25. Juli, Norwich

Lieber Severus,

tausendmal habe ich darüber nachgedacht, wie ich diesen Brief beginnen soll. Tausendmal habe ich meine Gedanken wieder verworfen - denn es gibt nur eines, was mich derzeit überaus beschäftigt, und was ich doch um keinen Preis schreiben wollte.

Es ist das 'du' in Ihrem letzten Brief.

Sie waren erschöpft - nicht Herr Ihrer Sinne, wie Sie selbst schrieben und ich wage nicht, Ihre Anrede mir gegenüber als Absicht anzusehen.

Dennoch sollen Sie wissen, welches Glücksgefühl es in mir hervorrief.

Doch würde ich es niemals wagen, Sie ebenfalls auf diese Weise anzusprechen - auch wenn ich es in meinen Träumen ständig tue.

Ich war Ihre Schülerin und höre noch heute das furchtsame "Sir" meiner Mitschüler - und auch mein eigenes - in den Ohren, wann auch immer Sie mit einem von uns sprachen.

Es ist so ein wundervolles Gefühl, Sie heute mit Ihrem Vornamen ansprechen zu dürfen, doch kann ich wirklich den Schritt zum gleichgestellten du wagen?

Die Erleichterung, die ich empfand, als ich das Denkarium in den Händen hielt, ist ungebrochen - sie stieg sogar noch an und ich fühle mich so befreit, wie lange nicht mehr!

Sie sollen wissen, dass ich die Erinnerungen in diesem Behältnis belassen werde, denn in meinem Kopf möchte ich sie nicht wieder haben. Für das Ministerium werde ich ein neues, ungebrauchtes Denkarium besorgen, bevor man noch auf die Idee kommt, Ihnen einen Diebstahl anzuhängen. Meine Gefühle für diese Institution sind inzwischen sehr zweischneidig und ich habe die Sorge, dass man Sie nun noch mehr im Auge behalten wird, als man es ohnehin vorhatte.

Als ich mein Schreiben an Mr. Clifford verfasste, war ich mit dem Gedanken beschäftigt, dass man Sie dort wie einen Kriminellen behandelte und dies nur, weil Sie meine Ehre retteten. Ich denke, es klang in meinem Brief vielleicht ein bisschen so, als wolle eine Amazone ihrem Ritter zu Hilfe eilen...völlig übertriebene Theatralik, gepaart mit echtem Kampfeswillen.

Hauptsache das Schreiben hat seinen Zweck erfüllt und es kann wohl nicht schaden, wenn ich an Ihrem neuen Arbeitsplatz ein wenig bissiger in Erscheinung getreten bin.

Apropos bissig.

Es gibt Neues von Snape zu berichten.

Er hat eine Freundin gefunden! Nein, ich treibe keine Scherze mit Ihnen! Es ist wahr! Er hat seine sympathische Seite rausgekehrt und selbst wenn ich jetzt die Fütterung vornehme, bleibt er ganz gelassen und lässt seiner Auserwählten den Vortritt. Ich werde mir nun jeglichen Kommentar über Männer verkneifen.

Inzwischen habe ich einige Blätter einsammeln können. Die Männchen scheinen nach der Paarung fast die Hälfte davon zu verlieren, was mich annehmen lässt, dass dies wohl ein rechter Kraftakt für sie ist. Auch konnte ich beobachten, dass die Weibchen sich jetzt wieder für sich halten. Von ewiger Treue scheinen die possierlichen Tier-Pflanzen noch nicht viel gehört zu haben.

Der einzige, der mir nach wie vor Sorgen macht, ist Severus - ich sollte die Tintenflohsterne wohl doch lieber umbenennen, denn mir erscheint es gerade etwas peinlich, Ihnen zu berichten, dass der Stille immer noch keinen Anschluss gefunden hat.

Wissen Sie, worüber ich mir schon die ganze Zeit Gedanken mache?

Ich grüble darüber nach, auf welche Weise Professor Dumbledore wohl Ihre Hütte verschlossen hat.

Er muss in der Tat davon überzeugt gewesen sein, dass Sie einen Weg finden würden, diesen Zauber aufzuheben.

Mir schwirren Dinge im Kopf herum...Passwörter, die Ihnen vermutlich längst eingefallen sind und die Sie sicher schon ausprobiert haben.

Entgegen der allgemeinen Ansicht, dass der Professor nur die Namen von Süßigkeiten für die Versiegelung von Räumen benutzt hat, bin ich der Ansicht, dass er sehr viel tiefgründiger gedacht hat - jedenfalls bei Dingen, die von großer Bedeutung waren.

Und ihm war bestimmt überaus bewusst, wie bedeutend dieser Ort für Sie ist. Daher hege ich die Vermutung, dass er ein Passwort wählte, von dem er glaubte, dass es auch Ihnen sehr viel bedeutet. Ich habe da eine Theorie, die vielleicht lächerlich ist, jedoch lässt sie mich nicht los - haben Sie bereits den Namen Lily Potter ausprobiert?

Sie berichten mir von Ihrer Todesserzeit und es klingt für mich wie die Erzählung aus einem anderen Leben. Die Dinge, die Sie tun mussten waren wirklich grausam. Nicht nur grausam für die Muggel oder die weiblichen Todesser, sondern auch grausam für Sie selbst - denn letztendlich ist es auch eine Vergewaltigung, wenn ein Mann dazu gezwungen wird, den Akt der Zeugung auszuüben. Dies ist sicher ein heikles Thema, das ich mit Ihnen besser nicht erörtern sollte, denn es gibt genug Meinungen die besagen, dass man einen Mann nicht vergewaltigen kann, da er grundsätzlich sexuell bereit sein muss, um den Geschlechtsakt mit einer Frau zu vollziehen.

Das Einnehmen eines Trankes, um Voldemort auf diese Weise einen Strich durch die Rechnung zu machen, war ein Schritt aus diesem Sumpf heraus, in dem Sie doch schon so tief steckten.

Dass Professor Dumbledore Ihnen vertraute, beweist seine ganz besondere Fähigkeit, die Menschen so zu sehen, wie sie wirklich sind.

Auch ich vermisse diesen weisen Mann und mehr als einmal hätte ich mir gewünscht, ich könnte ihn um Rat fragen. Wie ich heute weiß, hätte ich ihn aber vermutlich bei den wirklich wichtigen Dingen letztendlich doch außen vor gelassen...ich hätte wohl auch jedem anderen, der mich vor Justin gewarnt hätte, damals ins Gesicht gelacht, da ich nie gedacht hätte, dass er mich so täuschen könnte.

Und noch ein Mensch, von dem ich schwer enttäuscht bin...mein Bruder/Liebhaber/Freund Ronald Weasley!

Wie konnte er Ginny nur so unter Druck setzen?

Ron war schon immer sehr impulsiv - aber seine Unnachgiebigkeit in Ihrem Fall finde ich wirklich schreiend ungerecht! Er wusste doch um Ihre Rolle beim Orden. Hat er denn wirklich nie begriffen, dass Sie Ihr Leben lang ein Gefangener zwischen Gut und Böse waren - dass Sie Ihre eigenen Regeln aufstellen mussten, um die Zeit durchzustehen und letztendlich klar zeigten, auf welcher Seite Sie wirklich standen? Glaubt er, er müsse Ginny vor Ihnen beschützen? Ich frage mich gerade, was er sagen würde, wenn er wüsste, dass ich mit Ihnen in Kontakt stehe. Allein nur diese Tatsache, ohne von der Intensität unseres Briefwechsels zu wissen, würde ihn wohl schon vor Zorn die Haare raufen lassen.

Nein, ich werde ihm nichts davon erzählen, denn Sie baten mich ja darum es nicht zu tun - doch es würde mich wirklich reizen sein Gesicht zu sehen.

Sie müssen ja ein merkwürdiges Bild von Ginnys und meiner Freundschaft erhalten haben. Es ist mir ein Anliegen, etwas deutlicher darauf einzugehen.

Für mich war - und ist - Ginny immer die Anziehendere von uns beiden gewesen. Sie hat eine Ausstrahlung, die jeden Mann umzuwerfen scheint. Ich gebe zu, dass ich manches mal nur staunend dabei gestanden habe, wenn sie wieder ein Herz im Sturm eroberte. Ich bin sicher, dass Sie wissen wovon ich spreche, denn ich weiß, dass sie auch an Ihnen nicht spurlos vorbeigeht. Verstehen Sie mich nicht falsch - ich bin nicht neidisch auf Ginny, sondern bewundere ihre Eigenschaft. Insbesondere weil ich weiß, dass Ginny niemals mit diesem, ihr angeborenen Charme, jemanden verletzen würde. Im Gegenteil - dadurch, dass sie diese Wirkung hat, gehen die Leute auf sie zu und sie geht ihnen mit offenen Armen entgegen. Sie erinnern sich sicher, dass ich sagte, dass Ginny enttäuscht sein würde, dass Justin sich als Widerling herausstellte. Sie hat einen gewissen Hang, attraktive Männer auch für unbedingt nette Kerle zu halten - und egal was ich Justin auch alles vorwerfen kann - Unattraktivität mit Sicherheit nicht.

Dass ich Ginny nichts von unserem Briefwechsel erzählt habe, liegt - wenn ich ehrlich bin - wohl nicht zuletzt daran, dass ich Sie noch ein wenig für mich allein haben wollte, und ich schäme mich zu sagen, dass ich erleichtert bin, dass Ginny so teilweise harsche Worte für Sie fand. Doch halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass sie auch diese nur schrieb, um Ron einen Gefallen zu tun. Denn ich weiß, Severus, ich weiß es ganz genau, dass Ginny Sie ebenso attraktiv findet, wie es es tue.

Und ich weiß es so genau, weil wir es uns gegenseitig einmal gebeichtet haben. Nun werden Sie sicher verstehen, warum ich sagte, ich möchte nicht im Wege stehen wenn Ginny sich bei Ihnen melden würde. Und ich habe ein merkwürdiges Gefühl, weil sie mir nicht erzählte, dass Sie ihr geschrieben haben - doch ich tat es ja auch nicht...

Bei unserem nächsten Treffen werde ich wohl mit Ginny über diese Dinge reden müssen, denn sie lassen mir keine Ruhe.

Verzeihen Sie mir, dass ich Sie in diese komplizierten Geflechte einer Frauenfreundschaft hineinziehe und bitte haben Sie Verständnis, dass ich die förmlichere Anrede für diesen Brief wählte, da ich mir unsicher bin, ob es bei Ihnen nur ein Versehen war.

Ihre Hermine