"Haha-ue?"

Die Stimme meiner Tochter riss mich jäh aus meinen Tagträumen.

"Weinst du, haha-ue?"

Ich schüttelte heftig den Kopf und strich meinem kleinen Liebling liebevoll durchs Haar.

"Es ist nichts, mein Schatz, nur... Pollen."

Von meiner Notlüge anscheinend befriedigt lehnte Hanako sich in die Kissen der Sänfte zurück und atmete tief durch.

"Wie lange brauchen wir noch Haha-ue", fragte sie ernst. Manchmal fällt es mir wahrhaft schwer zu glauben, dass sie erst fünf ist, sie ist erstaunlich reif für ihr Alter und denkt immer zuerst über alles nach bevor sie handelt. Sie denkt im Allgemeinen viel nach, viel zu viel für ein Kind.

Ich strich die Vorhänge langsam zur Seite und schaute hinaus.

Bäume, so weit mein Auge reichte nichts als Bäume. Wir folgtem dem Pfad durch den Wald schon seit dem späten Vormittag, fast schon seitdem wir das Dorf, in dem wir die Nacht verbracht hatten, verlassen hatten. Jetzt verriet der Stand der Sonne, dass es später Nachmittag sein musste. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie viel Zeit vergangen war, während ich in meinem Kopf die Ereignisse meiner gemeinsamen Nacht mit Miroku wieder hatte lebendig werden lassen.

Da kein Befehl meinerseits erfolgt war, hatten die Soldaten, die uns begleiteten, wohl beschlossen die Mittagspause ausfallen zu lassen und dadurch schneller voranzukommen. Wir alle waren des Reisens müde und wünschten uns nichts sgehnlicher als unser Ziel endlich zu erreichen.

Glücklicherweise würde es nicht mehr allzulange dauern. Ich hatte diesen Wald hier oft durchquert, wenn wir wiedereinmal von neuem aufgebrochen waren, um nach den Splittern des Shikon no Tama zu suchen und wusste daher, dass wir nicht mehr weit von Kaedes Dorf entfernt waren. Morgen, vielleicht sogar schon heute würden wir dort eintreffen. Und dann? Ich wusste es selbst nicht. Nach dem Tod meines Mannes hatte mich einfach das unbestimmte Verlangen erfasst dorthin zurückzukehren und die Menschen wiederzusehen, die mir in den wenigen Monaten, die wir miteinander verbracht hatten, zu Freunden und mehr als das, zu einer Familie geworden waren. Vor allem nach einem von ihnen sehnte ich mich ganz besonders.

Meine Unruhe wuchs mit jedem Meter, den ich mich ihnen näherte, Vorfreude wechselte sich mit Angst ab.

Im einen Moment konnte ich es kaum erwarten sie in meine Arme zu schließen, im nächsten hätte ich am liebsten reißaus genommen. Ich wünschte alles wäre wieder so wie damals und wusste im selben Augenblick, dass es nie, nie wieder so sein würde, weil auch ich nicht mehr die selbe war.

Mein Kopf schmerzte von all den gegensätzlichen Gedanken. Ich wusste einfach nicht mehr was ich denken sollte. Das einzige, was ich sicher wusste, war, dass es richtig gewesen war wieder her zu kommen, wenn ich schon nicht wieder von den anderen aufgenommen werden würde, dann hätte ich doch wenigstens endlich meine Vergangenheit hinter mir gelassen.

Ich schloss die Vorhänge wieder und lehnte mich seufzend zurück in die Kissen.

"Wo reisen wir eigentlich hin?"

Erneut riss mich Hanako aus meinen Gedanken.

Seltsam, dass sie mich das vorher nie gerfragt hatte, schließlich waren wir ja schon lange genug unterwegs. Selbst den Mitgliedern der Eskorte hatte ich nur gesagt, dass ich alte Freunde besuchen wolle und niemand hatte die Befehle der Hime in Frage gestellt.

"Wir besuchen alte Freunde von mir, mein Engel." Warum sollte ich ihr auch nicht dasselbe erzählen wie meinen Begleitern? Es entsprach schließlich der Wahrheit, auch wenn dies nur einer der Gründe für meine Reise war.

Sie musterte mich einen Moment lang.

„Wird Chichi-ue auch da sein?"

Ich öffnete meinen Mund um etwas zu sagen, schloss ihn aber sofort wieder. Ich musste erst einmal darüber nachdenken, was ich ihr antworten wollte.

„Hanako-chan, ich habe dir doch erklärt, was passiert ist. Dein Vater, er ist tot, der Pfeil, die Wunde, wir haben doch darüber gesprochen."

Hanako starrte mich an als ob ich eine Wahnsinnige wäre, die nichts als Unsinn redete. Dann schüttelte sie bedächtig den Kopf.

„Ich spreche nicht von Kuranosuke-sama," –wie hatte mir entgehen können, dass sie Kuranosuke sonst nie als Chichi-ue bezeichnet hatte?- „sondern von meinem richtigen Vater."

Ich konnte plötzlich nicht mehr atmen, das Entsetzen schnürte mir die Kehle zu. Woher wusste sie, dass Kuranosuke nicht ihr richtiger Vater war, wer hatte ihr davon erzählt, wenn doch nur er und ich selbst davon wussten?

„Hanako! Woher...!"

Sie schloss die Augen und sank noch tiefer in die weichen Kissen der Sänfte zurück. Der entspannte Ausdruck auf ihrem Gesicht erinnerte mich so sehr an Miroku, dass es mir fast das Herz zerriss.

„Ich habe von ihm geträumt", sagte sie ruhig. Ihre Stimme klang leise und hohl, als ob sie aus einem Traum zu mir sprechen würde. „Ich habe von einem Mann mit blauen Augen geträumt. Er war dir sehr wichtig. Er hat immer gelächelt, obwohl mir seine Augen verrieten, dass er traurig und verängstigt war. Sein Name war Miroku."

Ich keuchte auf. Das konnte nicht sein. Sie konnte nicht wissen, dass Miroku ihr Vater war und vor allem nicht solche Details wie seine Augenfarbe. Das war einfach unmöglich!

Andererseits, hatte ich es schon öfter erlebt, dass Menschen die Gabe besaßen in die Zukunft oder in die Vergangenheit zu sehen. Aber meine eigene kleine Tochter? Vielleicht hatte sie die Veranlagung zu dieser spirituellen Gabe genau so wie ihr Aussehen von ihrem Vater geerbt.

„Ja", sagte ich mit tränenerstickter Stimme und nickte heftig, „ja, Miroku wird auch da sein."

Das hoffte ich zumindest.

Es war schon nach Sonnenuntergang als wir beschlossen uns ein Quartier für die Nacht zu suchen und im nächsten Dorf halt machten. Unser Ziel noch an diesem Tag in Kaede's Dorf anzukommen hatten wir nun doch nicht erreicht. Es war eine kleine unkomfortable Herberge, aber immerhin besser als auf dem Boden schlafen zu müssen, und außerdem bekamen wir hier ein warmes Essen und ein Bad. Beides hatte ich ziemlich nötig.

Nach einem vorzüglichen Abendessen, das aus einer Art Gemüseeintopf bestanden hatte, führte mich die Frau des Gastwirtes in den kleinen Raum, in dem sie, während wir aßen, ein Bad für mich vorbereitet hatte. Sie zeigte mir, wo ich verschieden duftende Badezusätze und ein Handtuch finden konnte, dann ließ sie mich allein. Mit einigen Problemen entkleidete ich mich, nicht zum ersten Mal auf dieser Reise bereute ich es keine Dienerin mitgenommen zu haben, die mir bei dieser Art von Aufgabe hätte behilflich sein können.

Inzwischen war der ganze Raum mit dem Duft von Rosen erfüllt, der dem Badewasser entströmte, und das Feuer, das unter dem Badezuber loderte, um das Wasser zu erwärmen, tauchte den ganzen Raum in ein schummriges Licht. Als ich mich vollständig ausgezogen hatte und gerade in das warme, wohlriechende Wasser steigen wollte, fiel mein Blick auf mein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche. Wie sehr ich mich in den letzten sechs Jahren doch verändert hatte. Mein Haar reichte mir nun bis über die Hüften, doch trug ich sie inzwischen meist in einem Knoten, so wie es sich für eine ehrbare Frau gehörte. Mein Körper war weicher und weiblicher geworden, zum einen durch die Vernachlässigung meines Trainings, zum anderen durch Hanakos Geburt. Meine Brüste waren nun größer und schwerer als früher, da ich es vorgezogen hatte meine Tochter selbst zu stillen, anstatt sie einer Amme zu überlassen, und auch auf meinem Bauch hatte die Entbindung Spuren hinterlassen. Dennoch war ich in den Augen vieler eine beneidenswert schöne Frau.

Ob er mich wohl auch immernoch schön finden würde? Sicherlich, er hatte mich damals begehrt und er würde mich heute bestimmt noch ebenso begehren, aber ich wusste nun einmal nicht was ihm in den letzten sechs Jahren widerfahren war, vielleicht war er ja längst verheiratet und hatte ein halbes Dutzend Kinder. Ich wusste nicht, ob ich es ertragen könnte ihn mit einer anderen Frau zu sehen, aber ich könnte ihm keinen Vorwurf machen. Sechs Jahren waren eine zu lange Zeit um sie alleine zu verbringen. Ich hatte ja selbst einen anderen geheiratet.

Aber vielleicht hatte ich ja Glück. Ich wagte es kaum zu hoffen, dass so ein wunderbarer und noch dazu unglaublich attraktiver Mann wie er nach all den Jahren immernoch ungebunden war, dennoch klammerte ich mich an diesem Gedanken fest. Allein die Vorstellung, dass ich am nächsten Tag vielleicht schon in seinen Armen liegen würde, brachte mein Blut zum Kochen. Ich sehnte mich so sehr nach ihm, jede Faser meines Körpers schrie danach von seinen Händen, seinen Lippen berührt zu werden. Zuvor, als ich in den Erinnerungen an unsere gemeinsame Nacht geschwelgt hatte, hatte ich mich genau so gefühlt wie damals: mein Herz hatte wie wild geschlagen, meine Haut prickelte an den Stellen, an denen er mich damals geküsst hatte und mein Körper erbebte in freudiger Erwartung auf das, was kommen würde. Und nun endlich, in der schummrigen Atmosphäre eines kleinen Badezimmers hatte ich die nötige Privatsphäre gefunden, um in mir selbst die Erinnerungen wachzurufen welche Lust seine Hände tief in mir entfacht hatten.

wenn es wirklich leute gibt die das hier lesen (und ich weiß, dass es die gibt, denn zumindest der prolog und das 1.kapitel htten 89! hits) dann bitte, bitte, bitte schreibt auch reviews