Salomon White, Kapitän der Kaperfregatte „Ibex", kletterte mit einiger Mühe das Fallreep hoch, das man von Bord der „Zephir" herabgelassen hatte, und hinkte mit Hilfe einer hölzernen Krücke, die sein linkes Bein ersetzte, schwerfällig zum Heck.
Schultz gab den Matrosen in dem kleinen Boot, mit dem sie angekommen waren, einige Anweisungen. Dann eilte er dem alten White nach. Als er ihn eingeholt hatte, sagte er: „Ihr könnt ihm fünfzehn Schilling für das Pfund vorschlagen. Der Marktpreis beträgt ungefähr fünfundzwanzig. Auf diese Weise verdient ein jeder von uns beiden außer seinem Anteil noch dreitausend Guineen."
White blieb stehen und schaute Schultz prüfend in die Augen. Sein mit einer gelblichen, pergamentartigen Haut überzogener Schädel spiegelte das Mondlicht wider. Die Glatze mit den schütteren, grauen Haaren an den Schläfen, hinter den abstehenden Ohren und am Hinterkopf sah wie eine Art Heiligenschein aus. Seine runzligen Wangen, die wie die Schale einer alten, vertrockneten Birne waren, der spärliche Bart, der sie wie Schimmel bedeckte, sowie seine Adlernase versanken im Dunkel. Nur die Augen glühten in den tiefen Höhlen und schienen jeden zu durchbohren, den ihre brennenden Blicke trafen.
Henryk Schultz liebte diese Blicke nicht. Unwillkürlich wich er einen Schritt zurück.
„Was sagt Ihr?" White zog die Oberlippe zu einem bösen Lächeln hoch, so das seine faulen Zähne sichtbar wurden. „Ich weiß zufällig, dass der Marktpreis für Koschenille über dreißig Schilling das Pfund beträgt", sagte er leise. „Wenn Ihr mit mir Geschäfte machen wollt, dann trachtet nicht, mich zu betrügen, versteht Ihr?"
„Ich hatte nicht die Absicht", erwiderte Schultz gekränkt. „Wir haben doch so manchen Handel zusammen abgeschlossen. Dabei habt Ihr nie verloren, stimmt es oder nicht? Wenn es tatsächlich so ist, wie Ihr sagt..."
„Ich weiß, was ich spreche", knurrte White. „Dreißig Schilling, nicht einen Penny weniger!"
„Vielleicht sind die Herren so gütig einzutreten", erklang plötzlich hinter ihnen eine höfliche Stimme, deren Tonfall leicht ironisch war.
Schultz zuckte zusammen und wäre beinahe zur Seite gesprungen, als hätte ihm jemand einen Kübel siedendes Wasser über den Rücken gegossen. White richtete sich auf, warf einen raschen Blick über die Schulter und griff mechanisch nach dem Messer, das im Gürtel steckte.
„Kapitän Marten erwartet die Herren zum Abendessen", fuhr der Chevalier de Belmont in seiner zuvorkommenden Art fort. „Senora de Vizella wird uns bei Tisch mit ihrer Gesellschaft beehren. Hierhin, meine Herren..." Er verbeugte sich leicht und wies mit der ausgestreckten Hand auf den Eingang zum Heckkastell.
White zuckte verächtlich mit den Schultern. „Ich kenne den Weg. Mir braucht ihn niemand zu zeigen", knurrte er.
Er ging voran und betrat die hellerleuchtete Kajüte, die er tatsächlich sehr genau kannte. Jetzt schien sie ihm allerdings wie durch Zauberei verwandelt zu sein. Die einfachen Eichenmöbel, die noch tags zuvor hier gestanden hatten, waren durch eine kostbare, reich geschnitzte Einrichtung ersetzt worden. Den Fußboden bedeckten Teppiche. Die polierte Platte eines niedrigen Mahagonitisches glänzte im Schein der Kerzen wie glattes Eis, in dem sich silbernes Geschirr, chinesische Porzellanschüsseln und venezianisches Kristall spiegelten.
White zog die Brauen zusammen und heftete seinen Blick auf das Gesicht des Chevalier de Belmont, als klage er ihn stumm eines schweren Verbrechens an. Seine puritanische Einfachheit sträubte sich gegen einen solchen Aufwand. Er sah darin Teufelswerk und befürchte, dass Belmont mit Hilfe der höllischen Kräfte Marten geblendet und betört habe.
Oder ist vielleicht diese Frau daran schuld? Dachte er. Er hatte sie noch nicht gesehen, von Schultz wusste er aber, dass sie die Gattin eines spanischen Granden, eine Papistin wie sämtliche Spanier und Portugiesen war. White hasste sie alle gleichermaßen.
Und nun sollte er in ihrer Gesellschaft tafeln? Dieser Gedanke nahm ihm die Ruhe, wühlte wie Gift in seinem Blut. Zu welchem Zweck zwang ihn Marten zu so etwas? War es nur eine Laune, oder schmiedete Belmont mit ihm zusammen irgendwelche dunklen Pläne gegen ihn, Schultz und die anderen?
Belmont schob die schwere, blaue Samtportiere vor dem Eingang der Kajüte der Spanierin zur Seite, als beabsichtige er, die Schwelle zu übertreten. Da er eine erregte, zornige Frauenstimme hörte, zögerte er.
„Lieber sterbe ich vor Hunger und Durst!" waren die letzten Worte, die er vernahm. Er lächelte und ließ den Vorhang fallen. „Senora de Vizella scheint keinen Appetit zu haben", sagte er halblaut, wie zu sich selbst.
Im gleichen Moment wurde die Tür aufgestoßen, heftig zugeschlagen und der schwere Samt so jäh zur Seite gerissen, dass er hin und her schwankte. Jan Marten erschien in der Kajüte. Seine Augen funkelten vor Zorn. Als er den verwunderten und neugierigen Blicken der drei Männer begegnete, lachte er laut auf.
„Es ist leichter, eine portugiesische Korvette zu erobern, als diese Dame davon zu überzeugen, dass nichts und niemand ihre Ehre bedroht", sagte er. „Nehmt Platz. Wir sind ihrer Gesellschaft nicht würdig, hoffen aber, dass wir es überleben."
Sie traten an den Tisch. White bekreuzigte sich und begann halblaut ein Gebet zu sprechen. Schultz faltete fromm die Hände und wandte sich ab, um White nicht zu sehen. Er bewegte stumm die Lippen und blickte auf einen der Kristallkelche.
Er grübelte darüber nach, ob er nicht eine Todsünde beging, wenn er dicht neben einem Häretiker, sozusagen gemeinsam mit ihm betete und noch dazu in Gegenwart Martens, von dem er wusste, dass er der Sohn der Hexe Katrazyna Skorzanka war, die im Danziger Kerker gestorben war, und der Enkel der Agnieszka, die auf dem Holzstoß den Tod gefunden hatte. Wer konnte wissen, ob Jan Marten nicht die Hilfe des Teufels bei seinen erstaunlich glücklichen Unternehmungen in Anspruch nahm? Seit sieben Jahren, seit der Zeit, da die „Zephir" der dänischen Flotte, die den Sund bewachte, entkommen war, wurde Marten ständig vom Glück begleitet. Er entging tödlichen Gefahren und schien kugelfest zu sein, denn er wurde in keinem Gefecht auch nur leicht verwundet, obwohl die Leute um ihn herum fielen wie die Ähren beim Schnitt. Sein Vater Mikolaj Kuna war umgekommen, der Tod hatte bereits die Hälfte der früheren Danziger Mannschaft der „Zephir" geholt, die übriggebliebenen waren mit Narben bedeckt, nur er, Jan Marten, der doch so viel fremdes Blut vergoss, hatte nicht einen Tropfen eigenes verloren.
Seit jener Zeit, seit dem Tod seiner Mutter und der Flucht durch den Sund und das Kattegatt in die Nordsee, war Marten nicht mehr in der Kirche gewesen, hatte nicht gebeichtet, nicht gefastet. Mit den Priestern der heiligen Kirche hatte er gebrochen und sich mit dem Ketzer White zusammengetan; jetzt fesselte er den Belmont an sich, der so wie er selbst nicht einmal das Kreuzeszeichen schlug, bevor er sich zu Tisch setzte.
„Und erlöse und von dem Übel, Amen", flüsterte Schultz. Beschwörend wiederholte er die Worte und dachte dabei an den Engländer und den Franzosen.
Marten wartete geduldig, bis sie fertig waren. Belmont betrachtete sie insgeheim, ohne übrigens ein größeres Interesse für ihre Andachtsübungen zu zeigen, obwohl nichts, was sich um ihn tat, seiner Aufmerksamkeit entging.
Endlich setzten sich alle vier. Als der erste Hunger gestillt war, fragte Marten seinen Gefährten White, was seiner Meinung nach nun geschehen solle. Sollten sie auf den kürzesten Weg nach England zurückkehren oder zwischen den Kapverdischen Inseln, den Kanarischen Inseln und Madeira ihr Glück versuchen, da sie genügend Lebensmittel und Munition vorrätig hatten?
„Zurückkehren, so rasch wie möglich zurückkehren", entgegnete White ohne Zögern. „Ich begreife nicht, worauf wir hier noch warten. Weshalb haben wir uns nicht gleich den Schiffen Drakes angeschlossen, wenn uns die göttliche Vorsehung die Gnade zuteil werden ließ, ihnen zu begegnen?"
Marten hob den weingefüllten Pokal an die Lippen, trank langsam und betrachtete dabei durch das kristallene Glas das strenge, düstere Gesicht des alten Kaperkapitäns. In den eingeschliffenen Vertiefungen und Rosetten spiegelten sich auch die Gesichter Belmont und Schultz mehrfach wieder. Er bemerkte den raschen Blick, den Schultz mit White wechselte, und sah, wie Belmont, der die beiden schweigend beobachtete, seine Lippen ironisch verzog. Sie verbergen etwas vor mir, dachte er. Belmont weiß davon.
Marten hatte stets ihre kleinen Betrügereien beim Verkauf der Beute geflissentlich übersehen. Er kümmerte sich nicht darum und hatte auch keine Lust sich mit der genauen Berechnung zu befassen und ihre Krämergeschäftchen zu überwachen. Auch jetzt wurde ihre Eile von irgendeiner Handelsspekulation bestimmt, an der sie etwas mehr zu verdienen hofften, als ihr Anteil betrug.
„Die Rahen der Prise waren beschädigt, die Segel zerfetzt. Sie mussten ausgewechselt werden", sagte er und stellte den leeren Pokal auf den Tisch. „Außerdem musste ich die portugisische Bemannung in den Booten der Spanier unterbringen, und zwar so, dass sie sich nicht gegenseitig über Bord warfen. Das war nicht einfach, denn sie wurden dort nicht gerade gastfreundlich aufgenommen. Der Platz reichte kaum für alle. Aber ich konnte doch die „Castro Verde" nicht ihrer Schaluppen entblößen."
„Das hätte noch gefehlt", brummte White. „Die Hölle wird sie sowieso verschlingen."
„Und was meint Ihr, Chevalier?", wandte sich Marten an den Franzosen.
„In bezug auf die Hölle oder auf die Rückkehr?", fragte Belmont lächelnd.
„Über die Rückkehr oder die Fortsetzung unserer Kaperfahrt", erwiderte Marten.
Belmont sah zuerst White, dann Schultz an. Schließlich blieb sein Blick an Marten haften.
„Da ich an der Ladung und der „Castro Verde" keinen Anteil habe, würde es in meinem Interesse liegen, eine zweite Prise zu machen", sagte er, nachdem er sich kurz bedacht hatte. „Eine solche Möglichkeit kann sich uns ebenso gut auf dem Weg nach England bieten. Wir werden beim Wind, also nicht geradeaus segeln, das heißt einmal Steuer-, dann wieder Backbordhalsen. Die Geschwindigkeit der „Zephir" und der „Ibex" werden wir der „Castro Verde" anpassen müssen, die ihnen in dieser Beziehung nicht gleichkommt. Übrigens..." Er verstummte, ergriff sein Glas und hielt es gegen das Licht des Leuchters. „Übrigens", wiederholte er, „ist jetzt, so viel mir bekannt ist, die beste Zeit um in England Gewürze und Koschenille hohe Preise zu erzielen."
Er schwieg und hob den Kelch. „Auf Eure Gesundheit, Kapitän", rief er fröhlich, „und die Ihre, meine Herren." Er nickte Schultz und White zu.
Marten stieß mit ihm an. Schultz wurde noch blasser als sonst. Sein gelbliches Gesicht nahm einen fahlen Ton an. White, der nur Wasser trank, griff mechanisch nach seinem Becher, seine Hand zitterte merklich.
Er hat ihnen einen Schreck eingejagt, dachte Marten Bestimmt weiß er etwas.
„Was die Koschenille betrifft", fuhr der Chevalier fort, „ist mir bekannt, dass man im Großhandel achtzehn Schilling für das Pfund bezahlt."
Marten lächelte befriedigt. Diesmal würde es ihnen nicht gelingen, etwas nebenbei zu verdienen. „Hast Du gehört?", fragte er Schultz laut, der erleichtert aufatmete.
„Ich habe von fünfzehn gehört", erwiderte der Leutnant mit gesenktem Blick. „Aber..."
„Der Chevalier de Belmont hat bestimmt die schärferen Ohren, wenn er was von achtzehn hörte", fiel ihm Marten ins Wort. „Ich nehme an, dass er dir helfen will, wenn du allein nicht imstande bist, einen Käufer zu finden, der soviel zahlt."
„Gewiss", bestätigte Belmont zuvorkommend.
White stand auf, schlug ein Kreuz und erklärte, dass er auf sein Schiff zurückkehre. Marten hielt ihn zurück. Es musste festgelegt werden, wann und in welcher Richtung sie weitersegeln, wie sie sich verständigen und welche Marschordnung sie während der Fahrt einhalten wollten.
Ihr Gespräch wurde durch laute Rufe vom Deck unterbrochen. Die Mannschaft der „Zephir" trank unter freiem Himmel auf die Gesundheit ihres Kapitäns.
„Ich gehe zu ihnen", sagte Marten. „Wartet auf mich, ich komme gleich zurück."
White presste die welken Lippen zusammen. Als sich die Tür hinter Marten geschlossen hatte, wurde draußen der wilde Lärm noch größer.
Sie lieben ihn, überlegte Belmont. Sie würden mit ihm in die Hölle gehen, wenn er es von ihnen verlangte. Er warf einen Blick auf seien schweigenden Gefährten, goss sich Wein ein, schlürfte ihn langsam, mit Genuss und sprach abgerissene Sätze vor sich hin, als überlege er laut eine Angelegenheit, die ihn vollauf beschäftigte. „Das Pfund Koschenille wird in London mit dreiunddreißig Schilling für ein Pfund gehandelt. Im Winter steigt der Preis bis sechsunddreißig. Wir werden aber nicht bis zum Winter warten und wahrscheinlich nicht mehr als zweiunddreißig Schilling für ein Pfund erhalten. Da ich Kapitän Marten im Namen von uns drei achtzehn Schilling geboten habe, bringt uns diese Transaktion achttausendvierhundert Guineen." Er stellte den geleerten Kelch auf den Tisch. „Das sind zweitausendvierhundert mehr, als Ihr gerechnet habt." Belmont wante sich bei diesen Worten plötzlich an Schultz, als wäre er selbst über das Ergebnis seiner Berechnungen erstaunt.
Schultz blinzelte ihn unter halbgeschlossenen Augenlidern hervor träge an und wischte mit dem Handrücken die Schweißtropfen fort, die sich auf seiner Oberlippe gebildet hatten. Dann frage er: „Und was noch?"
„Dann bliebe nur noch zu regeln, wie wir diese Summe verteilen", erwiderte Belmont. „Meiner Ansicht nach gehört der bescheidene Mehrerlöß dem, der ihn erzielte, das heißt mir. Den Rest teilen wir unter uns dreien. Auf diese Weise erhält jeder von Euch außer dem Beuteanteil zweitausend."
„Ist das alles?", fragte Schultz wieder.
„Soweit es sich um die Koschenille handelt, alles", entgegnete Belmont. „Über die anderen Geschäfte werden wir uns in London oder Plymouth verständigen. Ich bin stets bereit, Euch, Leutnant Schultz, zu helfen, falls..."
Er brach unerwartet ab und drehte sich blitzschnell nach White um. „Lasst das, Kapitän", rief er befehlend.
Schultz sah den Chevalier erstaunt an. In dessen Hand glänzte eine in Silber und Elfenbein gefasste Pistole. Der Leutnant hätte nicht sagen können, wie sie dorthin gekommen war und wann der Chevalier de Belmont sie gezogen hatte. Die rechte Hand Whites nestelte noch einen Augenblick an der Seite, wo ein langer toledanischer Dolch in einer Lederscheide steckte, dann glitt sie herab.
„Hände auf den Tisch!", befahl Belmont. „Mein Spielzeug geht sonst los", fügte er hinzu und zeigte lächelnd die Zähne.
White durchbohrte ihn mit einem wütenden Blick, gehorchte aber. „Fürchtet euren Herren und Gott, er wird euch as den Händen aller euerer Feinde befreien. Und die zu euch kommen und eure Gäste sind, werden eure Diener sein", flüsterte er.
Aber weder Schultz noch Belmont hörten seine Worte. Ein neuer, noch lauterer Freudenausbruch übertönte sie. Von dem Lärm und Geschrei schienen die Wände des Kastells zu beben. Der Kapitän der „Zephir" trank auf die Gesundheit seiner Mannschaft.
Senora Francesca de Vizella kniete am Kopfende ihres Bettes. Marten hatte es von dem portugiesischen Schiff auf die „Zephir" schaffen und in der Steuerbordkajüte des Hinterkastells aufstellen lassen. Sie versuchte, sich ausschließlich auf das Gebet zu konzentrieren. Doch ihre Gedanken irrten immer wieder ab, und die Heilige Jungfrau, deren Bild Strahlenkranz des Heiligenscheins sie in das Gedächtnis zurückrief, wandte ihr liebreiches, huldvolles Gesicht ab und entfernte sich, verschwand hinter einem Nebelschleier. Vor den Augen Francescas tauchten trotz der fest geschlossenen Lider der Reihe nach die Gestalten des Vaters, Don Diegos de Ibarra, des Caballeros da Lancha, des Kapitäns der „Castro Verde" und die seiner eleganten Offiziere auf. Von dem wilden Haufen der Seeräuber wurden sie wie welke Blätter im Sturm hinweggefegt. Sie hörte das Geschrei der Kosaren, das Dröhnen der Schüsse, das Getöse des Kampfes und das wilde Pochen des eigenen Herzens.
Sie war mutig und fürchtete nicht den Tod. Im Gegenteil, sie empfand Zorn und Verachtung, wenn sie an den portugiesischen Kapitän, an seine Offiziere und die Spanier dachte. Nie hätte sie es für möglich gehalten, dass drei große Schiffe so unbedeutenden Kräften wie denen der Kosaren unterliegen könnten, dass eine Handvoll Räuber, Knechte, wie sie diese im stillen nannte, imstande sein würde, einigenhundert portugiesischen Söldnern binnen einer halben Stunde eine vollständige Niederlage zu bereiten. Sie hatte sich jedoch mit eigenen Augen davon überzeugen müssen. Die portugiesischen und spanischen Caballeros, Edelleute aus den besten Familien, zitterten vor einem ausländischen Vaquero, vor einem Menschen aus dem Pöbel, der für jedes Wort, das er an sie zu richten wagte, für jeden Blick, den er auf sie warf, ausgepeitscht zu werden verdiente! Sie erinnerte sich deutlich seines Gesichts, als er mit ihrem Vater wie mit seinesgleichen sprach, schlimmer noch, als unterhielte er sich mit dem ersten besten seiner Spießgesellen und nicht mit dem Statthalter des Königs. Der Ausdruck seines Gesichts, das spöttische Lächeln, der harte und stolze Blick, nichts war ihr entgangen. Wie konnte dieser gemeine Mensch es wagen! Wie konnte er nur.
Wenn wenigstens Don Emilio hier wäre. Sie dachte an ihren Mann und biss sich auf die Lippen. Don Emilio neben diesem Seeräuber? Nein, es war besser, dass sie die beiden nicht zusammen sah. Don Emilio wäre ohne die Macht, über die er unter gewöhnlichen Umständen verfügte, nicht imstande gewesen, solch einen Menschen zu bändigen. Seine Gestalt war nicht imponierend, wenn ihn nicht eine ganze Schar hoher Beamter, Offiziere und Adjutanten umgab. Don Emilio war ziemlich beleibt, eher klein als groß. Seien Erhabenheit und Herrlichkeit kamen nur dann zur Geltung, wenn er in dem geschnitzten Sessel am Tisch des königlichen Rates saß oder wenn er in einem offenen Wagen fuhr und hochmütig auf die Menge hinabblickte. Ohne den Prunk und ohne die Macht seines Amtes, Auge in Auge mit dem jungen, verwegenen Kapitän der „Zephir" hätte er ebenso ratlos wie der Caballero da Lancha oder Don Diego de Ibarra dagestanden, vielleicht hätte er nicht einmal die Würde zu bewahren gewusst, wie ihr Vater zur Schaut getragen hatte...
Es ist besser, dass ich allein bin, dachte Francesca. Die allerheiligste Jungfrau wird mir helfen und ein Wunder tun. Sie wird nicht gestatten, dass ich zur Verteidigung meiner Ehre Selbstmord begehen muss. Sie wird mich aus den Händen dieses Räubers befreien. Zum Lohn dafür soll ihre eigene Kirche, nicht nur den Altar am heiligen Kreuz in Alter do Chao haben.
Sie fasste wieder Mut. Dank der göttlichen Vorsehung hatte der Korsar es nicht gewagt, sie zu berühren. Was sonst hatte ihn davor zurückgehalten? Ihr Zustand, die nahe Mutterschaft? Für solche Menschen wie er hatte das bestimmt keine Bedeutung. Und doch nahm er auf eine rohe Art Rücksicht auf sie. Was beabsichtigte er? Lockte ihn das versprochene hohe Lösegeld? Sie verweilte einen Augenblick bei dieser Frage. Halb unbewusst bekannte sie vor sich selbst, dass sie lieber einen anderen Grund seiner Zurückhaltung entdecken möchte. Hatte er sie hierher auf sein Schiff bringen lassen, um ihr leichter Gewalt antun zu können, oder wollte er sie schützen?
Zum erstenmal hatte sie einen derartigen Gedanken. Sie sah in ihrer erregten Phantasie eine Horde betrunkener Matrose, die ihre Tür erbrach und sich auf sie stürzte. Vor Ekel und Entsetzen überlief es sie heiß und kalt. Das konnte ihr zustoßen.
„Jetzt kann es nicht mehr geschehen", flüsterte sie erleichtert. Sie fühlte eine Spur von Dankbarkeit für Marten in sich aufkeimen und machte sich deswegen sofort Vorwürfe. Ihre ganze Dankbarkeit gebührte der heiigen Madonna, ihrer Madonna von Alter do Chao auf dem Besitztum der Familie Tolosa. Dur die hatte sie im Sinn. Und dennoch... dieser Marten...
Wieder dachte sie an ihn! Es ärgerte sie, dass er sich ständig in ihre Gedanken stahl. Sie hasste ihn doch, verachtete ihn. Gleichzeitig konnte sie aber einem Etwas nicht widerstehen, einem Etwas, das vielleicht an Bewunderung grenzte.
Wen er ein Edelmann wäre, überlegte sie weiter, wenn ich nicht schwanger wäre, wenn ich ihm vor einem Jahr begegnet wäre... Quien sabe! Wer weiß!
Sie war bestürzt. Was war mit ihr! Sie machte das Zeichen des Kreuzes und schlug die Hände vors Gesicht.
Apage satanas! Hebe dich von mir, Satan!
