05. Aufbruch

I want them to know it's me
It's on my head
I'll point the finger at me
It's on my head
Give it all to you
Then I'll be closer
Smiling with the mouth of the ocean
And I'll wave to you with the arms of the mountain
I'll see you

Faith No More – Ashes to Ashes

29. September 1981, mittags, Grimmauld Place 12

Seltsam, wie ruhig ich werde, als ich die Tür zum Haus meiner Väter hinter mir zuziehe.

Keine Spur allerdings von Zuhause ist es doch am Schönsten: Die schrille Stimme meiner Mutter schallt bis in die Eingangshalle und ich werde – kaum überrascht, nach 20 Jahren gewöhnt man sich an den Anblick – Zeuge davon, wie Kreacher achtkantig aus dem Salon fliegt.

„…undankbare, dämliche Flohschleuder! Geh dir die Hände bügeln, bis du weißt, wie du diesen Wandteppich zu behandeln hast! Ich will dich heute nicht mehr sehen!"

Wie kann dieser komische Kauz meine Mutter bei dieser Behandlung bloß so abgöttisch verehren? Darüber haben Sirius und ich uns schon oft den Kopf zerbrochen; wir sind immer zu dem Ergebnis gekommen, dass er eine Masochistische Ader haben muss, wenn er nach solchen Worten und Taten immer noch nichts dringlicher tun will, als seiner Herrin die Schuhe zu küssen…

Heute jedoch scheint er genauso erbost zu sein, wie jedes halbwegs normale Wesen es an seiner Stelle wäre. Er murmelt zwar pflichtschuldigst etwas von wegen „…wie die Herrin befiehlt…", schaut dabei jedoch äußerst miesepetrig drein.

Dann bemerkt er mich, kommt auf mich zu und will mir den Umhang abnehmen.

„Danke, Kreacher, aber ich bleibe nicht lange."

Der Hauself macht eine kleine Verbeugung und zieht sich in die Küche zurück. Ich höre eine Tür klappern und etwas Schweres auf dem Boden aufkommen. Och nein, er wird doch nicht wirklich…

Doch, genau das hat er vor. Seufzer von mir und erneutes Unverständnis für meine Mutter. Wie kann sie ein Wesen, das dermaßen an ihr hängt, nur immer wieder so vor den Kopf stoßen? Kein Wunder, dass es selbst ihm irgendwann zu viel wird.

Mit ein paar Schritten bin ich an der Küchentür. „Du musst dir nicht die Hände bügeln, Kreacher." Nicht, wenn es bloß wieder darum geht, dass er es gewagt hat, die Brandlöcher von Andromeda, Sirius und den anderen Verstoßenen beim Saubermachen des Wandteppichs mit unserem Stammbaum nicht nachzuzündeln – jeder normale Mensch würde sich über die verringerte Brandgefahr im Haus freuen, aber wer ist in diesem Haus schon noch normal? Meine Mutter jedenfalls nicht.

„Aber die Herrin hat gesagt-"

„Das ist ein Befehl. Pack das Bügeleisen wieder weg."

Sehe ich da ein kleines Lächeln, als er mit einer erneuten Verbeugung und einem leisen „Danke, Herr" das schwere Eisen wieder in den Schrank hievt? Er hat sich schon immer über gesundheitsfördernde Befehle von uns Kindern gefreut, auch wenn er sie relativ selten erhielt. Und diesmal ist mein Grund dafür nicht uneigennützig – so egoistisch es klingen mag, aber ich brauche Kreacher noch.

Während ich versuche, die wieder aufkeimende Nervosität zu verdrängen, gehe ich die Treppe hoch und betrete mein Zimmer. Lehne mich gegen die Tür und schaue mich noch einmal ganz genau um.

Der Raum unterscheidet sich nicht groß von den anderen Zimmern im Haus. Selbst um diese Tageszeit finster wie mitten in der Nacht, und das Mobiliar trägt mit seinem dunklen Holz und den matten Stoffen nicht gerade dazu bei, ihn heller wirken zu lassen.

Eigentlich ein passender Ort für die Zeilen, die ich noch aufschreiben möchte.

Doch wie soll ich das, was ich loswerden will, in Worte fassen? Wie drückt man brennenden Hass, unterschwellige Verachtung und das Bisschen Triumph, das man in einem Meer aus Hoffnungslosigkeit noch empfinden kann, auf einem Stück Papier aus?

Wobei es eigentlich nicht wichtig ist. Wenn derjenige, für den es bestimmt ist, diese Worte liest, wird er andere Sorgen haben als die rhetorischen Mittel des Schreibens.

Auf dem Schreibtisch liegt die unkorrigierte Abschrift des letzten Briefes, den ich geschrieben habe.

An Raven.

Hoffentlich vergisst Minerva nicht, ihn ihr zu übergeben, wenn sie alt genug ist, um seinen Inhalt zu begreifen.

Er erklärt so viel, drückt all das aus, was Minnie ihr nicht vermitteln kann, weil sie kein Elternteil ist.

Und ich kann nur hoffen, dass Raven mir verzeihen wird.

Wobei das natürlich sehr viel verlangt ist von einem Kind, das ohne Eltern aufwachsen muss. Von einem Kind, dass zumindest noch einen Vater haben könnte, wenn dieser nicht beschlossen hätte, sich für die ‚gute Sache' zu opfern.

Würde ich so etwas verzeihen? Ich kann es wirklich nicht sagen.

Mit einem kleinen Funken aus meinem Zauberstab setze ich das Pergament in Flammen und sehe zu, wie all die geschriebenen Worte an meine Tochter auf meinem Schreibtisch zu Asche zerfallen, bis auf eine der Ecken des Blattes. Niemand in diesem Haus wird etwas von ihr erfahren. Ich nehme unser Geheimnis mit ins Grab.

Welch Symbolik, denke ich noch, als ich nach einer Feder greife. Dann beginne ich auf dem Überrest des Briefes an meine Tochter eine letzte Nachricht an diese unmenschliche Kreatur zu schreiben, gegen die erneut dieser brennende Hass in meiner Brust lodert. Ich setze nicht einmal ab.

Das trifft es doch im Groben und Ganzen, denke ich, als ich auf das Geschriebene herunterstarre.

An den Dunklen Lord

Ich weiß, ich werde tot sein, lange bevor du dies liest,

aber ich will, dass du weißt, dass ich es war,

der dein Geheimnis entdeckt hat.

Ich habe den echten Horkrux gestohlen und ich will

Ihn zerstören, sobald ich kann.

Ich sehe dem Tod entgegen in der Hoffnung,

dass du, wenn du deinen Meister findest,

erneut sterblich sein wirst.

R.A.B.

Damit muss er sich zufrieden geben. Ist auch alles mit drin? Ich denke schon. Hmm, die Todeswünsche an ihn könnten eigentlich ein wenig wüster ausfallen… Nein, dafür ist keine Zeit.

Das Wichtigste ist da: Er wird meine Handschrift auf der ganzen Tat finden – im wahrsten Sinne des Wortes. Für all das, was er getan hat, ist ein Seelenteil eine halbwegs gerechte Rate des Endgültigen Preises, den er bezahlen muss.

Ich schließe für einen kurzen Moment die Augen, als die Angst wie eine Welle über mich hereinbricht.

Was habe ich mir da bloß vorgenommen! Wer weiß, ob es überhaupt der richtige Platz ist? Die Chance, dass ich überhaupt das richtige Ziel vor Augen habe, ist winzig. Und selbst, wenn ich am richtigen Ort suche - wer weiß, ob ich überhaupt bis zu dem Horkrux durchdringen kann? Der Dunkle Lord ist schließlich kein Dummkopf, er wird alle möglichen Flüche um seinen Seelenteil gelegt haben… So zumindest klang das, was er Elisabeth erzählte… „Wer auch immer es wagen sollte, diesen Horkrux zu entfernen, wird dafür mit dem Leben bezahlen!"

Ich werde sterben. Und außer ihm wird niemand wissen, wofür ich mit dem Leben bezahlt habe. Ich werde meine Tochter nie wieder sehen, zumindest nicht in diesem Leben. Werde sie nie aufwachsen sehen, nie erleben, wie sie sich entwickelt, nie erfahren, ob sie mir ähnlich ist, oder Angie…

Angie… ich werde Angie wieder sehen…

Für einen kurzen Moment sehe ich sie so deutlich vor mir, als wäre sie hier im Raum. Die zerzausten, dunkelbraunen Haare, die warmen, haselnussfarbenen Augen, die Sterne, die sich in ihnen spiegelten in der Nacht, in der unsere Tochter geboren wurde…

Allein der Gedanke an sie gibt mir Kraft, aufzustehen, den Fetzen Pergament in ein Medaillon zu stecken und mein Zimmer zu verlassen. Nicht, dass die Angst verschwunden wäre. Sie ist nur nicht mehr ganz so erdrückend… Allerdings ist sie noch zu stark, um von Hoffnung zu sprechen, Hoffnung auf die Aussicht, Angie bald zu sehen.

Unten murrt Kreacher noch immer leise vor sich hin.

„…Kreacher wollte bloß sauber machen… wenn Herrin wüsste, was Kreacher alles kann…"

Dann wird er auf mich aufmerksam.

„Der junge Herr geht schon wieder?" Er runzelt die ohnehin schon faltige Stirn. „Der junge Herr ist so blass, geht es ihm nicht gut?"

Ich atme tief durch und hoffe erstens auf seine Pflichtschuld gegenüber dieser Familie, zweitens auf einen diplomatischen Geistesblitz meinerseits.

„Mir geht es gut, Kreacher. Hör mal… meine Mutter hat dir befohlen, dich für heute nicht mehr bei ihr blicken zu lassen?"

Der Hauself nickt mit düsterer Miene. „Ja, Sir, die Herrin will mich heute nicht mehr sehen."

„Würdest du mir unter diesen Umständen bei einer Sache behilflich sein?"

Er starrt mich für einen Moment an, als wüsste er nicht so recht, ob meine Mutter vielleicht etwas dagegen haben könnte. Doch dann nickt er. „Selbstverständlich, Sir. Darf ich fragen, was ich zu tun habe, Sir?"

Meine innerliche Anspannung lässt ein kleines bisschen nach.

„Hör zu. Ich möchte, dass du Fia bescheid sagst, sie soll sich um meine Mutter kümmern und deine Aufgaben übernehmen, dann versuch, ein paar Kerzen aufzutreiben und komm wieder hierher, ich werde auf dich warten. Und kein Wort zu niemandem, hast du verstanden?"

Wieder nickt Kreacher und wuselt in Richtung Küche.

Zehn Minuten später disappariere ich mit ihm - und mit der Angst im Nacken.

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A/N: Ich glaube, man merkt immer mehr, auf welche Theorie ich mich beziehe ;) Fia soll übrigens eine andere Hauselfe sein, aber niemand Wichtiges.

Lasst mich wissen, wie's euch gefallen hat.