Ai no Sakura
by Krisa
Prolog- Cherry blossoms
"Sango-Hime-sama?"
Ich drehte mich herum und schaute hinauf in das Gesicht des Mannes, das etwa einen Meter über meinem eigenen schwebte. Dunkel erinnerte ich mich, dass sein Name Hiroshi oder so ähnlich war, und dass er zu den hochrangigen Mitgliedern meiner Eskorte zählte. Er war ein kleiner, stämmiger Mann, fast so hoch wie breit , mit kinnlangen, strähnigen schwarzen Haaren, die er zu einem festen Knoten aufgesteckt trug, und sah in seiner Rüstung und dem Schwert an seiner Hüfte nicht direkt furcht-, zumindest aber respekteinflößend aus.
"Hime-sama?"
Erst als er mich zum zweiten Mal ansprach, wurde mir bewusst, dass ich ihn die ganze Zeit über angestarrt hatte.
"Hai", antwortete ich und senkte meinen Kopf, damit er nicht sah, dass ich aufgrund meines unhöflichen Verhaltens errötet war.
Hiroshi deutete eine Verbeugung an und fuhr dann fort: "Die Männer sind bereit, Hime-sama, wenn Ihr wollt, können wir nun aufbrechen"
Ich erhob mich langsam von der Tatami-Matte, auf der ich gekniet hatte, und strich über den vorderen Teil meines Kimonos, um die Falten zu glätten, die durch diese unpraktische und unbequeme Haltung während des Essens entstanden waren.
"Gut, dann können wir ja nun weiterreisen."
Er wollte sich gerade zum Gehen wenden, als mir noch etwas einfiel.
"Wisst Ihr vielleicht, wo sich meine Tochter befindet, Hiroshi-san?"
Der Soldat zuckte mit den Schultern, deutete dann aber doch nach links, wo sich die Eingangshalle des Gasthofes befand, in dem wir mit der gesamten Truppe übernachtet hatten. Nein, Gasthof war eigentlich das falsche Wort, Absteige traf da schon viel eher zu. Die Böden waren alles andere als sauber, das Essen war eine Zumutung und die Shoji-Türen waren undicht und boten kaum Schutz vor der kühlen Nachtluft. Es war allerdings die einzige Herberge in diesem kleinen Dorf, und da die einzige Alternative gewesen wäre im Freien zu kampieren, hatte ich mich am Vorabend dazu entschlossen, die Nacht hier zu verbringen.
Ich seufzte und ging langsam in Richtung Halle. Vielleicht war ich inzwischen einfach zu verwöhnt, schließlich hatte ich in den letzten sechs Jahren das Leben einer Prinzessin geführt. Früher, als ich noch mit Inuyasha und den anderen durchs Land gezogen war, um die Splitter des Shikon no Tama und Naraku zu finden, waren wir froh gewesen, wenn wir mal ein Dach über dem Kopf hatten und etwas anderes zu essen bekamen als Ramen und Fisch-auf-Stock. Insgeheim waren wir Miroku immer sehr dankbar gewesen, wenn er das Vertrauen der Dorfbewohner, das ihm sein Houshi-Dasein vermittelte, für unsere Zwecke ausnutzte und uns mit seinem "es schwebt eine dunkle Wolke über dem Haus"-Trick ein Nachtquartier besorgte.
Miroku.
Houshi-sama.
Kami, wie sehr ich ihn vermisste, diesen sukebe houshi. Selbst nach all diesen Jahren fing mein Herz schon beim Gedanken an ihn an schneller zu schlagen. Wenn ich meine Augen schloss, konnte ich mir immernoch jede Einzelheit seiner Erscheinung ins Gedächtnis rufen:
seine tiefschwarzen Haare, die er im Nacken zusammengebunden trug und die ich nur ein einziges Mal offen gesehen hatte, seine Robe, violett über schwarz, die ihn als Houshi kennzeichnete, seine wandernden Hände, die mich mit ihren zarten Liebkosungen im einen Moment dazu brachten, die ganze Welt um mich herum zu vergessen und mich im nächsten Augenblick, wenn sich diese "Liebkosungen" auf einen anderen Teil meines Körpers verlagerten, dazu veranlassten ihm eine schallende Ohrfeige zu verpassen, die Gebetsperlen, die seinen rechten Arm umgaben und den schrecklichen Fluch in Zaum hielten, der damals noch sein Leben bedrohte.
Am deutlichsten aber erinnerte ich mich an seine Augen.
Er hatte so seltsame Augen.
Ungewöhnlich groß, klar und wenn er an etwas perverses dachte, also den größten Teil des Tages, funkelten und blitzten sie wie Sterne.
Und erst die Farbe, ein so tiefes blau, dass weder das Meer, noch der Himmel dem Vergleich mit diesem Farbton gerecht werden konnten.
Ich hatte niemals zuvor jemanden mit so wunderschönen Augen gesehen, und auch später, nachdem sich unsere Wege getrennt hatten, nur noch bei einem einzigen Menschen. Meiner Tochter Hanako.
Inzwischen hatte ich die Tür zur Eingangshalle erreicht, wo sich Hanako Hiroshis Auskunft zu Folge befinden sollte.
Dort saß sie tatsächlich, spielte mit einer ihrer vielen Puppen und schien die Welt um sich herum vergessen zu haben. Ihr langes schwarzes Haar fiel offen über ihren Rücken hinab und sie trug ihren Lieblingskimono, der genauso aussah wie einer den ich besaß, hellblau, mit hunderten von Kirschblüten bestickt und von einem Gürtel aus dem selben Stoff zusammengehalten. Die Farbe unterstrich den Ton ihrer Augen, die einen verträumten Ausdruck angenommen hatten, den ich nur zu gut kannte. Eine Welle der Liebe durchflutete mich, wie jedes Mal wenn ich sie sah. Sie war das einzige, das mich in den vergangenen sechs Jahren am Leben erhalten hatte, in einer Zeit, in der ich geglaubt hatte alles verloren zu haben. Meine gesamte Familie, alle Menschen die mir jemals etwas bedeutet hatten waren tot und den Mann, den ich aus tiefstem Herzen geliebt hatte, hatte ich in einem Akt der Selbstzerstörung von mir weggestoßen, nur um mich danach Hals über Kopf in eine unglückliche Ehe zu stürzen, mit einem Mann dessen starke Zuneigung zu mir nicht einmal annähernd auf Gegenseitigkeit beruhte. Ich hatte niemals zuvor in meinem Leben etwas so sehr bereut.
Hanako musste mich gehört oder meine Anwesenheit gespürt haben, denn sie sah plötzlich auf und rief: "Haha-ue".
Meine Liebe wuchs zu einer gigantischen Flutwelle an, die mich wegzuspülen drohte.
Ich kniete mich neben sie und strich zärtlich über ihre weichen Haare.
"Wir reisen gleich weiter, also mach dich fertig, ja", sagte ich.
Sie sprang sofort auf und streckte die Hand nach mir aus, um mir aufzuhelfen. Mit meinen 24 Jahren musste ich einem Kind wie ihr wohl wie eine alte Frau vorkommen.
Sie bückte sich noch einmal kurz, um ihre Puppe vom Boden aufzuheben, hielt meine Hand aber immernoch fest umklammert. Ich schätze ihre Vorliebe für Körperkontakt hat sie wohl von ihrem Vater geerbt.
Hand in Hand verließen wir den Gasthof und traten in den Schein der schon recht warmen Aprilsonne, wo unsere Eskorte bereits auf uns wartete und bestiegen die Sänfte, in der wir in den letzten zwei Wochen den größten Teil unserer Zeit verbracht hatten.
Mit einem leichten Ruck wurde sie von den Sänftenträgern angehoben und unsere Reise ging weiter.
Unsere Truppe erregte in den Dörfern, durch die wir kamen, ziemlich großes Aufsehen, was jedoch kaum verwunderlich war.
Wann bekamen diese einfachen Menschen, hauptsächlich Bauern, die sich noch nie in ihrem Leben weiter als einen Steinwurf von ihrem Dorf entfernt hatten, schon so etwas zu sehen? Eine prächtige Sänfte, deren rote Vorhänge meine Tochter und mich vor den Blicken der Neugierigen verbargen, getragen von vier Soldaten und flankiert von einem halben Dutzend Reiter in voller Rüstung, die bereit waren zum Schutz ihrer Hime-sama ihr Leben zu geben.
Es war jeden Tag dasselbe. Wir brachen früh morgens auf und unterbrachen unsere Reise nur einmal am Tag kurz, um eine kleine Mittagspause einzulegen. Danach ging es sofort wieder weiter, bis wir abends einen Gasthof erreichten oder irgendwo am Wegrand unser Lager aufschlugen.
Doch je länger unsere Reise andauerte, desto unerträglicher wurde sie. Wir alle waren müde und abgespannt und sehnten uns danach das Ziel unserer Reise endlich zu erreichen.
Das Ziel unserer Reise.
Ich war die einzige die das Ziel überhaupt kannte. Ich hatte den Befehl gegeben und was die Hime-sama befahl wurde befolgt. Niemand außer mir, nicht einmal Hanako, wusste, dass der einzige Grund für diese Reise war, dass ich nach Hause wollte. Nicht in das taijiya-Dorf in dem ich aufgewachsen bin, sondern zu meinem wahren Zuhause. Ein Sprichwort besagt, dass man dort zu Hause ist, wo die Menschen sind, von denen man geliebt wird. Und genau das wollte ich tun. Zurückkehren zu den Menschen, die in unserer gemeinsamen Zeit zu meiner Familie geworden waren. Inuyasha. Kagome. Shippo. Kirara. Miroku.
Ich freute mich sehr darauf sie alle wiederzusehen und gleichzeitig hatte ich Angst, wie sie reagieren würden, wenn ich jetzt, sechs Jahre nach meinem Verschwinden, einfach wieder auftauche. Ich hatte Angst, dass sie mich vielleicht dafür hassen würden, dass ich sie damals ohne ein Wort des Abschieds verlassen hatte. Ich hatte Angst, dass ich nicht mehr Teil dieser Familie sein würde, die wir damals gebildet hatten, dass ich eine Außenstehende sein würde, dass ich vielleicht meine Chance vertan hatte ein neues Leben zu beginnen und unverrichteter Dinge wieder abreisen musste.
Aber ganz besonders fürchtete ich mich vor Mirokus Verhalten, wenn wir uns gegenüberstehen würden. Was wenn er mich vergessen hatte? Was, wenn der Mann, den ich mehr liebte als alles andere auf der Welt, mich einfach vergessen hatte, wenn er eine andere geheiratet hatte, Koharu vielleicht, Kinder hatte und ohne mich sein Glück gefunden hatte? Oder was wenn er mich hasste? Ich hatte ihm in dieser Nacht Ende April vor sechs Jahren ein Versprechen gegeben, ich hatte ihm versprochen immer bei ihm zu bleiben, ihn niemals zu verlassen, und nicht einmal einen Tag später war ich fortgegangen, hatte mein Versprechen gebrochen und hatte mich damit selbst zum unglücklichsten Menschen der Welt gemacht. Ich könnte wirklich verstehen, wenn er mich hassen würde.
Kami, wie hatte es nur so weit kommen können?
Wir waren doch so glücklich gewesen in dieser Nacht, dieser wunderschönen Nacht, der glücklichsten meines Lebens.
Es war Ende April gewesen, des Monats der Kirschblüten, genau wie heute.
Ich strich die Vorhänge der Sänfte langsam und vorsichtig zur Seite und beobachtete, wie der Wind Kirschblüten von den Bäumen am Wegrand losriss und wie Schneeflocken in der Luft herumwirbelte.
Kirschblüten...
Ich schloss den Vorhang wieder und lehnte mich zurück in die weichen Kissen unserer Sänfte.
Kirschblüten...
Ich versank in meiner Erinnerung, meine Erinnerung an diesen Tag und diese Nacht, die mich für einen kurzen Moment so glücklich machen sollten.
