Zu den Reviews:
cassi-orc: Die Idee ist von Elbendrache, ich weise hiermit also jeglichen Ruhm von mir ... Danke für dein großes Lob!
Elbendrache: Du machst mich immer wieder so verlegen. Danke.
Disclaimer & Inhalt: siehe Kapitel 1
Anmerkung: Ich weiß, eigentlich wollt ich das Kapitel gleich nach den Ferien posten, aber irgendwie hab ich das verschwitzt 'schäm'. Reviews sind wie immer höchst willkommen und gewollt. Naja, hier ist es jedenfalls, das zweite Kapitel. Es setzt einige Zeit nach dem Schluss des ersten ein, aber seht selbst ...
Zwischen Leben und Unendlichkeit
Kapitel 2
In der Ferne kann ich schon die ersten Baumwipfel ausmachen, lange, bevor ich an den Grenzen Lothlóriens ankomme. Doch was ist das für ein Lothlórien?
Fassungslos wandert mein Blick über den sterbenden Wald. Natürlich, es war dumm von mir zu glauben, nach dem Schwund der drei Ringe und dem Weggang Galadriels würde der Goldene Wald noch so leuchtend und voller Leben sein wie zuvor. Doch das ist es wirklich nicht, was ich erwartet habe!
„Tarias", sage ich zu meiner treuen Stute, die mich bis an diesem Punkt begleitet hat, und gleite von ihrem Rücken hinunter, „deine Aufgabe hast du erfüllt. Ich bin dir mehr als dankbar dafür, aber nun ist es Zeit, dass wir uns trennen."
Tarias wendet mir ihren Kopf zu.
„Du wirst schon zurechtkommen", fahre ich leise fort, „Du kannst nach Rohan gehen, ins Land deiner Vorfahren. Danke für alles."
Ich gebe ihr den letzten Brotkrumen, den ich von meinem Proviant übrig behalten habe und streiche ihr über die Nüstern.
„Leb wohl", flüstere ich, als sie sich umwendet und mit einem letzten Blick zu mir den Weg zurück nach Süden einschlägt. Jetzt bin ich wahrhaft allein.
Als ich unter das Dach des einstmaligen Elbenreichs eintrete, merke ich jedoch, dass der Zauber noch nicht ganz verflogen ist. Der Wald stirbt, doch er ist noch nicht gestorben. Ich darf mich nur nicht daran erinnern, wie er einst war, dann lassen sich die kahlen, grauen Stämme ertragen. Nur nicht daran denken, wie golden er einst war, der Goldene Wald, das Reich der Herrin, vor allem zu dieser Jahreszeit, wenn er im Frühling allmählich seine ganze Pracht entfaltete. Wie die Vögel sangen und das heitere Lachen seiner Bewohner die nun stille Luft erfüllte. Nur nicht daran denken.
Die Tage fließen ineinander. Ich habe jedes Gefühl für die Zeit verloren. Ich gehe, schleiche fast durch den Wald, der mit jedem Tag ein bisschen mehr Leben einbüßt. Genauso wie ich, wie mir vorkommt. Manchmal verschwimmt mein Blick so sehr, dass ich nichts mehr erkennen kann außer schwarzen Strichen in er Landschaft. Ich kann mich an manche Tage nicht erinnern, ich weiß nicht, womit ich die Zeit herumbekomme, und selbst der Schmerz, der an meinem Herz nagte für so lange Zeit, ist verblasst, sodass ich ihn kaum mehr spüre. In den wenigen Stunden, in denen ich wach bin, erschreckt mich das so sehr, dass ich auf der Stelle versuche, das Gesicht meines geliebten Estels vor meinen inneren Augen erstehen zu lassen, nur um sicher zu gehen, dass ich nicht alles vergessen habe. Während die Gesichter meiner Kinder und Freunde, ja sogar meiner Eltern jedoch mit jedem Tag weiter verblassen, bleibt seins so klar und scharf umrissen, als sähe ich ihn direkt vor mir.
Manchmal frage ich mich, ob es nicht ein Traum ist. Ein schlimmer Albtraum, aus dem ich jeden Moment an der Seite meines Gemahls erwachen kann. Vielleicht ist der Tod ja eine Art Erwachen. Hoffentlich ist es das. Was, wenn die Menschen Unrecht haben, die sagen, dass man nach dem Tod mit seinen Lieben wieder vereint sein wird? Was, wenn danach nur noch mehr ist, weitere Einsamkeit, die sich ins Herz schleicht und es langsam zu vergiften droht? Oder ist das hier bereits der Tod? Muss ich für alle Ewigkeit hier mein Dasein fristen unter schwindenden Bäumen?
Es ist wie ein Erwachen, als ich auf die Lichtung trete, auf der sich ein Hügel erhebt. Ich habe diesen Ort in Erinnerung als einen schönen, sonnenbeschienenen, glücklichen Ort des Lichts selbst in Tagen größter Finsternis; nur durch die Ereignisse, die ich mit ihm verknüpfe. Vielleicht erscheint er mir deshalb selbst jetzt weniger düster als der Rest des Waldes, oder vielleicht ist heute die Wolkenschleier vor meinen Augen auch einfach weniger dicht.
Ich sehe mich wieder mit Estel den Hügel hoch schreiten in glücklicheren Zeiten; wie eine Unbeteiligte kann ich beinahe sehen, wie der Mann, aus dessen Augen so tiefe Liebe spricht, der Elbe an seiner Seite den alten Ring seiner Vorfahren über den Finger streift und somit ihr beider Schicksal besiegelt. Beinahe kann ich ihre raunenden Stimmen hören –
Doch ich blinzle und der Zauber ist verflogen. Vor mir liegt nichts als ein Hügel, bewachsen mit verdorrtem Gras und umgeben von einer Mauer aus absterbenden Bäumen.
Langsam beginne ich den Anstieg. Das Gras streift um meine bloßen Füße, schon fast wie damals, doch das Gras ist nicht mehr mit Elanor und Niphredil bedeckt wie vor so langer Zeit, und im Osten ist kein Schatten mehr und in meinem Herzen keine Hoffnung.
Doch als ich auf der Kuppe des einstmaligen Cerin Amroth stehe und meinen Blick über das Meer aus Ästen vor mir schweifen lasse, bemerke ich aus dem Augenwinkel eine letzte kleine Blume, die sich tapfer zu meinen Füßen dem Licht entgegenreckt. Ich kauere mich nieder und nehme sie genauer in Augenschein: weiß ist sie von der Farbe, klein, sternenförmig. Und als ich mich umsehe, sind da noch mehr der zarten kleinen Blumen, sie recken ihre Hälse dem Licht zu und sind so klein, als ob sie geradewegs eben erst aus dem Erdreich gekommen wären. Und je länger ich sie betrachte, desto stärker fallen mir auch ihre Schwestern auf, Elanor, die sich zwischen ihnen den Weg ins Freie erkämpfen. Golden sind sie, zart golden. Und in genau diesem Augenblick reißt die Wolkendecke über mir auf und ein Sonnenstrahl fällt auf den Blumenteppich und lässt die kleinen Blüten hell aufleuchten, und fast ist mir, als trieben die Bäume neue Blätter und Knospen aus. Und hinter mir höre ich leise Schritte, die den Hügel hinauf kommen.
Ich stehe auf und weiß, plötzlich so gewiss wie nie, niemals zuvor, was ich sehen werde. Und dann sehe ich ihn, wie in meiner Erinnerung, so wie er immer war, den Hügel hinauf kommen, ein feines, vor Glück und Liebe überlaufendes Lächeln auf den Lippen tragend.
„Auch hier, Estel?", höre ich mich selbst die Stimme erheben.
Sein Lächeln vertieft sich.
„Schön, dass du endlich gekommen bist, Abendstern", erwidert er sanft und reicht mir seine Hand. „Schön, dass du endlich da bist."
