22. Juli, London
Liebe Hermine,
Ohne auf die Inhalte unserer letzten beiden Brief eingehen zu wollen, möchte ich noch kurz versichern, daß es sich nicht um einen Wunsch meinerseits handelt, die konkreten Themen nicht mehr anzusprechen, sondern daß ich einfach weiß, daß es mir nicht zusteht. Nicht damals, nicht heute und schon gar nicht in der Situation in der Sie sich befinden und in der Sie emotional verwundbarer sind, als dies üblicherweise der Fall wäre. Allein die Tatsache, daß Sie Situationen, die mich betreffen, in Ihrem Kopf nicht nur durchspielen, sondern sogar weiterdenken, ist in höchstem Maße beunruhigend, denn obwohl Sie selbst sagen, daß eine Beziehung zwischen uns völlig unangemessen wäre, stellen Sie sich quasi im gleichen Federstrich vor, wie es ablaufen würde, wenn wir zusammen Frühstücken und was es bedeuten würde, wenn wir gemeinsam frühstückten...
Ich will die Brisanz dieser Zeilen einmal herausnehmen, indem ich Ihnen verrate, daß es Ihnen nie und nimmer gelingen würde, mich mit Ihrem Redefluß ungehalten zu machen (jedenfalls nicht beim Frühstück). Aber daß Montgomey davon genervt war, zeigt überdeutlich, wieder einmal, was für ein überaus dummer Mann er ist, denn es gibt es für einen Mann ganz sicher weitaus bessere Möglichkeiten, die Frau, die er angeblich liebt, zum Schweigen zu bringen, wenn er partout nicht möchte, daß sie redet, als ihr zu „sagen", sie solle aufhören... – aber Bemerkungen wie diese, sind wieder einmal völlig unangebracht und am Thema vorbei!
Zurück zu den Fakten: In der Schule habe ich stets versucht, eben diesen Redefluß bei Ihnen zu unterdrücken, aber nur, weil Sie den Unterricht sonst für sich alleine beansprucht hätten.
Ich kann selbst, auch wenn die wenigsten mich so kennen, stundenlang reden, wenn ich jemandem gegenübersitze, mit dem zu reden sich lohnt. Und entgegen der allgemeinen Behauptungen, bin ich kein „Morgenmuffel", sondern, ganz im Gegenteil, schon sehr früh und äußerst wach auf den Beinen.
Ich kann mich übrigens in der Tat an den Tag erinnern, an dem unfassbarerweise Miss Granger eine Zeile in einem Rezept überlesen hat. Rückblickend war ich wirklich sehr dumm, daß ich nicht erkannt habe, daß dies unter normalen Umständen niemals geschehen wäre.
Ich war in so vielen Dingen meines Lebens so blind... aber ich versuche stets, mich nicht in der Phrase „was wäre wenn" zu verlieren, denn dann würde ich wohl über die verpassten Gelegenheiten und die falschen Entscheidungen in meinem Leben den Verstand verlieren. Es nützt nichts, dem hinterherzutrauern, was hätte sein können. Selten fiel es mir allerdings so schwer, diesem Grundsatz treu zu bleiben, wie nach dem Lesen Ihres Briefes...
Es ist ein Gefühl, als bekäme ich keine Luft mehr.
Aber das ist wohl zu einem nicht unerheblichem Maße das schreckliche Wetter. Schieben wir es einfach auf das grauenhafte Wetter, Hermine! Ich bin sicher, daß Potter und Co. die heißen Temperaturen genießen, nicht wahr? Vermutlich wandern sie von einem See zum anderen und lassen sich in der Sonne braunbraten. Das war noch nie etwas für mich! Ich wäre froh, wenn dieser unerträgliche Sommer bereits vorbei wäre. Die Hitze nimmt einem die Luft zum Atmen. Ich sehne mich nach dem Winter, nach der klaren Luft, nach der Stille des Dezembers. Wenn der Schnee die Highlands zudeckt, ist es einfacher sich vorzustellen, daß alles gut ist. Für ein paar Wochen oder Monate, liegen alle Wünsche im wahrsten Sinne des Wortes auf Eis. Mein Kopf ist dann befreiter von all den Sehnsüchten die einen in diesen glühenden, stickigen Sommernächten überfallen. Im Winter schlafe ich besser. Im Winter sind die Streifzüge durch die Natur intensiver.
Sind Sie schon einmal im Januar durch die Highlands gelaufen?
Es ist traumhaft.
Kennen Sie den alten Brauch, jemandem eine Kerze ins Fenster zu stellen?
Ich sollte vielleicht erwähnen, daß ich vor vielen, vielen Jahren, ein kleines Haus – mehr eine Blockhütte – ungefähr in der Mitte des Glen Strathfarrar, allerdings weit, weit ab von der Straße, mein eigen nennen konnte. Die Hütte war meilenweit in die Tiefen der Hügel gebaut, dort, wo hinter einer großen Pinienschonung (ich wundere mich immer wieder, daß man diese Bäume in Schottland finden kann) sich das langgezogene Tal durch zwei besonders hohen Hügel hindurchzieht und ich hatte dort absolut meine Ruhe, wenn ich mich, auf was auch immer, vorbereiten wollte. Es war eigentlich nur ein relativ großer Raum, von der Größe der Haus-Aufenthaltsräume in Hogwarts, mit einem winzigen, angeschlossenen Bad. Der Wohnbereich war für alles völlig ausreichend. Kochen, Schlafen, Essen, Brauen, Lesen vor dem Kamin sitzen und sich die vom Spaziergang verfrorenen Glieder aufwärmen... es war urgemütlich. Ich habe dort über viele Jahre hinweg allein jeden Winter verbracht. Meist noch vor Weihnachten habe ich mich vor dem Trubel dorthin geflüchtet, wurde über meinen Geburtstag dort in Ruhe gelassen und konnte am Ende der Weihnachtsferien erholt wieder in die Schule zurückkehren. Eine Insel des Friedens, inmitten der Schneelandschaft.
Ich wünschte, ich könnte das Haus noch nutzen, aber Albus Dumbledore hatte es mir damals geschenkt und als er gestorben ist, habe ich es danach verschlossen gefunden und nie einen Zauber entdeckt, der es wieder geöffnet hätte, was besonders traurig ist, weil sich noch viele private Dinge in dem Haus befinden, die ich schmerzlicher vermisse, als das, was man in meiner eigentlichen Wohnung beschlagnahmt hat. Angefangen bei einigen besonderen Büchern, über Bilder von Freunden und Menschen, die mir wichtig waren, bis hin zu Skizzen, die ich von Kräutern, Gräsern und Pilzen in ihrer natürlichen Umgebung angefertigt hatte, um sie irgendwann einmal in einem Buch über die Flora und Fauna des Strathfarrar zusammenzufassen.
Bei meinen Streifzügen durch den nächtlichen Schnee habe ich mir stets selbst, aus rein praktischen Gründen, um einen optischen Anhaltspunkt für die Rückkehr zu behalten, eine Kerze ins Fenster gestellt.
Und in jeder Nacht habe ich mir, sehr unlogisch, vorgestellt, dieses Haus, wäre ein echtes zu Hause und es würde mir jemand die Türe öffnen, wenn ich zurückkäme. Daß dieser Jemand die Kerze angezündet und ins Fenster gestellt hätte.
Obwohl mir gerade noch ganz anders zumute war, muß ich nun doch lachen. Wenn ich irgendetwas stets als Schwäche verurteilt und verachtet habe, dann war es Träumerei – doch inzwischen sehe ich mehr und mehr, daß ich ganz offensichtlich von allen Träumern der schlimmste bin. Und ich sehe Sie darüber schmunzeln, daß ich dies nicht wütend, sondern amüsiert zur Kenntnis nehme.
Ich glaube, daß Sie Unrecht haben, wenn Sie behaupten, daß es nicht viele Männer gebe, die eine Partnerschaft auf gleicher Ebene führen können. Und wenn Sie in der Forschung bleiben, werden Sie dort immer wieder auf Männer stoßen, die Ihrem Beruf Interesse entgegenbringen. Es kann doch, für jemanden wie Sie, nicht so schwer sein, einen Partner fürs Leben zu finden, oder?
Ich bin froh, daß Sie es selbst so sehen, daß ein Interesse an mir nur einem Mangel an erkennbaren anderen Möglichkeiten entspringt. Das war in der Schule nur zu verständlich, wenn ich bedenke, von wem Sie da umgeben waren. Aber jetzt, im Berufsleben, dürften sich deutlich mehr Kandidaten finden, die Ihnen intellektuell etwas entgegenzubringen haben..
Es schockiert mich ein ganz klein wenig, daß Sie damals, im Unterricht, die Zeile absichtlich überlesen haben. Es schockiert mich nicht unbedingt, daß Sie es getan haben, sondern vielmehr die Tatsache, daß ich über meine Verwirrtheit angesichts der plötzlichen, unvermeidlichen Nähe zu Ihnen, ich die Offensichtlichkeit der Situation nicht erkannt habe. Ich habe gespürt, daß die Atmosphäre zwischen uns verändert war – aber ich konnte es nicht einordnen – wohl weil ich niemals etwas in der Art vermutet hätte.
Daß Sie Angst vor mir hatten tut mir, obwohl es ganz sicher gut so war, heute sehr leid. Ich hätte gedacht, daß Sie sich von meinen Kenntnissen über Schwarze Magie nicht unbedingt verschrecken lassen. Ich war, im Gegenteil, sogar sicher, daß Sie sich, heimlich natürlich, auch darüber Kenntnisse verschaffen würden. Obwohl Sie damals in der Heulenden Hütte bewiesen haben, daß es nicht unbedingt der Schwarzen Magie bedarf, um einen Schwarzmagier außer Gefecht zu setzen.
Ich denke übrigens, daß das Ministerium mich in seinen eigenen Wänden beschäftigen möchte, gerade weil man weiß, daß ich noch immer im Besitz dieser Fähigkeiten bin und man mir, im Gegenteil zu Ihnen, durchaus zutraut, sie auch heute noch zu benutzen.
Solange Angst im Spiel ist, Hermine, wird es für mich keine echte Rehabilitation geben und ich hab auch aufgehört, darauf zu warten. Es ist in Ordnung, so, wie es jetzt ist.
Ich habe mich übrigens endgültig entschlossen, die Arbeit anzunehmen und habe deshalb heute, obwohl Samstag ist, das Ministerium aufgesucht und habe mir den Arbeitsplatz angesehen. Ich bin auch jetzt immer noch hier und schreibe diesen Brief in meinem gar nicht so ungemütlichen, neuen Büro. Es gibt ein magisches Fenster, dessen Aussicht ich selbst verändern kann, wenn ich das möchte, und ich kann mir generell vorstellen, hier zu arbeiten.
Es ist durchaus eine große, echte Herausforderung!
Das erstaunlich große – aber völlig unbenutzte! – Lager für Zaubertrankzutaten des Ministeriums ist ein Desaster! Es liegt alles einfach so, unbeschriftet, undatiert und zum Teil völlig falsch verpackt, in endlosen Regalreihen. Aber bereits der erste Blick hat gezeigt, daß unter diesen Massen von teilweise undefinierbarem „Zeug" echte Kostbarkeiten verborgen sind!
Man will die Laboratorien in der Etage über dem Lager wieder nutzen und es wurde ein Team von Zaubertrankbrauern zusammengestellt, die im kommenden Jahr diverse Versuchsreihen ausführen sollen. Zu meinen Aufgaben als Verwalter des Lagers gehört es dann, unter anderem, diese Laboratorien in arbeitsfähigem Zustand zu erhalten – oder anders gesagt: ich soll dort saubermachen und auffüllen, was aufgefüllt werden muß,
Das klingt doch nach etwas, daß ich auch ohne Einarbeitungszeit hinbekommen sollte, oder nicht?
Insofern bin ich, wenn auch sinnbildlich auf einem anderen Besen, ebenso wie Sie, emotional rauf und runter geflogen. Aber so wie es mir hilft, diesen etwas skurrilen Job als erste Stufe der Treppe nach oben zu sehen, so hilft es Ihnen sicherlich, daß ihre Liebe zu Justin offenbar schneller verschwunden ist, als zu hoffen war.
Weiß das Ministerium, daß er Ihr Denkarium gestohlen hat? Damit man es Ihnen auch zurückgibt, für den Fall, daß er gefasst wird. Mir ist ebenfalls jedes Mal ein wenig übel, wenn ich daran denke, daß er privateste Szenen darin zur Verfügung hat. Aber gemessen an seinen Intentionen ist er vielleicht gar nicht an diesen Szenen interssiert? Obwohl auch das vermutlich kein tröstlicher Gedanke ist.
Es ist sehr zweischneidig, daß auch ich ihm für die Tatsache dankbar bin, daß unser Briefkontakt sicherlich durch ihn diesen Level erreicht hat, auf dem wir uns nun schreiben.
Aber warum ist es für Sie die schlimmste Nachricht, daß ich vermeiden möchte, Sie zu sehen? Es kann doch, gerade zur Zeit, auch absolut nicht in Ihrem Sinne sein! Was, bei Merlin, sollten wir uns sagen, wenn wir uns gegenüberstünden? Sie kennen mich doch! Glauben Sie nicht auch, daß ich mich in sarkastische Plattitüden retten würde, um nur nicht zu zeigen, was ich Ihnen – mit der Sicherheit von endlosen Meilen zwischen uns – kaum schreiben konnte?
Es ist unangebracht! Da stimmten Sie mir doch zu – es ist also auch Ihre Meinung – und wo es eine Sache ist, in Briefen nicht mehr auf das Thema einzugehen, ist es eine ganz andere Sache, Ihnen gegenüberzustehen und wieder so zu tun, als wären Sie mir gleichgültig... Ich brächte es sicherlich fertig, aber wenn ich es vermeiden kann, werde ich es vermeiden. Ich habe noch nie jemandem gesagt, geschrieben oder gezeigt, was ich Ihnen gestanden habe, Hermine. Ich bewege mich damit auf völligem Neuland und komme mir vor, als sei ich als emotionaler Nichtschwimmer gerade von einer Klippe in ein Meer aus Gefühlen gesprungen. Ich bezweifel stark, daß ich nun automatisch schwimmen könnte... Doch wenn wir uns wirklich zufällig begegnen sollten, werde ich mich bemühen, Ihnen als Freund gegenüberzutreten und Sie nicht mit dummen Kommentaren in Verlegenheit zu bringen.
Und als Ihr Freund bedauere ich, daß der bissige Tintenflohstern Sie beinahe erwischt hat. Mich hat er einmal ganz gehörig in den Zeigefinger gebissen. Die kleinen Einkerbungen sind leicht entzündet, so daß man sie immer noch sieht. Es ist außerordentlich erstaunlich, daß der Stille den Biß verhindert hat! Das ist ganz und gar erstaunlich! So wie Sie es schreiben, scheint er ja tatsächlich bewusst verhindert zu haben, daß er Sie beißt! Beobachtet er Sie immer noch? Hatten Sie diesen beiden nicht Namen gegeben? Sie wollten Sie mir nicht verraten, weil Sie glaubten, daß es mich verärgern könnte, aber ich bin sehr neugierig, wie Sie sie nennen. Verraten Sie es mir vielleicht doch? Ich vermute ja, daß Sie sie „Ron" und „Harry" nennen und nun glauben, daß mich das verärgert, weil ich sie eingefangen habe – aber selbst damit wäre ich einverstanden. Ich weiß, daß Sie gut für die Knirpse sorgen und da soll es mir egal sein, wie Sie sie nennen. Aber neugierig bin ich trotzdem!
Die mit den feineren Blättern sind tatsächlich die Weibchen. In einem der Bücher die ich in der verschlossenen Hütte im Glen habe, ist eine genaue Beschreibung der Tintenflohsterne und ihrer Paarungsrituale. Leider hatte ich mich mit den Winzlingen bisher nie eingehender beschäftigt. Ich wollte es, wie schon einmal geschrieben, längst getan haben, bin aber nie dazu gekommen. Und als ich Zeit gehabt hätte, bin ich nicht mehr an die Unterlagen herangekommen und hätte bei Null anfangen müssen. Ich kann mich aber an soviel erinnern, daß das Anklammern an Holz einer Art Auffüllen von Lebenskraft gleichkommt. Das machen sie übrigens nur bei herumliegenden, also eigentlich sterbenden Holzstücken. Sie saugen dem Holz regelrecht die verbliebene Lebensenergie aus. Deshalb würden sie sich wohl nie an einen noch lebenden Baum hängen. Sorgen Sie bitte dafür, daß regelmäßig ein frisches Stück Holz gereicht wird. Wahrscheinlich werden die angeklammerten Sterne das Holzstück dann von Zeit zu Zeit wechseln. Sie müssten nach einer Weile eine leichte farbliche Veränderung erkennen können. Die Idee, daß sie während dieses Zeitraums auf eine Art zweiten Organismus umstellen ist sehr interessant.
Haben Sie schon versucht, einem von Ihnen ein Blütenblatt zum Trocknen auszuzupfen? Oder verlieren sie hin und wieder eines, das man aufsammeln könnte?
Wissen Sie eigentlich, daß Sie, so weit ich das weiß, die einzige Hexe sind, die je Tintenflohsterne gehalten hätte? Üblicherweise werden sie eingefangen, man entnimmt ihnen die Blätter und „entsorgt" den Rest. Wer hätte gedacht, daß die Kleinen so interessant sind. Mit ihren verschiedenen Verhaltensmustern, könnte man meinen, sie spielen das Leben der „Großen" nach.
Raphael Montgomery hat mir heute mitgeteilt, daß er sein Empfehlungsschreiben abgeschickt hat. Damit das Schreiben über jeden Zweifel erhaben ist, hat er es nicht erst an Sie, sondern direkt an die entsprechende Stelle geschickt. Das sollte wieder ein Stück weiterhelfen.
Eine letzte Sache noch: Nichts was Sie schreiben – außer dem Satz: „Schreiben Sie mir nicht mehr" – könnte bewirken, daß dieser Briefwechsel von meiner Seite aus beendet wird. Absolut gar nichts...
In Freundschaft
Severus
