Kapitel 14

„Fähnrich Redmond, wie lange noch bis zum Saturnsektor?"

Riker saß im Kommandosessel und war froh darüber, endlich wieder eine Mission in Aussicht zu haben. Fähnrich Redmond war eine zierliche blonde Frau um die dreißig. Ihre Stimme klang schmeichelnd als sie sagte: "Noch 35 Minuten bis zum Eintritt in den Saturnsektor."

„Danke, Fähnrich", Riker klang zufrieden.

Etwas zu zufrieden wie Deanna feststellte. Das lag wohl weniger an dem Zeitplan, den sie einhalten würden, als an der offensichtlichen Zuneigung von Fähnrich Redmond ihm gegenüber.

Sie rief sich selbst zur Ordnung. Die Brücke war kein geeigneter Ort, um sich darüber Gedanken zu machen.

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Der Saturnsektor vermittelte vielen an Bord das Gefühl, die Heimat zu besuchen. Alle Kadetten der Starfleet-Akademie absolvierten in diesem Teil des Weltraumes, ihre ersten interstellaren Flugübungen.

Die Enterprise würde sich leider nur kurz dort aufhalten, um die entsprechenden Medikamente und Vorräte an Bord zu nehmen. Einige Familien würden das Schiff dort verlassen. Danach würde die Enterprise dann auf die eigentliche Mission gehen, die als durchaus gefährlich eingestuft werden musste.

Deanna fragte sich gerade insgeheim, ob es wohl ein Fehler gewesen war, sich nicht auf der Erde niedergelassen zu haben. Sie hätte dies durchaus auch ohne Worf tun können. Ein ruhiges, ausgeglichenes Leben hätte sie dort erwartet.

'Nein, ein langweiliges', schoss es ihr durch den Kopf. Sie spürte eine leichte Aufregung, die nicht nur in ihr war, sondern auch vom gesamten Brückenpersonal ausging.

Ein Blick zur Seite zeigte ihr, dass auch Will Riker in gespannter Erwartung ihren Aufgaben entgegen sah. Eine gute halbe Stunde würde sie noch direkt neben ihm verbringen, sie musste zugeben, dass diese Tatsache eine beruhigende Wirkung auf sie hatte.

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Nachdem Picard und Wesley Crusher um Einlass in das Quartier des Reisenden gebeten hatten, standen sie nun mitten in dessen Raum. Der Captain beobachtete erstaunt, wie sich die beiden Reisenden begrüßten. Sie schienen sich eine Zeit lang nur anzustarren, aber es war offensichtlich mehr als das. Sie schienen auf eine telepathische Art miteinander zu kommunizieren.

Von einer Sekunde zur anderen schien Wesleys Gesicht plötzlich aschgrau zu werden. Tiefe Furchen zeigten sich jetzt darin und sein Blick war schmerzverzerrt. Er taumelte, und noch bevor Picard reagieren konnte, war der Reisende zu Wesley getreten und stützte ihn. Doch kaum eine Sekunde später hatte der junge Mann sich wieder unter Kontrolle.

„Ich werde für eine Aussage zu Ihren Gunsten ins System zurückkehren," sagte Wesley.

„Nein," erwiderte der Reisende. „Dies wird nicht nötig sein."

„Aber ich trage die Verantwortung, das muss man im System doch einsehen. Ich werde auf jeden Fall zurückgehen. Sie konnten mich nicht daran hindern hierher zu reisen, und Sie können mich auch nicht daran hindern zurückzukehren und Sie zu retten."

Der Reisende lächelte nun ein ausgesprochen trauriges Lächeln. „Noch so eine Reise würdest Du nicht überleben. Deine Gehirnstrukturen wären überlastet, noch bevor Du dort ankommst."

„Dann helfen Sie mir! Mit Ihrer Hilfe schaffe ich es ohne weitere Schäden zu erleiden."

„Es hat keinen Sinn. Ich möchte, dass du in dich siehst. Denk an das System. Vergegenwärtige dir unsere Regeln."

Der Reisende hatte eindringlich gesprochen und der junge Crusher schien seiner Bitte Folge zu leisten.

Ungefähr eine halbe Minute standen die Männer schweigend da. Plötzlich hob Wesley den Kopf und sprach mit einem Ernst, den Picard noch nie bei ihm zu Ohren gekommen war.

„Ich verstehe jetzt. Es gibt keine andere Möglichkeit. Sie erwartet der Tod. Niemand kann dies ändern."

Der Reisende nickte zufrieden. Er wirkte wie ein Vater, der seinem Kind endlich eine schwierige Hausaufgabe begreiflich machen konnte. Auch Wesley nickte nun und wandte sich zum Captain. „Wir sollten nun gehen."

Picard musste zugeben, dass er verwirrt war. Er hatte alles mögliche erwartet, aber diese plötzliche Wendung überraschte ihn. Nachdem sie das Quartier des Reisenden verlassen hatten, gingen sie schweigend in Richtung Turbolift.

Picard war es, der das Schweigen schließlich durchbrach. „Werden Sie nun nach Zehn Vorne gehen?"

Wesley sah ihn von der Seite an. Er atmete tief durch ehe er antwortete. „Sie meinen, ob ich mich jetzt amüsieren gehe, nachdem ich gebilligt habe, dass jemand durch meine Schuld zu Tode kommen wird?"

Picard versuchte sich seine grenzenlose Enttäuschung, über Wesleys Fehleinschätzung seine Gedanken betreffend, nicht anmerken zu lassen.

„Nein, das habe ich nicht gemeint. Ich selbst habe mich mit der Situation des Reisenden befasst.

Wir müssen es als das verstehen, was es ist – als eine fremde Kultur mit ihren eigenen Regeln und Gesetzen. Wir haben nicht das Recht diese in Frage zu stellen. Sie müssen jedoch aufhören sich selbst die Schuld zu geben. Der strenge Kodex, der im System festgelegt wurde, hat sicher seinen Sinn. Sie sind nun kein Reisender mehr und ich finde es sehr erfreulich, dass Sie sich hier wieder integrieren möchten."

Wesley sah den Captain zweifelnd an. Dann lachte er ein freudloses Lachen. „Ich werde immer ein Reisender sein. Das ist nichts, was man einfach so wieder ablegen könnte. Sir, mit Verlaub gesagt, Sie haben keine Vorstellung davon, was ich alles gesehen und was ich erlebt habe. Ich habe Kulturen kennengelernt, die etliche Galaxien entfernt sind. Ich habe Milliarden von Leben gelebt. Ich habe Zeit und Raum durchquert, nur mit der Kraft meiner Gedanken und nun...nun fällt es mir sogar schwer, mich ein paar Meter bis nach „Zehn Vorne" zu begeben."

Als sollten seine letzten Worte noch bekräftigt werden, wurde sein Körper plötzlich von schweren Krämpfen geschüttelt.

Picards Hand flog zum Kommunikator, um das Ärzteteam zu rufen, aber Wesley schüttelte energisch den Kopf.

Als er sich ein wenig erholt hatte, sagte er: "Ich möchte nicht, dass meine Mutter mich so sieht. Als ich sagte, ich möchte hier ein normales Leben führen, meinte ich damit, dass ich den Rest des Lebens das mir noch bleibt, so verbringen möchte, als sei ich nie fort gewesen. Bitte...würden Sie mir dabei helfen – es ist sozusagen mein letzter Wunsch."

Picard betrachtete den jungen Mann.

Es gab nichts was er hätte sagen können, um Wesley zu trösten. Der junge Mann wusste um seinen Zustand und es gab keinen Grund, ihm seinen Wunsch nicht zu erfüllen.

Picard legte Wesley eine Hand auf die Schulte, als er sagte: " Ich werde Ihnen helfen, so gut ich kann."

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Als Wesley „Zehn Vorne" betrat, konnte er spüren, wie alle Anwesenden ihn beobachteten. Erst jetzt bemerkte er wie ungewöhnlich sein Status an Bord der Enterprise war. Er war wohl in der Geschichte der Sternenflotte der einzige Fähnrich, der sich als Freund an den Tisch der Führungsoffiziere setzte.

Wieder kam ihm in den Sinn, dass er eigentlich noch nicht einmal Fähnrich war. Er hatte seinen Dienst aufgegeben und die Akademie nicht beendet. Die Vision, die er damals bei den Indianern unter Anleitung des Reisenden gehabt hatte, war derartig überwältigend gewesen, dass er sein Leben radikal geändert hatte.

Seine Freunde jedoch, seine Mutter und selbst Captain Picard, hatten sich kaum verändert. Er durfte mit ihnen nicht über die Dinge sprechen, die er gesehen hatte. Er wusste auch, dass es ihren geistigen Horizont übersteigen würde. Die Menschen dachten im Allgemeinen, dass sie durch ihre Warptechnik in der Lage seien, jeden Ort im Universum zu erreichen, auch wenn es Jahre dauern würde um in die entferntesten Winkel zu gelangen.

Das Geheimnis war, dass es keine entferntesten Winkel gab. Die Realität war, dass es überhaupt kein Ende gab. Er war an Orten gewesen, die man mit Warp 9,9 nicht in hundert Jahren erreichen würde. Wie hätten sie dies je begreifen können? Er war auf Wesen getroffen, die so unbeschreiblich waren, dass es einfach keine Worte gab die auch nur annähernd ihrer Erscheinungsform gerecht werden konnten. Selbst Gefühle hatte er erlebt, die noch kein Mensch vor ihm erlebt hatte.

Die Reisenden konnten all dies erfahren, aber erklären konnten auch sie es nicht. Sie hatten es sich zur Aufgabe gemacht den Schöpfer zu suchen, aber diesem Ziel waren sie noch nicht einmal nahe gekommen und so brauchten sie immer mehr Reisende um ihren Plan zu verfolgen.

Je mehr sie suchten, desto größer schien das Universum zu werden - und je größer das Universum wurde, desto mehr Reisende benötigten sie.

Die Möglichkeit ein Reisender zu werden war so verlockend gewesen, aber inzwischen gab es Hunderte von ihnen und er war nicht der erste, bei dem sich herausstellte, dass er dieser Aufgabe doch nicht gewachsen war.

Was mit den anderen geschehen war, hatte er nie erfahren. Er hatte jedoch mehreren Bestrafungen von gescheiterten Mentoren beigewohnt.

Da diese ihrer Existenz selbst ein Ende gesetzt hatten, war es ihm nie in den Sinn gekommen zu überdenken, ob es gerecht war, sie mit dem Tode zu bestrafen. Es hatte immer so ausgesehen, als sei es letztendlich ihr eigener Entschluss gewesen, zu sterben.

Wesley wusste, dass es auch bei seinem Mentor so aussehen würde, als würde er freiwillig aus dem Leben scheiden. Allerdings würde er dessen Exekution nicht mehr miterleben, sie würde erst stattfinden, wenn Wesley selbst einen langsamen, schmerzvollen Tod gestorben war.

Plötzlich musste Wesley daran denken, dass sie wohl erst mit ihrem Tode die große Mission der Reisenden erfüllen würden. Dies war natürlich äußerst paradox, denn es würde bedeuten, dass nur diejenigen, die an ihrer Aufgabe scheiterten, sie letztendlich erfüllen würden. Die anderen jedoch, die das Reisen beherrschten, würden ewig leben und ewig reisen, aber nie an ihr Ziel gelangen.

Allerdings musste sich Wesley eingestehen, dass er lediglich hoffen konnte, nach dem Tode den Schöpfer vorzufinden - aber er glaubte fest daran, denn an fast allen anderen Orten hatten sie schon vergebens gesucht.

All diese Gedanken verflüchtigten sich, als seine Freunde ihn begrüßten. Er war zu hause – nur das zählte jetzt.

Data, Worf und Geordi saßen an einem Tisch im hinteren Teil von „Zehn Vorne".

Geordi bot Wesley den Platz neben sich an. Picard hatte sich verabschiedet um, wie er sagte, etwas Ruhe in seinem Quartier zu finden.

„Wesley, erzählen Sie uns von Ihren Abenteuern", bat der Chefingenieur.

Der junge Mann wiegelte ab, indem er sagte: "Geordi, ich darf über meine Erfahrungen leider nicht berichten. Ich hoffe Sie verstehen das."

Er blickte in die Runde. Geordi sah natürlich enttäuscht aus. Data wirkte neutral wie immer und Worf blickte grimmig, was kein Grund zur Sorge war, wie der junge Crusher wusste. „Eigentlich würde ich gerne etwas über Sie alle erfahren. Womit haben Sie Ihre Zeit verbracht?

Geordi, haben Sie es geschafft, den Antrieb so zu kallibrieren, dass die Transwarpspulen ohne das Risiko der erhöhten Abnutzung bis an die höchste Leistungsgrenze belastet werden können? Data, spielen Sie noch Theaterstücke auf dem Holodeck, und haben Sie neue Erfolge erzielt, in Ihrem Bestreben menschlicher zu werden? Und Sie, Mr. Worf, haben Sie noch Kontakt zu Alexander, wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?"

Noch bevor einer der drei Freunde antworten konnte, sprach Guinan den Jungen an.

„Hallo Mr. Crusher. Ich freue mich, dass Sie wieder an Bord der Enterprise sind. Auch wenn man viele Orte kennengelernt hat, so muss man zugeben, dass an Bord dieses Schiffes besondere Menschen versammelt sind, zu denen man gerne gehört, nicht wahr?"

Guinans Blick traf ihn wie ein Schlag. Sie sah ihn nicht nur an – sie sah direkt in ihn hinein. Mit einem mal wurde Wesley klar, warum Guinan den Captain schon so lange kannte. Warum sie scheinbar zu verschiedenen Zeiten lebte.

Er wusste nun, warum sie gleichzeitig an Bord der Enterprise und im Nexus gefangen sein konnte.

Sie war eine Reisende.

Noch während er dies erkannte, wusste er, das er sie niemals verraten durfte. Sie war dem System entkommen, indem sie sich ihm scheinbar gebeugt hatte. In Wahrheit - das erkannte er plötzlich - steckte sie mitten in einer Reise. Sie gehörte nicht wirklich in diese Zeit. Sie lebte gleichzeitig in der Vergangenheit und in der Zukunft, aber diesen Ort hatte sie gewählt, um in der Gegenwart zu leben. Sie hatte es irgendwie geschafft. Sie konnte reisen, ohne Schaden zu nehmen und sie konnte entscheiden, wo sie sich für längere Zeit aufhielt.

Er beneidete sie darum.

Guinan spürte, dass Wesley um ihre besondere Fähigkeit wusste. Und sie merkte, dass sie ihm gleichzeitig Unbehagen bereitete.

„Einen Maracujasaft?" fragte sie.

Wesley nickte nur benommen, worauf sie verschwand, um das Getränk zu holen.

Die anderen hatten scheinbar nichts bemerkt und begannen nun der Reihe nach, Wesleys Fragen zu beantworten. Der junge Mann versuchte seine Gedanken über Guinan zu verdrängen, denn eines war ihm durch die kurze Verbindung klar geworden - sie wusste keine Hilfe für ihn.

tbc