17. Juli, Glen Urquhart
Liebe Miss Granger,
obwohl mir Ihre vertraute Anrede unangebracht erscheint, wenn ich bedenke, wie wir bis zu diesem Briefwechsel zueinander gestanden haben, ist mir ihre Bedeutung sehrwohl bewusst und ich denke, daß ich sie als das akzeptieren kann, was sie ist. Da mir, trotz Ihrer Befürchtungen, verstädlich ist, daß es sich um das Gegenteil von Respektlosigkeit handelt, möchte ich Ihnen, sofern Sie damit einverstanden sind, den gleichen Respekt entgegenbringen, indem ich eine entsprechende Anrede wähle.
Bei Merlin... kann man etwas noch gestelzter ausdrücken? Vermutlich nicht. Aber diese Anrede ist für mich in der Tat eine absolute Premiere. Beginnen jetzt Sie mich zu unterrichten, Miss Granger?
Montgomerys Lächeln sah so ehrlich aus? Ich verstehe, was Sie meinen. Man glaubt lange, daß etwas so Schönes wie ein Lächeln nicht gespielt sein kann, nicht wahr? Dabei werden die größten Lügen dieser Welt mit einem Lächeln erzählt. Ich wünsche Ihnen von Herzen, daß es für Sie keine weiteren Bekanntschaften mit diesem Lächeln gibt. Denn wenn man diesem unerkennbaren falschen Lächeln zu oft begegnet, verliert man sein eigenes.
Übrigens ist eine Ihrer hervorstechendsten Eigenschaften, zumindest was meine persönlichen Beobachtungen betrifft, die natürlich nur aus der Distanz gesehen sind, Ihre völlige Unfähigkeit, falsch zu lächeln. Ich behaupte deshalb, dies zu wissen, weil ich oft genug in Hogwarts gesehen habe, wie Sie es versucht haben. Es ist mir schleierhaft, wie Potter und Co. sich so oft mit dieser aufgesetzten Freundlichkeit abspeisen lassen konnten – offenbar wirklich ohne etwas zu bemerken. Ich denke, daß man die Gelegenheiten nicht zählen kann, zu denen Ihre Freunde Sie nach dem gemeinsamen Lernen in der großen Halle noch in eitle Gespräche verwickeln wollten, während Ihnen der Sinn so offensichtlich nach anderen Dingen stand – ich vermute einmal, daß es oft die Bibliothek war?
Sie bedanken sich bei mir für das, was ich getan habe? Wenig genug ist es, gemessen daran, was Sie mit diesen Briefen für mich tun, Miss Granger.
Ich versuche Zeile für Zeile, nicht ununterbrochen daran zu denken, daß dieser Briefwechsel das unwahrscheinlichste aller Ereignisse ist. Auf der einen Seite dieser Briefe stehen Sie, mit Ihrer wunderbaren Ehrlichkeit, mit Ihrer Fähigkeit zu weinen, wenn Ihnen danach ist, mit ihrem großen und jetzt so verletzten Herzen, daß Ihnen direkt in die Feder zu fließen scheint, wenn Sie schreiben, so durch und durch die warme Frau, die man bereits in der Schulzeit in Ihren braunen Augen erkennen konnte – und auf der anderen Seite stehe ich und scheine irgendwie Ihr Negativ zu sein.
Ich schreibe diese viel zu privaten Dinge, weil ich so überaus verwirrt bin von unserem Briefwechsel. Vielleicht sollte ich auch dazu übergehen, ein wenig mehr zu erzählen. Aber es liegt mir nicht so sehr im Blut wie Ihnen. Ich lebe wohl nur deshalb noch, weil ich so misstrauisch und privat bin und irgendwann sind bei diesem Misstrauen die Grenzen zwischen Privat und Arbeit verschwunden. Doch Ihre Briefe scheinen nicht in die Realität zu gehören, scheinen kein Teil davon zu sein. Sie haben so viel von sich selbst preisgegeben – mir! Von allen Menschen die denkbar gewesen wären, ausgerechnet mir! Ich weiß von Ihren Sorgen und Sie überlegen jetzt erst, wie Sie Ihren Freunden davon erzählen sollen? Ich suche in jedem Brief nach irgendwelchen versteckten Hinweisen, daß Sie mir irgendeinen Unfug erzählen, um sich wichtig zu machen, um zu sehen, wie ich darauf reagieren, um darüber zu lachen, DASS ich darauf reagiere – aber es gibt weder einen Hinweis darauf, noch gibt es einen Grund dafür. Und Zeile für Zeile sackt die Erkenntnis tiefer in mich hinein, daß ich einen sehr persönlichen Briefkontakt zu Miss Hermine Granger habe – den ich genieße, obwohl er mich auch traurig und wütend macht.
Verzeihen Sie mir bitte diese grenzenlose Unverschämtheit! Sie schreiben von Ihrem Schmerz, davon, wie sehr Sie betrogen wurden, von den Sorgen die Sie nun plagen – Sie schreiben, daß Ihre in drei Tagen geplante Hochzeit nicht stattfinden wird und man Ihnen monatelange Arbeit gestohlen hat – und ich schreibe, daß ich den Briefwechsel genieße...
Ich kann nur hoffen, daß Sie verstehen, wie ich es meine.
Und mit jeder Zeile die Sie mir anvertrauen, wird mein Wunsch größer, von mir selbst zu schreiben. Ebenfalls dieses Medium zu nutzen, um einmal von mir selbst zu reden, von den Dingen die mir und um mich herum geschehen. Etwas von dem Vertrauen, das sie in mich legen, zurückzugeben.
Ist es dieses Gefühl, das Freunde dazu bringt, sich einander so offen anzuvertrauen? Oder ist es einfach nur persönliche Eitelkeit und Egozentrik?
Ich denke, ich versuche es einfach einmal, indem ich Ihnen schreibe, warum Ihre Briefe zur Zeit einen so großen Raum in meinem Alltag einnehmen. Als vor vier Jahren, nach all den Voruntersuchungen endlich der Prozess eröffnet wurde, hat man mir zwei Möglichkeiten zur Wahl gestellt. Ich konnte wählen zwischen Untersuchungshaft bis Prozessende, während derer ich aber, natürlich unter Aufsicht, z.B. für das Ministerium Zaubertränke brauend hätte tätig sein können – oder der „Freiheit" mit der fluchgesicherten Auflage, keine Magie benutzen zu können und belegt mit einem weiteren Zauber, der das Ministerium stets wissen ließ, wo ich bin.
Sie wissen für was ich mich entschieden habe.
Seit dieser Zeit lebe ich in dieser Pension, da der gesamte Inhalt meiner Wohnung zu Untersuchungszwecken beschlagnahmt worden war und für die „Akten" auch im Ministerium verbleiben wird. Fragen Sie nicht nach dem Warum – darauf werden weder Sie noch ich je eine Antwort erhalten.
Die Muggel-Pension (ohne Magie habe ich es vorgezogen, in einer nicht magischen Herberge unterzukommen) ist sehr freundlich und die Landschaft ist malerisch schön. Mein sehr gemütliches Dachzimmer bietet, über ein beinahe tor-großes Rundfenster, das auf einen kleinen Balkon führt, eine traumhafte Aussicht auf die Highlands und ich sehe in der Ferne den Enrick, dessen leises Rauschen man bis hier hören kann, wenn es windstill ist.
In den ersten Wochen und Monaten habe ich die Stille, die Abgeschiedenheit und die Ruhe hier genossen, die nur von den gelegentlichen Terminen bei Gericht unterbrochen wurde. Ich konnte fühlen, wie mir die Anspannung des Krieges langsam von den Schultern abfiel und ich spürte, wie mir der Frieden um mich herum, Tag für Tag mehr das sinnbildliche Schwert aus den Händen nahm.
Doch dann begann dieser Frieden der Langeweile zu weichen. Dachte ich anfangs noch, ich könne den Rest meines Lebens damit verbringen, ein Buch nach dem anderen zu verschlingen und meine Gedankenfäden nur in der Theorie zu spinnen, stellte ich irgendwann fest, daß es nicht ausreichte. Ja, das Schwert war fort – aber es fehlte ein Ersatz! Ich hörte auf, in den Highlands umherzuwandern. Ich hörte auf, zu lesen. Ich hörte auf, meine Forschungen auf theoretischer Ebene weiterzuführen. Das ist nun etwa zwei Jahre her. Und die Verhandlungen liefen auf eine Weise, die mich lange glauben ließ, man würde mich zwar gehen lassen, mich aber aus der magischen Welt ausschließen. Erst als man das Urteil verkündete und ich tatsächlich – unfassbarerweise! – freigesprochen worden war, wurde ich wieder wach und stellte fest, daß es für mich einen Neuanfang geben könnte! Das ist, wie Sie inzwischen wissen, etwa vier Monate her.
Ich habe vor dieser Prozesszeit nur wenige ernstgemeinte soziale Kontakte gepflegt – während des Prozesses gar keine, weil ich es nicht wollte – und nun sind da Ihre Briefe.
Sie passen nicht.
Sie passen überhaupt gar nicht!
Es passt nicht, daß ich zu irgendwem privaten Kontakt habe – denn irgendwie ist dies doch eine Art privater Kontakt, oder?
Und es passt schon gar nicht, daß es ausgerechnet Sie sind, zu der ich diesen privaten Kontakt habe.
Und doch stelle ich fest, daß Ihre Briefe eine Lücke in meinem Selbst füllen, von der ich nicht gewusst habe, daß sie existiert. Es tut gut, mich zu sorgen. Es erfüllt mich mit Freude, mit Ihnen über Tintenflohsterne zu schreiben. (behalten Sie den Stillen im Auge – ich glaube mit dem hat es eine ganz besondere Bewandnis!) Es ist so angenehm, Ihnen zu schreiben, daß die Zeit, die ich über den Briefen an Sie verbringe, vergeht wie im Fluge – während sich jede andere Stunde in den letzten Monaten und Jahren, gezogen hat, wie alter Sirup.
Sie haben in einem Ihrer Briefe geschrieben, daß Sie es für ungut halten, daß Sie Ihre Sorgen mit mir teilen. Miss Granger – ich danke Ihnen dafür, daß Sie es tun. Ich danke Ihnen, daß Sie mir dieses große Vertrauen entgegenbringen. Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit und dafür, daß Sie mich an Ihrem Leben teilhaben lassen. Wenn ich Ihnen dadurch in Ihrer Situation tatsächlich obendrein beistehen und etwas Gutes bringen kann, so ist dies ein Zustand, der, wie ich oben schon schrieb, das unwahrscheinlichste aller Ereignisse ist.
Was bedeutet es neben dieser Erstaunlichkeit schon, daß das Ministerium es wieder einmal geschafft hat, mir neue Knüppel zwischen die Beine zu werfen?
Heute kann ich beinahe lachen über das, was mich gestern noch fast in die Raserei getrieben hat. Der Posten, den man mir angeboten hat, ist eine Art Hausmeisterstelle. Ich soll die Materialkontrolle über die magischen Zutaten für die Abteilung Zaubertränke/Zutatenbank übernehmen, weil der Mann der dies gemacht hat, vor drei Jahren im Alter von 172 Jahren an Altersschwäche gestorben ist. Man hat nicht unterlassen, mir in einem Nebensatz zu verraten, daß man ihn erst etwa vier Wochen später in seinem Büro gefunden hat – was wohl ein Hinweis auf die Frequentiertheit des Büros ist. Seit drei Jahren hat nun niemand mehr eine Übersicht und die Abteilung muß ein totales Desaster sein.
Wissen Sie was? Ich finde es heute, mit dem Abstand, den ich zum ersten Schock nun habe, in der Tat komisch.
Ich denke, ich werde den Posten annehmen und in Ruhe mit den Bewerbungen für das nächste Schuljahr beginnen. Die Bezahlung ist nicht fürstlich, aber zufriedenstellend – wenn man mehrere Jahre mit Kost und Logis auf Minsteriumskosten ohne privates Geld ausgekommen ist, klingt diese Variante nach purem Luxus - was will ich mehr?
Nun habe ich es also tatsächlich geschafft, einmal über endlos viele Zeilen über mich zu plaudern – nun bleibt abzuwarten, ob Sie auf diesen Brief tatsächlich noch antworten.
Aber nun wieder zu Ihnen.
Montgomery ist den amerikanischen Behörden bekannt? Tritt er eigentlich immer mit dem gleichen Aussehen in Aktion? Dann sollte es doch möglich sein, ihn zu finden? Ein Animagus ist er nicht, oder? Ich finde es allerdings auch seltsam, wie er vorgegangen ist. Er musste eigentlich davon ausgehen, daß sein Betrug schnell auffliegt, da ihm ja bekannt sein musste, daß Sie St. Mungos ebenfalls angeschrieben hatten. Haben Sie eigentlich bereits etwas von St. Mungos gehört? Nachdem dort die Verfügung eingegangen ist, kann man sich ja eigentlich denken, daß tatsächlich Sie die Betrogene waren, nicht wahr? Es bleibt nur zu hoffen – ein Teil meiner Paranoia ist mir offenbar geblieben – daß Montgomery nicht dort ebenfalls eine Dame becirct hat, damit sie ihm irgendwelche Möglichkeiten schafft, die er sonst nicht gehabt hätte?
Haben Sie Ihre Aussage schon gemacht? Und ich hoffe doch sehr, daß Potter in diesem ganz speziellen Fall für Sie da war!
Aber ich denke, alles in allem, sollte es nur eine Sache der Zeit sein, bis dieser Fall geklärt ist und IHR Trank in St. Mungos Einzug hält. Vor allem dann, wenn Montgomery seinen Betrug schon dadurch beweist, daß er dort nicht mehr in Erscheinung tritt.
Sie haben natürlich Recht, wenn Sie schreiben, daß es keinen Sinn macht, sich selbst zu beschimpfen, aber sich selbst zu beschimpfen ist allemal besser, als sich selbst zu bemitleiden. Wenn Sie es nun auch noch schaffen, die Wut irgendwann von sich selbst weg auf ihren Verflossenen zu richten, ist das Schlimmste vermutlich geschafft – emotional gesehen.
Sie sollten übrigens Ginevra Weasley einweihen, zumindest dann, wenn die jüngste Weasley sich charakterlich in den letzen Jahren nicht dramatisch verschlechtert hat. Sie kann zuhören und ist offen und ehrlich. Nicht immer sehr sanft oder diplomatisch – aber Ehrlichkeit ist in der Regel ein besserer Ratgeber, als vernebelnde „Alles wird wieder gut"-Beschwichtigungen, die einen nur ins Selbstmitleid treiben. Ginevra wird Sie, wenn ich sie richtig einschätze, nicht bemitleiden, sondern Ihnen eher die Leviten lesen, daß Sie nicht eher hinter seine Fassade geblickt haben – egal ob sie große Stücke auf ihn gehalten hat oder nicht. Sie wird sich den Fakten sicher nicht verschließen.
Falls Sie, gegen jede Vernunft, doch Mitleid brauchen – wenden Sie sich getrost an ihren Bruder Ronald...
Falls Sie jemanden losschicken wollen, der Montgomery umbringt bevor er festgenommen wird – wenden Sie sich an Potter...
Falls Sie den letzten Rat ernst genommen haben, schieben Sie das bitte auf Ihre durch Streß verwirrte Geisteshaltung...
Entschuldigen Sie übrigens, wenn ich an einer Stelle Ihres Briefes ebenfalls wieder lachen musste – lachen konnte! Ja, ich habe viele, viele Stunden in Hogwarts in meiner Wanne verbracht – aber nicht einmal (nun gut – einmal doch...) bin ich aus der Wanne gesprungen, um Notizen zu machen. Ich habe den Notizblock stets neben der Wanne liegen gehabt. Ihn und die dazugehörige Feder mit einem Zauber gegen eventuelle Wassereinwirkung geschützt.
So so... Sie hingegen bevorzugen den nassen, unbekleideten Sprung zum nächsten Schreibwerkzeug, wenn Sie in der Wanne eine Idee überkommt? Diesen Gedanken denke ich jetzt in Ruhe weiter und freue mich über das Gesicht, das Sie gerade sicherlich machen...
Mit freundlichen Grüßen
Severus Snape
PS. Anbei finden Sie Wollgras und getüpfelte Flatterbinsen. Von beidem noch nicht sehr viel, da es vor dem Morgentau geerntet werden muß und ich leider ein wenig verschlafen hatte, so daß ich nur diese kleinen Mengen schneiden konnte. Was Zaubertrankzutaten betrifft, hatte es echte Vorteile, „berufsmäßig" dazu gezwungen zu sein, ein Nachtleben zu führen – ich habe in den Jahren seit Proziessbeginn soviel geschlafen, wie in den letzten zwanzig Jahren davor nicht. Aber ich weiß jetzt, wo diese beiden Ingredienzien wachsen (ganz hier in der Nähe) und kann davon zumindest in den nächsten Tagen mehr schicken. Nach den weiteren Dingen werde ich die Augen aufhalten.
Eine Frage habe ich noch, die Ihnen vermutlich den Tag bis in Ebenen versüßt, die Sie lange nicht erklommen haben: Wofür möchten Sie die fluoreszierenden Igelkolben nutzen? Ich kenne bisher nur ihre Einsatzmöglichkeit in Tinkturen, die bei der Veredelung von Schriftrollen-Papier eingesetzt werden. Lassen Sie einen alten Mann nicht dumm sterben. Ich zerbreche mir schon seit ich Ihre Liste gesehen habe, den Kopf darüber, wofür Sie die Kolben in der Heilkunde benötigen. Was wissen Sie, was ich nicht weiß?
