22. Juli, Norwich

Lieber Severus,

ein heftiges Gewitter taucht meinen Wohnraum gerade in gespenstisches Licht. Der Donner grollt so heftig, dass ich mir Mühe geben muss, dass die Feder durch mein Aufschrecken keine hässlichen Flecken auf diesem Pergament hinterlässt.

Der Marktplatz, auf den ich von meinem Fenster aus blicken kann, ist von Regen gepeitscht. Die Luft in meiner Wohnung ist jedoch immer noch drückend.

Ich bin mir sicher, dass einer der Blitze sein Ziel in einer Stormleitung gefunden hat, denn in meiner unmittelbaren Umgebung scheint niemand mehr über elektrisches Licht zu verfügen.

Ich selbst bevorzuge nach wie vor Kerzenschein, doch meine Kerze flackerte durch den Sturm so stark, dass ich gezwungen, war mein Fenster zu schließen.

Vor mir auf dem Tisch liegt Ihr letzter Brief. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, dass Sie dieses Papier noch vor kurzem in den Händen hielten.

Ich lese Ihre Worte und bin in Gedanken bei Ihnen. Sie lassen mich teilhaben an dem was Sie empfanden und jetzt empfinden.

Es gibt kein Wort um dies wirklich zu beschreiben.

Dies alles könnte ein Traum sein - doch wenn es einer ist...vielleicht ein Traum, um meinem Alptraum zu entfliehen, dann möchte ich, dass er niemals wieder endet.

Und dennoch - ich sehe Ihren Brief - ich kann ihn anfassen und Ihnen ein Stück weit nahe sein...nein, dies ist kein Traum und das ist gut so, denn in Träumereien möchte ich mich nicht so schnell wieder verlieren.

Doch wie ich Ihnen ja schon schrieb, fällt es mir manchmal schwer, meine guten Vorsätze einzuhalten und die Tatsache, dass Sie ebenfalls träumen - von einem Zuhause mit jemandem, der ein Licht für Sie entzündet, damit es Ihnen den Weg heimleuchtet - hinterlässt in mir das Gefühl, das Träumen unmöglich etwas Schlechtes sein kann.

Ich stelle es mir wunderschön vor, im Winter durch die Highlands zu wandern.

Die Landschaft muss umwerfend schön sein. Wenn die grünen Hügel von ebenmäßigem Weiß bedeckt sind und mit dem Himmel verschmelzen, muss der Horizont unendlich aussehen. Und wenn ich ehrlich bin, dann stelle ich mir die Heimkehr nach einer Wanderung in dieser Schneelandschaft auch sehr gemütlich vor, indem man sich am Kamin niederlässt und die Wärme der Flammen den Körper langsam wieder zum Leben erwecken lässt.

Dieses Gefühl mag dadurch entstehen, weil ich sehr schnell friere. Ich kann dieses Frieren eine Zeit lang genießen, doch brauche ich danach eine gehörige Portion Wärme. Im Moment allerdings habe ich davon mehr als genug und der Gedanke an eine eisige Landschaft scheint mir noch weit verlockender als in den Wintermonaten.

Einige meiner schönsten Erinnerungen an Hogwarts sind übrigens die Schneeballschlachten. Ich glaube, ich verbinde damit bis heute das Gefühl von ausgelassenem Spaß und der Vorfreude auf die Weihnachtsfeierlichkeiten.

Da ich von Ihnen zu wissen glaube, dass Sie diesen Feiern wirklich nichts abgewinnen konnten, werden Sie es vermutlich nicht verstehen können, was mich daran so begeisterte. Ich denke es war das Gefühl der Verbundenheit, des Friedens und der Leichtigkeit.

Die Leichtigkeit der Kindheit ist überhaupt etwas, das ich heute vermisse. Meine Freundschaft zu Harry und Ron hat eine große Rolle gespielt, dass ich mich verstanden und akzeptiert fühlte. Als ich nach Hogwarts kam, suchte ich nicht nach Freunden; doch die Beiden brachen förmlich in mein Leben herein und ich bin bis heute dankbar dafür, so treue Freunde gefunden zu haben. Dennoch hätte mir immer klar sein müssen, dass eine Liebesbeziehung zu einem der Beiden im vorhinein zum Scheitern verurteilt war.

Dass Ron und ich dennoch wieder zu einer freundschaftlichen Ebene gefunden haben, verdanken wir zum Großteil Ginny, die unermüdlich vermittelte und uns an die Dinge erinnerte, die uns wichtig waren.

Wenn ich es einmal richtig betrachte, dann scheine ich in der Liebe nicht sonderlich viel Glück zu haben.

Ich kann nur hoffen, dass Sie recht haben, was die Toleranz der Männer angeht, mit einer Frau eine Beziehung einzugehen, die die halbe Nacht über einem Topf mit einer dampfenden Flüssigkeit verbringt. Das kann eigentlich nur jemand sein, der mein Interesse an Zaubertränken teilt.

Bislang habe ich mich in diesem Brief so sehr zurückgehalten, wie ich es selbst nicht für möglich gehalten hätte, darum hoffe ich, Sie gestatten mir eine Bitte, die Sie vermutlich reichlich privat finden werden.

Würden Sie mir etwas von Ihrer Kindheit erzählen?

Wie ich bereits in einem meiner früheren Briefe berichtete, finde ich es eigenartig und irgendwie ungerecht, dass Sie mich schon seit meiner Kindheit kennen, ich Sie hingegen nur als erwachsenen Mann.

Dies bringt mich auf einen weiteren, recht unrühmlichen Punkt, den ich bislang auffällig ignoriert habe.

Es stimmt, ich habe Sie einst in Flammen gesetzt - doch dies geschah nur aus Sorge um Harry. Wie ich bereits sagte, hatte ich damals wirklich Angst vor Ihnen und dennoch musste ich eingreifen...ich glaubte, dass Sie Harry mit einem Fluch vom Besen stürzen wollten. Noch heute treibt mir mein Irrtum die Schamesröte ins Gesicht, und ich muss zugeben, dass ich hoffte, Sie würden niemals erfahren, dass ich es war, die Ihren Umhang entzündete.

Über den Irrtum in der Heulenden Hütte und den daraus resultierenden Angriff wage ich schon gar nicht zu schreiben.

Doch wo wir schon bei unangenehmen Geständnissen sind...Sie fragten mich, welche Namen ich den Tintenflohsternen gab. Sie können mir glauben, dass ich mich mehr als einmal verflucht habe, dass ich Ihnen überhaupt davon schrieb...doch nun, da ich diesen Fehler beging, lege ich gleich den nächsten nach, indem ich Ihnen gestehe, wie ich die beiden nannte.

Ich muss Sie vorwarnen - es ist mehr als albern und ich fürchte, Sie werden nicht gerade erfreut darüber sein! Es waren nicht die Namen Ron und Harry, die ich ihnen gab.

Dem Bissigen gab ich den Namen Snape, während ich den Ruhigen - von dem ich das Gefühl habe er beobachte mich still - den Namen Severus gab.

Ich kann Ihr Grollen bis hierher hören, Professor.

Zur kurzen Erklärung sei gesagt, dass ich Ihnen damit nicht weh tun wollte. Sehen Sie es als eine meiner hysterisch angehauchten Ideen. Als Snape lernte ich Sie mehr als einmal von Ihrer durchaus als bissig zu bezeichnenden Seite kennen, wobei mir Severus heute als stiller und gefühlvoller Mensch begegnet.

Ich möchte Ihnen damit kein Dr. Jekyll und Mr. Hyde Verhalten unterstellen...es war nur eine dumme Idee aus dem Bauch heraus. Ich muss gestehen, dass ich dem Stillen Ihren Vornamen bereits gab, bevor ich Sie mit Severus ansprechen durfte. Sie sehen also, dass ich tatsächlich mit dem Klang Ihres Vornamens experimentierte.

Wenn Sie nun böse auf mich sind, oder das Verlangen haben mich auszulachen, so habe ich es wohl mehr als verdient!

Bislang hat noch keiner der Tintenflohsterne Blätter verloren. Jedoch werde ich darauf achten und sie gegebenenfalls einsammeln.

Ich darf gar nicht darüber nachdenken, dass man sie normalerweise nur 'erntet'. Je mehr ich mich mit ihnen beschäftige, desto mehr bin ich der Meinung, dass sie Empfindungen haben.

Vielleicht bin ich zur Zeit auch einfach zu sensibel.

Es gibt Momente, da kann ich mich selbst kaum ertragen.

Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen - ein Zeitumkehrer wäre jetzt nicht das Schlechteste...oder aber ersatzweise wäre ich auch damit zufrieden, wenn ich die Zeit schneller voranschreiten lassen könnte, damit ich wüsste, wie die Sache in St. Mungos ausgeht und vor allem, damit ich Justin hinter Schloss und Riegel sähe.

Allerdings hätte ich Angst, damit Ihre Briefe einbüßen zu müssen und allein daher bin ich froh, dass ich die Zeit nicht mehr manipulieren kann.

Bei meiner Aussage im Ministerium gab ich auch den Diebstahl an meinem Denkarium zu Protokoll - ich muss Ihnen wohl nicht sagen, dass ich hoffe, dass es nicht als Beweismittel gesichtet wird. Was für eine verflucht unangenehme Geschichte! Da sind noch genügend Erinnerungen in meinem Kopf, dass ich mir denken kann, dass eine Sichtung des Materials äußerst peinlich wäre. Die werden doch wohl Rücksicht auf so etwas nehmen, oder?

Nun ja, wenn ich mir ansehe, was die mit Ihnen angestellt haben - und immer noch anstellen, dann sollte ich wohl lieber nicht auf die Feinfühligkeit unserer Justiz vertrauen.

Man will Sie also im Ministerium im Auge behalten. Ich bin immer noch wütend über die Art, wie man Sie behandelt, aber nun verstehe ich zumindest, warum man Sie nicht dort einsetzt, wo Sie so dringend gebraucht werden - nämlich in einer Position, wo Lernende von Ihrem Wissen profitieren können.

Scheinbar hat man Angst, dass Sie dies nutzen könnten um nichtlehrplanmäßiges Wissen weiterzugeben.

Ich bewundere Sie dafür, dass Sie aus dieser Situation das Beste machen und Ihre Pläne mit Bedacht weiter verfolgen. Wenn Sie das Lager neu sortiert haben, dann werden Sie sicher Zeit und Gelegenheit für eigene Forschungen im Labor haben, oder glauben Sie, dass man Ihnen auch dies verwehren wird? Ich könnte schreien, wenn ich darüber nachdenke, dass man Sie dort wie einen Handlanger behandeln will.

Kann Ihr Freund Montgomery nicht vielleicht Einfluss ausüben?

Würden Sie ihm auch bitte meinen herzlichen Dank ausrichten, für das Empfehlungsschreiben.

Ich hoffe, dass sich Professor Shipton bald bei mir melden wird.

Ja - ich bin einfach zu ungeduldig, eine Eigenschaft die wohl nicht gerade zu meinen besten gehört.

Inzwischen ist es schon weit nach Mitternacht und wir schreiben bereits den 23. Juli.

Das Gewitter ist endlich abgezogen und der Regen lässt langsam nach. Ich denke die Eule kann jetzt gefahrlos den Weg zu Ihnen antreten.

Severus - ich...nein...ich wollte nur noch bis bald sagen.

Herzlichst,

Ihre Hermine