0620 ZULU

Besichtigung des Tatorts

Bagdad, Irak

Sie hatte ein wirklich mieses Gefühl bei der ganzen Sache. Was Cara McLachlan auch bewog, trotz der Marines und der anwesenden Polizisten ihr eigenes Radar auszufahren und wiederholt die Gegend zu überprüfen.

Colonel Gabriel Norman dagegen bewegte sich vor ihr, als wäre er zu Hause in Texas, wo er mit seinem Akzent zweifellos herkam. Der bullige Marine führte die Anwälte gerade zu der Stelle, wo man Benjamin Franklin gefunden hatte. Da die Stelle seit Tagen abgesperrt war und es auch nicht geregnet hatte, konnte man unter dem stets präsenten Staub immer noch die Blutflecken des ermordeten Mannes sehen.

In ihrem Magen fügte sich ein weiterer Knoten zu dem bereits bestehenden. Der Polizeichef war auch mit von der Partie, unauffällig damit beschäftigt, auf seine Uhr zu sehen.

Irgendwo in weiter Ferne fielen Schüsse. Cara's Kopf schoss herum. Erneut sah sich die Saiyajin ihre Umgebung an. Es war ruhig hier. In den Häusern hielten sich nicht einmal Menschen auf, aber sie wusste nicht, ob das schon seit längerem so war, und niemand mehr hier in dieser Gegend leben wolle... oder ob sich ihre Paranoia bezahlt machen würde, und diese Menschen ihre Häuser nur für kurze Zeit mit gutem Grund verlassen hatten.

Bud und der Admiral sahen sich gerade einige Einschusslöcher an. Die Marines standen in einem Kreis um sie herum, die Waffen im Anschlag. Die Fahrzeuge, mit denen sie gekommen waren, standen auch nicht weit entfernt. Die paar Polizisten hingegen standen tatenlos in der Gegend herum und unterhielten sich darüber, wie man ihre Zeit verschwendete.

Ohne etwas dagegen tun zu können begann die junge Anwältin, alle möglichen Szenarien in ihrem Kopf durchzuspielen.

Harm's Hand auf ihrer Schulter ließ die hypernervöse Saiyajin schließlich aufschrecken.

„Ist alles in Ordnung, Cara?" meinte er mit seinem besorgten Gesichtsausdruck, der ihr manchmal so auf die Nerven ging. Allerdings konnte es nicht schaden, wenn noch jemand etwas mehr aufpasste...

„Nein. Ich habe ein wirklich mieses Gefühl, Harm!"

„Cara, hier stehen ein Dutzend bewaffnete Marines um uns herum... Solange keiner einen Stunt abzieht wie..."

Plötzlich heulte in ihrer Nähe ein Motor auf. Ehe sie sich versahen, hatten drei pechschwarze SUVs den Ring aus Marinesoldaten durchbrochen und schwarz vermummte Männer sprangen heraus.

„Sowas...", beendete Harm Rabb seinen Satz geschockt, bevor er versuchte, seine Partnerin hinter sich zu bugsieren. Allerdings stand sie neben ihm und landete gerade einen Kinnhaken bei einem der Männer, der ihn einige Meter nach hinten warf.

Auf die Marines wurde geschossen, und sie gingen in Deckung. Die meisten der Polizisten suchten das Weite, während die JAG-Anwälte und der Colonel auf der anderen Seite der Autos um ihr Leben kämpften.

Eine Person im Inneren eines der Fahrzeuge rief etwas auf arabisch.

Harm fand sich plötzlich von vier Männern umringt. Einem konnte er noch einen rechten Haken verpassen, bevor er von hinten gepackt wurde und ihn ein Tritt in den Magen traf, der ihm die Luft aus den Lungen presste.

Es wunderte ihn, dass der Kerl, der ihn von hinten gepackt hatte, plötzlich schlaff wurde und umfiel. Neben ihm tauchte erneut Cara auf und kümmerte sich um den dritten Vermummten, der Harm angegriffen hatte.

Plötzlich fielen auch im Inneren des Kreises Schüsse. A.J. sah von seiner Aufgabe, einem der Angreifer fachgerecht den Arm zu brechen auf und bemerkte, wie Bud Robert auf einen nun wahrlich verängstigten Gegner losging, sein rechtes Hosenbein zerfetzt von mehreren Schüssen. Hätte er nicht schon eine Prothese getragen, wäre es jetzt wohl Zeit dafür gewesen.

Cara hatte mehr Schwierigkeiten als erwartet mit dem Gegner, den sie versuchte von Harm fernzuhalten. Er schien sich in zumindest einer Kampfsportart auszukennen und ließ sie nicht nahe genug an sich herauskommen.

Der vierte Mann, der sich mit Harm befasst hatte, beschloss indes, die ganze Sache abzukürzen und ließ seinen Ellbogen auf den Rücken des Mannes, der immer noch versuchte, wieder zu Atem zu kommen herunterkrachen.

Harm sackte bewusstlos in sich zusammen und wurde in einen der Wagen geschleppt. Diejenigen Angreifer, die noch standen liefen zu ihren Fahrzeugen zurück und versuchten ebenfalls, zu fliehen.

Cara hatte es mittlerweile aufgegeben, mit dem Kerl zu spielen und ging zu ihrer eigenen Geschwindigkeit über. Als der erste Wagen davonbrauste, brach sie ihrem Gegner das Genick.

Das zweite Auto hielt direkt auf sie zu.

Die Marines waren immer noch damit beschäftigt, das Feuer zu erwidern. Sie vergewisserte sich kurz, dass niemand auf sie achtete, dann rammte sie ihre Faust in den Kühler. Der Wagen hielt so abrupt an, dass der Fahrer gegen das Lenkrad krachte und bewusstlos im Inneren liegenblieb.

Der Rest der Angreifer sprang in das dritte Auto. Noch immer feuerten sie auf die Soldaten. Als Cara begann, dem Wagen nachzulaufen hinderte sie ein starker Arm daran.

Der hochgewachsene blonde Colonel warf ihr einen warnenden Blick zu und ließ sie erstaunt los, als er bemerkte, dass diese Frau alles andere war als hysterisch. Wütende grüne Augen funkelten ihn an. Er ließ ihren Arm wieder los.

„Alles in Ordnung?" A.J. stützte Bud und sah sich nach seinen Anwälten um. Es schien, als würden nur einige ihrer Gegner auf dem Boden liegen. Die Marines kamen aus ihrer Deckung hervor.

„ Fünfzehn Männer, das im Wagen war eine Frau. Was die Waffen waren, kann ich nicht genau sagen. Was ich genau sagen kann, ist, dass sie Harm haben!"

Die junge Frau bekam von allen Seiten ungläubige Blicke.

„Sind sie da sicher? Und glauben sie nicht, dass er einfach irgendwo in Deckung gegangen ist?"

Der Colonel erhielt einen neuen wütenden Blick, während sich Chegwidden und Bud verzweifelt umsahen.

„Er war in dem Wagen, der gerade davon gefahren ist. Bewusstlos. Und hätten sie mich nicht aufgehalten..."

„Sie wollten sie doch nicht allen Ernstes zu Fuß verfolgen, Commander!" bellte der Colonel und versuchte, aus dem Blick des Admirals irgendetwas abzulesen.

Er erhielt nur einen erneuten wütenden Blick, bevor sie sich zu dem zerstörten Wagen wandte und den immer noch bewusstlosen Fahrer von seinem Sitz zerrte.

„Der Scheißkerl weiß, wo sie sind."

In der Ferne waren Sirenen zu hören, von dem oder den Krankenwagen, die die anderen Marines zweifelsohne angefordert hatten.

Die Ambulanzen waren innerhalb weniger Minuten vor Ort. Von den Angreifern hatte nur der Fahrer überlebt. Der Mann, mit dem A.J. sich abgemüht hatte war von einer verirrten Kugel eines seiner Kameraden getötet worden. Der Rest war in den Geländewagen entkommen.

Drei Männer lagen mit gebrochenem Genick vor den Sanitätern, die sich kopfschüttelnd daran machten, die Überlebenden des Blutbades zu untersuchen.

Der erste Krankenwagen fuhr mit zwei Marines an Bord und dem Fahrer ab. Bud Roberts wurde in den zweiten verfrachtet. Er war zwar nicht verletzt, doch die Prothese hatte schon einmal bessere Tage gesehen.

Niemand achtete auf den schwarzen Schatten, der dem ersten Krankenwagen in Windeseile über die Dächer folgte.

Der Colonel hingegen fragte sich immer noch, wie eine simple Tatortbesichtigung in ein solches Desaster ausarten konnte. Er hatte gesehen, wie sich die vier Männer um den Commander platziert hatten...

„Eins muss ich ihrem Mann lassen. Er hat sich ganz schön gewehrt", meinte er mit Blick auf die drei Toten.

A.J. warf ihm einen grimmigen Blick zu.

„Das war nicht der Commander." Harm hatte sich nach dem Tritt kaum bewegen können. A.J. wusste ihn bei Cara in guten Händen, und trotzdem war alles schiefgegangen.

Gabriel Norman warf dem Admiral einen fragenden Blick zu. Wenn nicht der Anwalt...

„Sie meinen, die Frau!"

Der Colonel sah sich um und bemerkte erst jetzt, dass der weibliche Commander fehlte.

„Wo...?"

A.J. setzte einen ernsten Blick auf. Er wusste genau, wo Cara war. Und er wusste auch, dass es besser war, sich einem Saiyajin mit einer Mission besser nicht in den Weg zu stellen, also zuckte er nur unwissend mit den Schultern.

Der Colonel fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.

So etwas Verrücktes hatte er auch noch nicht erlebt.

0700 ZULU

Station des IRK

Bagdad, Irak

Niemand achtete auf die Frau in der staubigen Navy-Uniform im Hintergrund. Die Ärzte in dem Krankenhaus kümmerten sich um die Fahrer, der mittlerweile das Bewusstsein wiedererlangt hatte und etwas von einer Frau erzählte, die mit blossen Händen seinen Wagen aufgehalten hatte. Die beiden Marines, die ihn bewachen sollten tauschten einen amüsierten Blick aus. Der Kerl hatte sich wohl auch den Kopf angeschlagen.

Als sie den Mann in ein Einzelzimmer schoben, wurden erneut Soldaten vor seiner Zimmertür positioniert. Mittlerweile hatte man ihnen mitgeteilt, dass dieser Mann an Teil einer Entführung war, und man nun jemanden schickte, der ihn befragen würde.

Cara löste sich aus dem Schatten hinter der Tür, durch die sie unbemerkt in das Krankenzimmer gelangt war. Der Patient lag in seinem Bett und schien kurz vor dem Einschlafen zu sein, als sich die junge Frau vor ihm aufbaute.

„Wo ist er?"

Erschrocken fuhr der Iraker herum und beschloss, so zu tun, als würde er sie nicht verstehen.

„Ich verstehe ihre Sprache nicht", meinte er auf arabisch, nur um ein gemeines Lächeln als Antwort von der schwanzhaarigen Frau zu bekommen.

„Oh, das macht nichts. Wir können uns auch auf arabisch unterhalten", unterrichtete sie ihn in seiner Muttersprache ohne auch nur ein Anzeichen eines Akzents zu zeigen.

„Also, wohin wird er gebracht?"

„Wer?"

Nun versuchte er also, sich dumm zu stellen.

Tja, er wusste noch nicht, dass Saiyajins immer Antworten bekamen. Aber das würde er wohl noch früh genug herausfinden.

„Sie wissen genau, wen ich meine. Wohin wird Commander Rabb gebracht?" fragte sie erneut und ging ein paar Schritte näher an das Krankenbett.

„Ich weiß nichts von einem Commander Rabb."

Cara schloss die Distanz zu ihm komplett und stand nun direkt neben dem Bett.

„Wissen sie noch, wie sie hier gelandet sind?"

Der Fahrer nickte, nur um kurz darauf den Kopf zu schütteln.

„Das ist unmöglich. Ich habe mir den Kopf angeschlagen... vielleicht ist ein Reifen geplatzt..."

„Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht habe ich wirklich meine Hand in ihren Kühler gerammt", meinte die Frau mit einem Lächeln und schloss ihre schmalen Finger um den kleinen Finger seiner rechten Hand.

„Das ist deine letzte Chance, mir freiwillig zu sagen, wo er hingebracht wird, bevor ich dich dazu zwinge", warnte sie ihn. Der Mann in dem Krankenhausbett warf ihr lediglich einen mitleidigen Blick zu und hielt seine Lippen fest verschlossen.

„Okay, sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt."

Cara drückte ihm ihre Hand auf den Mund, um seine Schreie zu ersticken.

Dann brach sie ihm den kleinen Finger.

Same time

Irgendwo in Bagdad

Er war schon vor einigen Minuten wieder aufgewacht, bemühte sich aber, seinen Entführern das nicht zu zeigen. Er wusste nicht, wie lange er bewusstlos gewesen war, also brachten sämtliche guten Ratschläge, was man bei einer Entführung machen sollte nicht wirklich viel. Er hatte bei 729 zu zählen aufgehört, und irgendwo nach den letzten zwanzig Kurven seine Orientierung komplett verloren. Hatte er überhaupt jemals nur die geringste Orientierung gehabt. Wenn er ehrlich war, wusste er momentan noch nicht einmal, wo bei ihm selbst oben und unten war. Sein Kopf dröhnte.

Harm beschloss, einfach weiter ruhig liegen zu bleiben. Und sollte er das hier überleben, konnte sich ein gewisser CIA-Agent einen neuen Vollidioten suchen, der für ihn die Drecksarbeit machte.

Hoffentlich ging es den anderen gut... Cara hatte sich nicht schlecht gehalten bei dem Angriff. Mittlerweile war er sich sogar sicher, dass sie den Kerl, der ihn von hinten festgehalten hatte ausgeschaltet hatte.

Jetzt blieb nur noch zu hoffen, dass sie sich nicht in Gefahr begab, um ihn zu retten...

0705 ZULU

Station des IRK

Bagdad, Irak

Harmon Rabb hatte ein Talent, sture Frauen als Partnerinnen zu erhalten, die sich nicht aufhalten ließen, wenn es darum ging, ihren Freund zu retten. Es mochte ihm nicht gefallen, dass sie sich für ihn in Gefahr begaben, viel dagegen tun hatte er jedoch noch nie können.

Es war in keinerlei Hinsicht anders mit seiner derzeitigen Partnerin. Bis auf die Tatsache, dass er sie als zerbrechlicher einschätzte, als er das bei Mac oder sogar Meg getan hatte.

Eben jene Partnerin schlüpfte jedoch gerade durch einen Spalt im Fenster des Krankenzimmers, in dessen Bett ein sich vor Schmerzen windender Mann lag, der – das musste sie ihm lassen – erst nach drei gebrochenen Fingern damit herausgerückt war, wo man den Ex-Piloten hinbringen würde.

Sie kümmerte sich nicht darum, was der Kerl seinen Ärzten erzählen würde. Hier hatte niemand auf sie geachtet, dass sie in dieses Zimmer gegangen war, hatte niemand gesehen.

Er hatte gesagt, eine Frau hätte sein Auto mit blossen Händen aufgehalten, und war dann zurückgekehrt, um ihm weitere Verletzungen zuzufügen... Ja... die Frau konnte niemand sehen, und die Ärzte würden baldmöglichst nach einer Zwangsjacke zu suchen beginnen.

Unten auf dem Parkplatz hielt ein Auto der irakischen Polizei. Wie es aussah, würde sich der Polizeichef höchstpersönlich um diese Entführung kümmern. Zumindest stieg der ältere Herr mit der verkrüppelten Hand hinter einer mies gefärbten Blondine in Uniform und einem Mann, dessen Gesicht sie nicht erkennen konnte aus dem Wagen und hielt auf den Eingang zu.

Cara überlegte kurz, wie sie am besten von hier weg kam, ohne aufzufallen, und entschloss sich, nach einem weiteren Blick auf das Trio, das den Parkplatz überquerte, ein Stück zu fliegen, und dann in die Kaserne zurückzukehren.

Ein letztes Mal sah sie die zwei Männer und die Frau an.

Plötzlich war sie überzeugt, dass der Fahrer wohl nicht mehr lange zu leben hatte.

Sie tat es mit einem Schulterzucken ab. Sie war nicht hier, um Babysitter für dieses Pack zu spielen. Er musste selbst wissen, auf was er sich eingelassen hatte.

Sie hingegen musste Vorbereitungen treffen.

Während sie schnell Höhe gewann fragte sie sich, ob es möglich war, Harm zu befreien, ohne preiszugeben, was sie war.

Ein entschlossener Ausdruck umspielte ihre mit einem Mal harten Züge.

Es war egal, ob er erfuhr, was sie war.

Wichtig war, dass er noch am Leben war, wenn sie ihn holen kam.

1015 ZULU

Location unknown

Er gab noch immer kein Lebenszeichen von sich, sondern machte sich absichtlich schwer, als ihn seine Entführer über den staubigen Boden in irgendeinen Raum schleiften.

Er hoffte, dass sie ihn dort einfach liegen lassen würden, vielleicht sahen sie sogar davon ab, ihn zu fesseln.

Sie setzten ihn auf einen Stuhl, und er konnte eine empörte Frauenstimme hören, als sein Kinn auf seiner Brust landete, die Augen immer noch geschlossen.

Er verstand die Sprache nicht.

Als sich jemand an seinen Handgelenken zu schaffen machte, wusste Harm jedoch, dass er nicht das Glück hatte, sich später frei bewegen zu können. Er musste sich wohl mal wieder was einfallen lassen.

Hoffentlich hatte er sein Glück nach der Palmersache nicht endgültig aufgebracht...

Natasha Moira hingegen stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Sie hatten das ganze doch genau durchgeplant gehabt. Sie hatte die besten Männer mitgenommen, die sie finden konnte. Und trotzdem fehlten nun fünf von ihnen, während sie mit ihrem Vater zum Krankenhaus hetzen musste, um dafür zu sorgen, dass der Fahrer nichts ausplauderte und hinterher wie eine Irre hier her zu rasen.

Ihre Leute hatten nicht den direkten Weg genommen, sonder waren erst kreuz und quer durch die Stadt gefahren, um den Commander zu verwirren.

Wie es aussah, war dies nicht nötig gewesen. Er hatte seit Stunden das Bewusstsein nicht wiedererlangt.

„Sorgt dafür, dass er aufwacht. Und fesselt ihn!"

Wenn nur die Hälfte von dem, was ihr Vater über Daniel... Commander Rabb ausgegraben hatte stimmte, dann mussten sie sich wohl wirklich Sorgen machen, sollte er ihnen entwischen.

Als sie die Zelle verließ, warfen die verbliebenen zwei Männer sich einen Blick zu. Als ob das wirklich nötig war. Er hatte seit Stunden nicht einmal ein Stöhnen von sich gegeben...

Trotzdem taten sie, was man ihnen befohlen hatte.

Same time

Stützpunkt des USMC

Bagdad, Irak

Cara schlüpfte leise durch die Eingangstür des Poolhauses und wunderte sich nicht im geringsten, dass A.J. Chegwidden auf dem unkomfortablen Sofa saß und aussah, als hätte er auf sie gewartet.

Sie hatte selbst verwundert festgestellt, dass sie seit drei Stunden ziellos umhergeflogen war, um ihre Gedanken zu ordnen und einen Schlachtplan auszuarbeiten. Allerdings bestand der komplette Schlachtplan immer noch nur aus dem Ziel, Harm lebendig aus den Fängen dieser Leute zu holen

„Ich erwarte gute Nachrichten, Commander", bellte er mit einem eisernen Blick.

„Ich weiß, wo er ist. Allerdings..."

„Allerdings was!"

„Ich kann vor heute abend nichts unternehmen. Es handelt sich um ein größeres Anwesen außerhalb der Stadt, schwer bewacht. Und zu übersichtlich..."

In zwanzigtausend Fuß Höhe sah man sie nicht. Vielleicht war sie auch in der Lage, schnell genug zu landen. Schnell genug von dort wegzukommen war die andere Frage.

Chegwidden seufzte. Er hatte eigentlich vorgehabt, sie für ihr plötzliches Verschwinden auseinander zu nehmen. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass Amerikaner oder gar Militärangehörige entführt worden waren.

Andererseits war sie vielleicht Harm's einzige Chance. So ungern er es zugab, die Amerikaner hatten wirklich viel, doch was nicht dazugehörte war die komplette Kontrolle über diese Stadt und die Leute, die darin lebten.

Cara hingegen stammte von einer Generation von Kriegern ab, die sehr wohl wussten, wie man diese Kontrolle erlangte und dabei auch vor den drastischsten Mitteln nicht zurückschreckten.

Wahrscheinlich hätten die Saiyajins Saddam und sein Regime vor den Augen ihrer Landsleute einfach hingerichtet, bevor sie dafür sorgten, dass keiner es jemals wieder wagte, sich gegen sie aufzulehnen.

Das war nicht der Weg, den Amerika gehen wollte. Viele Menschen hier waren froh, dass sich alles geändert hatte, und in welche Richtung es ging.

Doch gerade eben, in diesem Moment wäre es A.J. Chegwidden lieber gewesen, wenn man diese Stadt plattgewalzt hätte und sein Anwalt sicher und gesund zu Hause auf seiner Gitarre herumzupfte.

„Wir sollten die Marines mit einbeziehen."

„Nur, wenn du ihnen erklärst, dass dieser Fahrer tot ist, und wie ich an meine Informationen gelangt bin."

Der Admiral sah erschrocken auf. Er kannte diesen entschlossenen Gesichtsausdruck. Sie war mehr als bereit, diese Schlacht zu schlagen.

„Du hast ihn getötet?"

„Nein. Ich musste ihm drei Finger brechen, bevor er mit der Wahrheit rausgerückt ist", gab seine Senioranwältin zu, worauf er scharf die Luft einsog. Sie hatte ihn gefoltert? Warum war er nicht mehr überrascht?

„Und weshalb bist du dir dann sicher, dass er tot ist?"

„Der Polizeichef ist aufgetaucht."

„Du denkst immer noch, dass die Polizei etwas damit zu tun hat?"

„Zufall war das heute sicher keiner." Cara straffte ihre Gestalt als ein Geräusch an der Eingangstür zu hören war.

Bud Roberts kam gefolgt von Colonel Norman herein. Sein rechtes Bein war verschwunden, der Lieutenant auf zwei Krücken gestützt.

„Oh mein Gott, Bud!"

Eine Sekunde später schlug sich Cara beide Hände vor den Mund. Seit wann klang sie wie eine kleine, erschrockene Frau? Sie wusste doch, dass der Lieutenant nur noch ein Bein hatte, auch wenn man es ihm kaum anmerkte.

„Ist schon in Ordnung, Commander! Allerdings dachte ich, ich würde nie wieder diese Dinger brauchen", meinte Bud leise, während ihm der Admiral und der Colonel halfen, sich auf die Couch zu setzen.

„Gibt es irgendwelche Nachrichten von Commander Rabb? Und wo waren sie auf einmal, Ma'am?"

„Das würde ich auch gerne wissen!" grollte der blonde Colonel und fing sich einen bösen Blick von A.J. ein.

„Das hat sie nicht zu interessieren", sagte der Admiral in seinem besten Kommandoton. Der Colonel stellte daraufhin keine Fragen mehr, was aber nicht hieß, dass er sich nicht Gedanken machte. Diese Frau hatte mit blossen Händen drei Männer umgebracht, die sicher auf das, was immer sie auch für ihren Lebensunterhalt taten trainiert waren.

„Der Fahrer ist tot. Erschossen", teilte er statt dessen den drei Anwälten mit.

Lieutenant Roberts machte ein hoffnungsloses Gesicht.

„Nun werden wir nicht erfahren, wo sie den Commander hingebracht haben, oder Sir?"

Der Colonel warf Cara einen seltsamen Blick zu, den sie mit einem ihrer uninteressierten, kalten Blicke erwiderte.

„Wie zur Hölle sind sie an den beiden Marines vor der Tür vorbeigekommen?" wollte der Admiral wissen.

„Die Polizei ist aufgekreuzt. Man hat die Marines informiert, und sie ließen einen Beamten zu ihm rein. Sekunden später hörten sie einen Schuss, stürmten in das Zimmer und haben den Schützen erledigt."

„Ich denke mal nicht, dass sie ihn am Leben gelassen haben?" knurrte Cara. Der Kerl hätte mehr Licht in die Polizeisache bringen können. Das Spiel war einfach. Der Polizeichef tauchte auf, fragte nach dem Patienten, und während man unten die Marines informierte, tauchte oben ein Mann in Polizeiuniform auf.

„Tut mir leid, nein. Aber wir haben mittlerweile Patrouillen gestartet und suchen alle möglichen Verstecke ab." Aus den Blicken der Anwälte konnte er sagen, dass sie wussten, das würde nicht viel helfen. Allerdings würde es wohl auch nicht mehr lange dauern, bis ein Schreiben der Entführer eintrudelte, mit den Forderungen, was sie im Austausch für einen hochdekorierten Navy-Commander haben wollten.

„Colonel, ich möchte, dass sie dafür sorgen, dass Lieutenant Roberts so schnell wie möglich ausgeflogen wird."

Während der Colonel nickte, machte Bud ein entsetztes Gesicht. Der Admiral wollte ihn nicht hier haben, während sich Harm in den Händen dieser Wahnsinnigen befand? Bevor er etwas einwenden konnte, fuhr sein CO jedoch fort.

„Ich möchte, dass sie so schnell wie möglich nach Washington fliegen, Lieutenant. Erstens, um dafür zu sorgen, dass Harriet nicht ausflippt..." A.J. machte eine Pause.

„Und zweitens?"

Alles, was er als Antwort erhielt war ein langes Schweigen. Bud schluckte.

Und zweitens, um alles zu regeln, wenn etwas schiefging...

„Aye, Sir..."

Bud erhob sich mühevoll von dem Sofa und verschwand im Schlafzimmer, um zu packen. Der Colonel verabschiedete sich, um einen Hubschrauber zu organisieren.

A.J. starrte immer noch auf die Eingangstür. Vor drei Tagen hatten sie noch dort gestanden und debattiert, wo nun wer schlafen würde.

Rabb schien das Unglück scheinbar magisch anzuziehen. Oder vielmehr: Es schien ihm geradezu nachzulaufen, wenn ein Mann namens Webb mit ihm zu tun hatte.

1500 ZULU

Location unknown

Der junge Mann, der die Drohne und das Flugkontrollsystem kaufen wollte schenkte ihr keine Beachtung. Nicht, dass sie es nicht gewohnt war, dass gutaussehende Männer sie nicht beachteten. Genau das hätte sie vor zwei Tagen im Hinterkopf haben sollen, als sich Harmon Rabb zu ihr an den Tisch gesetzt hatte und sie anlächelte, was wäre sie eine hübsche junge Frau.

Dieser hier gab sich auch nur mit ihr ab, weil sie etwas hatte, das er haben wollte. Sie wusste nicht einmal genau, für wen er eigentlich arbeitete... Hamas, RAF, Taliban, irgendeine durchgeknallte afrikanische Regierung... es war ihr egal.

Wahrscheinlich hatte er noch nicht einmal eine Ahnung, dass die ihm dieses Ding für den doppelten Preis, den es eigentlich wert war verkaufte.

„Wann können wir es testen?" fragte er gerade eifrig und warf der Flugdrohne einen gierigen Blick zu.

„Meine Leute müssen das Kontrollgerät noch auf sie programmieren. Wir können morgen eine kleine Vorführung starten, und sofern sie einen Laster haben, können sie anschließend alles mitnehmen."

Der Mann nickte lediglich und sammelte seinen Fahrer ein. Der stand mit einem Koffer am äußeren Rand des runden Atriums des Palastes.

Eigentlich war es kein Palast, sondern mehr das Anwesen des Besitzers einer des Dattelplantagen im näheren Umkreis. Nur existierten diese Plantagen schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Alles, was hier noch aus dem Boden sprießte waren Landminen und Menschen, die sich in den verlassenen Häusern eine neue Existenz mit Waffenschmuggel und Erpressung aufbauten.

Es war nichts neues mehr, dass man vor ihr irgendwelche Koffer öffnete, in denen sich eine Menge Geld befand. Es machte ihr mittlerweile nicht einmal mehr etwas aus, dass es sich dabei meistens um amerikanische Dollar oder um Euros handelte. Man brauchte eine starke Währung, um Geschäfte zu machen. Geld, das nichts wert war, konnte man nicht ausgeben.

Mit ihrem Anteil konnte sie endlich ihre Spielschulden zahlen.

Wäre ihr Vater nicht mit den Fotos aufgetaucht, hätte sie dann vielleicht angefangen, sich eine Zukunft mit Daniel auszumalen.

Konnte jemand wirklich so gut schauspielern, dass man sich in seiner Nähe wohlfühlte? War nicht vielleicht doch etwas wahres...

Mit einem energischen Kopfschütteln wischte sie diese Gedanken beiseite.

Dieser Mann war nicht Daniel. Er war ein Navy-Anwalt und hatte sie belogen. Dafür würde er später noch büßen. Vielleicht konnte sie sogar ein bisschen Spaß mit ihm haben.

Gerade eben waren eher die grünen Banknoten vor ihrer Nase wichtiger. Allein die Anzahlung war schon ein ziemliches Vermögen...

Morgen würde es die restlichen zwei Drittel geben.

Mit einem gönnerhaften Grinsen schloss sie den Deckel des Koffers.

Der Mann sah sie mit einem Lächeln an.

„Wollen sie nicht nachzählen?"

Oh, sie würde nachzählen. Nur nicht jetzt.

„Muss ich das denn?" fragte sie mit einem selbstsicheren Gesichtsausdruck, worauf der Mann lachte, bevor er sich mit seinem Fahrer umdrehte und zurück zu ihrer Limousine ging.

Ari Haswari warf einen prüfenden Blick zurück auf das Gebäude, als sie abfuhren. Er war im Begriff, das Doppelte zu zahlen, das dieses Ding da drin wert war. Nicht, dass es ihn irgendwie störte. Er hatte Geld von drei verschiedenen Organisationen zur Verfügung, und arbeitete eigentlich für keine von ihnen. Das FBI verschaffte ihm lediglich Zugang zu den USA... der Mossad und die Hamas waren eine andere Geschichte.

Zumindest ließ sich mit diesem kleinen Spielzeug, das er sich gerade zulegte eine Menge Schaden anrichten...