02. Bruderstern
Realities and dreams
Reality is not what it seems
It's not the way we want it it's just the way it gotta be
We've got love and hate
But we can't estimate
What's the right solution to kill the illusion of this world
And this is not the time to wonder
'Cause this is just a time to fear
Don't worry about the meaning don't worry 'bout the world
It's the question how to see clear
Fury in the Slaughterhouse – Time to wonder
29. September 1981, morgens, Friedhof von Godric's Hollow
Bevor ich das Friedhofstor erreiche, werde ich von dem erschöpft wirkenden Schatten eines Mannes aufgehalten, der früher so übermütig durchs Leben schritt und in dessen Augen sich nun so große Sorgen widerspiegeln.
„Was machst du hier?"
Sirius. Also ist er doch in der Lage dazu über seinen Schatten zu springen und jemanden aus seiner Familie in der Öffentlichkeit anzusprechen. Wer hätte das gedacht? Ich kann nicht leugnen, dass ich froh darüber bin. Und wie immer verstecke ich es hinter einer ernsten bis spöttischen Miene.
„Ich wohne dem Begräbnis einer guten Freundin bei."
Was für eine Lüge! Es ist schon fast physischer Schmerz, Angie nur als ‚gute Freundin' zu bezeichnen. Aber das geht Sirius nichts an. Er darf nicht davon erfahren!
„Und du?"
„Aus demselben Grund. Und als Stütze für James. Das hat ihn wirklich hart getroffen, auch noch die Letzte seiner Familie zu verlieren." Er blickt gedankenverloren in die Richtung seines besten Freundes.
James sieht übel aus. Unter seinen Augen zeichnen sich tiefe Ringe ab, er ist leichenblass und seine Brillengläser sind leicht beschlagen.
Doch er ist nicht der Einzige, der mitgenommen wirkt. Mein Bruder macht auf mich einen geradezu gebeutelten Eindruck – er ist abgemagert, seine Wangen sind hohl, und das einzige, was in seinem Gesicht lebendig scheint, sind seine sorgenvollen stahlgrauen Augen, den meinen so ähnlich – und denen von Raven.
Platzwechsel von Trauer und Hass – letzteres überwiegt wieder. Der Dunkle Lord ist Schuld an diesem Elend…
„Alles wird gut", wispere ich. Sirius blickt mich skeptisch an. „Für Ihn oder für den vernünftig denkenden Teil der Welt?"
Innerlich kann ich nur seufzen. Ich wundere mich nicht, dass er mir nicht vertraut – er hält die ganze Familie für Anhänger Voldemorts und damit hat er ja in den meisten Fällen auch Recht. Nur weiß er es nicht genau, er vermutet es bloß, hat keinen Beweis außer Bellatrix. Dieses Misstrauen hat unser einst so gutes Verhältnis zueinander fast gänzlich zerstört, bis es kaum wieder aufgebaut werden konnte, egal wie sehr wir es versucht haben. Zwischen uns steht eine Wand.
„Für euch", antworte ich und seine Augenbrauen heben sich überrascht. „Was erwartest du?", füge ich in spöttischem Ton hinzu, „Dass du und Andromeda keine Spuren hinterlassen habt?"
Er verzieht wütend das Gesicht. „Bis jetzt sah es ja nicht aus, als würdest du uns folgen wollen. Wie auch, du warst viel zu lange unter dem Einfluss von Bella und Cissy."
Ich schließe kurz die Augen und atme tief durch, um mich zu beruhigen. „Hör endlich auf mit deinen Schwarz-Weiß-Malereien! Es ist nicht alles so wie es scheint."
„Was scheint denn deiner Meinung nach schwarzweiß?" Ich öffne überrascht die Augen bei Sirius sanft gestellter Frage (diesen Ton bin ich schließlich kaum von ihm gewöhnt) – er wirkt plötzlich etwas unsicher. Ist ihm etwa ein Licht aufgegangen? Wenn dem so ist, dann darf ich meine Chance nicht verspielen, ihn von der Lücke in der ohnehin schon zerbröckelnden Mauer des Ministeriums zu überzeugen.
„Elisabeth", wispere ich.
„Habsbourg?", kommt seine erstaunte Antwort.
„Habsbourg-Rookwood."
Auf mein Nicken schüttelt er entschieden den Kopf. „Das ist doch Unsinn! Sie ist Barty Crouchs rechte Hand, Millicent Bagnolds strahlende Vermittlerin aus dem Bürgerkrieg von 1978-"
„Sie ist nicht nur Crouchs rechte Hand, sondern auch die des Dunklen Lords", unterbreche ich ihn gereizt. „Und wie, denkst du, konnte sie so gut zwischen Auroren und Todessern vermitteln? Weil sie dazugehört. Sowohl zur einen als auch zur anderen Seite!"
„Das ist verrückt", erwidert Sirius und bemüht sich darum, seine Fassung zu bewahren. „Willst du etwa behaupten, dass sie auch…" Er braucht nicht mehr zu tun als zu den Gräbern hinüber zu nicken, vor denen immer noch die Trauergesellschaft steht.
„Du glaubst doch nicht etwa diesen Mist, dass der alte Rosier daran Schuld war, weil er Evans Tod nicht verkraftet hat", schnaube ich. „Frag Minerva, sie war die letzte, die mit Angie gesprochen hat, bevor… du weißt schon… Es war Elisabeth!"
Dieses Argument scheint meinen Bruder zumindest zum Nachdenken zu bringen. Er massiert angespannt seine Nasenwurzel – für mich ein seltsamer Anblick, den ich sonst nur von Rodolphus Lestrange gewöhnt bin.
Er muss mir glauben. Angie wusste es bereits, nach ihrem Tod haben mich nur Minerva und Remus angehört, und es war ein hartes Stück Arbeit, sie davon zu überzeugen, dass Elisabeth nicht die Wohltäterin ist, für die ein Großteil der magischen Gesellschaft sie hält. „Ich kann es immer noch nicht glauben", hatte Minerva gemurmelt und Raven an sich gedrückt, als könne die Kleine diese schreckliche Wahrheit umwandeln.
Schön wär's…
„Wenn das stimmt", flüstert Sirius schließlich, „dann… dann braucht es nur einen Todesfluch und Voldemort hat freie Bahn auf den Ministerposten… eine Todesserin so nah an der Ministerin…" Er schaut mich an, als sähe er mich in einem ganz neuen Licht. Dann verdüstert sich sein Blick.
„Aber woher weißt du davon?"
Kann ich es wirklich riskieren, ihm die Wahrheit zu sagen? Bevor ich mir wirklich klar darüber werde, was ich tue, kremple ich den Ärmel meines linken Armes hoch und strecke denselbigen aus.
Mein Bruder zuckt zurück beim Anblick des hässlichen Mals auf meinem Unterarm. „Du… du… sag mir, dass das nicht wahr ist!" Er hat seine Stimme kaum noch unter Kontrolle.
„Psst, nicht so laut! Ich hab dir doch gesagt, dass nicht alles ist wie es scheint!" Schnell rolle ich den Ärmel wieder herunter. Seine Reaktion überrascht mich nicht. Was soll er auch sonst von mir denken, es war ja eigentlich klar, dass er diesen Anblick als Bestätigung seiner Befürchtungen ansieht…
„Was bitte soll hieran missverständlich sein", faucht Sirius aufgebracht.
„Denkst du wirklich, ich wäre hier, wenn ich diesen Wahnsinn immer noch unterstützen würde?", zische ich zurück.
„Was weiß ich, warum du hier bist, Regulus, ich hab keine Ahnung, was in dem Kopf eines Todessers vorgeht!"
„Oh, bei Bellatrix scheinst du es aber gewusst zu haben", rutscht es mir heraus, bevor ich es verhindern kann.
Mein Bruder starrt mich an, als hätte ich ihm eine Ohrfeige verpasst. „Wie bitte?"
„Ja, ich weiß es, Sirius. Und wenn du versuchen kannst, eine Todesserin aus diesem Teufelskreis herauszuholen, wer sagt dir dann, dass ich es nicht schaffen kann, herauszukommen? Aber glaub was du willst…" Meine Stimme zittert unkontrollierbar. Er ist mein Bruder, verdammt… wenn er mir nicht glaubt, wer dann?
Es muss das erste Mal seit fünf Jahren sein, dass wir einander wirklich offen in die Augen schauen. Er schaut in ein stilles Flehen meinerseits, ich blicke in halb enttäuschte, halb unsichere stahlgraue Augen.
Und dann tut er etwas, das ich niemals erwartet hätte – nicht von ihm, nicht hier, nicht in dieser Situation: Er nimmt mich in die Arme. Nach dem ersten Erstaunen erwidere ich diese Geste.
„Was ist mit dieser Welt los, dass man niemandem mehr vertrauen kann?", murmelt er.
Ich blinzle etwas Feuchtes aus meinen Augen. Schon wieder eine schreckliche Erkenntnis: Sirius wird mir nicht mehr vertrauen. Diese Umarmung ist nur ein Zeichen dafür, dass er mich trotz allem noch als seinen Bruder ansieht. Aber die Zeiten, in denen er mir wirklich sein Vertrauen schenkte, sind vorbei. Dafür ist die Unsicherheit über das, was ich als Todesser getan haben könnte, zu groß, selbst wenn er mir glaubt, dass ich die Seiten gewechselt habe – worauf allerdings nichts hindeutet.
Nicht, dass es jetzt noch eine große Rolle spielt. Aber der Gedanke, bald das Zeitliche zu segnen, ohne dass mein Bruder dieses falsche Bild von mir endgültig loswird, ist zweifellos kein schöner.
Ich spüre, dass es Zeit wird zu gehen. Je eher ich meinen Plan ausführe, desto besser. Und ich wünsche mir wirklich, dass Sirius dabei sein wird, wenn der Sturz des Dunklen Lords näher rückt. Bis dahin kann ich nur darauf hoffen, dass er weitere Menschen von der Schuld Elisabeths und den anderen Wölfen im Schafspelz überzeugt, die das Ministerium von innen zu Fall bringen.
Von wo auch immer ich die Möglichkeit dazu haben werde.
„Pass auf dich auf Sirius", murmele ich, während ich mich von ihm löse. „Und viel Glück. Du wirst es brauchen."
„Du auch", sagt er leise. „Alles wird gut…"
Mein letztes Lächeln an ihn verschwimmt auf meinen Zügen, als ich mich endgültig umdrehe.
Das war's also. Jetzt kann ich nicht mehr tun, als meinem Bruder in Gedanken alles Gute zu wünschen. Ich werde ihn nie wieder sehen. Nicht in diesem Leben. Vielleicht, irgendwann, in einer anderen Welt… Ich weiß nichts darüber, habe mir nie Gedanken gemacht, aber jetzt, wo ich so kurz davor stehe, bin ich mir sicher, dass es nach dem Tod noch nicht zu Ende sein wird.
Neben Trauer, Hass und Sorge spüre ich nun auch das Gefühl, das ich schon viel früher erwartet habe: Angst um mein eigenes Leben. Nun steht nichts mehr zwischen mir und meiner Aufgabe, nichts als ein kurzer Aufenthalt in meinem Elternhaus, nichts als meine eigene Angst, mein Wissen um die Wichtigkeit der Horkruxe und meine Hoffnung.
Im Gegensatz zu vorhin brauche ich nun ein paar tiefe Atemzüge und Gedanken, die ausschließlich bei Angie und bei meiner Tochter sind, um die Schultern zu straffen und mein Schicksal mit Überzeugung zu umarmen.
Mit einem letzten Blick auf das Friedhofstor von Godric's Hollow und die Trauergesellschaft appariere ich und komme leicht schwindelnd vor Grimmauldplace Nummer 12 an.
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A/N: Das wars schon wieder, ich hoffe, dass Regulus' Gefühle halbwegs rüber gekommen sind, das hat mir bei diesem Kapitel ganz schön zu schaffen gemacht…
Beim nächsten Mal sind wir wieder in der Vergangenheit: Minerva trifft zum ersten Mal auf ihr Patenkind und Rodolphus Lestrange ahnt Böses…
