Von Janusz Meissner
Erster Teil: Castro Verde Kapitel 1Jan Kuna, genannt Marten, Kapitän des Kaperschiffes „Zephir", stand auf dem Deck und sah zur Spitze des Großmastes empor, wo sich die schwarze Flagge mit dem Bild eines sprungbereiten goldenen Marders im Winde entfaltete. Unter dem scharfen Nordostpassat rollte sie sich auf wie eine Schlange oder ein langschwänziger Drache und ballte sich dann wieder zusammen. Die goldglänzende Stickerei funkelte in der Sonne. Am Fockmast, dicht unter dem in Form eines Adlers geschnitzten Topp, wehte bereits eine andere Fahne. Sie zeigte in dem vierfeldrigen Wappen des Tudors die englischen Leoparden und die irische Davidsharfe.
Als sich Marten davon überzeugt hatte, dass das schwarzgoldene Emblem der „Zephir" richtig befestigt worden war, wandte er sich ab und überflog mit einem Blick die vier anderen Schiffe, die zum Teil noch von den Rauchwolken der Geschützsalven verhüllt wurden.
Zwei große Dreimastkaravellen manövrierten im Seitenwind und versuchten, ein schlankes, beträchtlich kleineres englisches Schiff mit niedrigen Aufbauten zu umkreisen, offenbar um die Geschütze der anderen Breitseite gegen den Gegner abfeuern zu können. Auf ihren Masten wehten die gelbroten Flaggen Spaniens. Der Engländer, „Golden Hind" hieß er, wie Marten am Heck entziffern konnte, lief unter vollem Wind geradewegs zwischen den Spaniern und einem großen Frachtschiff mit vier Masten hindurch, das, mit von Kugeln zerfetzten Segeln dem Wellengang preisgegeben, seitlich driftete. An der weißblauen Flagge erkannte Marten, dass er ein portugiesisches Schiff vor sich hatte. Der klägliche Zustand der Masten und Segel sprach von dem treffsicheren und wirksamen Geschützfeuer des Angreifers, der nun allem Anschein nach selbst zum Angriffsziel der spanischen Schiffe geworden war. Bis jetzt hatte er ihnen geschickt entwischen können.
Marten bewunderte im stillen die Schnelligkeit, mit der sich der Engländer orientierte. Keine der beiden Karavellen konnte ihn beschießen, ohne dabei zu riskieren, dass ihre Geschosse die Bordwände und das Deck des portugiesischen Schiffes durchbohrten. Es war aber leicht zu erkennen, dass der Portugiese nur noch für kurze Zeit den Engländer decken würde, der an ihm vorbeisegeln musste. Um die Aufmerksamkeit beider kämpfenden Parteien auf sich zu ziehen, hatte Marten auf der „Zephir" auch die englische Flagge gesetzt. Er hoffte, auf diese Weise wenigstens eins der spanischen Schiffe von der „Golden Hind" abzulenken und gleichzeitig den Kampfgeist ihrer Besatzung zu heben, bevor er selbst in das Gefecht eingreifen konnte.
Die Spanier, die den einen Feind dicht vor sich hatten, beschlossen, ihrer Übermacht gewiss, erst diesen zu erledigen und hernach den zweiten anzugreifen, der zum Entsatz herbeieilte. Sie vertrauten dabei der Anzahl und der Feuerkraft ihrer Geschütze, die sicherlich größer als die der beiden kleinen Schiffe war. Doch sie berücksichtigten nicht, dass die beiden Kapitäne mit ihren leichteren, wendigen Schiffen geschickter manövrieren konnten. Das war ihr Fehler.
In dem Augenblick, da beide Karavellen gewendet hatten und sich die Doppelreihen der Schlünde ihrer Geschütze gegen die „Golden Hind" richteten, änderte deren Kapitän plötzlich den Kurs und bog dicht hinter dem Heck des Portugiesen nach Backbord ab. Fast gleichzeitig brüllten seine vier auf dem Hinterkastell stehenden Falkonetts auf. Eine Kugel zerschmetterte die Rahe des Fockmastes der Karavelle, die ihm am nächsten war. Das große viereckige Segel stürzte auf das Deck und richtete dort unerwartete Verwirrung an. Die auf die Bordwand des Engländers gezielte Salve verfehlte um einige Yards das Ziel.
Wenige Sekunden später wimmelte das bis dahin leer gewesene Deck des Portugiesen von Menschen. Marten bemerkte von weitem kleine Rauchwolken und vernahm dann das Geknatter einer Hakenbüchsensalve. Auf dem englischen Schiff fielen einige Seeleute. Die zweite Karavelle beschrieb inzwischen einen weiten Bogen nach Backbord, um dem Engländer den Rückzug abzuschneiden. Rasch hintereinander feuerten ihre Geschütze aus dem Ober- und dem Unterdeck.
Das beschleunigte Martens Entschluss. Die „Zephir" flog über die Wogen und befand sich endlich in wirksamen Feuerabstand. Wenn Jan die „Golden Hind" retten wollte, war es höchste Zeit zu handeln. Die Kanoniere standen mit brennenden Lunten dicht hinter den Richtmeistern an den Geschützen. Der Oberbootsmann Tomasz Pociecha würde auf ein Zeichen des Kapitäns durch die Luke auf das Unterdeck zu seiner Batterie eilen. Der Steuermann Henryk Schultz sah, zu jedem Manöver bereit, auf Marten hinab. Die Bootsmänner und Garsten warteten an den Bordwänden bei den Brassen, ohne sich zu rühren, auf den Befehl zum Wenden der Rahen. Glühend vor Ungeduld hafteten die Blicke aller an der breitschultrigen Gestalt des Kapitäns, der, groß und stark wie eine junge Eiche aus dem heimatlichen Wäldern an der Ostsee, mit gespreizten Beinen mitten auf dem Hauptdeck verharrte. Seine Nasenflügel bebten, wenn er die salzige Luft des Passats einsog, als wittere er Pulverdampf und Blut – spanisches Blut, das ihm ebenso verhasst, wenn nicht noch verhasster war als das der Danziger Patrizier, mit denen er noch abzurechnen hatte.
Jetzt dachte er nicht an die Danziger. Er hatte die Spanier vor sich, und es war nicht sicher, wie der bevorstehende Kampf ausgehen würde. Zum letzten Mal musterte er seine Besatzung und spähte dann heimlich über das Heck. Er hoffte, am Horizont die Masten und Segel der „Ibex" auftauchen zu sehen, die sein Gefährte Salomon White befehligte. Die „Ibex" war bei weitem nicht so schnell wie die „Zephir" und hatte sich verspätet. Mit Whites Hilfe, die die Chancen angesichts der Übermacht der Spanier ausgeglichen hätte, war kaum noch zu rechnen.
Marten beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. Er wollte an der ersten Karavelle, auf der die Steuerbordgeschütze sicherlich noch nicht erneut geladen waren, vorbeisegeln und die angreifen, die dem Engländer den Rückzug abschnitt.
„Zwei Strich Steuerbord!", rief er Schultz zu.
„Zwei Strich Steuerbord sind.", wiederholte der Bootsmann am Steuer.
Die „Zephir" neigte sich zur Seite, als sie in den Bogen der Wendung glitt. Beim Kommando „Steuer geradeaus" richtete sie sich gehorsam und geschmeidig wieder auf. Allein der Klang dieser Worte schien ihren Lauf, der schnell wie der Flug einer Möwe war, zu lenken.
Marten winkte den Oberbootsmann zu sich und wies ihm das Ziel.
„Die Rahen und Segel", sagte er laut, „müsst ihr mit dem ersten Schuss wegfegen."
Das bärtige, bis an die Augen mit Haaren bedeckte Gesicht Pociechas verzerrte sich zu einer Grimasse, die ein Lächeln sein sollte. Er hob die klobige Hand und machte die Bewegung des Halsabschneidens. Dann verschwand er unter Deck.
Inzwischen bereitete sich die Besatzung des spanischen Schiffes, das die „Golden Hind" unter Feuer genommen hatte und das sich nun von Lee näherte, zum Entern vor. An der Bordwand drängten sich einige Dutzend Matrosen mit langen Bootshaken in den Händen. Andere standen auf dem Vorderkastell und versuchten, mit Haken versehene Seile in die Wanden des Engländers zu werfen, um das Schiff näher heranzuziehen. Die zweite Karavelle war immer mehr zurückgeblieben. Ihr Kommandant hatte sich anscheinend zu einer Wendung entschlossen, denn er schere langsam nach Backbord aus, als wollte er den beiden übrigen Schiffen ausweichen und an die „Golden Hind" von vorn herankommen.
Da donnerten die vier Backbordgeschütze im Unterdeck der „Zephir" und eine Sekunde später die zwischen dem Fockmast und dem Großmast stehenden Kanonen. Die erzenen Läufe sprangen hoch, zerrten an den Haltetauen, die Lafetten glitten zurück und wieder vor. Eine Wolke schwarzen Rauches behinderte eine Weile die Sicht. Als der Wind den Qualm vertrieben hatte, brach die Geschützbedienung in ein Triumphgeschrei aus. Nicht ein Segel war mehr am Großmast des spanischen Schiffes. Seine Rahen hingen entweder zersplittert herab oder waren, Verwirrung und Verheerung unter der Besatzung stiftend, auf das Deck herabgestürzt.
Marten sprang zum Steuer. „Fertig zum Wenden!", rief er.
Schultz lief zum Bug, die Bootsleute lösten die Brassen, die Matrosen begannen zu ziehen, und die „Zephir" bog jäh nach Steuerbord luvwärts ab, durchschnitt das schäumende Kielwasser, das sie eben hinter sich gelassen hatte, kam wieder in Fahrt und folgte der zweiten Karavelle.
Als Marten an dem immer noch driftenden portugiesischen Segler vorbeikam, las er an den geschnitzten Wänden des Vorderkastells den aus vergoldeten Buchstaben zusammengesetzten Namen „Castro Verde". Aus seinem zehn Arkebusen ließ er das Deck beschießen, auf dem sich in wirrem Durcheinander die Matrosen zusammenballten, die von dem Kapitän und dem Ersten Offizier angetrieben wurden, die Segel neu zu setzen. Die Salve der „Zephir" vertrieb alle in der Kartelle. Die auf dem Marsen sitzenden Scharfschützen Martens schossen auf jeden, der sich zu zeigen wagte.
Marten hatte nicht die Absicht, sich endgültig mit dem Portugiesen auseinander zusetzen. Er war seiner Meinung nach nicht gefährlich. Die beiden spanischen Karavellen waren ihm trotz der Beschädigungen, die die Segel und das stehende Gut der einen erlitten hatten, auch fernerhin überlegen. Eine jede musste mindestens vierzig Geschütze und ungefähr dreihundert bis vierhundert Mann Besatzung zählen. Die „Golden Hind" hatte höchstens zweihundert an Bord, und ihre Artillerie bestand bestenfalls aus dreißig Kartaunen und Falkonetts. Die „Zephir" war fast um die Hälfte kleiner. Jetzt hätten ihr die achtzehn Geschütze der „Ibex" und deren Hakenbüchsen sehr viel nützen können.
Diese flüchtigen Überlegungen lenkten Martens gespannte Aufmerksamkeit keinen Augenblick von dem sich entwickelnden Gefecht ab. Er gönnte sich nicht einmal die Zeit, einen Blick nach Norden zu werfen, woher White kommen sollte. Er übernahm selbst das Steuer, und der Bootsmann, der bis jetzt das Rad gehalten hatte, trat einen Schritt zurück, um ihm Platz zu machen.
Naher Geschützdonner zeriss die Luft, Geschosse flogen mit teuflischem Heulen an den Bordwänden der „Zephir" vorbei, klatschten ins Meer und peitschten gewaltige Fontänen hoch. Schwärme von Musketenkugeln pfiffen über das Deck, prallten gegen die Säulen der Masten, durchlöcherten die Segel und rissen Holzsplitter aus den Wänden des Hinterkastells. Ein Matrose fiel von den Rahen herab. Sein Körper verfing sich im Sturz in den Wanten und Leinen und schlug zu Füßen Martens auf das Deck dumpf auf. Aus dem Mund brach ein Blutstrom. Als Marten das Gesicht des Matrosen sah, zog er seine Brauen zusammen. Er hatte einen seiner besten Scharfschützen verloren.
„Antworte ihnen!", schrie er Schultz zu.
Drei Oktaven donnerten aus dem Vorderkastell und warfen drei Reihen Matrosen auf der spanischen Karavelle zu Boden. An den Bordwänden konnten die sechspfündigen leichten Geschosse keinen ernstlichen Schaden anrichten. Damit hatte Marten auch nicht gerechnet. Er wartete auf einen günstigen Augenblick, um Tomasz Pociecha Gelegenheit zu geben, die im Unterdeck aufgestellten zwei Halbkartaunen sprechen zu lassen.
Die unter Seitenwind segelnde „Zephir" entwickelte jetzt fast die doppelte Geschwindigkeit wie das schwere spanische Schiff. Als sie es eingeholt hatte, beschloss Marten, backbords zu überholen. Er nahm an, dass die Spanier noch nicht imstande gewesen waren, erneut die Geschütze der linken Breitseite zu laden.
Er hatte richtig vermutet. Als sich der Bugspriet der „Zephir" auf gleicher Höhe mit dem Heck des Spaniers befand, hagelte es Kugeln aus Musketen und Hakenbüchsen. Sie erreichten nicht ihr Ziel, sondern brachten nur das Wasser an der Bordwand der „Zephir" zum Aufschäumen. Die Artillerie der Karavelle schwieg.
Marten lächelte. Die kleine, zweihundert Lasten große „Zephir", sein unerreichtes Schiff, das wendig und flink wie ein Raubvogel war, gewann noch einmal die Oberhand über den bis an die Zähne bewaffneten, dreimal größeren Feind.
Im selben Augenblick spieen sieben Geschütze Feuer und Rauch. Die „Zephir" beugte sich zur Seite und richtete sich wie nach einer großen Anstrengung wieder auf. Das unter und über der Wasserlinie getroffene spanische Schiff scherte nach Steuerbord aus, legte sich nach Backbord und fiel aus dem Wind. Die Segel flatterten hilflos. Ein Freudenschrei brauste über das Deck der „Zephir" und verstummte plötzlich wie abgeschnitten. Vor dem Bug, aus dem sich langsam verteilenden Rauchwolken, tauchte groß und drohend die zweite Karavelle auf und verlegte ihr den Weg. Es schien unmöglich, dem Spanier auszuweichen. Beide Schiffe liefen in einem scharfen Winkel aufeinander zu: der Spanier, mit von Segeln entblößtem Großmast, die Segel des Fock- und Kreuzmastes aber windgebläht, und die „Zephir", deren Geschütze noch rauchten. Ein Zusammenstoß mit der mächtigen Karavelle konnte nur die Vernichtung des kleinen Schiffes bedeuten. Der hohe, eisenbeschlagene Steven des Spaniers, sein steil aufragendes Kastell und der weit vorstehende dicke eichene Bugspriet überragten das Deck der „Zephir" wie ein jäh aus dem Meer emporgewachsener Fels, an dem sie zerschellen musste.
Marten verlor nicht eine Sekunde lang seine Kaltblütigkeit. Mit einer jähen Armbewegung schleuderte er das Steuerrad so rasch herum, dass die Speichen wie eine glatte, polierte Scheibe in der Sonne glänzten. Die „Zephir" drehte sich auf der Stelle wie ein gut zugerittenes Pferd unter dem Zügeldruck und legte sich Bord an Bord mit der Karavelle. Knirschend, scharrend und quietschend rieb sich das harte Holz aneinander.
Die Spanier blickten erstaunt und überrascht auf das, was sich vor ihren Augen abspielte, und konnten anscheinend nicht begreifen, weshalb ihre Karavelle diese Nussschale nicht in Grund und Boden gerammt hatte. Bevor sie zur Besinnung kamen, stürmte eine Schar wild schreiender, mit Äxten, Messern und Pistolen bewaffneter Korsaren ihr Schiff.
Zuerst zogen sich die Spanier vor diesem wütenden Angriff zurück. Als sie jedoch bemerkten, dass sie nur einige Dutzend Gegner vor sich hatten, griffen sie von allen Seiten zugleich an und versuchten, die Korsaren unter dem Vorderkastell zusammenzudrängen, von dem aus immer dichter Schüsse aus Handfeuerwaffen fielen. Dieses Ablenkungsmanöver brachte die Angreifer in Verwirrung. Oberbootsmann Tomasz Pociecha und Schiffzimmermann Broer Worst, die schwere Äxte in den Fäusten hielten, retteten die Situation. Unter ihren mit Bärenkräften geführten Schlägen barst und zersplitterte die eisenbeschlagene Eichentür des Kastells. Als der Eingang frei war, stürmten die beiden, von einem Dutzend Kameraden gefolgt, in das Innere.
Ein Axthieb des Riesen Worst spaltete einem spanischen Offizier, der ihnen Widerstand leisten wollte, Kopf und Rumpf bis zum Gurt. Pociecha, der mit der stumpfen Seite der Axt wie ein Berserker um sich schlug, brachte den sich eng aneinanderdrängenden spanischen Söldnern schwere Verluste bei. Sie konnten jetzt weder schießen noch ihre langen Piken und Hellebarden anwenden. Wie brüllend, heulende Teufel hieben und stachen die Matrosen der „Zephir" mit ihrem kurzen Schwertern und langen Messern um sich und bahnten sich den Weg. Rufe um Gnade wurden laut. Die entsetzten Spanier warfen die Waffen weg, knieten nieder, hoben Hände und starben oder wälzten sich blutüberströmt auf dem schlüpfrigen Deck.
Unterdessen wütete vor dem Kastell ein verbissener Kampf zwischen der restlichen, nicht ganz dreißig Mann starken Schar Martens und fast der ganzen übrigen Mannschaft der Karavelle. Der Platz war dort größer, freier. Die Spanier waren in der Übermacht, und der Sieg schien ihnen sicher zu sein. Marten warf sich mit bluttriefenden Degen immer wieder in das dichteste Kampfgewühl. Vergeblich unterstützten ihn die tüchtigsten Bootsmänner, allen voran der Segelmeister Hermann Stauffl. Die regulären spanischen Marinesoldaten wichen zwar vor diesen wütenden Schlägen zurück, doch von den Seiten griffen andere an. Am Heck sammelten die Schiffsoffiziere Reserven, um mit ihnen das verlassene Deck der „Zephir" zu besetzen. Nur Schultz und einige Schiffsjungen waren auf dem Schiff zurückgeblieben. Marten wusste sehr gut, dass die Spanier seine „Zephir" bis dahin nur deshalb nicht unmittelbar angegriffen hatten, weil sie fürchteten, dass es durch die verzweifelte Besatzung in die Luft gesprengt werden würde. Als er die zwanzig spanischen Musketiere bemerkte, die die Wanden des Fockmastes emporklommen, war ihm klar, dass die Niederlage bevorstand. Seine Leute, die man in eine Sackgasse getrieben hatte, sollten wie Tiere abgeschossen werden. Es blieb ihnen nur die Wahl, sich zu ergeben oder sich im Vorderkastell, das Worst und Pociecha erobert hatten, bis zum letzten Atemzug zur Wehr zu setzen.
Er entschied sich ohne langes Überlegen für das Letztere. Dabei blitzte der Gedanke in ihm auf, dass es ihm vielleicht von dort gelingen könnte, in die Laderäume der Karavelle einzudringen und die Pulverkammer in Brand zu setzen. Ein solches Ende war der Gefangenschaft und dem Tod am Strang, dem noch raffiniert ausgeklügelte Foltern vorangehen würden, entschieden vorzuziehen.
Er drehte sich zu Stauffl um und wies mit der Hand auf die zertrümmerte Tür des Vorderkastells. „Dorthin", rief er.
Er selbst zog sich als letzter zurück und deckte mit einem Häuflein seiner ältesten, bewährtesten kaschubischen Matrosen, die schon unter Mikolaj Kuna, Martens Vater, auf der „Zephir" gedient hatten und den jungen Schiffer von Kindheit an kannten, den Rückzug. Ein jeder von ihnen kämpfte für vier. Jeder hätte ohne Zögern sein Leben für Marten geopfert und lieber den Tod mit der Waffe in der Hand als die Schande der Gefangenschaft bei den Spaniern gewählt, auch wenn nicht Folter und Strick gedroht hätten.
Als sie den Eingang zum Kastell erreicht hatten, ließ Marten einen letzten Blick über sein Schiff und den Horizont gleiten. Plötzlich zuckte er zusammen. Von Norden her näherte sich eine hochragende Pyramide weißer Segel. Heiß stieg ihm das Blut ins Gesicht, das Herz schien mit seinen Schlägen die Brust sprengen zu wollen. Die „Ibex"! „White! White kommt!", rief Marten, so laut er konnte.
Dieser Ruf, der von einigen Matrosen und Bootsleuten aufgegriffen und wiederholt wurde, weckte unter den Korsaren wilde Freude. Er verlieh ihnen, wie ein tiefer Schluck Wein dem Dürstenden, neue Kraft. Ohne auf die Übermacht der Gegner zu achten, stürmten sie aus dem Kastell und trieben einen Keil in die Reihen der Spanier, die überrascht nach beiden Seiten auseinander stoben.
Fast zur gleichen Zeit knatterte in der Nähe lang anhaltendes Gewehrfeuer, ein Schatten viel auf das Deck der Karavelle. Aus den Wanten des Fockmastes purzelten die Schützen wie Maikäfer von einem Baum, der gerüttelt wird.
Die „Golden Hind" hatte an der gegenüberliegenden Bordwand des Spaniers festgemacht und überschüttete sein Deck und die Masten mit dichten Salven aus Musketen und Hakenbüchsen. Gleichzeitig drangen englische Seeleute von rückwärts und von der Seite auf die vor Schreck und Entsetzen starren spanischen Matrosen ein.
Nichts mehr konnte das furchtbare Blutbad aufhalten. Wenige Minuten später bedeckten Tote und Verwundete das Deck der Karavelle. Das Hinterkastell, in dem sich einige offiziere mit dem Rest der Mannschaft verbarrikadiert hatten, wurde von dem Feuer erfasst, das ein Bootsmann der „Golden Hind" gelegt hatte.
Ihr Kapitän, ein hagerer, mittelgroßer Mann mit lockigem, brandrotem Haar und dichten, hochgewölbten Brauen über den hellblauen Augen, blieb mitten auf dem Deck stehen und sah sich um, als suche er den, dem er die unerwartete Hilfe in seinem Kampf mit den Spaniern zu verdanken hatte. Endlich erblickte er ihn. Marten schien ganz außer Atem, schweiß- und blutbedeckt an der Spitze seiner Schar. Er eilte auf das brennende Kastell zu. Sein zorniges Gesicht und die blitzenden Augen zeigten, dass er das Feuer nicht wünschte, ja, dass er bereit war, nun die anzugreifen, die den Brand gelegt hatten. Er schrie schon von weitem. Als das keinen Erfolg hatte, wandte er sich an seine Leute und wollte ihnen einen Befehl erteilen. Da stand der Kapitän der „Golden Hind" wie aus dem Boden gewachsen vor ihm und fragte mit ruhiger, beherrschter Stimme; „Wer seid Ihr?"
Marten, der den Fremden um Haupteslänge überragte, musterte ihn erstaunt von oben herab und machte eine Bewegung, als wolle er ihn beiseite schieben. Doch er unterließ es, denn im Blick, in der Haltung und im Klang der Stimme dieses Menschen war etwas, das Achtung gebot.
„Ist das Euer Schiff?", fragte der Fremde weiter und wies mit einer Kopfbewegung auf die „Zephir".
„Ja das ist mein Schiff", erwiderte Marten. „Und diese Karavelle habe ich erobert, so..."
„Ich bin der Kapitän der „Golden Hind"", unterbrach ihn der Engländer und streckte die Hand zur Begrüßung aus. „Ich heiße Drake, Francis Drake?"
Marten wich überrascht einen Schritt zurück. „Wie? Höre ich recht? Drake?", fragte er erstaunt. Er ergriff die Hand des Engländers, umschloss sie mit seinen Pranken und schüttelte sie. „Drake!", wiederholte er. „Ihr seid Drake? Zum Teufel..."
Der Name des berühmten englischen Seefahrers wirkte auf ihn wie ein starker Schnaps, den man irrtümlich statt Wasser trinkt. Er schnappte nach Luft und konnte kein Wort hervorbringen.
Drake lachte. „Löscht das Feuer", rief er seinen Leuten zu.
Sie führten den Befehl schweigend und unlustig aus, obwohl die Spanier bereits ein weißes Tuch aus einer Luke des Kastells gehängt hatten, zum Zeichen, dass sie sich ergeben wollten.
Der Kapitän der „Golden Hind" sah Marten fest in die Augen. „Ich danke Euch", sagte er. „Ihr seid zur rechten Zeit gekommen. Nun möchte ich wissen, wem die „Zephir" gehört."
Marten hatte endlich seine Sprache wiedergefunden. „Ich heiße Jan Marten.", antwortete er.
„Seid Ihr Engländer?"
„Ich bin Kaperkapitän unter dem Schutz der Königin. In meiner Heimat nennt man mich Kuna. Das ist polnisch und bedeutet das selbe wie Marten."
„Und das Schiff dort?", fragte Drake und wies auf den sich nähernden Segler Whites.
„Ein Freund", erwiderte Marten. „Er hat sich verspätet."
In diesem Augenblick trat Pociecha auf sie zu, stieß Marten mit dem Ellbogen an und flüsterte etwas, was Drake nicht verstand.
Marten zuckte kurz zusammen und blickte gespannt über das Meer.
Die zweite Karavelle zeigte eine immer größere Schlagseite und sank. Boote und Flöße wurden von ihr herabgelassen. Die „Castro Verde" driftete mit ihren von den Segeln entblößten Rahen hilflos vor dem Wind. Aber am Horizont, fern im Süden, konnte Marten vier weiße Flecke erkennen, deren Gestalt keinen Zweifel zuließ. Es waren Schiffe!
Marten wandte sich jäh dem Kapitän der „Golden Hind" zu und begegnete dessen ruhigen, heiteren Blick.
„Das sind meine Schiffe", sagte Drake. Ihm war Martens Unruhe nicht entgangen. „Sie haben sich auch etwas verspätet", fuhr er fort. „Nur Ihr seid zur rechten Zeit gekommen, Marten."
„Ach so..." murmelte Jan beruhigt. „Ich dachte schon..."
„Was wollt Ihr mit der Karavelle machen?", fragte Drake.
„Sie versenken", erwiderte Marten, ohne lange zu überlegen. „Ich liebe es nicht, Menschen bei lebendigem Leibe zu verbrennen, auch wenn es sich um Spanier handelt."
Drake lächelte ironisch. „Zieht Ihr es vor, sie zu ersäufen?"
„Ich werde Ihnen gestatten, sich in ihren Booten zu retten. Den Portugiesen auch."
In den hellen Augen Drakes irrlichterten Fünkchen. Er runzelte die Stirn. „Seid Ihr der Ansicht, Kapitän, dass Ihr auch die „Castro Verde" genommen habt?", fragte er, ohne den Tonfall seiner Stimme zu ändern.
„Das wird gleich der Fall sein, und zwar bevor Eure Schiffe so weit heran sind, dass sie wirksam das Feuer eröffnen können."
Drake lachte. „Da soll doch... Ihr gefallt mir, auf mein Wort! Übrigens wird niemand auf Euch, Kapitän Marten, das Feuer eröffnen. Nehmt das Schiff, es gehört Euch. Wenn Ihr jedoch auf einen guten Rat hören wollt", fuhr er fort, „dann versenkt es nicht zu schnell und lasst nicht alle frei, die sich auf ihm befinden. Die „Castro Verde" hat eine gar nicht üble Ladung. Außerdem sind wahrscheinlich Passagiere an Bord, die ein anständiges Lösegeld zahlen werden."
Marten zwinkerte dem Kapitän der „Golden Hind" zu. „In diesem Fall könne wir doch gemeinsame Sache machen!"
Drake schüttelte den Kopf. „Ich weiß sehr gut, dass Ihr Euch allein Rat wisst. Meine Beute ist schon groß genug. Einen solchen Haufen Gold und Silber habt Ihr in Euerm Leben noch nicht gesehen, und ich glaube, auch niemand in ganz England."
„Oho!", rief Marten ungläubig. „Ihr habt doch nicht etwa ein neues Tenochtitlan entdeckt?"
„Vielleicht", erwiderte Drake ausweichend.
