Kapitel 2

Das portugiesische Schiff „Castro Verde" wurde ohne Blutvergießen besetzt. Während es die „Ibex" und die „Golden Hind" in Schach hielten, legte die „Zephir" mit langen Bootshaken längsseits an. Marten sprang mit der Hälfte seiner Leute auf das feindliche Deck, wo Musketen, Pistolen, Degen, Streitäxte, Piken, Hellebarden, Messer und Dolche auf einen Haufen geschichtet waren. Die Besatzung hatte, getrennt nach Offizieren und Mannschaften, Aufstellung genommen, wie es der siegreiche Kapitän des Kaperschiffes verlangt hatte.

Der Kapitän der „Castro Verde", ein kleiner, untersetzter Mann, dunkelhäutig, mit grauen Bart, stützte sich auf seinen Degen. Er blickte Marten so finster entgegen, als habe er vor, sich nicht entwaffnen zu lassen, sondern Widerstand zu leisten. Als jedoch Marten vor ihm stand und die Hand nach seinem Degen ausstreckte, riss er ihn aus der Scheide, packte die Klinge mit beiden Händen und schlug mit der flachen Seite gegen das Knie, um sie zu zerbrechen. Der Portugiese wollte nicht, dass sein Degen dem Feinde diente. Doch es gelang ihm nicht. Der Stahl bog sich zwar, er zersprang aber nicht.

Marten lachte laut. „Das wird nicht so gemacht", sagte er und griff blitzschnell nach dem Korb des Degens. „Gib mir die Scheide."

Rot vor Scham und Zorn ließ der Portugiese die Klinge los. Er fürchtete, sich die Hände zu verletzen. Mit bebenden Händen gürtete er die Scheide ab und warf sie vor sich hin. Marten fing sie im Flug auf, schob den Degen hinein und bog sie vor dem Gesicht des Kapitäns ohne sichtliche Anstrengung zusammen. Ächzend und knirschend barsten der Stahl und die silberne Scheide. Die zerbrochene Waffe blitzte in den Strahlen der untergehenden Sonne und fiel in hohem Bogen hinter der Bordwand ins Meer.

„Ich danke Euch", murmelte der Portugiese.

Marten betrachtete ihn nicht mehr. Ihn interessierten jetzt weit mehr die vier eisernen Falkonetts, die schräg zur Bordwand auf dem erhöhten Vorderdeck standen. „Sie werden uns von Nutzen sein", wandte er sich an seinen Leutnant.

Henryk Schultz nickte zustimmend. Seine ungewöhnlich lange, schmale Nase, die bis zur Oberlippe herabhin, bewegte sich, als beschnüffle sie die Geschütze. Das blasse, melancholische Gesicht änderte nicht seinen Ausdruck. Die dunklen Augen musterten das Deck. „Wollen wir sehen, was in den Laderäumen ist?", fragte er Marten und befeuchtete mit der Zungenspitze die Lippen.

„Ja", erwiderte Marten. „Pociecha bleibt hier. Stauffl kommt mit uns und selbstverständlich auch der." Er wies auf den portugiesischen Kapitän.

Sie stiegen die enge, gewundene Treppe bis zur Bilge des Schiffes hinab. Der Portugiese begleitete sie schweigend und antwortete nur kurz auf die Fragen, die Marten an ihn richtete. Im untersten Laderaum, über dem Kiel des Schiffes, erstreckte sich vom Bug bis zum Heck ein langer, dunkler Gang, der an einigen Stellen durch Zwischenwände aus starken Balken unterbrochen war. In jeder dieser Schotten befand sich eine kleine, eisenbeschlagene Tür, deren Schloss der Kapitän mit einem einfachen Schlüssel öffnete.

In den Laderäumen, die durch Luken mit dem darrüberliegenden Räumen und dem Oberdeck verbunden waren, türmten sich Ballen von Baumwolle und Koschenille, Säcke mit Anis, Ingwer, Kardamom, Pfeffer, Kisten mit Zinnamom, Gewürznelken, Muskatnüssen, Pistazien und anderen Gewürzen. Ihr starker Geruch hing wie ein durchsichtiger, duftender Schleier in der Luft und benahm einem dem Atem.

Über den eigentlichen Laderäumen befand sich in dem luftigeren Zwischendeck das Lebensmittelmagazin. Lange, schmale Streifen gedörrten Fleisches hingen von der Decke herab. Säcke voll Mehl und Grütze, Kisten mit Schiffszwieback, Fässer mit Trinkwasser und Wein füllten den Raum. In einem zweiten Magazin lagen Rollen von Tauwerk, Segeltuch und Eisenzeug. In besonders abgetrennten Verschlägen waren einige Fässer Pulver und Kanonenkugeln aufbewahrt.

Beim Anblick dieser Reichtümer musste Schultz heftig schlucken. Sein scharf hervorstehender Adamsapfel hob und senkte sich wie bei krampfhaften Schlingen. Dicke Schweißtropfen rannen ihm über die Wangen, und seine Finger krümmten sich wie Krallen.

Hermann Stauffl, rot und rund wie ein reifer Apfel, riss vor Staunen seine kindlich blauen Augen weit auf und bewegte den linken Unterarm wie einen Pumpenschwengel auf und ab. Er wr Linkshänder, und diese Reflexbewegung kam vom Messerwerfen. Kein Korsar Englands, Hollands und Frankreichs kam dem Segelmeister der „Zephir" in dieser gefährlichen Kunst gleich.

Jan Kuna, genannt Marten, lachte schallend und klopfte dem portugiesischen Kapitän von Zeit zu Zeit so freundschaftlich auf die Schulter, dass der beinahe in die Knie sank. Dabei bezähmte der junge Kapitän seine Bärenkraft noch.

Es war auch genügend Grund zur Freude und zum Staunen vorhanden. Als die „Zephir" und die „Ibex" vor zwei Wochen aus Plymouth ausliefern, hatte keiner eine so wertvolle und so leicht zu erringende Beute erwartet. Doch nun waren sie binnen einer Stunde zu wohlhabenden Leuten geworden. Nach Abzug des Zehnten, der für den Schatz Ihrer Majestät der Königin einbehalten wurde, betrug selbst der kleinste Anteil eines gewöhnlichen Matrosen eine beachtliche Summe, die er entweder für das Alter auf die hohe Kante legen, auf die Prozente in einem gewinnbringenden Unternehmen anlegen oder in den zahllosen Schifferkneipen durchbringen konnte.

Erst jetzt wurde sich Marten bewusst, ein wie freigebiger Verbündeter Drake war. Er hätte zumindest ein Drittel, wenn nicht gar die Hälfte der Prise verlangen oder versuchen können, die „Castro Verde" ausschließlich für sich zu kapern. Ein Kampf mit der „Golden Hind" wäre angesichts der sich nähernden vier englischen Schiffe zu riskant gewesen. Er weiß wahrscheinlich gar nicht, worauf er verzichtet hat, dachte Marten. Oder verbarg sich hinter dem Verhalten Drakes irgendeine Falle? Vielleicht wollte er die endgültige Entscheidung nur bis zum Eintreffen seiner vier Schiffe hinauszögern. Wer konnte ihnen die Stirn bieten?

Diese Möglichkeit beunruhigte Marten. Doch dann wies er den Verdacht von sich. Erstens entsprach eine derart verräterische Handlungsweise nicht dem, was er vom Hörensagen über Drake wusste, und zweitens war Drake schon einige Male schätzebeladen aus Westindien zurückgekehrt. Der Ruhm seiner Fahrten ließ nicht daran zweifeln, dass ihn auch dieses Mal das Glück begünstigt hatte.

Ja, so war es, Francis Drake log nicht. Seine Rückkehr nach der dreijährigen Reise konnte nur ein neuer großer Triumph sein. Marten waren bereits die verschiedensten erstaunlichen Gerüchte über diese Weltumseglung zu Ohren gekommen. Angeblich hatte Drake Dutzende spanische Schiffe erbeutet, Städte an den Küsten Mexikos, Perus und Chiles geplündert und in Brand gesteckt, New Albion entdeckt und Berge von Gold und Silber in Zacatecas, Potosi und Veta Madre geraubt.

Drake kehrte bestimmt mit einer riesigen Beute zurück. Jedes seiner Schiffe musste eine schwimmende Schatzkammer sein. Er würde keines von ihnen der Gefahr aussetzen, von einem Menschen wie Jan Kuna, genannt Marten, versenkt zu werden. Was anderes konnte Drake von ihm erwarten, wenn er ihn durch Hinterlist und Verrat zum Äußersten trieb? Wenn Raubtiere um ihre Beute kämpfen, siegt gewöhnlich das hungrigste. Unterliegt es aber der Übermacht des satten, dann bringt es diesem noch viele schwere Wunden bei, bevor es verendet.

Trotz seiner Überlegungen wünschte Marten nichts sehnlicher, als so rasch wie möglich wieder an Bord seiner „Zephir" zu kommen. Nur dort fühlte er sich sicher. Nur von dort aus konnte er allen Überraschungen die Stirn zu bieten.

„Es genügt", sagt er sich unvermutet an den Kapitän der „Castro Verde". „Ich will nun Eure Passagiere sehen."

Der Portugiese sah ihn mit düsterer Mine an und ging voraus. Sie stiegen zu dem höher gelegenen Deck empor und durchmaßen einen breiten Korridor, von dem Seitenlänge zu den Bordwänden und Schießscharten zwischen den Mannschaftslogis führten. Überall herrschte tiefe Stille, die nur vom Widerhall ihrer dröhnenden Schritte unterbrochen wurde. Der Fußboden hob und senkte sich rhythmisch, die Schotten neigten sich von rechts nach links, von links nach rechts. Lichtstreifen, die seitlich durch die Schießscharten oder von oben her durch die Skylights fielen, wurden im Halbdunkel zu elliptischen Scheiben. Am ende des Korridors wand sich der rückwärtige Niedergang wie eine Schlange, die den Kopf hebt, ehe sie ihre Giftzähne in das Opfer schlägt, zum Oberdeck hinauf.

Als sie an dem letzten Seitengang vorüber waren, erscholl hinter einer kleinen Tür mit vergittertem Guckloch ein gedämpfter Schrei, dem das Geräusch eines zu Boden fallenden schweren Körpers folgte. Eine Sekunde später wurde die Tür aufgestoßen. Ein Mann mit wirrem, zerzaustem Haar und struppigem Bart stürzte heraus. Er war mit einem Fetzen eines feinen, ehemals weißen Hemdes und schwarzen, enganliegenden Atlashosen bekleidet. Seine Hand umspannte ein gewöhnliches, langes Rapier mit einem breiten, massiven Messingkorb. Im Gürtel steckte eine Machete ohne Scheide. Er sah gefährlich aus. In seinen dunklen Augen funkelte der Mut der Verzweiflung.

Schultz und Stauffl sprangen zur Wand. Marten drehte sich blitzschnell um, hob den bestürzten Portugiesen am Kragen hoch und stellte ihn wie eine mit Holzwolle ausgestopfte Puppe vor sich hin. Dieses in einem Augenblick durchgeführte Manöver, das von der ungewöhnlichen Kraft Martens zeugte, rief in dem Gesicht des zerlumpten Kerls zuerst Staunen, dann ein flüchtiges Lächeln hervor.

„Werft die Waffen weg!", rief Marten, bevor der andere eine Bewegung machen oder ein Wort sprechen konnte.

Der Mann mit dem Rapier reagierte nicht auf diese Aufforderung. Er verbeugte sich leicht und legte weit ausholend den Korb des Degens an die Brust. Im gleichen Augenblick staken zwei Messer dicht über seinem Kopf über die Tür.

Stauffl ließ den Arm sinken und schielte zu Marten hinüber. Er wartete auf ein Zeichen, um der Warnung die entscheidende Tat folgen zu lassen. Das Zeichen blieb aus, obwohl das Rapier, das nun zum Salut einen Halbkreis beschrieb, noch immer in der Hand des Fremden befand. Dieser betrachtete jetzt die zwei gleichen beinernen Griffe der Messer, die an den tief im harten Holz steckenden Klingen zitterten. Er schüttelte anerkennend den Kopf, wandte sich an Marten und sagte: „Ich gehöre nicht zu der Bemannung dieses Schiffes. Vor einer Weile war ich noch Gefangener. Ich glaube, dass ich Euch, mein Herr, wenigstens zum Teil für die Gelegenheit Dank schulde, aus diesem Loch herauszukommen." Der Unbekannte schlug eine kunstvolle Volte, fing den Degen in der Luft an der Klinge auf und reichte das Gefäß Marten.

„Ich heiße de Belmont", sagte er und verneigte sich knapp. „Chevalier Richard de Belmont, Kapitän des französischen Kaperschiffes „Arrandora", das leider ziemlich weit von hier auf dem Boden des Meeres ruht – in der äußerst schlechten Gesellschaft einer portugiesischen Fregatte. Soll ich diese Kleinigkeit ebenfalls abgeben?", fragte er und zog die schwere Machete aus dem Gürtel.

„Nein. Behaltet auch die Spicknadel hier, Chevalier de Belmont", antwortete Marten und reichte ihm, befreit lachend, den Degen. „Ich bin der Kapitän der „Zephir" und heiße Jan Marten. Dies ist mein Leutnant Henryk Schultz."

„Meine Herren...", der vornehme zerlumpte Kerl verbeugte sich bei diesen Worten erst vor dem einen, dann vor dem anderen, „es ist mir sehr angenehm, Sie kennen zulernen."

Schultz starrte ihn an, ohne für eine Sekunde den Ausdruck seines melancholischen, blassen Gesichts zu ändern. In seinen Augen las man misstrauische Abneigung. Stauffl dagegen sperrte, verwundert über den ersten Menschen, der mit keiner Wimper gezuckt hatte, als zwei Messer einen Zoll über seinem Kopf in das Holz fuhren, den Mund auf, so weit er nur konnte, und hörte dem seiner Meinung nach komischen Gerede des Chevaliers de Belmont zu.

Der Kapitän der „Castro Verde" blickte schweigend zu Boden. Als Marten ihn endlich losließ, taumelte er gegen das Treppengeländer und atmete erleichtert auf. Die Adern an seiner Stirn und am Hals waren stark hervorgetreten. Unter dem stählernen Griff Martens musste er nahe dem Ersticken gewesen sein.

„Ich möchte Ihnen mit meiner Person keine Ungelegenheiten bereiten. Soviel ich sehe, haben die Herren es eilig", fuhr es Belmont in dem ungezwungenen Plauderton eines Weltmannes fort. „Ich möchte aber meinen bisherigen ..., mh... Gastgeber bitten, diese Tür abzuschließen. Ich nehme zwar nicht an, dass der Mensch, der mich dort bewacht hat, in der nächsten Zeit imstande sein wird, sich zu bewegen, aber sicher ist sicher."

Schultz, der der Tür am nächsten stand, schaute in den engen Raum, dessen ganze Einrichtung aus einer einfachen Bank, einem Tisch und einer Pritsche aus ungehobelten Brettern bestand. Im äußersten dunklen Winkel lag am Boden ausgestreckt unbeweglich eine menschliche Gestalt.

„Es wäre das beste, ihn von hier wegzuschaffen", brummte Schultz. Er winkte Stauffl. Zu zweit trugen sie den besinnungslosen Matrosen auf den Korridor. Als Marten den untersetzten Mann sah, blickte er anerkennend auf de Belmont. „Ihr seid mit diesem Kerl ganz gut fertig geworden", sagte er lächelnd.

„Er interessierte sich sehr zu seinem Schaden mehr für das Geschützfeuer als für meine Person", antwortete der Chevalier de Belmont nachlässig. „Ich benutzte seine Zerstreutheit, um ihn zu entwaffnen und..." Belmont vollendete den Satz mit einer Handbewegung, die das Herabsausen des Degenkorbes auf den Kopf andeutete. „Was fangen wir mit ihm an? Er ist, glaube ich, ziemlich schwer", sagte Belmont nach einer kleinen Pause.

„Unser Segelmeister wird sich mit ihm befassen." Marten gab Stauffl ein Zeichen. „Schicke ihm jemand zu Hilfe, Henryk", wandte er sich an Schultz. „Gehen wir."

Der Kapitän der „Castro Verde" führte sich nach oben zum Heckkastell. Auf dem Weg dorthin gab Marten seinem Leutnant halblaut einen Auftrag. Schultz nickte und ging zum Niedergang des Decks. De Belmont wollte ihm folgen, Marten hielt ihn jedoch zurück. „Es wäre mir leib, wenn Ihr mit mir kommen würdet", sagte er. „Ihr versteht die Sprache jener Leute bestimmt besser als ich."

Belmont betrachtete voll Missbehagen seine zerfetzte Kleidung. Marten fasste ihn kurz entschlossen unter. „Das wird keine Visite bei Hofe sein. Ihr könnt Euch später umkleiden."

Die Passagiere, drei Männer und zwei Frauen, warteten in der geräumigen, niedrigen Kajüte, die die ganze Breite des Hecks einnahm. In ihr herrschte ein gewisser Luxus, wenn auch kein königlicher, wie Marten meinte. Jedenfalls begegnete man einer solchen Ausstattung auf keinem gewöhnlichen Handelsschiff jener Zeit. Die Wände waren mit polierten Holz verkleidet, Orientteppiche bedeckten den Fußboden, schwere, mit Damast bezogene Polstersessel sowie Tische und Bänke aus Mahagoni und Palisander füllten den Raum.

Auf einer dieser Bänke saß in würdiger Pose ein grauhaariger Mann. Er hielt einen Stock aus Ebenholz mit einem goldenen Knauf in der Hand. An seinen langen knochigen Fingern glänzten zwei Ringe, den einen zierte eine Saphirrosette, den zweiten ein großer Diamant.

An seiner Seite, ihm halb zugewandt, ruhte, mehr als sie saß, eine ungewöhnlich schöne Frau. Ihr dunkles, hochgestecktes Haar wurde von einem goldenen schimmernden Netz und einer perlenbesetzten Agraffe zusammengehalten. Sie trug ein weites blaues Kleid mit einem venezianischen Spitzenkragen, den eine kostbare edelsteingeschmückte Goldspange schloss. In der Hand hielt sie einen riesigen Elfenbeinfächer mit weißen Federn, der sie halb verdeckte. Wenn sie ihn von Zeit zu Zeit sacht bewegte, klirrten die goldenen Armreifen an ihrem Handgelenk. Unter den zusammengezogenen Brauen flatterten die dunklen, langen Wimpern wie Schmetterlingsflügel und verbargen die Augen. Marten versuchte umsonst, einen Blick zu erhaschen.

Hinter der Bank standen zu beiden Seiten zwei Männer. Der eine war in den besten Jahren, schwarz gekleidet, mit einer Spitzenkrause um den dicken, kurzen Hals. Eine schwere Goldkette hing bis auf seinen vorstehenden Bauch herab. Der andere, er war noch jung, hatte ein aufgedunsenes, fahles Gesicht mit einem zurückfliehenden Kinn. Im Winkel kauerte ein Mädchen, das mit einem Tüchlein, welches sie an die Augen presste, ihr Schluchzen zu dämpfen suchte.

„Was sind das für Leute?", fragte Marten, an Belmont gewandt.

Der zerlumpte französische Edelmann berührte mit der Spitze seines Rapiers den schweigenden Portugiesen und wiederholte die Frage in dessen Muttersprache. Als er die kurze Antwort gehört hatte, erklärte er: „Ihr habt, Kapitän Marten, Seine Exzellenz, Juan de Tolosa, den Statthalter des Königs in Ostindien, vor Euch. Die schöne, stolze Senora Francesca de Vizella. Ihr Gemahl ist gegenwärtig Gouverneur von Java. Der wohlbeleibte Edelmann mit der Goldkette ist Don Diego de Ibarra, Besitzer ausgedehnter Landgüter auf Java. Er kehrt von dort zu seinen Weingärten im Duerotal zurück. Ich kann mich rühmen, ein Kenner guter Weine zu sein, Kapitän. Eienn besseren Porto würdet Ihr in der ganzen Welt umsonst suchen. Ich hoffe, dass sich ein Fässchen dieses Nektars an Bord befindet und wir es bis Ende dieser entzückenden Reise leeren können, obwohl ich für meine Person einen guten Burgunder vorziehe."

„Gut, und wer ist dieser schwächliche Kerl?", fragte Marten ungeduldig und deutete auf den blassen Jüngling.

„Der edelgeborene Caballero Formoso da Lancha, Sekretär Seiner Exzellenz", erwiderte Belmont. „Eine der ersten Familien in Traz os Montes. Jene niedliche, aber sehr bekümmerte tränenüberströmte Morenita dort, die es trotzdem nicht versäumt, Euch verstohlene Blicke zuzuwerfen, was übrigens nur ihren guten Geschmack beweist, ist die Kammerzofe der Senora Francesca."

Marten sah zu dem Mädchen hinüber und fing tatsächlich ein Aufblitzen ihrer schwarzen Augen auf. Die scharfe Beobachtungsgabe seines Dolmetschers, den ihm der Zufall geschickt hatte, erheiterte ihn, und er lachte belustigt. Gleich darauf zeigte sich auf seiner Stirn eine Falte. Seine Miene wurde ernst und verriet eine gewisse Verlegenheit. Er kaute an seinem dunklen Schnurrbart, der sich weich an die Oberlippe schmiegte. In Gedanken versunken, schien er das Schicksal dieser fünf Menschen zu erwägen.

De Belmont fragte den portugiesischen Kapitän leise etwas. Der hochmütige Alte starrte mit steinernem Gesicht von sich hin, Senora de Vizella bewegte einige Male den Fächer und ließ dann die Hand sinken. Die kostbaren Armbänder klingelten schüchtern klagend, und die zwei hinter ihr stehenden Männer wechselten kurze Blicke.

„Die Diener dieser Herrschaften befinden sich mit der Bemannung des Schiffes zusammen auf Deck", sagte Belmont.

„Die Diener?", wiederholte Marten.

„Ja, sechs Personen, die Kammerzofe nicht eingerechnet."

„Zum Teufel mit ihren Dienern", knurrte Marten. „Ich zerbreche mir schon den Kopf, was ich mit den fünf hier anfangen soll."

Im gleichen Augenblick erhob sich Juan de Tolosa langsam von seinem Platz und trat, auf den Schock gestützt, zwei Schritte vor. „Wollt Ihr mich anhören, Kapitän Marten?", sprach er hin zu dessen Überraschung in besten Englisch an. Tolosa schien, wie er so hager, hoch aufgerichtet vor ihm stand, auf ihn herabzublicken, obwohl er kleiner war als der Kapitän der „Zephir". Seine Tochter stand ebenfalls auf und kam näher. Erst jetzt war zu sehen, dass sie sich in den letzten Monaten der Schwangerschaft befand. Diese Feststellung verwirrte Marten noch mehr. Er begegnete ihrem feindseligen, verachtungsvollen Blick. Sie wandte den Kopf ab und richtete ein paar Worte an ihren Vater. Dann zog sie sich in den Hintergrund der Kajüte zurück und setzte sich in einen der tiefen Sessel. „Sprecht", erwiderte Marten.

„Ich bin reich genug, um Euch jeden Preis für unser Leben und unsere Gesundheit zahlen zu können", sagte der Alte. „Senor Ibarra wird Euch bestimmt auch das Lösegeld geben, dass Ihr mit ihm vereinbart, und die Verwandten dieses jungen Mannes werden das gleiche tun."

„Wo und wann?", erkundigte sich Marten gleichgültig.

„Ich weiß nicht, wohin Ihr segelt", antwortet Senor de Tolosa. „Wenn Ihr Bordeaux oder La Rochelle anlaufen würdet, dann wäre es möglich..."

„Ich komme in keinen französischen Hafen", unterbrach ihn Marten.

Tolosa zuckte ungeduldig die Schultern. „Ich bin bereit, für unsere Freiheit eine Summe zu entrichten, die Euch ein ruhiges Leben bis zum Tod sichert", sagte der Grande.

Marten lachte hellauf. „Es gibt keienn Betrag, für den ich mich mit einem „ruhigen Leben" abfinden würde, ebenso wenig wie es keinen Preis für mein Schiff gibt. Sie müssen Verständnis dafür haben, Exzellenz."

Marten drehte sich um, denn Henryk Schultz hatte die Kajüte betreten. „Es ist alles bereit", meldete der Steuermann halblaut seinem Kapitän.

Marten nickte. „Diese zwei hier übersiedeln auf die „Ibex". Er wies auf Don Diego und den Caballero da Lancha. „White soll sie gut behandeln. Die Frauen beziehen deine Kajüte auf der „Zephir", und Ihr, Exzellenz", er wandte sich bei diesen Worten an Tolosa, „bleibt unter Obhut meines Leutnants auf der „Castro Verde"."

Tolosa erbleichte und wankte, als er diese Entscheidung vernahm. Er warf einen verzweifelten Blick auf die Tochter. Senora de Vizella lächelte. „Beruhige dich, Vater", sagte sie. „Dieser Mozo wird sich nicht erdreisten, mich zu berühren. Und sollte er es wagen, dann... por Dios! Wird er mich nicht lebend haben."

Vier englische Fregatten mit der „Golden Hind" an der Spitze beschrieben einen weiten Bogen um die Stelle, an der das Meer brodelte und wallte. Große Wasserblasen stiegen aus den zwei sinkenden spanischen Karavellen auf. Ihre nach hinten geneigten Masten versanken immer tiefer. Die gelbroten Flaggen flatterten im Wind, bis die Wellen sie von der Oberfläche des Meeres fegten. Gleichzeitig gingen fünf englische Flaggen nieder und stiegen dann wieder an den Masten empor. Die „Zephir", die „Ibex" und die „Castro Verde" antworteten mit dem gleichen Salut.

Richard de Belmont stand frisch gewaschen, rasiert und parfümiert, die rabenschwarzen, glänzenden Locken nach hinten gekämmt, in einem neuen schneeweißen Hemd aus feinstem flämischem Leinen, schwarzen bis an die Knie reichenden Samthosen und einem leichten Überrock aus weichem Rehleder neben Marten auf dem Heck der „Zephir". Marten blickte nach Osten, wo in der beginnenden Dämmerung noch die Segel der Boote und Flöße der beiden versenkten Karavellen zu erkennen waren.

„Sie müssten in drei oder vier Tagen landen", sagt er. „Es ist nicht weit bis zur Küste."

„Sie hatten Glück, dass sie in Eure Hände fielen, Marten", erwiderte Belmont. „Drake hätte sich kaum so viel um sie gekümmert."

„Drake würde jetzt samt seinem Schiff auf dem Meeresgrund ruhen, wenn ich ihm nicht zu Hilfe gekommen wäre", bemerkte Marten stolz.

Belmont sah ihn von der Seite an und lächelte. „Ihr habt einen Freund in ihm gewonnen", sagte er nach einer Weile. „Das ist mehr wert als diese Prise." Er wies mit einer Kopfbewegung auf das portugiesische Schiff, das sich unter den zum Driften gestellten Segeln auf den Wellen wiegte.

Die „Golden Hind" glitt in einer Entfernung von einigen Dutzend Yards an der „Zephir" vorüber. Francis Drake stand hinter dem steuernden Bootsmann auf dem erhöhten Hinterdeck. Der Wind zauste in seinem Haar, das im Schein der Abendröte wie blankes Kupfer glänzt. Als die beiden Schiffe auf gleicher Höhe lagen, hob er die rechte Hand zum Gruß und rief: „Wir sehen uns in England wieder, Kapitän Marten! Ihr findet mich in Deptford!"

„Auf Wiedersehen, Kapitän Drake!", schrie Marten zurück. „Wir werden uns bestimmt treffen!"

Dann wendete er sich an den Chevalier, fasste ihn unter und sagte: Belmont, meine Freundschaft ist genauso viel wert wie die Drakes, es sei denn, man würde diesen Wert nach der Zahl der Geschütze und Schiffe oder nach dem Gewicht des Goldes und Silbers messen, das ein jeder von uns besitzt. Ich nehme an, dass Ihr nicht zu der Sorte Menschen gehört."

Belmont betrachtete den Kapitän der „Zephir" mit steigendem Interesse. Man kann wirklich nicht behaupten, dass dieser baltische Abenteurer bescheiden ist, dachte er. Nach allem, was ich hier erlebt habe, steht fest, dass es besser ist, ihm nicht in die Quere zu kommen, auch nicht, um die Ehre der schönen Senorita de Vizella zu verteidigen. Laut sagte er: „Zu der Sorte gehöre ich nicht. Trotzdem weiß ich die Stärke des Geschützfeuers und die Macht des Goldes zu schätzen. Man kann allerdings aufrichtige Freundschaft nicht mit Gold erkaufen, das stimmt, man kann aber mit seiner Hilfe ein Schiff erwerben und bewaffnen. Ich habe, Kapitän Marten, meine „Arrandora" verloren..." Ein Ton von Bitterkeit schwang in seinen letzten Worten mit.

Jan Kuna spürte das und verstand. „Ich kann euch weder die Prise anbieten", entgegnete er und wies dabei auf den hochragenden Rumpf der „Castro Verde", „noch einen Anteil an der Beute, den meine Leute nach dem Verkauf der Ladung erhalten. Ich kann Euch nur den Posten des ersten Steuermanns, den Schultz auf der „Zephir" innehatte, anbieten. Wollt Ihr annehmen?"

Der Chevalier de Belmont schien zu zögern, was Marten offensichtlich verärgerte. Er muss die Prise mit einem Teil seiner Leute, einigen Matrosen Whites und den Portugiesen bemannen, die auf der „Castro Verde" zurückgeblieben waren. Daher verlor er seinen Ersten Offizier und bedurfte der Hilfe Belmonts. Außerdem hielt er seinen Vorschlag für sehr großmütig. Dieser vom Schicksal besiegte Mensch besaß nichts und war noch vor wenigen Stunden der Gefangene seiner Feinde gewesen. Nun bot sich ihm eine Gelegenheit, um die ihn so mancher erfahrene Seemann in viel günstigerer Lage beneidet hätte. Und er zögerte, anstatt voll Dankbarkeit die Gelegenheit am Schopf zu packen!

„Ihr könnt bis zum Ende der Reise auf mich rechnen", sagte Belmont schließlich. Marten hatte dabei das Gefühl, als wolle ihm der Chevalier einen unbezahlbaren Dienst erweisen.