieren, aber was, wenn es uns einfach nicht bestimmt ist am anderen Ende gemeinsam herauszukommen?"

Kenma zuckte die Schultern. „Ich war immer schon neurotisch. Ängste hatte ich immer schon genug", erwiderte er, „Ich glaube aber, dass du einfach nur erwachsen geworden bist. Ich meine, früher bist du mit einer gewissen Naivität und einem Gottvertrauen durchs Leben gegangen, um das ich dich immer beneidet habe. Ich glaube, wir alle haben das. Außer vielleicht Bokuto, der hat sich seine Kindlichkeit bis Heute behalten. Aber ich nehme an, dass er sich das leisten kann, weil er Akaashi hat, der sich für ihn Sorgen macht…."

„Kageyama war derjenige von uns, der sich Sorgen gemacht hat. Nur, dass er stur genug war um trotzdem alles zu erreichen, was er wollte", meinte Shouyou, „Und jetzt machen wir uns beide Sorgen, schätze ich. Wenn das Erwachsenwerden ist, dann hätte ich darauf verzichten können."

Kenma zuckte erneut die Schultern. „Aber nur, weil du dir Sorgen machst, dass etwas passieren könnte, muss es nicht passieren", rief er ihm in Erinnerung, „Vielleicht übersteht ihr beide das alles ja und kommt am anderen Ende doch gemeinsam heraus. Und selbst wenn nicht … nach allem, was ihr zusammen durchgemacht habt, werdet ihr zumindest immer Freunde sein. Und ein bester Freund ist besser als nichts. Ich meine, ich habe Kuro, oder nicht? Und das würde ich gegen nichts eintauschen wollen."

Shouyou musterte ihn aufmerksam, da ihm wieder einfiel, was Kuroo-san ihm anvertraut hatte. Und wie dieser ihm eingeschärft hatte, dass er nichts von seinen Gefühlen Kenma gegenüber erwähnen sollte. Aber nachdem, was Kenma gerade gesagt hatte … Nun, das hatte beinahe so geklungen als ob ….

„Sag mal, hast du dir je gewünscht, dass es anders gelaufen wäre zwischen Kuroo und dir? Dass ihr beide mehr geworden wärt als Freunde, meine ich? Ich dachte immer, dass dich so was nicht interessiert, aber … ich nehme an, ihr seid euch näher als viele Paare, die ich kenne", wollte Shouyou deswegen wissen, „War da nie mehr zwischen euch als Freundschaft? Gefühlsmäßig, meine ich."

Kenma musterte ihn einen Moment lang ausdruckslos. Shouyou fragte sich, ob er eine Grenze mit dieser Frage überschritten hatte. Kenma redete prinzipiell nicht über sein Liebesleben. Bisher hatte Shouyou angenommen, dass das der Fall war, weil es eben nichts zu sagen gab, aber vielleicht lag der wahre Grund woanders begraben. Vielleicht war das Thema Kenma einfach so unangenehm, dass er nicht einmal darüber reden wollte.

Shouyou seinerseits hatte den anderen Mann seit Jahren mit seinen eigenen romantischen und sexuellen Verwicklungen zugetextet ohne zu überlegen, ob Kenma etwas darüber hören wollte, aber Kenma hatte sich nie beschwert. Aber jemand anderen Ratschläge zu geben und über sich selbst zu sprechen waren zwei vollkommen verschiedene Dinge.

„Du musst mir nicht antworten, wenn du nicht willst", schob Shouyou schnell hinterher, „Tut mir leid, wenn dir die Frage unangenehm ist…"

Kenma wog seinen Kopf nachdenklich hin und her. „Nein, ist schon in Ordnung", verkündete er dann, „Es ist nur … es ist nur ein wenig schmerzhaft. Es gab da mal eine Zeit, da dachte ich, dass es zu mehr werden würde. Damals an der Oberschule. Aber dann … Ich schätze Kuroo hat die Dinge anders gesehen als ich. Ich mache ihm keinen Vorwurf. Es ist nicht so als ob ich ihm Blumen geschenkt hätte oder ein Geständnis gemacht hätte oder nackt in seinem Bett auf ihn gewartet hätte. Und wir wissen ja beide, dass er Bedürfnisse hat, und die ihm wichtiger sind als … Liebe. Es ist nur so, dass ich … nicht glaube, dass ich jemals jemand anderen treffen werde, dem ich genug vertrauen könnte, bei dem ich mich wohl genug fühlen würde, um … um jemals das von dieser Person zu wollen. Und das ist schade, das glaube ich zumindest manchmal. Manchmal, wenn ich dich und Kageyama sehe, dann denke ich, dass ich etwas verpasse. Das dachte ich in der Oberschule immer, wenn ich Bokuto und Akaashi zusammen gesehen habe. Aber … ich schätze man kann etwas, das man nie hatte, nicht vermissen."

Kenma wirkte melancholisch, als er das sagte, und irgendwie ein wenig traurig. Es klang so endgültig. Als hätte er sich damit vor Jahren abgefunden und würde nichts mehr vom Leben erwarten, was über das, was er jetzt hatte, hinausging.

Dann schien ihm Shouyous Miene aufzufallen, und er zwang sich zu lächeln. „Es ist schon in Ordnung, Shouyou. Ich bin glücklich, ehrlich. Ich meine, es hat mich nie wirklich interessiert, und ich habe meine Karriere, meinen besten Freund, und dich und Kageyama - ich bin nicht einsam oder unglücklich", versicherte er seinem Mitbewohner, „Es war nur einmal ein Gedanke, vor sehr langer Zeit."

Aber es war ein trauriger, niederschmetternder Gedanke, und Shouyou hasste wie sich das anhörte, vor allem, da er wusste, dass Kuroo das Ganze in Wahrheit ganz und gar nicht anders gesehen hatte!

„Was wenn du es ihm jetzt sagen würdest? Ich meine, nicht gerade, wenn er in einer seiner Kurzbeziehungen ist, natürlich, sondern wenn er Single ist", schlug er vor, und versuchte darüber nachzudenken was Kuroo-sans derzeitiger Beziehungsstatus war. Ihm wurde klar, dass er das überhaupt nicht wusste. Tobio und seine eigene Lage hatten ihn so sehr in Anspruch genommen, dass er eigentlich überhaupt nicht mehr auf dem Laufenden war, was das Leben seiner Freunde und Bekannten außerhalb seiner kleinen Welt anging, „Vielleicht ist es ja nicht zu spät dazu."

Kenma schüttelte entschieden den Kopf. „Wenn man sich so lange kennt, dann ist irgendwann der Zeitpunkt gekommen, an dem es zu spät ist", widersprach er, „Ich weiß nicht was er sucht. Aber wenn ich es ihm bieten könnte, dann hätte er schon vor Jahren etwas gesagt. Immerhin ist er der extrovertierte von uns beiden. Und ich glaube, dass er nach all seinen Erfahrungen, nie mehr zufrieden sein könnte mit … nun ja … jemandem wie mir."

Das war niederschmetternd, weil es nicht stimmte. Aber Shouyou hatte versprochen nichts zu sagen, also biss er sich auf die Zunge und verfluchte das Versprechen, das er gegeben hatte. Wie ironisch war es, dass sowohl Kenma als auch Kuroo der Meinung waren, dass sie nicht gut bzw. gut genug für den jeweils anderen wären! Als ob ich mir nicht schon genug Gedanken wegen Tobio und mir machen würde! Sollte er sich jetzt auch noch andauernd Gedanken wegen dem unglücklichen Liebeslebens seines engsten Nicht-Volleyball-Freunds machen müssen?

Kenma riss ihn aus seinen Gedanken. „Was ich dir eigentlich sagen wollte, ist, dass du und Kageyama, dass ihr euch am Ende näher sein werdet als jemals zuvor, ob ihr zusammen bleibt oder nicht. Und dass es das ist, worauf es ankommt", erklärte er, „Selbst wenn die Reise nicht dort enden sollte, wo du gehofft hast, dass sie endet, so wird sie es doch wert gewesen sein."

Nur, dass es Shouyou umbringen würde, wenn sie woanders endete. Emotional gesehen zumindest.

Er war nicht wie Kenma, er hatte eben sehr wohl mehr mit Tobio gehabt, und das wieder zu verlieren, nun das war für ihn einfach unvorstellbar. Er wusste nicht mehr wie er es früher gemacht hatte, wie er es in Brasilien gemacht hatte, und nach ihren Trennungen in Japan, wie er es vor dem Unfall gemacht hatte, wie er ohne Tobio überlebt hatte. Aber vielleicht wollte Kenma ihm ja genau das sagen: Dass er nie wieder ohne Tobio überleben würde müssen, dass sie, wenn sie es dieses Mal nicht schaffen würden, eine gemeinsame Entscheidung, die beide akzeptierten, treffen würden, und dass sie im Guten auseinander gehen würden. Dass sie immer noch beste Freunde, Seelenverwandte, und der einzige Notfallkontakt, auf den es ankam, wären. Selbst wenn sie nicht zusammen wären.

Trotzdem hoffte er, dass ihre Geschichte anders enden würde. Er wollte nicht, dass sie endeten wie Kenma und Kuroo, er wollte enden wie Bokuto und Akaashi oder wie Tooru und Iwaizumi. Er wusste nur nicht, ob Doktor Nakamura und das Schicksal der Meinung waren, dass das auch das Ende war, das sie erwarten würde.

Seine Karriere stand immer noch mehr oder weniger auf Pause. Man hatte ihm neue Verträge angeboten, mehrfach sogar. Aber er hatte nirgendwo unterschrieben, sich herausgeredet. Er wollte warten, bis es Tobio besser ging, bevor er eine Entscheidung über seine Zukunft im Volleyball traf. Er wollte sie am Liebsten gemeinsam mit seinem Mann treffen.

Aber zugleich fürchtete er, dass er dabei war beides zu verlieren: Volleyball und die Liebe seines Lebens, weil er nach wie vor nichts richtig machen konnte. Von Vorne anzufangen und nichts falsch zu machen war eine Sache, aber von Vorne anzufangen und nichts richtig zu machen war zugleich immer noch möglich.

Und dann kam der Tag, an dem er sich entscheiden musste, wenn er den Profisport nicht für Immer aufgeben wollte. Und nachdem er sich entschieden hatte, hoffte er, dass er dieses eine Mal auch wirklich die richtige Entscheidung getroffen hatte.


A/N: Sorry für den kleinen Cliffhangar am Ende dieses Kapitel, aber ihr werdet bald erfahren Shouyous berufliche Zukunft aussehen wird.

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