21. Juli, Glen Urquhart

Liebe Hermine,

keine zwei Wochen ist es her, daß ich mich nach stundenlangem Überlegen entschieden habe, Ihnen meine Bitte um ein Empfehlungsschreiben zuzusenden.

Keine zwei Wochen und doch erscheint es, als lägen Monate zwischen diesem ersten Brief und dem, den ich gerade jetzt schreibe.

Keine zwei Wochen und doch vertraue ich Ihnen, wider meine Veranlagung, heute bereits mehr, als ich, bis auf eine Ausnahme, je vertraut habe. Albus Dumbledore mag der einzige Mensch gewesen sein, dem ich, was diesen Punkt betrifft, ähnlich zugetan war. Was immer der alte Mann von mir verlangt hat, habe ich getan, ohne zu fragen - bis zum bitteren Ende.

Ich war davon überzeugt – war sogar bis vor wenigen Tagen noch davon überzeugt - daß ich nie wieder jemandem so vertrauen könnte, wie ihm. Das Leben geht manchmal seltsame Wege und immer wenn es einen irgendwo hingeführt hat, fragt man sich selbst, warum man nicht früher erkannt hat, wohin es einen bringen würde. Rückblickend erscheint oftmals alles so klar und deutlich, während man sich vorher wie von Nebel umgeben vorkam.

Obwohl ich Ihnen nun endgültig vertraue, nachdem mein Misstrauen so eindeutig fehlgeleitet und ohne jeden Grund war, fällt mir das, was ich schreiben möchte, nicht leicht. Aber ich glaube, daß ich es schreiben muß, weil es nicht fair ist, daß Sie sich in eine Ecke gedrängt fühlen, in der Sie gar nicht stünden, wenn ich nicht ein unverbesserlicher Mann wäre, der mit zwischenmenschlichen Dingen so ungeschickt ist, wie man überhaupt nur sein kann.

Entschuldigen Sie sich nicht.

Nicht für das, was Sie mir geschrieben haben.

Sie haben nichts Falsches geschrieben und nichts, worüber ich das Recht hätte, ungehalten zu sein.

Ich möchte nicht – wirklich nicht! -, aber ich werde Ihnen ein paar Dinge von mir erzählen, die Ihnen sicherlich nicht besonders angenehm sein werden, die aber, meiner Meinung nach, im Vorlauf notwendig sind, damit Sie verstehen können, was ich Ihnen danach zu beichten gedenke.

Es gab in meinem Leben Frauen - natürlich war es so. Aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sahen meine Beziehungen anders aus, als Ihre. Sprechen war dabei nie eine Notwendigkeit. Umwerben schon gar nicht. Man hat sich kennen gelernt, wenige Blicke haben ausgereicht um sich klar zu machen, daß es mal wieder an der Zeit war, die Nähe eines anderen Menschen, relativ egal welches Menschen, zu spüren. Beide Seiten haben im stillen Einvernehmen abreagiert, was sich an naturgegebenen Empfindungen angesammelt hat. Dies war stets in meinem Sinne und im Sinne der Frauen, mit denen ich dann zusammen war. In der Regel handelte es sich um einzelne Ereignisse, in Ausnahmefällen ist man für ein paar Tage oder wenige Wochen ein Stück des Weges gemeinsam gegangen. Aber von beiden Seiten nie mit dem Ziel, daraus etwas werden zu lassen, das auf eine gemeinsame Zukunft abgezielt hätte. Ich hatte kein Interesse daran, eine Zukunft zu planen, die so überaus ungewiss war, und diese Frauen hatten kein Interesse an einem gemeinsamen Lebensweg, sondern an ein paar Nächten mit irgendwem, der ihnen die Gewissheit geben konnte, daß sie begehrenswert waren. Reine Zweckbekanntschaften. Für alle Beteiligten eine optimale Lösung. Nur von wenigen könnte ich noch den Namen nennen oder beschreiben, wie sie ausgesehen haben, und die wenigsten würde ich wiedererkennen, wenn sie jetzt vor mir stünden.

Das spricht nicht gerade für mich - aber darum geht es ja auch nicht. Vielmehr geht es darum, Ihnen deutlich zu machen, warum ich so seltsam reagiere, wenn Sie mir schreiben, daß Sie mich faszinierend finden.

Sie könnten für mich niemals eine dieser Frauen sein, auf die ich bisher in meinem Leben gestoßen bin. Allein der Gedanke ist so absurd, daß es beinahe weh tut, auch nur zu versuchen, es sich vorzustellen.

Sie sind, in meinen Augen, eine der wenigen Frauen, die nicht auf ein Fingerschnippen hin in die Arme eines Mannes sinken, sondern die auf ein solches Angebot wohl eher verwundert belustigt reagieren würden. Obwohl diese anderen Frauen mit großer Wahrscheinlichkeit eine Seele besitzen, kann man sie bei ihnen nicht finden. Bei Ihnen jedoch, leuchtet sie geradezu und nur ein Mann der nicht Herr seiner Sinne ist, würde es wagen, zu versuchen, Sie nur für eine Nacht zu besitzen.

Sie waren immer etwas ganz Besonderes und Sie werden es immer sein. Sie gehören zu den wenigen Frauen, mit denen man sein ganzes Leben verbringen möchte. Wenn man an Sie denkt, selbst wenn es Gedanken erotischer Natur sein sollten, entsteht zwangsläufig immer ein großes Bild. Es ist unmöglich, eine Momentaufnahme von Ihnen zu machen. Wenn man Sie sieht, Sie kennt, dann hat man stets das Gefühl, auch in Ihre Vergangenheit blicken zu können, denn jemand der so ist, wie Sie sind, muß Liebe erfahren haben, muß in Geborgenheit aufgewachsen und gleichzeitig von intelligenter Aufmerksamkeit umgeben gewesen sein, die es Ihnen ermöglicht hat warm und wissbegierig zugleich zu werden. Und gleichzeitig macht man sich zwangsläufig ein Bild davon, wie Ihre Zukunft aussehen wird, sieht Sie ohne jeden Zweifel an der Seite eines Mannes der Sie liebt und ich bin sicher, daß Sie in der Lage sein werden, Kinder zu haben, ohne Ihre Profession in der Zaubertrankmagie aufzugeben. Sie werden das alles irgendwie unter einen Hut bekommen. Sie werden gestreßt sein, aber Sie sind der Prototyp der Frau, der alles gelingt, ohne daß ein Teil Ihres Lebens dabei zu kurz kommt. Sie werden Ihrem Mann die geliebte Ehefrau sein, Ihren Kindern eine großartige Mutter und gleichzeitig Großes in der Wissenschaft leisten. Sie sind die Frau, mit der ein Mann sein Leben verbringen möchte.

Die meisten Menschen, die ich kenne - und ich denke, da kann ich getrost mich selbst einschließen - sind "Einzelstücke". Wir gehören mit niemandem zusammen, wir funktionieren alleine, wir betrachten mal mit mehr, mal mit weniger Verständnis, mal ohne, mal mit Sehnsucht, die anderen, die ein Teil einer Gruppe sind. Manchmal sind wir froh darüber, daß wir Einzelgänger sind, manches Mal versuchen wir, Teil einer Gruppe zu werden, obwohl wir Angst davor haben, weil wir es nicht gelernt haben. Und weil uns die Regeln der Gruppe nicht bekannt sind, ecken wir darin zwangsläufig an, bis wir wieder vor der verschlossenen Türe stehen.

Dann steht meist einer von "uns" hinter uns und sieht uns mit diesem "das wußtest du doch vorher..."-Blick an und für eine Nacht findet man sich wieder in einem Bett zusammen, um am nächsten Tag erneut getrennte Wege zu gehen.

Wenn Sie, Hermine, mir nun schreiben, daß Sie mich faszinierend finden, dann bringen Sie damit Saiten in mir zum klingen, die schweigen sollten. Ich will keinen erneuten Versuch, Teil eines Ganzen zu werden, weil ich schon vorher weiß, daß sich entweder gar nicht die Möglichkeit bietet und ich in meiner Betrachtung Ihrer Person, die Regeln dieses Spiels nicht kennend, etwas mißverstehe, oder ich zwangsläufig wieder daran scheitern muß, zu versuchen, ein anderer Mensch zu sein, als ich bin, nur um gewissen Normen zu entsprechen, die ich gar nicht verstehe.

Hermine, ich habe bereits in der Schule auf eine Art und Weise an Sie gedacht, für die mich Albus der Schule verwiesen hätte, hätte er davon gewusst..

Die unangebrachten, verwirrten Gedanken, eines älteren Mannes, dem man eine Frau vor die Nase gesetzt hat, die perfekter nicht sein kann.

Sie kamen als kleines Genie an die Schule und erregten damals bereits meine Aufmerksamkeit. Zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich ausschließlich fachlich gesehen.

Das Maß in dem ich mich um Sie kümmern wollte, war proportional zu dem Ärger den ich Ihnen bereitet habe, weil ich stets das Gefühl hatte, daß man bemerken würde, wie gerne ich mich mit Ihnen beschäftigt hätte - schlimmer noch - daß SIE es bemerken könnten! Das allein war schon schlimm genug - aber dann kam dieser ganz spezielle Tag in ihrem sechsten Jahr, an dem ich Sie, was Sie bis heute nicht wissen, beobachtet habe, als Sie in Ihrer Freizeit im Labor alleine die Versuchsreihe des Unterrichts noch einmal durchgegangen sind und als Ihre so grenzenlos scheinende Geduld und Konzentration von Stunde zu Stunde mehr in Verzweiflung umschlug, weil der Trank im letzten Drittel stets misslang. Dieses Bild werde ich nie mehr vergessen, es hat sich in meinem Kopf eingebrannt. Es war weit nach Mitternacht, als ich endlich ein Einsehen hatte und so tat, als habe ich gerade eben das Labor betreten, um Ihnen mit den harschen Worten die mir zueigen sind, die Lösung Ihres Problems zu nennen, bevor ich endlich, beinahe fluchtartig das Labor verlassen habe. Ich weiß, daß Sie den Trank danach noch einmal – und dann erfolgreich gebraut haben. Ich wusste es auch schon, bevor ich es am nächsten Morgen gesehen habe. Und das Bild, wie Sie in dem nun endlich gelingenden Trank in den frühen Morgenstunden im Labor endlich die Erlösung und die Ruhe für den dann viel zu kurzen Schlaf fanden, hat mich den Rest der Nacht verfolgt, ohne daß ich auch nur ein Auge zugetan hätte. Ich habe mich dafür verflucht! Ich habe nach magischen Wegen gesucht, Sie loszuwerden, Sie aus meinen Gedanken zu schneiden – aber wie Sie selbst schon sagten, gibt es einen solchen Zauber nicht und ich gab auf, mich dagegen zu wehren.

Sie schrieben, daß man jemanden attraktiv finden kann, ohne gleich hintergründige Gedanken zu haben. Ja, das geht - aber nicht bei Ihnen. Doch meine ich mit "hintergründig" hier nicht (nur) Gedanken erotischer Art, sondern vor allem die Wünsche und Sehnsüchte, die Sie, Hermine, zwangsläufig auslösen, wenn man Sie einmal zu genau betrachtet hat.

Sie sind intelligent, Hermine, Sie sind herzlich, Sie scheuen sich nicht, Gefühle zu zeigen, Sie lieben und werden geliebt, haben Freunde, Familie, Sie sind in allem was Sie tun so überaus intensiv und nicht zuletzt hat es wohl mehr Hintergrund als Sie selbst erkennen, daß Sie den selben Namen tragen, wie Helenas Tochter... die Tochter der schönsten Frau der Antike.

Aber, bei Merlin! Sie waren 16 Jahre alt! Von da an waren meine Bemühungen, meine Gefühle für Sie zu verbergen noch um ein vielfaches intensiver und ich habe Sie schrecklicher behandelt denn je, um aller Welt, Ihnen und vor allem mir selbst, zu beweisen, daß ich Sie nicht brauche, nicht will...

Sie wissen, was am Ende Ihres sechsten Schuljahres alles geschehen ist und so schrecklich die Ereignisse waren, gab es wenigstens die Hoffnung, daß ich meine, mich selbst schockierende Schwärmerei für die grandioseste Schülerin meiner Zeit als Professor, vergessen könnte. Eine Hoffnung, die leider vergebens war. Obwohl ich wußte, daß viele Zauberer meines Alters keinerlei Bedenken gehabt hätten, was Ihr Alter betraf, empfand ich selbst mich als widerlich, daß ich nicht aufhören konnte, an Sie zu denken, mich zu fragen, wie es Ihnen geht und doch gleichzeitig zu vermeiden, überhaupt Irgendetwas über Sie zu erfahren.

Obwohl Sie inzwischen älter sind, ist die Situation heute nicht weniger unangebracht. Sie lieben Justin Montgomery, ganz egal, ob Sie es wollen oder nicht und es wird lange dauern, bis dieses Gefühl vergeht. Und selbst wenn Sie diese Liebe abstellen könnten, wie ein man ein Feuer unter dem Kessel löscht, wäre trotz allem mit Sicherheit Ihr letzter Gedanke, sich emotional sofort wieder auf einen anderen Menschen einzulassen.

Hermine, mit Ihnen diese Briefe schreiben zu können, ist mehr, als mir je zustand und ich stelle fest, daß ich Ihnen in schriftlicher Form näher sein kann, als ich es je in der "Realität" konnte oder können werde.

Wie ich schon sagte, bin ich unbeholfen in den Regeln der "Gruppe" und ich kann nur hoffen, daß ich mit diesem Brief, mit diesem wohl längst überfälligen Geständnis, nicht so sehr auf Ihren Unwillen stoße, daß Sie Ihre so neue und so wunderbare Unbefangenheit mir gegenüber verlieren. Wenn Sie mir schreiben, daß Sie mich faszinierend finden, dann wecken Sie Emotionen in mir, die ich wieder und wieder zu vergraben suche.

Seien Sie bitte versichert, daß ich nach diesem Brief nie wieder von dem Thema sprechen werde, damit ich Sie damit nicht belästige. Obendrein können Sie sicher sein, daß Sie nun ganz sicher nie wieder Gefahr laufen werden, mir in persona zu begegnen, da ich es nach diesem Geständnis nie wieder wagen würde, Ihnen Auge in Auge gegenüberzutreten.

Hermine, es ist selbstverständlich, daß sie völlig außerhalb meiner Reichweite liegen - aber vielleicht gefällt es Ihnen, daß Sie, sogar für einen Mann wie mich, die Frau sind, von der man träumt, wenn man versucht, seinen Wünschen an die Zukunft ein Bild zu geben.

Ich werde den Inhalt dieses Briefes, wie schon gesagt, nie wieder erwähnen. Ich war nur der Meinung, daß Sie es nicht verdient haben, nicht zu erfahren, warum ich mich Ihnen gegenüber manchmal so seltsam verhalte.

Nun werden Sie sicher auch verstehen, warum Sie die wirklich letzte Person waren, an die ich mich in meiner Bitte um das Empfehlungsschreiben gewandt habe.

Wie bezeichnend, daß ausgerechnet Sie mir dann geholfen haben...

Zu lesen, wie dieser dumme Mann es fertiggebracht hat, daß Sie ihn lieben und daß eben dieser Mann diese Liebe dann von sich stößt und Sie auf so unfassbare Weise betrügt, bestielt, belügt und obendrein verhöhnt, hat mich vor Wut schreien lassen.

Zu lesen, daß Sie sich ein Abendkleid kaufen, wenn es eigentlich ein Brautkleid sein sollte, macht mich so wahnsinnig zornig auf das ungerechte Schicksal und vor allem auf diesen Mann!

Es ist mir unbegreiflich - absolut unbegreiflich - wie er Ihnen dies antun konnte, obwohl er Sie kannte und ich bin froh, daß Sie von Freunden umgeben sind, die Ihnen durch diese schwere Zeit hindurchhelfen. Bitte richten Sie freundliche und hochachtungsvolle Grüße von mir an Mrs. Weasley aus.

Hermine, ich wäre unendlich dankbar, wenn Sie mir, trotz dieses Briefes, weiter die schriftliche Nähe zu Ihnen gestatten würden. Sie schrieben einmal, daß ich Ihnen mit meinen Briefen beistehen könne. Ich wünsche mir sehr, dies weiter tun zu dürfen. Sie mit geschriebenen Worten in den Arm nehmen zu dürfen, wenn Sie Trost brauchen, mit Ihnen gemeinsam jubeln zu dürfen, wenn es Fortschritte in Ihrer Arbeit gibt und weiterhin mit Ihnen über Fachliches und Alltägliches zu plaudern oder zu diskutieren.

Aber ich könnte auch verstehen, wenn Sie das unter den neuen Gegebenheiten nicht wollen.

Es ist allein Ihre Entscheidung.

Severus