20. Juli, Glen Urquhart

Liebe Hermine,

ich bin sehr froh, mit Ihnen eine Person zu kennen, die den Gebrauch der Vornamen nicht als eine Selbstverständlichkeit ansieht, dir irgendwann, auch ungefragt, einfach geschieht, sondern die sich der besonderen Bedeutung dieser Veränderung bewußt ist.

In vielen Kulturen dieser Welt gelten die Namen als ein großes Geheimnis und ihr Gebrauch ist nur dem engsten Freundeskreis vorbehalten. Wer in diesen Regionen den Namen eines Menschen kennt, hat automatisch Macht über ihn. Nicht zuletzt versuchen daher vor allem die Wesen anderer Dimensionen, ihre Namen stets verborgen zu halten, da nur der ihr Erscheinen beschwören kann, der eben diesen kennt. Eigentlich wird auch in unserem Kulturkreis schon den Kindern, durch Märchen wie "Rumpelstilzchen³ die Bedeutsamkeit des eigenen Namens bewußt gemacht - aber wo die Generationen vor diesen Kindern nicht mehr wissen, worum es in derlei Volksgeschichten eigentlich geht, kann man auch von diesen Kindern nicht erwarten, daß sie Verständnis dafür aufbringen.

Ich habe meinen Namen nie als warm oder gar weich empfunden. Er bedeutet - wie überaus treffend - "der Ernsthafte", wahlweise auch "der Strenge" oder, im günstigsten Falle, "der Gewissenhafte". Wobei ich relativ sicher bin, daß Ihnen das bekannt ist. Meine Namensgebung betrachtend ist der Ausspruch "nomen est omen" wohl nicht unbegründet.

Aber was die von Ihnen genannte Ausstrahlung betrifft, möchte ich Ihnen vehement widersprechen! So wie Sie es beschreiben, klingt es, als sei ich der düstere Unbekannte, den es in jedem Abenteuerroman gibt und der am Ende selbstverständlich die gerettete Protagonistin nach Hause führt. Ich bin weit davon entfernt, eine "faszinierende" Ausstrahlung zu besitzen. Fragen Sie Ihre ehemaligen Mitschüler! Erzählen Sie davon, wie Sie meine Ausstrahlung bezeichnet haben. Ich bin mir sicher, daß diese Ihnen kurz besorgt den Puls fühlen werden, um zu testen, ob Sie noch ganz gesund sind! Es schockiert mich nicht, daß Sie mich so beschreiben, wie Sie es tun, aber ich bin erstaunt, mit welcher Leidenschaft Sie mir Fähigkeiten unterstellen, die in diesem Ausmaß in mir sicher nicht zu finden sind.

Nun gut - natürlich kenne ich mich auf dem Gebiet der Zaubertränke aus und darf immerhin den Titel "Meister" tragen, aber Sie selbst sind auf dem besten Wege, den selben Level zu erreichen und ich bin völlig sicher, daß es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie ebenfalls diesen Titel tragen. Aus der Sicht einer Erstklässlerin muß mein Wissen wohl beeindruckend gewirkt haben - aber über dieses Stadium sind Sie ja nun doch schon ein paar Jahre hinüber.

Wenn tiefe Hingabe an das, was man macht, faszinierend ist - dann, Hermine, sind Sie eine sehr faszinierende Frau... hmmm... dies erkennend, will ich Ihnen in diesem einen Punkt, daß diese Hingabe faszinierend wirken kann, Recht geben... Aber was nun den letzten Punkt, die Selbstdisziplin betrifft... ja, ich betrachte mich als einen disziplinierten Mann, aber in einem nicht ausgeprägteren Maße, als ich es von den Menschen um mich herum erwarte. Zugegebenermaßen ist diese Erwartung an meine Mitmenschen mein Leben lang ein unerschöpflicher Quell für Frustration gewesen - speziell was Potter betrifft, der es zum Beispiel damals, obwohl er wußte, wie wichtig es war, kein einziges Mal für notwendig gehalten hat, Okklumantik zu üben, als ich versucht habe, es ihn zu lehren. Selbstverständlich hat das Schicksal ihn, in Form eines grandiosen Sieges über den dunklen Lord wieder einmal darin bestätigt, daß Selbstdisziplin maßlos überschätzt wird!

Ich muß mit diesem Thema aufhören, weil ich beabsichtigt hatte, diese Wut hinter mir zu lassen und ich nicht gedenke, mir in diesem Punkt untreu zu werden!

Ich bin erleichtert, daß zwischen uns eine Basis geschaffen wurde, die klar macht, daß keiner von uns sich (außer vielleicht neckend) über den anderen lustig macht. Wenn dies nicht der Fall wäre, hätte ich mit mehr als einer interessierten Befremdung auf Ihre Beschreibung meiner Person reagiert. So aber sollten Sie vielleicht einfach noch einmal überdenken, ob Sie mich tatsächlich so sehen, wie Sie es beschreiben. Aber, auch wenn es mich durchaus interessiert, ist es nicht so wichtig, daß ich darauf bestehen würde, daß Sie sich noch einmal zu diesem Thema äußern.

Die genauere Bedeutung des Namens Hermine ist mir nicht bekannt. Ich weiß nur, daß in der Mythologie Hermine als der Name der Tochter Helenas von Troja genannt wird. Demnach tragen Sie den Namen der Tochter einer Frau, deretwegen ein legendärer Krieg geführt wurde...

Dies habe ich immer als äußerst passend empfunden, weil Ihretwegen in meinem Inneren Krieg geherrscht hat, seit Ich sie kennenlernte.

Sie waren von Anfang an so ungeheuer von Widersprüchen durchzogen, daß ich nie wußte, was genau ich mit Ihnen anfangen soll. Es begann bereits damit, in welches Haus Sie einsortiert wurden. Was Ihre intellektuellen Fähigkeiten betrifft, hätten Sie ohne Zweifel nach Ravenclaw gehört. Natürlich ist inzwischen längst deutlich, daß der Hut mit seiner Wahl trotz allem Recht hatte - aber die Einsortierung hat mich lange Zeit verwirrt. Dann war da auf der einen Seite Ihr unbedingter Wille, nicht nur selbst die Regeln des Hauses zu beachten, sondern auch Ihre Mitschüler von Regelbrüchen abzuhalten und auf der anderen Seite haben Sie mit Ihren eigenen Regelverstößen, die ja bis ins illegale reichten, Grenzen gesprengt, die in Hogwarts die Messlatte für die Heftigkeit von Regelmißachtungen deutlich höher gelegt haben. Auf der einen Seite haben Sie sich durch Kleinigkeiten zum Weinen bringen lassen, auf der anderen Seite haben Sie mich in Brand gesetzt. Manchmal haben Sie mir das Gefühl gegeben, Sie würden in Ohnmacht fallen, wenn ich Ihre Tränke im Unterricht kritisiert habe und manchmal wiederum haben Sie sich mir auf eine so starke und selbstsichere Art mit Wut in den blitzenden Augen entgegengestellt und Ihre Arbeit verteidigt, daß ich nie wissen konnte, auf wen ich treffen würde, wenn ich mich mit Hermine Granger einließ. Speziell letzteres Szenario hat hin und wieder meine Grundfesten erschüttert, weil es - und nun benutze ich das Wort, daß ich für mich selbst gerade abgestritten habe nun für Sie - in höchstem Maße faszinierend war, von Ihnen an den Kopf geworfen zu bekommen, ich möge meine Kommentare besser für mich behalten, wenn sie so unangebracht wären, die absolute Korrektheit Ihres Trankes in Frage zu stellen.

Wie würde Ronald Weasley es ausdrücken? "Wow!" wäre wohl sein Wort der ersten Wahl. Aber während er damit Ihren Mut gemeint hätte, so wahnsinnig zu sein, sich mit mir auf einen Streit einzulassen, war es meinerseits die Tatsache, daß Sie völlig Recht hatten mit Ihrer Entrüstung und daß Ihre Sicherheit in Bezug auf ihre Braukünste damals bereits so ausgeprägt und begründet war, daß Sie gar nicht darüber nachzudenken brauchten, ob Sie es wagen sollten oder nicht - es ist einfach aus Ihnen herausgesprudelt und hat mir gezeigt, wie ganz und gar Ihnen das Brauen von Zaubertränken bereits ins Blut übergegangen war.

Von da an habe ich, wie ich in einem meiner allerersten Briefe bereits geschrieben hatte, gehofft, daß Sie beruflich diese Leidenschaft nutzen würden.

Generell ist dies wohl das Wort, mit dem ich Sie am ehesten beschreiben würde - "leidenschaftlich". Viele verwechseln Leidenschaft mit Lautstärke oder mit Aufdringlichkeit, mit Egozentrik oder Gier - aber für mich ist Leidenschaft eine ganz stille, zurückgezogene Angelegenheit - es sei denn, man befindet sich in einem Raum mit jemandem, der die gleichen Interessen teilt. Erheiternderweise wird Leidenschaft oftmals nur im Bereich der Erotik gesucht. Aber ich denke, Sie wissen, was ich meine, daß es sehr viel leidenschaftlicher zuginge, wenn wir beide uns eine Nacht lang über Zaubertränke streiten würden, als wenn Sie ein Gespräch über Sexualpraktiken mit Neville Longbottom hätten. (Ich bete nun, daß ich Recht habe!)

Wobei es natürlich so ist, daß eine leidenschaftliche Diskussion, auch über ein rein wissenschaftliches Thema, durchaus das hat, was man eine erotische Komponente nennt. Was mich nun vorsichtshalber gedanklichen Abstand von der Vorstellung nehmen läßt, mir eine solche Diskussion mit Ihnen tatsächlich zu wünschen. Nicht weil der Gedanke unangenehm wäre, sondern weil er schlicht außerordentlich unangebracht ist.

Warum fällt es mir dann ausgerechnet jetzt wieder ein, wie Sie die Ideen festzuhalten pflegen, die Sie in der Wanne haben?

Ich werde mich nun zusammenreißen und nicht weiter in Gefilde streifen, die weder mir noch Ihnen angebracht erscheinen können. Schlimm genug, daß ich derlei überhaupt geschrieben habe und noch schlimmer, daß ich diese Gedankengänge trotz meiner eigenen Einwände nun stehenlasse. Wie sagten Sie? Vielleicht habe ich Glück und die Eule kennt sich mit den Himmelsrichtungen nicht aus!

Mit unangebracht heiteren Grüßen

Severus

PS. Wie verliefen der Termin in St. Mungos und Ihr anschließendes Entspannungstreffen mit Mrs. Weasley?