24. Juli, Glen Urquhart
Liebste Hermine,
was für ein Tag! Es ist erstaunlich, wie schnell alte Automatismen greifen, wenn man in altbekannte Situationen gerät... Im Gegensatz zu offenbar sämtlichen anderen magischen Fähigkeiten meiner selbst, bin ich noch im Vollbesitz meiner okklumantischen Möglichkeiten. Niemand, außer mir, hat die Erinnerungen gesehen, die in dem zweiten Denkarium versiegelt sind.
Dank Ihres Schreibens, hat man mich unerwartet schnell gehen lassen. Ich bin wieder zu Hause, habe gerade ausgiebig geduscht und eine halbe Stunde geschlafen. Entschuldigen Sie, wenn ich heute abend nicht mehr viel schreibe, aber, trotz des Schlafes, fühle ich mich immer noch völlig... ich kann eigentlich gar nicht genau sagen, was es ist, aber irgendein Teil der gesamten Prozedur hat mich so erledigt, daß ich immer noch das Gefühl habe, daß irgendetwas auf mich einprallt.
Ich weiß nicht, was Sie Clifford geschrieben haben, aber es war höchst effektiv! So wie es aussieht, ist die einzige Einschränkung die sich für mich ergibt, daß ich im Ministerium in der nächsten Zeit keinen Zugang zu der Etage haben werde, in der die Asservatenkammer untergebracht ist. Was, in Merlins Namen, haben Sie Clifford angedroht? Er war ja regelrecht eingeschüchtert! Es scheint so, daß sogar darauf verzichtet wird, einen Eintrag in meine Akte zu bringen...
Sie fragen, wie ich soviel riskieren konnte... Ich fürchte es hat mit Riskieren kaum etwas zu tun. Als ich das Ministerium verlassen wollte, brachten gleichzeitig Beamte in der Haupthalle Ihr Denkarium herbei und ich bekam mit, daß es als das Ihre für die Asservatenkammer angekündigt wurde. Von da an ist der Rest irgendwie einfach passiert. Ich hatte vorher einen Plan für den Fall, daß ich an das Denkarium herankommen könnte. Aber dieser Plan wurde leider schon im Ansatz durch die völlig andere Ausgangssituation erstickt. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich zum einen von da an eindeutig zu wenig nachgedacht habe, um es als bewusstes Riskieren einstufen zu können und zum anderen habe ich mich so ungeschickt angestellt, wie noch nie zuvor. Es hätte gar nicht passieren dürfen, daß man mich findet! Ich wollte Ihnen keinen Schrecken einjagen! Aber die Erinnerungen in einem anderen Denkarium abzulegen, war das Beste, was mir eingefallen ist. Ich weiß nicht mehr, was es war, ich weiß nur noch, daß der Wunsch sie wieder loszuwerden, so groß war, daß ich kurz davor war, sie tatsächlich wieder in Ihr Denkarium zu geben, oder zuzulassen, daß die Legillimens-Zauberer ihr Werk vollenden und mir die Erinnerungen entziehen. Ich bin anscheinend, auch wenn es mir schwerfällt, das zuzugeben... magisch wie emotional aus der Übung... Es macht sich doch bemerkbar, daß ich mehrere Jahre lang keine Magie ausgeübt habe, und da ich obendrein mit den neueren Gegebenheiten und Sicherheitseinrichtungen des Ministeriums nicht vertraut bin... nun ja... der Rest ist Geschichte...
Aber entscheidend ist nur und ausschließlich, daß diese Erinnerungen nun wieder da sind, wo sie hingehören! Ich versichere Ihnen, obwohl Sie schreiben, daß Sie dessen sowieso sicher sind, nochmals, daß ich nicht mehr weiß, was ich gesehen habe. Ich weiß nur, daß ich jetzt schlafen möchte, um dieses überaus unwohle und nicht deutbare Gefühl loszuwerden.
Ich habe jetzt, in diesem Moment, eine so starke Sehnsucht nach Ihrer Nähe, daß ich diese nur mit der Erschöpfung rechtfertigen kann. Ich sollte das nicht schreiben, aber ich bin im Moment in mehrerlei Hinsicht nicht Herr meiner Sinne und sollte deshalb unbedingt aufhören, diesen Brief zu schreiben!
Aber ich ahne, was passieren wird, wenn ich mich jetzt hinlege und schlafe und deshalb bleibe ich lieber sitzen und schreibe. Legen Sie daher bitte nicht jedes meiner Worte aus diesen Zeilen auf die Goldwaage.
Ich bin begeistert von Ihrer Idee, einmal geschriebene Worte nicht mehr zu löschen, so daß vielleicht hin und wieder ein Satz mal keinen rechten Sinn ergibt, sich insgesamt aber ein echteres Bild der Situation ergibt. Ich werde es genauso halten. Eine wirklich gute Idee... oder vielleicht doch nicht?
Ich fühle mich, als sei ich betrunken, Hermine. Irgendetwas stimmt nicht...
Ich war, als Sie von mir als Todesser schrieben, wie vor den Kopf geschlagen. Ja, ich habe all diese Dinge getan, habe meine Knie vor einem Monster gebeugt und viel zu spät erkannt, was ich da tat. Der jugendliche Severus Snape war mit Begeisterung bei der Sache. Ich habe das dunkle Mal in seiner hellsten Form an den Himmel geworfen und am lautesten Bravo gerufen, wenn der dunkle Lord die Szenerie betreten hat. Nichts wird mich je wieder von dieser Schuld reinwaschen – gar nichts... nicht die Liebe eines Albus Dumbledore, nicht die kläglichen Versuche, soviel Gutes zu tun, daß das Schlechte damit irgendwann aufgerechnet wird. Es kann nicht aufgerechnet werden.
Mein Vater hätte noch hundert Kinder bekommen und liebevoll großziehen können. Es hätte nie etwas daran geändert, daß er Alba erschlagen hat...
Ich selbst habe mir übrigens schon lange keine Gedanken mehr darüber gemacht, wie es wäre, Vater zu sein. Es kommt für mich nicht in Frage. Der dunkle Lord wollte die Schaar seiner Anhänger in Blutlinie vergrößern. Das hieß für die weiblichen Anhänger Kinder zu empfangen und das hieß für die männlichen Todesser, Kinder zu zeugen – in der Regel gegen den Willen der Frauen... als ich dies das erste Mal tun sollte, habe ich – sehr zum Vergnügen einiger anderer Todesser – versagt und danach habe ich, mit den Mitteln die einem als Zaubertrankmeister gegeben sind, dafür gesorgt, daß ich für diese „Aufgaben" nicht mehr in Frage kam... Ich kann seit jener Zeit keine Kinder mehr zeugen. Damit war diese Sache ein für allemal erledigt.
Es war auch der Wendepunkt in meinen Erkenntnissen über das Dasein als Todesser und es war das, was Albus erfuhr, was ihn beginnen ließ, mir zu vertrauen.
Nur noch ein paar Zeilen, Hermine, dann werde ich mich wieder schlafen legen.
Ich habe Ginny in der Tat ebenfalls um ein Empfehlungsschreiben gebeten. Sie hat mir abgesagt, aber es war wohl die freundlichste und nachvollziehbarste aller Absagen. Sie hat mir in einem sehr liebenswerten Brief geschrieben, daß ihr Bruder meinen Brief entgegengenommen und gelesen hatte und daß er ihr das Versprechen abgenommen hat, meinem Wunsch nicht Folge zu leisten. Sie hat sich auf glaubhafte Weise bei mir dafür entschuldigt, daß sie seiner Bitte im Rahmein eines ausschweifenden Streites nachgegeben hat und versichert, daß es ihr überaus leid täte. Ich sei ein – wie hatte sie es ausgedrückt, ach ja – übellauniger, selbstgerechter und unfairer, aber nichts desto Trotz überaus fähiger Lehrer, dem sie diese Eigenschaft gerne bestätigt hätte. Sie sei allerdings sicher, daß Sie, liebe Hermine, mir das Schreiben sofort ausstellen würden...
Offenbar reden Sie beide tatsächlich nicht über alles miteinander...
Ich habe ihr ihre Absage zu keiner Zeit übel genommen und meinem Respekt ihr gegenüber hat es keinen Abbruch getan.
Noch ein paar Sätze, dann lege ich mich hin... endgültig! Mir fallen die Augen zu...
Hermine... meine Gedanken werden unvernünftiger! Ich fühle mich in die letzten Zeilen Ihres Briefes hinein und stelle mir vor, wir würden tatsächlich einen Abend in der Hütte im Glen verbringen... und tun, was Sie beschreiben... Der Gedanke, daß Sie sich zum Aufwärmen an mich herandrücken könnten... Ich habe ein wenig Angst davor, mich schlafen zu legen, weil ich ahne, was ich träumen werde...
Ich kann nicht mehr – ich muß mich nun schlafen legen...
Übrigens hat man bei dem Denkarium auch eine Liste wichtiger Personen in St. Mungos gefunden und einen Grundriss des Krankenhauses, samt der magischen Sub-Ebenen...
Ich wünsche dir aus ganzer Seele, daß du ein wenig Frieden findest in dem Gedanken, daß deine Erinnerungen sicher sind.
Wenn ich jetzt nicht aufhöre, schlafe ich über dem Brief ein... verzeih...
Was ich wohl träumen werde...?
Ich habe das Gefühl, ich könne das Feuer aus dem winterlichen Kamin riechen und als würde die Luft um mich herum klarer...
Von ganzem Herzen wünsche ich dir angenehme Träume...
Severus
