Meine Blutungen blieben aus. Ich war schwanger. Kuranosuke freute sich sehr, als ich es ihm erzählte. Er kaufte mir einen neuen Kimono. Ich selbst wusste nicht, was ich empfinden sollte. Ich wusste ja nicht einmal, wessen Kind es war, das in meinem Leib heranwuchs. Ich hoffte, es sei Mirokus Kind. Der Gedanke Kuranosukes Erben unter dem Herzen zu tragen erschien mir unerträglich, auch wenn er sich als wesentlich umgänglicher erwies, als unsere Hochzeitsnacht vermuten ließ. Überhaupt besuchte er mich nur selten in meinem Schlafgemach, er hatte genug andere Frauen, die seine fleischlichen Bedürfnisse befriedigten und zwar mit weitaus mehr Freude als ich. Ohne Alkohol und ohne die anheizenden Worte seiner Freunde, war er ein weitaus zärtlicherer Liebhaber, als ich nach unserer ersten gemeinsamen Nacht gedacht hatte. Er zwang mir nie wieder seinen Willen auf und brachte mir kleine Geschenke mit, Schmuck oder seidene Tücher oder die schönsten Blumen aus dem großen Garten des Schlosses. Wenn er bekommen hatte, wofür er gekommen war, erzählte er mir oft von seinem Tag, den Entscheidungen und Beschlüssen, die er getroffen hatte, den langatmigen Diskussionen mit seinen Ministern, den abstrusen Forderungen seiner Untertanen, die es nicht im geringsten verstanden, welch eine Bürde es war, ein Reich von solcher Größe zu führen. Ich hörte ihm immer aufmerksam zu und sagte ihm offen meine Meinung, wenn ich es für notwendig erachtete, und mit der Zeit begann er nach meinen Rat zu handeln und besprach selbst die wichtigsten und geheimsten politischen Angelegenheiten mit mir. Unsere Ehe war weder von inniger Liebe noch von Leidenschaft geprägt, doch nun, das ganze durch den Schleier der Zeit betrachtend, kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass wir in dieser Zeit Freunde wurden.
Meine Schwangerschaft verlief ohne Probleme –meine Hebamme vergaß bei keiner Untersuchung zu erwähnen, dass mein Körper für das Gebären von kleinen Prinzen und Prinzessinnen wie geschaffen wäre- und kaum weniger als neun Monate nach meiner Hochzeit mit Kuranosuke brachte ich eine gesunde Tochter zur Welt. Wenn Kuranosuke enttäuscht war, dass ich ihm keinen Sohn geschenkt hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. Er küsste und herzte seine Tochter, wie der stolze Vater, der er war. Nur dass es nicht seine Tochter war. Ich wusste es. Schon in dem Moment als die Hebamme mir meinen kleinen Engel in die Arme legte, war ich sicher, dass sie Mirokus Kind sei. Sie war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten, mit ihren großen blauen Augen, die voller Neugier in die große kalte Welt hinausblickten, und dem weichen dunklen Flaum, der ihren Kopf bedeckte. Ich bin mir sicher, dass auch Kuranosuke es bemerkt haben musste, doch er ließ sich, wie gesagt, nichts anmerken, worum ich wirklich froh war. Stattdessen bedeckte er mich und meine neugeborene Tochter mit Küssen und schenkte mir einen neuen Kimono.
Unser Leben verlief friedlich in den nächsten Jahren, bis auf einige kleinere Auseinandersetzungen mit einem benachbarten Fürsten, der einen Teil von Kuranosukes Land für sich beanspruchte. Hanako wuchs zu einem hübschen, wenn auch stillen kleinen Mädchen heran, das mir und meinem Ehemann nur Freude bereitete und ich wusste durch meine enge Freundschaft mit der Hebamme, die meine Tochter zur Welt gebracht hatte, eine weitere Schwangerschaft zu verhindern. Kuranosuke beschwerte sich nie darüber, dass ich ihm keinen Erben schenkte, er hatte genügend uneheliche Bastarde, die ihm auf den Thron folgen konnten. So lebten wir also viele Jahre lang und die Erinnerung an die Zeit mit meinen Freunden verblasste und erschien mir nicht wirklicher als ein Bild aus einem Traum
Umso erschreckender war es, als die Zeit der Ruhe und des Friedens abrupt endete.
Ich befand mich mit Hanako und ihrem Hauslehrer im Garten des Schlosses und beobachtete meine Tochter beim Erlernen der wichtigsten Schriftzeichen, deren Beherrschung selbst vom schönen Geschlecht erwartet wurde. Sie erwies sich als aufmerksame und gelehrige Schülerin, die geduldig jedes Wort des alten Mannes in sich aufsog und die Zeichen mit großes Sorgfalt und formschön auf das auf einem Tischchen vor ihr ausgebreitete Papier malte. Ich unterdessen beschäftigte mich mit einer Stickarbeit, einer bunten, phantasievollen Blumenranke.
Unser besinnliches Beisammensein wurde jäh durch das Auftauchen eines Wachmannes unterbrochen, der atemlos in den Garten stürmte und vor mir auf die Knie fiel.
„Sango-Hime-sama", keuchte er, „Soeben ist ein Bote eures Gemahls eingetroffen. Er berichtete, das die Kämpfe zwar siegreich verlaufen sind, aber dass Kuranosuke- sama im Kampf verletzt wurde. Die Truppen befinden sich nun auf dem Weg zurück ins Schloss, sie werden gegen Abend eintreffen."
Ich dankte dem Mann für seine schnelle Benachrichtigung, fluchte aber innerlich. Was zum Teufel brachte Männer eigentlich dazu sich wegen ein paar Äcker und Weiden alle paar Wochen gegenseitig die Köpfe einzuschlagen? Diese Streitereien zwischen Kuranosuke und dem König des angrenzenden Reiches dauerten nun schon seit Jahren an, schon der vorherige König, Kuranosukes Vater, hatte ständig Truppen ausgeschickt, deren kleine Scharmützel mal für die eine, mal für die andere Seite entschieden wurden.
Ich wies die Frauen an, Medizin und Verbandszeug bereitzuhalten, um sich um die Verletzten zu kümmern, und schickte nach Kuranosukes Leibarzt, der sich selbst um die Wunden meines Gatten kümmern sollte. Dann blieb uns nichts anderes übrig als abzuwarten, bis die Männer heimkehrten.
Die Soldaten sahen weitaus weniger mitgenommen aus, als ich erwartet hatte, nur wenige waren verletzt und es hatte kaum Tote gegeben. Das einzige was mich beunruhigte war, dass ich Kuranosuke auf keinem der prachtvollen Streitrösser, die den Adligen und hohen Offizieren vorbehalten waren, erkennen konnte. In mir keimte der Verdacht, dass seine Verletzung schlimmer war als angenommen. Schließlich sah ich ihn. Er saß zusammengesunken auf dem Pferd eines Offiziers, der sich angestrengt bemühte, dass sein König nicht vornüberkippte. Sein Gesicht war kreidebleich und schweißbedeckt, das konnte ich sogar auf die Entfernung erkennen. Es bedurfte einiger starker Männer Kuranosuke, der sich heftig wehrte und sich offenbar im Fieberwahn befand, in sein Gemach zu bringen, wo sein Arzt schon auf ihn wartete. Aufgeregt scheuchte er alle bis auf seinen Gehilfen aus dem Zimmer, sogar ich musste den Raum verlassen. So blieb mir nichts anderes übrig als abzuwarten. Eine Ewigkeit später öffnete sich die Tür und der Arzt trat heraus. Sein Gewand war blutbedeckt und sein Gesicht schweißnass und von Resignation gezeichnet.
„Diese Stümper!", schimpfte er, während er seine blutigen Hände an einem Tuch abwischte, das sein Gehilfe ihm reichte. Und an mich gerichtet fügte er hinzu: „Ihr solltet den Arzt, der diese Wunde versorgt hat, hinrichten lassen, Hime-sama."
Als ich ihn unverständlich anblickte, fuhr er fort: „Der König wurde von einem verirrten Pfeil in die Schulter getroffen. Bei der Versorgung der Wunde wurde wohl übersehen, dass immernoch ein Teil des Pfeils im Fleisch des Königs steckte und nun hat sich das Fleisch um diesen Fremdkörper herum schlimm entzündet. Ich habe alles versucht, jetzt hängt alles vom König selbst ab. Einen Arm oder ein Bein hätte man abnehmen können, aber so müssen wir zu den Göttern beten, das sich die Infektion nicht noch weiter ausbreitet. So besteht wenigstens noch eine kleine Chance, das der König die Verletzung überlebt."
Bei seinen Worten war alle Farbe aus meinem Gesicht gewichen, ich hatte nicht erwartet, dass es so schlecht um Kuranosuke stehen würde. Ich musste mich an der Wand abstützen, um nicht ohnmächtig zu werden.
„Kann ich ihn sehen?", fragte ich. Der Arzt, dessen Namen ich nicht einmal kannte, nickte, fügte allerdings hinzu, dass Kuranosuke wohl nicht viel davon mitbekäme, da er nun endgültig dem Fieberwahn verfallen war. Zögernd betrat ich den großzügig ausstaffierten Raum, der nun zum Sterbezimmer meines Gemahls werden sollte. Es roch fürchterlich nach Blut und Schweiß und allerlei anderen Ausdünstungen des menschlichen Körpers. Es roch nach Tod. Kuranosuke lag auf seinem Futon, den Oberkörper entblößt und von einem blutdurchtränkten Verband bedeckt, die Haare offen, ein feuchtes Tuch lag auf seiner heißen Stirn. Ich kniete mich neben den sterbenden Körper meines Mannes und ergriff seine Hand, die trotz seiner erhöhten Temperatur eiskalt. Der Tod hatte von diesem Leib Besitz ergriffen und es bedurfte keines Hellseher um vorherzusagen, dass der Mann vor mir die kommende Nacht nicht überleben würde. Mit meiner freien Hand strich ich über die sanften Züge seines erhitzten Gesichts und wechselte von Zeit zu Zeit das Tuch auf seiner Stirn und ersetzte es durch ein frisches. Die Dienerin, die kam, um mir etwas zu essen zu bringen, schickte ich wieder weg. Mir stand der Sinn nicht nach Essen. Stundenlang hielt ich seine Hand, spürte wie das Leben aus seinem Körper wich, bis er, weit nach Mitternacht, noch ein letztes Mal die Augen aufschlug. Er sah mich an und versuchte zu lächeln, eine schmerzverzerrte höhnische Grimasse war alles was er zustandebrachte. Er versuchte mit seinen Lippen meinen Namen zu formen, ein Krächzen, gefolgt von einem trockenen Husten, das seinen ganzen Körper erschütterte, mehr gelang ihm nicht.
„Nicht", flüsterte ich und strich so sanft wie möglich über seine blasse Wange.
„Ha-, Ha-, Hana-", presste er zwischen seinen aufgesprungenen Lippen hervor. Es zerbrach mir fast das Herz meinen stolzen, starken Mann so zu sehen. „Hanako?", fragte ich, „wolltest du Hanako sagen?" Er nickte. „Möchtest du, dass du ich ihr sage, dass du sie liebst?" Kopfschütteln. „Was dann?", verlangte ich verwirrt zu wissen, obwohl ich ahnte, dass ihm vielleicht nicht mehr genug Zeit und Kraft verblieben waren mir zu antworten. „Bring-, bring sie zu ihrem Vater." Dieser kurze Satz hatte ihn so sehr angestrengt, dass er kurz die Augen schließen musste, um sich auszuruhen. Ich hingegen starrte ihn mit großen Augen an. Er hatte es also gewusst, er hatte die ganzen Jahre gewusst, dass er nicht ihr richtiger Vater war. Und er liebte sie dennoch so sehr, dass selbst im Tod seine letzten Gedanken ihr galten. Tränen traten in meine Augen, mein ganzer Körper erbebte bei jedem Schluchzer. Meine Lippen zitterten. „Danke", war das einzige was ich hervorbrachte. Ich wusste selbst nicht wofür ich ihm dankte. Dafür dass er mich aufgenommen hatte? Dafür dass er meinem Kind ein zuhause gegeben hatte? Oder dafür dass er all die Jahre hindurch nie ein Wort darüber verloren hatte, dass Hanako nicht sein Kind ist, nie gefragt hatte, warum ich gegangen und warum ich ausgerechnet zu ihm gekommen war. Noch ein letztes Mal strich ich zärtlich über seine Wange, noch ein letztes Mal beugte ich mich vor, um seine Lippen mit meinen zu berühren. Als er die Augen schloss, um meinen Kuss zu empfangen, wussten wir beide, dass er sie nie wieder öffnen würde. Sein Atem erstarb unter meinen Lippen.
Dann löste ich meine Hand, die die seine immernoch fest umklammert hielt, von ihm und stand auf. Geräuschlos verließ ich das , begab mich in meine Gemächer und begann zu packen.
