0330 ZULU
Freitag, 05.03.2004Stützpunkt des USMC
Bagdad, Irak
Der Wecker begann, unbarmherzig zu klingeln. Noch in seinen Träumen gefangen versuchte Harm Rabb, das Geräusch zu ignorieren, genauso wie die Tatsache, dass ihm sein linker Arm eingeschlafen war, und zu kribbeln begann. Irgendetwas kitzelte ihn im Gesicht.
Das Piepen des Weckers wurde lauter.
Genervt zog sich der Anwalt die Bettdecke über die Ohren und schob seinen Arm dann wieder um die Taille der Frau, die seinen linken Arm als Kopfkissen missbrauchte und mit ihrem Rücken an seiner Brust lag. Sein rechtes Bein war zwischen ihren Beinen gefangen.
Der Reisewecker erreichte die nächsthöhere Lautstärke.
Die Frau in seinen Armen drehte ihn mühelos auf den Rücken, rollte dabei selbst auf seinen Bauch, streckte sich in Richtung Nachttisch und drückte auf die Snooze-Taste des Weckers. Zwei Sekunden später hatten sie beide wieder die äußerst bequeme Stellung von zuvor eingenommen. Zufrieden verbarg Harm seine Nase in Cara's nach Zitrone duftenden Haar. Ihr Kopf ruhte wieder auf seinem linken Arm, ihre Hände schlossen sich um seinen rechten, der wieder besitzergreifend ihre Taille umschlang.
„Morgen, Harm..."
„Guten Morgen, Cara..."
Eine Sekunde später rissen beide entsetzt die Augen auf.
Die nächsten fünf Sekunden blieben sie stocksteif so liegen, wie sie es wahrscheinlich die ganze Nacht getan hatten.
Schließlich fuhren sie so heftig auseinander, dass Harm mitsamt der Decke über die Bettkante kugelte, während sich Cara am anderen Ende des Queen-size-Bettes in die zweite Decke wickelte.
Als sie ihn sich so ansah, auf dem Boden sitzend, mit nach allen Seiten abstehenden Haaren und total verdutztem, immer noch verschlafenem Blick, konnte sie nicht anders als zu lachen.
„Ich wusste, das war eine blöde Idee", grummelte der Ex-Pilot, während er sich erhob und seine Decke auf das Bett warf. Cara hatte mittlerweile Tränen in den Augen, hörte aber mit dem Lachen auf. Harm wirkte wirklich ziemlich verstört deswegen, und es war eigentlich nicht mehr als eine Umarmung gewesen. Sie schälte sich aus der zweiten Decke, vor der sie noch nicht einmal wusste, warum sie sich hineingewickelt hatte und sah ihm dabei zu, wie er mit hochrotem Kopf sein Bett machte.
„Ist alles in Ordnung, Harm?" Was war denn so schlimm daran? Schließlich hatten sie beide gut geschlafen... zumindest hatte er sich entspannt angehört, bevor er aus dem Bett gefallen war.
„Es tut mir leid! Ich hätte niemals darauf eingehen sollen!"
Er konnte ihr noch nicht einmal ins Gesicht sehen. Cara verwirrte das ganze zusehends. Gut, sie war um einiges freizügiger als manche Menschen, und was das Schamgefühl betraf, konnte man sagen, dass ihr in dieser Hinsicht nur wenige Sachen Kopfzerbrechen bereiteten.
Aber man musste schon sehr prüde sein, um sich dermaßen über eine auf diese Art verbrachte Nacht aufzuregen.
„Halb so wild, Harm. So gut hab ich schon lange nicht mehr geschlafen", meinte sie leichtfertig und versuchte die Stimmung wieder zu heben, was ihr allerdings nur einen erneuten verwirrten Blick eines peinlich berührten Navy-Commanders einbrachte.
„A-aber... meine Hand... und mein Bein!" stotterte er immer noch mit hochrotem Kopf. Cara sah ihn ernst an.
„Sie hören jetzt sofort auf, darüber nachzudenken! Meine Nase, mein Rücken, mein linker kleiner Zeh..."
„Ich bin verdammt noch mal ein erwachsener Mann! Ich sollte in der Lage sein, meine Hände bei mir zu behalten!" Er fuhr sich nervös mit den Fingern durch die Haare und verstrubbelte sie noch mehr.
„Ich bin verdammt noch mal eine erwachsene Frau, und hätte ich mich irgendwie bedroht oder falsch behandelt gefühlt, wären sie der erste gewesen, der das mitgekriegt hätte." Wenn er jetzt wieder davon anfing, auf der Couch schlafen zu wollen, würde er die Standpauke seines Lebens erleben!
„A-aber ich bin größer als sie, und stärker..."
„Und ein Offizier und Gentleman, der sicher nicht die Absicht hatte, mich zu vergewaltigen, oder?"
„Natürlich nicht!" Harm sah mit weit aufgerissenen Augen dabei zu, wie seine Partnerin ihre Seite des Bettes machte.
„Ich wollte ja auch nur sagen, dass ich ihnen körperlich überlegen bin, und sie wahrscheinlich erst mal ziemlich lange gebraucht hätten, um mich zu wecken. Sie waren gestern so müde, dass sie womöglich gar nichts mitbekommen haben..." führte er schließlich seinen eigentlichen Gedanken weiter aus. Cara sah ihn wieder mit einem ihrer seltsamen Blicke an.
Körperlich überlegen... soso.
„ Glauben sie mir, Harm, wäre es mir irgendwie unangenehm gewesen, hätte ich mich gewehrt. Und ich kenne einen bestimmten Teil der männlichen Anatomie, der empfindlich reagiert, egal wie körperlich überlegen jemand zu sein glaubt..."
Der Ex-Pilot schluckte. Er wusste, dass sie sich zur Wehr setzen konnte, er hatte die Szene in dem Flur in Quantico noch nicht vergessen.
„Vielleicht sollte ich doch besser...", begann er einen weiteren Satz, wurde aber jäh unterbrochen.
„Wenn sie auch nur an das Sofa denken, hole ich die Kaffeekanne und führe deren Inhalt einem Zweck zu, den sie schon zweimal als nicht so angenehm empfunden haben!" drohte seine Partnerin und schaffte es damit, ihn ebenfalls zum Lachen zu bringen.
„Ein bestimmter Teil der männlichen Anatomie fühlt sich nun wirklich bedroht!" grinste der Anwalt. Cara ließ sich zurück auf ihr frisch gemachtes Bett fallen, als die Weckfunktion wieder einsetzte und es erneut piepste.
„Na toll, das waren die zehn Minuten, die ich eigentlich immer noch gemütlich im Bett liege..."
Harm begann, seine Sachen für das Badezimmer zusammenzusuchen und sah belustigt dabei zu, wie sie noch einmal die Augen schloss.
„Was halten sie davon, wenn ich sie wecke, sobald ich wieder aus dem Bad komme?" fragte er sanft und schaltete den Wecker aus.
„Hmmm... und morgen springen sie bitte nicht wie ein Irrer aus dem Bett, nur weil sie in einer kompromittierenden Situation aufwachen", antwortete Cara gedämpft und rollte sich um ihr Kissen zusammen.
Harm schüttelte hilflos den Kopf. Immerhin musste er zugeben dass er dafür, dass er glaubte, nicht schlafen zu können wirklich gut geschlafen hatte.
„Was war das für ein Krach da drinnen?" wollte A.J. Chegwidden von seinem Senioranwalt wissen, der in seiner beigen Felduniform aus seinem Schlafzimmer trat. Durch die Tür, die Harm gerade schloss konnte sein CO sehen, wie Cara mit dem Kopfkissen im Arm im Badezimmer verschwand.
„Ich bin aus dem Bett gefallen, Sir", informierte der Ex-Pilot seinen Vorgesetzten und vermied es dabei, ihn anzusehen. Hungrig griff er nach einem Apfel, der in einer Schale in der Kochnische lag, nur um enttäuscht festzustellen, dass das Obst aus Plastik war.
„McLachlan hat dabei aber nicht zufällig nachgeholfen, oder?" Der Admiral inspizierte inzwischen den kleinen Kühlschrank und musste feststellen, dass darin nichts als Cola und ein Karton Milch zu finden war. Nicht unbedingt, was er frühstücken wollte. Zumindest war die Milch frisch.
„Wir hatten wohl beide vergessen, wo wir waren und sind ziemlich erschrocken..." Harm öffnete inzwischen sämtliche Schränke und förderte abgelaufene Cornflakes und eher zweifelhaft aussehendes Müsli zu Tage.
„Ich würde nie etwas tun..." setzte Rabb an, wurde jedoch von Chegwidden unterbrochen.
„Ich weiß. Und ich weiß auch, dass Commander McLachlan sehr wohl auf sich selbst aufpassen kann... Wir sollten uns beizeiten einen Kühlschrank der Marines da drüben im Haupthaus vornehmen", folgerte er aufgrund der eher mageren Ausbeute, die sein Senioranwalt gemacht hatte.
Wie auf ein Stichwort kam Cara durch die Schlafzimmertür, vollauf damit beschäftig, ihre schwarzen Haare zu einem Zopf zu flechten.
„Ist dieses Hühnerfutter alles, was es zum Frühstück gibt? Wenn ja, dann halte ich mich lieber an die Jarheads da drüben..."
Bud, der einige Sekunden später aus seinem Zimmer kam warf lediglich einen Blick auf den kleinen Tresen und meinte: „Wollen wir nicht lieber rüber ins Haupthaus gehen?"
1100 ZULU
Stützpunkt des USMCBagdad, Irak
Sie hatten sich aufgeteilt, um alle Beteiligen dieses Zwischenfalls getrennt zu befragen. Sie waren noch lange nicht fertig, aber immerhin konnten sie schon ein paar Schlüsse aus dem, was sie bisher gehört hatten ziehen. Was sie bekamen, war eine detaillierte Darstellung der Schießerei bis zu dem Punkt, an dem drei der Angreifer tot auf der Straße lagen und sich der Rest auf einmal zurückgezogen hatte. Bei den Marines gab es keine Opfer zu beklagen, bis auf einige kleinere Verletzungen waren alle wohlauf. Bis man schließlich bemerkte, dass der Fahrgast von der Regierung fehlte. Man hatte den Mann ein paar Straßen weiter von Kugeln durchsiebt aufgefunden.
„Alles in allem stimmen die Aussagen überein", stellte A.J. fest und schob einen Stapel Papier von sich. Es machte Spaß, mal wieder mehr zu tun, als die letzte Unterschrift unter irgendwelche Akten zu setzten. Allerdings musste er auch zugeben, dass ihm der Schädel brummte von all den Fakten, mit denen die Marines um sich geworfen hatten.
„Allerdings hat niemand gesehen, wie Mr. Franklin den Wagen verlassen hat und dorthin gelangte, wo man ihn später gefunden hat."
Bud Roberts starrte auf die Straßenkarte Bagdads, die vor den vier Anwälten ausgebreitet auf dem Konferenztisch lag. Man musste schon wirklich sehr in Panik geraten, um in diese Richtung zu laufen, in der man den Mann gefunden hatte. Er war direkt in die Arme der Schützen gelaufen.
Der Lieutenant schüttelte den Kopf. Es war zwar Aufgabe des Sergeants gewesen, auf den Berater des Außenministeriums aufzupassen. Aber wenn der Mann einfach ins Blaue abgehaun war...
Harm lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Ihm schwirrte der Kopf, und sein Magen knurrte, nachdem das Frühstück letztlich nicht nur sehr mager gewesen war, sondern komplett ausfallen musste. Wer um alles in der Welt sollte sich alle diese Kleinigkeiten merken? Diese Marines erinnerten sich scheinbar, wo jede ihrer Kugeln eingeschlagen war...
Cara neben ihm lehnte sich nach vorne und stützte ihren Kopf auf eine Hand. Die andere begann, mit dem Kugelschreiber auf den Tisch zu klopfen.
„Wissen wir denn mittlerweile, was Mr. Franklin wirklich hier wollte?" fragte sie, ohne das Klicken zu unterbrechen.
„Er war hier, um sich das ganze anzusehen. Schließlich genießen die Amerikaner hier nicht gerade den besten Ruf. Das Außenministerium..." begann Bud.
„Ein Berater des Außenministeriums... Lieutenant, das schreit geradezu nach CIA, wenn sie mich fragen", unterbrach ihn die Anwältin und schubste genervt den Kugelschreiber von sich.
Harm neben ihr hielt unbewusst den Atem an und sah sie unauffällig von der Seite an.
„Alleine sein Name: Benjamin Franklin. Das kann doch nur ein schlechter Scherz sein", führte sie weiter aus.
„Was halten sie davon, wenn wir diese Marines da draußen um ein paar Lebensmittel erleichtern?" A.J. gefiel die Richtung, in die diese Unterhaltung führte genauso wenig wie Harm, allerdings aus anderen Gründen.
Die beiden anderen Männer nickten zustimmend, und auch Cara seufzte ein dankbares : „Na endlich schlägt das mal jemand vor. Man hat heute morgen nämlich vergessen, mich zu füttern."
Eine Sekunde später klingelte das Handy in ihrer Tasche. Die Anwältin sprang wie von der Tarantel gestochen auf und holte das kleine Gerät hervor. Zwei Sekunden später stand sie in einer Ecke des Zimmer und sprach in das Mobiltelefon.
A.J. warf ihr einen missbilligenden Blick hinterher, auch der Commander und Bud wunderten sich, dass sich ihre Kollegin nicht einmal entschuldigt hatte, bevor sie telefonierte. Ganz zu schweigen davon, dass zumindest einer von ihnen zu rechnen begann, was das an Gebühren kosten würde.
Der Admiral seufzte schließlich.
„Lieutenant, schauen sie mal nach, ob man hier auch was anderes als EPA's zu essen kriegt."
Bud verschwand pflichtschuldig aus dem Konferenzraum, während Harm begann, die Karte zusammenzufalten und Akten zu stapeln.
Cara war immer noch damit beschäftigt, angestrengt in ihr Handy zu horchen.
„Haben sie über Webb's Angebot nachgedacht?" fragte der JAG seinen Senioranwalt leise und erhielt einen kritischen Blick.
„Ja, und der Kommentar von Commander McLachlan hat mir grade fast einen Herzinfarkt verpasst", antwortete der Ex-Pilot ebenso leise mit einem Seitenblick auf seine Partnerin. Diese fuhr sich gerade nervös mit der Hand durch die Haare und lachte in ihr Telefon.
„Ich gehe davon aus, sie machen, was er von ihnen will?"
„Ich muss nur ein bisschen herumfragen. Keinerlei Kampfeinsatz dieses Mal." Harm legte die letzte Akte auf den Stapel und dachte erneut über das Anliegen des CIA-Agenten nach. Warum hörte sich bei Webb immer alles so verdammt einfach an?
„Tun sie mir den Gefallen, und weihen sie McLachlan ein. Sie könnte eine große Hilfe sein." Und er würde sich nicht halb so viele Sorgen um Harm machen, fügte der Admiral lautlos hinzu, wenn die Saiyajin auf sein Heck aufpasste.
Der kritische Blick verwandelte sich in Harm's sturen Ich-verhandle-nicht-Gesichtsausdruck.
„Bei allem Respekt, Sir, aber das halte ich für keine gute Idee. Es ist keine große Sache, und sollte es doch eine werden, beabsichtige ich sicherlich nicht, Cara da mit reinzuziehen. Die Sache mit Palmer hat gereicht."
Erneut seufzte der Admiral. Er konnte es ihm befehlen, oder Cara einfach einweihen. Harm würde nicht zulassen, dass sie mitkam. Zumindest nicht, ohne dass man ihre Tarnung auffliegen ließ.
„Wann soll's denn losgehen?"
„Die Zielperson soll sich Freitagen immer in einer Bar in der Nähe herumtreiben. Jede Menge Marines, also wird mir schon nichts passieren, Sir." Harm beobachtete, wie Cara ihr Telefon zusammenklappte und das Lächeln augenblicklich von ihrem Gesicht verschwand.
„Das sagen sie jedes Mal, und dann müssen wir sie aus Paraguay über die Grenze schmuggeln."
Die beiden Männer tauschten ein Lächeln aus, dann erhob sich auch Chegwidden von seinem Stuhl.
„Los Rabb, gehen sie und suchen sie sich ein vegetarisches EPA aus."
„Aye, Sir!"
Bevor er durch die Tür verschwand warf er noch einmal einen Blick auf seine Partnerin. Die starrte immer noch auf das Mobiltelefon in ihrer Hand, während der Admiral auf sie zuhielt.
Hoffentlich dauerte die Predigt über Höflichkeit den Vorgesetzten gegenüber nicht zu lange. Er wusste, dass Cara unausstehlich wurde, wenn sie zu lange nichts zu essen bekam. Leise schloss der Ex-Pilot die Tür hinter sich und wünschte seinem Vorgesetzten schon mal Glück.
Chegwidden hingegen dachte gar nicht daran, sie auf ihr Fehlverhalten hinzuweisen. Eigentlich war er gar nicht so pingelig, was diese Respektbezeugungen betraf. Zumindest nicht bei Leuten, von denen er wusste, dass er ihren Respekt hatte.
„Na, Warrior, bereit, mal wieder mieses Essen zu verdrücken?"
Cara warf ihm einen ihrer seltsamen Blicke zu.
„Ich habe keinen Hunger, Sir."
1830 ZULU
Bar ‚Flying Carpet'Bagdad, Irak
Die Bar 'Flying Carpet' war an Freitagabenden immer gut besucht. Ein findiger Brite, der schon vor Jahrzehnten in den Irak ausgewandert war hatte sie in der Nähe des nun amerikanischen Armee-Stützpunktes aufgemacht und verdiente sich eine goldene Nase an den Marines, die hier ihr Heimweh runterspülten. Natürlich trieb sich auch die hiesige Bevölkerung in seiner Spelunke herum, genauso wie einige Frauen zweifelhaften Rufes.
Nicht, dass es Pops, wie er liebevoll von seinen Gästen genannt wurde irgendwie störte. Geld war Geld, egal ob nun die Nutten hier ihre Freier abfüllten oder die Marines sich betranken, wie es ein paar Jahre zuvor die Bediensteten Saddams gemacht hatten.
Der große, dunkelhaarige Mann, der an diesem Abend jedoch die Bar betrat unterschied sich von seinem üblichen Klientel. Allein die große Tasche, die er über seiner Schulter hängen hatte sagte Pops, dass er es hier wohl einmal nicht mit einem Soldaten zu tun hatte. Die Mädchen warfen dem Kerl abschätzende Blicke zu, widmeten sich dann jedoch wieder den Männern, die sie an diesem Abend auszunehmen gedachten.
Der Mann schob sich durch die Massen an die Bar und bestellte ein Bier. Amerikaner, stellte Pops fest und brachte ihm eine Flasche. Was zur Hölle wollte ein Tourist in dieser Gegend?
„Wollen sie ihre Tasche nicht abstellen? Sieht schwer aus", meinte der ältere Mann hinter der Bar, als der große Dunkelhaarige sich an den Tresen lehnte, an seinem Bier nippte und sich in der Bar umsah.
„Besser nicht. Die Kamera war teuer, und mein Arbeitgeber wird mich durch die Mangel drehen, wenn sie mir gestohlen wird. Dass es sich dabei um MEIN Eigentum handelt vergisst der Mistkerl dabei allerdings immer."
„Sie sind Kameramann?" Pops reichte einem der Mädchen den völlig überteuerten Champagner, den sie den Neulingen immer aufschwatzten. Der große Fremde schüttelte den Kopf.
„Fotograph."
Wieder wanderte sein Blick durch die Bar und blieb an einer schlecht gefärbten Blondine hängen, die ihn, seit er das Lokal betreten hatte beobachtete. Er nippte noch einmal an seinem Bier, ohne den Blickkontakt zu brechen. Als er die Flasche wieder von den Lippen nahm, schenkte er ihr ein breites Lächeln. Sowohl die Blondine als auch einige der Mädchen lächelten zurück.
„Kann ich noch eine von denen haben?" Der Fremde hob seine Flasche und legte einen Geldschein auf die Theke. Klar konnte er, er bezahlte schließlich dafür.
Pops sah verwundert dabei zu, wie er sich anschließend mit seinen zwei Bier und einem Lächeln am Tisch der Blondine niederließ und ein Gespräch mit ihr begann.
Bisher hatte sie einigen der Männer hier drin sehr deutlich klar gemacht, dass sie keines der leichten Mädchen war.
Der alte Mann zuckte mit den Schultern. Er war hier, um Alkohol zu verkaufen und nicht, um zu beurteilen, mit wem sich die Frauen hier einließen.
„Ist der Platz noch frei?" Harm deutete auf den Stuhl neben der Blondine und schenkte ihr sein Flyboy-Lächeln.
„Kommt darauf an, wer fragt", lächelte sie mit einer einladenden Geste und einem dicken Akzent zurück.
„Daniel Brown. Und bitten sie mich nicht, ihnen meinen Presseausweis zu zeigen, das Bild darauf ist furchtbar." Das war es wirklich. Diese Flickschustereien in letzter Minute hatten noch nie gut ausgesehen, auch wenn man meinen sollte, Webb hätte mittlerweile Übung darin. Oder ein paar auf Vorrat, zumal ihm scheinbar immer nur Harm einfiel, wenn es um irgendwelche Missionen ging.
Er setzte sich und stellte seine zwei Bier auf dem Tisch ab. Die Blondine griff sich ohne zu fragen die volle Flasche und nahm einen Schluck.
„Sie sind Journalist?"
„Nein, Fotograph." Harm verstaute den Kamerakoffer unter dem Tisch, und hoffte, dass das Ding, das er laut Webb's Anweisung hinterher nur an sein Notebook anschließen musste auch funktionierte.
„Was um Himmels Willen gibt es denn in unserem gottverlassenen Land zu fotografieren?" Sie stützte ihren Kopf auf ihre Hand und sah ihn mit großen, braunen Augen an. Harm fragte sich, wie sie sich diese Haarfarbe hatte antun können. Ihr Haar sah an manchen Stellen aus wie Stroh, an anderen wieder sahen dunkle Flecken in dem, was wohl ihre Originalfarbe war hervor.
„Wenn ich das wüsste", meinte er und seufzte.
„Mein Chef will eine Story über den Regierungsfuzzi, der hier neulich erschossen wurde. Und dann heißt es: Warum sollen wir Ahmed schicken, der zumindest die Landessprache beherrscht. Schickt doch Daniel, soll er sich zum Affen machen." Frustriert nahm er einen Schluck von seinem Bier. Eine noch blödere Story hatte sich Webb wohl nicht ausdenken können?
Zumindest schien ihm sein Gegenüber das Ganze abzunehmen. Sie kicherte leise und trank ebenfalls noch etwas.
„Hört sich an, als würde sie ihr Chef nicht sonderlich mögen", meinte sie schließlich mitfühlend.
„Was auch auf Gegenseitigkeit beruht. Zumindest springt ne Menge Geld dabei raus. Ich habe bisher noch immer meine Bilder gekriegt, auch wenn ich einen Teil meines Honorars für, sagen wir mal ‚Hilfe', abgeben musste. Und jetzt höre ich auf, sie damit vollzujammern. Eine schöne Frau wie sie sollte man mit anderen Geschichten unterhalten, als mit Geschimpfe über seinen Boss."
Mit einem Grinsen, als dessen Folge ihm jede Bankangestellte bereitwillig die Tageseinnahmen überlassen hätte klickte er seine Flasche gegen ihre und nahm dann noch einen Schluck. Hoffentlich hatte er nicht zu dick aufgetragen. ‚Sie hat Spielschulden, Rabb. Bringen sie Geld ins Spiel!' Dieser Spion machte es sich immer so einfach...
Aber scheinbar hatte er sie wirklich am Haken. Die Frau streckte ihm die Hand entgegen.
„Mein Name ist Natasha."
Same time
Stützpunkt des USMCBagdad, Irak
A.J. Chegwidden hatte genug. Wie Rabb jemals auf die Idee gekommen war, auf diesem verfluchten Sofa schlafen zu wollen war ihm ein Rätsel. Allein das Sitzen auf diesem Ding war eine Tortur für den Rücken, ganz zu schweigen davon, wenn man gleichzeitig versuchte, darauf zu sitzen und nebenbei auf dem niedrigen Kaffeetisch davor zu arbeiten.
Aber Roberts saß in ihrem Schlafzimmer an dem Ding, das man ihnen als Schreibtisch untergejubelt hatte und unterhielt sich via IM mit Harriet. Der Admiral hatte sich gerne nach draußen in den Vorraum zurückgezogen. Zumindest dachte er das vor einer Stunde, als das Gechatte losgegangen war. Rabb war vor zwanzig Minuten verschwunden, um zu tun, was immer Webb auch von ihm wollte. Weshalb der CIA-Agent immer noch seine Anwälte seine Arbeit erledigen ließ, anstatt eigene Leute zu schicken, das fragte sich der JAG schon seit Jahren und hatte noch keine Antwort darauf gefunden. Manchmal erschien es ihm, als wäre Webb einfach zu faul, um die halbe Welt zu reisen und seine Arbeit zu tun.
Im zweiten Schlafzimmer konnte er Cara wiederholt schimpfen hören. Zumindest sagte sie nun wieder was. Nach dem Telefonat mittags war sie ungewöhnlich still gewesen, selbst für eine Saiyajin. Und eine Saiyajin, die noch dazu von jetzt auf gleich keinen Hunger mehr hatte bereitete ihm erst recht Sorgen. Wenn sie nicht den ganzen Nachmittag damit beschäftigt gewesen wären, die örtliche Polizei aus dem Fall herauszuhalten oder Sergeant Auberon zwischen seinen Schuldgefühlen einmal brauchbare Antworten zu entlocken, hätte er sich schon lange darum gekümmert.
Das war es, was ihm manchmal fehlte, seit MacKenzie weg war. Er musste sich wieder viel mehr um die Privatsorgen seiner Mitarbeiter kümmern, weil keiner mehr damit beschäftigt war, irgendwelche Wettpools um den sturen Seemann und den noch hartnäckigeren Jarhead zu eröffnen.
Wäre Mac da drinnen gestanden, hätte Harm sich der Sache angenommen. Zumindest zu den Zeiten, als sie noch miteinander geredet hatten.
A.J. lachte in sich selbst hinein. Wäre Mac unter den gegebenen Umständen noch da, hätte Rabb sicher auf dem Sofa geschlafen.
Seufzend erhob sich der Admiral von dem Folterinstrument und machte sich eine mentale Notiz, dem Commander zu seinem Glück zu gratulieren, dass er doch noch das Bett genommen hatte.
Als er klopfte und schließlich einfach eintrat, weil außer einem halblauten Gemurmel nichts zu hören war, fand er seine Patentochter mit einem finsteren Gesichtsausdruck vor dem Tisch in ihrem Raum stehen. Vor ihr befand sich ein Notebook mit schwarzem Bildschirm, mit ihren Händen schien sie gerade zu versuchen, das Stromkabel für den Computer einem anderen Zweck zuzuführen.
A.J. schloss die Tür hinter sich.
„Ist alles in Ordnung, Cara?"
Sie drehte sich nicht einmal zu ihm um, sondern legte das Kabel aus der Hand, bevor sie es wirklich zerriss.
„Mein Akku ist leer. Und die Steckdose unter dem Fenster ist kaputt."
„Das habe ich eigentlich nicht gemeint." Der Admiral machte ein paar weitere Schritte in den Raum hinein. Die junge Frau hatte sich noch immer nicht umgedreht, sondern starrte weiterhin aus dem Fenster in die von Scheinwerfern im Hof erhellte Nacht.
„Ist irgendwas mit der Familie?"
Er hatte sie noch nicht oft so erlebt.
Als ihr Großvater einen leichten Herzinfarkt gehabt hatte, hatte sie alles stehen und liegen lassen und einen Kardiologen bedroht, dem sein Golfspiel wichtiger gewesen war. Ganz zu schweigen, als sie nach einem Autounfall ihres Bruders ein ganzes Krankenhaus mehr oder weniger beschlagnahmt hatte. In Notfällen war sie eigentlich immer aktiv, und keineswegs still und in sich gekehrt gewesen. Bis auf dieses eine Mal...
„Kannst du mich nicht alleine lassen, Onkel A.J.?" Es hörte sich beinahe flehend an.
Nicht im Traum dachte er daran, sondern schloss zu ihr auf, verschränkte die Hände hinter seinem Rücken und starrte ebenfalls aus dem Fenster.
„Raus mit der Sprache!"
Cara seufzte. Sie hatte nicht gedacht, dass diese Sache sie so treffen würde. Und sie wusste, dass er sie so lange nicht in Ruhe lassen würde, bis sie es ihm sagte. Außerdem würde er es früher oder später sowieso erfahren.
„Delia ist wieder schwanger."
A.J. sah sie verwundert aus dem Augenwinkel an. Seit wann machte es ihr etwas aus, Tante zu werden? Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann aber wieder, als sie fortfuhr.
„Ich weiß, es ist verquer. Ich sollte mich für sie freuen! Statt dessen denke ich, dass meine große Schwester mit 41 schon ihr fünftes Kind bekommt, und ich bin neidisch. Ich weiß doch, dass bei mir wahrscheinlich nie was draus wird, und ich dachte, ich hätte mich endlich damit abgefunden..."
Cara seufzte wieder. Warum sollte sie nicht nur Kriegerin, und Anwältin, und eine ganz normale Frau in D.C. sein?
„Und dann..." Sie stockte.
„Und dann wagt es deine Schwester, dich anzurufen und dir überglücklich mitzuteilen, dass du wieder Tante wirst. Und du merkst, dass du dich doch nicht so damit abgefunden hast, wie du dachtest, Und fragst dich: Warum sie, und nicht ich?" summierte A.J. ihre Gedanken auf. Cara senkte ihre Augen, wandte sich jedoch immer noch nicht vom Fenster ab.
„Ich bin ein selbstsüchtiges Monster. Darauf bin ich auch schon alleine gekommen, es hilft nur leider nicht."
„Das wollte ich damit nicht sagen. Vielmehr, dass dieses Gefühl natürlich ist und du sicherlich nicht die einzige Frau bist, die so denkt."
„Ich hab noch nicht mal einen Kerl und beneide meine Schwester darum, dass sie sich in ein paar Monaten wie ein gestrandeter Wal fühlt... wer sollte sowas schon wollen." Cara lachte leise vor sich hin.
„Jede halbwegs normal denkende Frau, Cara. Und soweit ich weiß, ist es immerhin nicht vollkommen unmöglich, dass du..." A.J. erschrak, als sie sich mit einem Mal zu ihm herumdrehte.
„Sag das mal meinem Immunsystem. Wenn ich etwas finde, womit ich es die paar Monate ablenken kann, bis das Baby da ist, wäre ich sehr erfreut. Nur leider reagiere ich auf nichts allergisch hier."
„Dann nimm Rabb. Früher oder später reagiert jeder auf den Mann allergisch."
Erst ihr geschockter Gesichtsausdruck machte ihm wirklich klar, was er gerade gesagt hatte. Natürlich war ihm der Gedanke kurzfristig gekommen, als eine Boulevardzeitung während des Wicca-Falles, der ein so tragisches Ende genommen hatte unter einem Bild Die beiden Ankläger. Sind sie nicht ein schönes Paar? geschrieben hatten. Die beiden waren gut füreinander. Harm war für ihn schon fast so etwas wie ein Sohn, und Cara brachte endlich wieder den Menschen in ihm heraus, der so lange Zeit hinter dem Navy-Anwalt versteckt gewesen war...
Cara's helles Lachen unterbrach seine Gedanken.
„Hast du mir gerade allen Ernstes vorgeschlagen, mit meinem Partner zu fraternisieren?"
A.J. machte das ernsteste Gesicht, zu dem er im Stande war.
„Unter Eid werde ich es leugnen."
Sie lachte einfach weiter und nahm ihr Kabel wieder in die Hand.
„Es gibt bestimmt ein Gesetz, das es verbietet, seinen Patenonkel auszulachen!" schmollte er, froh darüber, dass sich ihre düstere Stimmung gebessert hatte.
„Es gibt ein Gesetz, das es verbietet, seinen Vorgesetzten auszulachen. Aber da du ja in deiner Funktion als Patenonkel hier bist greift das nicht." Cara lehnte ihren Kopf kurz an seine Schulter.
„Danke."
„Hey, du bist die einzige hier, die noch weiß, was uns diese wahnsinnigen Marines da drin im Detail erzählt haben. Ich versuche nur, meinen Stab effizient zu halten. Weswegen hast du grade so geschimpft?" änderte A.J. das Thema.
„Ich wollte alle diese höllischen Details in einem Bericht zusammenfassen, damit ihr mich nicht immer mit einem leeren Gesichtsausdruck ansehen müsst, wenn euch der Name von Corporal XY nicht mehr einfällt. Mein Akku hat den Geist aufgegeben, die Steckdose hier ist kaputt, und ich war in ner miesen Stimmung", erklärte seine Senioranwältin und ging zum Bett hinüber. Dort zog sie das Kabel der Nachttischlampe aus der Steckdose und stöpselte die Verbindung zu ihrem Laptop ein.
„Problem gelöst."
„Dann werd ich wohl jetzt mal dafür sorgen, dass Roberts seine Frau die Katzen füttern lässt... oder was immer Harriet gerade machen sollte..." Der JAG drehte sich erleichtert vom Fenster weg und lief auf die Tür zu. Aus dem Augenwinkel sah er noch, wie Cara einen Stapel Papier auf das Bett warf.
Sie würden morgen einen Bericht haben.
Fragte sich nur, was nun einfacher war: Sich durch zehn Seiten Papier zu wühlen, oder Cara mit besagtem leeren Gesichtsausdruck anzusehen...
