Danke, Mandarine, für das Review. Freut mich, dass dir die Geschichte gefällt, und es tut mir leid, dass es mit dem neuen Kapitel so lange gedauert hat… Ich werde versuchen, mich ein bisschen ranzuhalten.

06. Horkruxe

"We are like the living dead
Sacrificing all we have
For a frozen heart and a soul on fire
We are like the living dead
Craving for deliverance
With a frozen heart and a soul on fire."

HIM – Soul on Fire

04.03.1981, Angela Potters Dachwohnung, London

Oh Merlin…"

Angies Stimme hallt in ihrem Wohnzimmer wieder und ist wie ein Spiegel für ihre halb entsetzte, halb angsterfüllte Miene. Sorgenvoll schaut sie zu unserer Tochter herüber, die in einer Wippe vor dem Fenster liegt und nach draußen schaut.

London ist wieder eingehüllt in eine dünne Schneedecke. Seltsam eigentlich, dass es in einer Riesenstadt wie London um diese Zeit noch sehr schneit, die Muggel wundern sich schon. Wir Zauberer nicht, wir wissen ja, dass wir die Temperatur- und Wetterschwankungen den Dementoren zu verdanken haben, die sich in Voldemorts Auftrag überall herumtreiben und nisten.

Womit wir wieder beim Ausgangsproblem wären.

Also nochmal." Angie wendet endlich den Blick von Raven ab. „Du-weißt-sch…Voldemort-" Seinen Namen auszusprechen kostet sie sichtlich einiges an Überwindung. „Er hat eine Seele gespalten? In…" Sie holt tief Luft. „in sieben Teile – in… Horkruxe? Und deswegen kann man ihn nicht töten?"

Richtig", murmele ich mir monotoner Stimme.

Mein Gott…" Ihre Stimme verschwindet fast mit diesem Flüstern. „Das ist furchtbar…"

Es sind sieben Stück", fahre ich auf. „Sechs plus den Teil seiner Seele, den er noch in sich trägt! Es ist unmöglich, sie alle zu finden, zu zerstören und das Ganze auch noch zu überleben!" Ich stütze verzweifelt den Kopf in die Hände und höre, wie Angie langsam ausatmet. Schließlich ergreift sie wieder das Wort.

Aber du hast doch gesagt, du weißt, wo einer von ihnen ist."

Ja, aber alleine das Wissen um das genaue Versteck ist schon ein Todesurteil."

Ein hoffnungsloses Schweigen breitet sich zwischen uns aus.

Es war eine Schreckensnachricht, die ich Angie vor knapp einer halben Stunde überbringen musste. Mir selbst sitzt der Schock jetzt noch in den Gliedern.

Dabei war es reiner Zufall gewesen, dass ich das Gespräch zwischen dem Dunklen Lord und Elisabeth belauschen konnte, noch jetzt ist es mir ein Rätsel, warum der Dunkle Lord bei einer solchen Unterredung keine Sicherheitsmaßnahmen ergriffen hat. Nicht zum ersten mal nagt der Gedanke an mir, dass es sich um eine Falle handeln könnte – doch selbst wenn es so wäre: Ich lebe noch, und kann (zu meinem eigenen Schrecken) etwas mit dem erlauschten Ausdruck „Horkrux" anfangen (man wächst ja nicht umsonst in einem der schwarzmagischsten Haushalte in ganz Britannien auf. Ohne die Bücher meines Vaters hätte ich wahrscheinlich nicht einmal aufgehorcht).

Dieses Wissen auf sich beruhen zu lassen und nichts zu unternehmen wäre ein Verrat an der ganzen magischen Gesellschaft.

Mehr als einmal habe ich im Laufe des Tages gewünscht, niemals so viel über die Maßnahmen zu erfahren, die der Dunkle Lord ergriffen hat, um der Unsterblichkeit einen Schritt näher zu kommen. Die Vorstellung, dass jemand seine Seele zerstümmelt, nur um dem Tod davonzulaufen – und das gleich sechsmal! – ist entsetzlich.

Am liebsten würde ich mir einen kräftigen Vergessenszauber aufhalsen, die reine Vernunft hält mich davon ab. Die Chance ist einfach zu einzigartig, um sie vorüberziehen zu lassen.

Der Dunkle Lord hat all seine Todesser davon in Kenntnis gesetzt, dass er einen langen Weg gegangen ist, um dem Tod zu entkommen, die genauen Schritte jedoch hat er nie beleuchtet. Ich bin mir sicher, dass nicht viele von uns etwas über seine gespaltene Seele herausgefunden haben – und noch sicherer, dass diese Wenigen, die Details kannten, nicht mehr unter uns weilen.

Umso schwerer wird es werden, die Horkruxe zu finden und zu zerstören. Das ist ein Himmelfahrtskommando…

Angie schreckt mich so abrupt aus meinen Gedanken, dass ich zusammenzucke. „Wie hat er die Horkruxe nochmal genannt? Die Goldene Schlange und…?"

Die Goldene Schlange und die Adlerkette", antworte ich leicht verwirrt.

Das Thema hatten wir vorhin schon einmal. Die Goldene Schlange ist den meisten Leuten eher als Medaillon von Salazar Slytherin geläufig, und jeder Hogwartsschüler, der sich für die Gründer der Schule interessiert, kennt dieses Schmuckstück aus der ‚Geschichte Hogwarts', genau wie das Schwert von Godric Gryffindor.

Die Adlerkette jedoch stellt für mich noch immer ein sehr schweres Rätsel dar. Angie dagegen scheint einen Geistesblitz zu haben. Ich schaue sie erwartungsvoll an.

Adlerkette… das geht mir nicht mehr aus dem Kopf… Irgendwo habe ich das schon mal gehört!"

Sie steht auf und beginnt, auf und ab zu schreiten, die Stirn in tiefe Falten gelegt. „Wenn da eine Verbindung wäre… Slytherins Medaillon… Adlerkette…"

Raven beobachtet ihre Mama interessiert, während diese etwas Unverständliches vor sich hin murmelt.

Auch ich zerbreche mir den Kopf – vergeblich. Ob in meiner Kindheit mit Bellatrix oder in meiner Schulzeit mit Rabastan – ich habe alle möglichen Bücher durchstöbert, die irgendetwas mit unserem Haus oder den Dunklen Künsten zu tun haben könnten (und was sonst sollte der Dunkle Lord als Wächter seiner Seele benutzen?), doch ich bin mir sicher, dem Ausdruck Adlerkette noch nie begegnet zu sein.

Plötzlich stöhnt Angie auf und beißt sich auf die Lippen. Sie unterbricht ihr Hin- und Hergetigere mit einem Gang zum Bücherregal und zieht ein altes Fotoalbum hervor, bevor sie eilig auf mich zukommt und sich neben mir niederlässt. Was hat sie denn jetzt vor?

Warum ist mir das nicht früher eingefallen?" Ihre Stimme klingt überraschend euphorisch.

Ich habe keine Ahnung, wonach genau sie sucht, aber beim Überfliegen der Bilder stelle ich fest, dass es sich um ein Familienfotoalbum handelt. Jede Menge strubbelhaarige Männer, Frauen mit haselnussfarbenen Augen und Kindern, die eindeutig dem Idealbild der Potters entsprechen.

Schließlich scheint Angie gefunden zu haben, wonach sie gesucht hat: Ein Familienfoto, ich bin mir ziemlich sicher, dass es irgendwann zwischen unserem ersten und zweiten Schuljahr entstanden sein muss. Die Personen, die es zeigt, kenne ich fast alle nur vom Sehen. Die Eltern, sowohl die von James als auch die von Angie, halten sich dezent im Hintergrund. Die Kinder dagegen strahlen begeistert dem Betrachter entgegen: Da ist der dreizehnjährige James, er überragt die neben ihm stehende Angie um gut anderthalb Köpfe. Angies rechter Arm ist um einen Jungen geschlungen, den ich als ihren älteren Bruder Nick erkenne, und der inzwischen glatt James' Zwilling sein könnte, wären seine Harre nicht hellbraun. Neben ihm, mit ihrer blonden, zerzausten Mähne völlig aus der Reihe der dunkelhaarigen Potters herausstechend, steht Angies älteste Schwester, Emilina Potter.

Über ihr Abbild streicht nun sanft Angies Zeigefinger..

Ich glaube, du kanntest sie nicht, oder?", fragt sie.

Ich schüttle den Kopf. Und ich würde sie auch nie kennen lernen, denn Emilina hatte bereits vor zwei Jahren bei einem Zusammentreffen mit Todessern das Zeitliche gesegnet.

Das scheint Angie jedoch diesmal nicht abzulenken. „Schau sie dir mal ganz genau an", fordert sie mich auf.

Mal sehen… Emilina steht so nah bei ihrem Bruder, dass sie mehr wie ein Paar scheinen als wie Geschwister. Abgesehen davon fällt mir nichts Besonderes auf. Sie trägt eine schwarze Robe, wie alle anderen auch, und ihr Lächeln wirkt ein wenig verschwommen…

Ich zucke mit den Schultern und schaue Angie fragend an.

Sie tippt auf das Bild. Gerade streicht sich ihre Schwester eine Haarsträhne aus der Stirn. An ihrem Handgelenk baumelt ein Armkettchen.

Armkettchen!

Moment mal, du meinst…?" Ich blicke Angie ungläubig an.

Sie nickt ernst. „Das ist ein Familienerbstück, wurde immer an die Erstgeborenen weitergegeben. Dass mir das nicht früher eingefallen ist", wiederholt sie und schüttelt leicht den Kopf.

Ich kneife die Augen zusammen, doch ich kann nicht erkennen, wie das Kettchen genau aussieht. Angie scheint meine Gedanken jedoch zu erraten.

Es ist eine ganz normale Armkette mit einem Alder aus Bronze und Saphiraugen. ‚Pass auf die Adlerkette auf…' Wie oft musste sich Emilina das anhören? Unsere Mutter hat uns immer erzählt, das Ding wäre ein Schmuckstück von Rowena Ravenclaw, und bis vorhin hab ich das für kompletten Schwachsinn gehalten, aber…"

Das würde einen Sinn ergeben." Ich fahre mit dem Zeigefinger über das Foto. „Besitztümer der Gründer… ja, das passt zum Dunklen Lord", füge ich mit einer Art grimmigen Triumph hinzu. „Wahrscheinlich gerade gut genug für seine kaputte Seele… Die Frage ist nur, wo sie jetzt sind. Im Bezug auf das Medaillon hat Er etwas von einer Höhle erwähnt, die Adlerkette hat er Elisabeth gegeben und die könnte sie überall hingebracht haben… Angie?"

Während ich mich in meine Überlegungen hineingesteigert habe, ist Angie neben mir erstarrt. Sie blickt mich bewegungslos und mit entsetzten Augen an.

Schatz, alles in Ordnung? Was ist los?" Ich berühre sie sacht am Arm.

Er hat die Adlerkette Elisabeth gegeben?", flüstert sie mit ungewohnt brüchiger Stimme. Bevor ich etwas erwidern kann, reißt sie sich aus ihrer Starre, springt auf und beginnt wieder, hin und her zu laufen. „Erinnerst du dich an den Schutz, von dem Minerva erzählt hat?", fragt sie schließlich mit einem leicht panischen Unterton in der Stimme.

Den nicht-existenten, über den du nichts näheres verraten wolltest?" Ich stehe ebenfalls auf, gehe zu ihr, greife nach ihren Handgelenken und ziehe sie zu mir, um sie zu beruhigen. Sie nickt an meine Schulter.

Der Schutz ist gebrochen worden, als Emilina vor zwei Jahren getötet wurde. Die zuständigen Auroren haben festgestellt, dass sie sich mit einer Todesserin angelegt haben muss – das Dunkle Mal schwebte über ihr und Männer hinterlassen keine solchen Kratzspuren. Meine Mutter hat festgestellt, dass die Adlerkette verschwunden war." Sie sucht meinen Blick und wir stimmen schweigend überein, dass die Möglichkeit, dass es sich bei der Täterin um Elisabeth handeln könnte, erschreckend hoch ist.

Angies Blick verhärtet sich und mir wird noch etwas klar: Sollte Elisabeth tatsächlich im Besitz der Adlerkette – des Horkruxes! – sein, sollte sie tatsächlich Emilina Potter auf dem Gewissen haben, dann wird Angie nicht zögern, Rache an ihr zu üben. Und diese Vorstellung, zusammen mit den heftigen Emotionen, die aus Angies glänzenden Augen strahlen, macht mir fast so viel Angst wie das Wissen um die Horkruxe des Dunklen Lords.

Wenn sie wirklich etwas mit der ganzen Sache zu tun hat, dann sorge ich dafür, dass weder sie noch die Alderkette unser nächstes Zusammentreffen überleben", wispert Angie. Ich öffne den Mund um etwas zu entgegen, um sie davon abzubringen, doch sie lässt mich nicht zu Wort kommen. „Ich weiß, was du denkst, Regulus." Sie ihre Stimme ist bemüht fest und unleugbar entschlossen. „Aber wenn ich die Möglichkeit habe, etwas zu ändern-"

Das ist Selbstmord!" Meine Stimme ist um einiges lauter als geplant, doch mir gelingt es nicht, sie wieder unter Kontrolle zu bekommen. „Unsere Tochter ist noch kein halbes Jahr alt, sie ist zu jung, um ihre Mutter zu verlieren!"

Ach, und ohne Vater aufzuwachsen ist deiner Meinung nach besser?", schießt Angie zurück. „Du könntest bei dem Versuch, einen Horkrux zu finden und zu zerstören genauso umkommen wie ich."

Raven, durch die ansteigende Lautstärke erschrocken, fängt an zu wimmern. Angie und ich fahren herum, bewegen und gleichzeitig auf die Wippe zu, sie lässt mir den Vortritt und ich nehme die Kleine vorsichtig auf den Arm, woraufhin sowohl sie, als auch ich uns ein wenig beruhigen.

Ich drücke ihr einen sanften Kuss auf den dunklen Haarschopf und suche Angies Blick. „Das ist doch verrückt", beginne ich wieder, diesmal etwas leiser.

Ja." Sie lächelt leicht, vielleicht aufgrund des Bildes, das unsere Tochter und ich abliefern. „Es ist so verrückt wie die Tatsache, dass wir uns inmitten von all dem Chaos da draußen immer wieder hier treffen und ein kleines bisschen Frieden erleben können. So verrückt wie die Idee, seine Seele in verschiedene Teile zu spalten. Und so verrückt es auch sein mag – wenn wir als Ergebnis davon etwas zum Sturz von Voldemort beitragen, dann ist es das wert."

Sie legt ihre Arme um Raven und mich und drückt uns beiden einen Kuss auf die Wange.

Ich schaue sie an, weiß, dass ich sie nicht aufhalten kann. Wenn sie auf Elisabeth trifft, dann wird sie handeln. Und mich beschleicht das furchtbare Gefühl, hilflos zusehen zu müssen, wie sie mit ihrem Entschluss ihr Todesurteil unterschreibt.

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A/N: Wer Abendröte gelesen hat, wird bemerken, dass sich die Handlung ein kleines bisschen verdichtet und ziemlich genau wissen, was es mit dem Tod von Angies Schwester auf sich hat ;)

Nächstes mal begleiten wir Regulus auf seinem Weg zur Zerstörung des Slytherin-Horkrux.