25. Juli, Glen Urquhart

Liebe Hermine,

Oh weh... was habe ich mit meinem letzten Brief nur wieder angerichtet? Erst halte ich seitenlange Vorträge darüber, wie wichtig ich die Form bei der Benutzung von Namen nehme – und dann wahre ausgerechnet ich eben diese Form nicht.

Es lag wohl daran, daß es mir mit Ihnen genauso geht, wie Ihnen mit mir – in Gedanken bin ich längst beim vertrauten „du". Ich hatte angenommen, daß es Ihnen unangenehm wäre, diese Form in Bezug auf mich zu benutzen und hätte deshalb nie von alleine danach gefragt.

Wenn ich aber nun darüber nachdenke, wie persönlich unsere Briefe längst sind und was wir uns bereits alles gegenseitig anvertraut haben, war das wohl eine sehr dumme Annahme.

Entschuldigen Sie bitte trotzdem, daß ich ungefragt, ungebeten diese Form benutzt habe.

In der nicht ganz sicheren Annahme, daß in Ihrem Brief zwischen den Zeilen steht, daß Sie gerne das „du" benutzen würden, erlaube ich mir nun, Ihnen das „du" anzutragen und hoffe, daß ich es richtig verstanden habe und es Ihnen nicht doch unangenehm ist. Es wäre mir eine Ehre, wenn wir zu der vertrauten Anrede wechseln würden.

Mein letzter Satz ist gute zehn Minuten her und ich sitze hier und überlege angestrengt, ob ich den Rest des Briefes nun schon die neue Anrede benutzen, oder ob ich erst Ihr Einverständnis abwarten soll. Gestern ist es einfach passiert. Gestern wußte ich kaum noch, was ich schreibe – aber heute...

Aber warum noch warten? Ja, es gibt eine winzige Möglichkeit, daß ich die Zeilen falsch verstanden habe, aber mein Bauch sagt mir, daß ich Recht habe, wenn ich ab jetzt nicht mehr an Sie, Hermine schreibe, sondern an dich.

Es ist seltsam. Es fühlt sich seltsam an. Es schreibt sich sogar seltsam. Aber es fühlt sich auch sehr sehr gut an. Es fühlt sich auf die Weise gut an, die das Herz schneller schlagen läßt.

Nun, dann kann ich wohl mit dem Brief fortfahren.

Liebe Hermine, auch wenn mein Grund zur Freude ein etwas anderer ist als deiner, bin ich froh, daß du die Erinnerungen an die speziellen Szene mit Justin in dem Denkarium belassen willst. Nicht, daß ich noch wüsste, worum es in den Szenen ging – obwohl du natürlich Andeutungen gemacht hattest – aber es zeigt generell, daß du dich einen weiteren Schritt von ihm entfernt hast.

Mach dir keine Gedanken, wegen des Ministeriums. Sie sind so, wie sie immer waren und immer sein werden. Eine gewisse Paranoia ist letztendlich ja auch immer eine gesunde Angelegenheit und ich habe in der Vergangenheit viel Grund für Misstrauen geliefert.

Du bist also die Amazone, die „ihrem" Ritter mit echtem Kampfeswillen zu Hilfe geeilt ist? Ich verrate dir lieber nicht, was in mir vorgegangen ist, als ich diese Zeile gelesen habe.

„Severus" hat noch keinen Anschluß gefunden? Hm... er kam mir von Anfang an seltsam vor. Ich hatte irgendwie das Gefühl, als sei mit ihm irgendetwas anders als mit den anderen. Ich kann aber nicht sagen, was genau die Andersartigkeit ausmacht.

Ich habe übrigens nach wie vor kein Problem mit der Namensgebung. Ich finde sie, im Gegenteil, weiterhin sehr amüsant und bin gespannt, ob „Snape" sich jetzt wieder zu dem gleichen bissigen Mistkerl zurückentwickelt, der er vor der Brautschau war.

Und ich bin froh, daß man die Blätter aufsammeln kann! Haben Sie... entschuldige... hast du schon die Möglichkeit gehabt, auszutesten, ob die magische Kraft in den abgefallenen Blättern noch enthalten ist? Das wäre eine kleine Sensation! Deine Bemerkung, daß du vermutest, daß sie die Blätter verlieren, weil die Paarung ein solcher Kraftakt ist, hat mich laut auflachen lassen. Ich hatte unweigerlich konkrete männliche Zauberer vor Augen, die du ebenfalls kennst!

Du machst dir Gedanken darüber, wie Albus die Hütte verschlossen hat? Darüber mache ich mir schon Gedanken, seit ich nach seinem Tod verschlossen gefunden habe. Leider hat er obendrein verhindert, daß man einfach dutzende von geratenen Passworten sagt, weil man erst nach einem Tag ein weiteres Passwort sagen kann. Es war stets so, daß man die Handfläche der rechten Hand gegen die Tür legen und dann das Passwort sprechen musste. Jetzt ist die Tür, nachdem man ein Passwort versucht hat, für einen Tag mit einem Schild versiegelt, so, daß man sie nicht anfassen kann. Ich habe dutzende von Möglichkeiten ausprobiert. Da Albus für mich vorher als Passwort „Alba" gewählt hatte, bin ich ebenfalls davon ausgegangen, daß er den Namen einer Person gewählt hat, die mir wichtig ist – aber er konnte dementsprechend nur Namen wählen, von Personen, von denen er auch wußte, daß sie mir wichtig waren. Ja, an Lilly habe ich gedacht, obwohl sie nur in meiner Jugend eine Rolle gespielt hat. Ich habe alle Kombinationen ausprobiert, Lilly, Lilly Potter, Lilly Evans - ich habe es einmal sogar nur mit „Potter" versucht, aber es hat nicht funktioniert. In der Annahme, er wolle mich Harry näher bringen, habe ich sogar mit Harrys Namen Versuche gemacht – aber auch diese waren umsonst.

Aber kommen wir zu einem Punkt deines Briefes, an dem du ganz und gar falsch denkst. Die Dinge, die ich als Todesser tun musste und getan habe, waren nicht grausam gegen mich – sie waren immer nur grausam gegen die, die sie erlitten haben! Und bitte, versuche nicht, auch nur den Hauch von Mitleid gegenüber jemandem zu empfinden, der getan hat, was ich getan habe. Und ich bin ebenfalls der Meinung, daß es keine Vergewaltigung des Mannes darstellen kann, wenn er in der Lage ist, den Akt durchzuführen! Ich war es nicht – was damals für die Frau das Todesurteil war, da man sie dafür verantwortlich machte! Als man mir dann verkündete, daß ich für das „nächste" Mal einen unterstützenden Trank einnehmen solle, habe ich mich für das entschieden, was ich stattdessen getrunken habe. Da der Prozess, die Wirkung dieses Trankes rückgängig zu machen, extrem zeitaufwändig wäre, hat man darauf verzichtet, mich in diesem bereich weiter einzusetzen – zumal andere Todesser mit Begeisterung dafür zur Verfügung standen. Daß ich in diesem einen Moment einen Funken gesunden Menschenverstandes bewiesen habe, macht mich noch zu keinem guten Menschen, Hermine. Es zeigte nur, daß in mir noch nicht jedes Verständnis von Moral und Anstand ausgelöscht war und ich, entgegen meinen eigenen Erwartungen, doch nur ein gewisses Maß an selbst ausgeübter Grausamkeit ertragen habe. Aber glaube mir, Hermine – es ist für eine kurze Weile jedem schlecht ergangen, der in meine Finger geraten war... Versuche nicht, irgendwelche Rechtfertigungen für mich zu finden – es gibt sie nicht! Lebe damit, daß es meiner Vergangenheit diese Widerwärtigkeiten gab, oder lass es bleiben – aber rede sie nicht irgendwie gut.

Aber lassen wir diese unrühmliche Vergangenheit jetzt beiseite und wenden wir uns den, vielleicht nicht gerade erfreulichen, so aber doch eindeutig angenehmeren Themen zu: Ronald Weasley.

Akzeptiere doch einfach, daß er mich auf den Tod nicht ausstehen kann. Willst du ihm das wirklich verübeln? Also ich tue es nicht! Und wenn sich eine Gelegenheit bieten sollte, ihn gedanklich in die Schulzeit zu versetzen, sollte ich ihm irgendwann noch einmal begegnen, dann werde ich sie genussvoll nutzen. Er wird in der folgenden Nacht davon Träumen Pokale zu putzen und Karteikarten zu sortieren. Es ging ihm in diesem Streit ganz sicher nicht darum, Ginevra zu schützen, sondern nur darum, zu verhindern, daß mir irgendjemand einen Gefallen tut. Es mag sein, daß er dir stets ein guter Freund war, und zeitweise sogar mehr, aber allein an ihn zu denken, bringt, ohne, daß ich es verhindern könnte, den Snape in mir hoch, der ich in Hogwarts stets war. Wenn ich an Ronald Weasley denke, trägt der bissige Tintenflohstern meinen Namen zu Recht!

Weißt du was? Du willst sein Gesicht sehen, wenn er erfährt, daß wir uns schreiben? Sag es ihm... und dann beschreibe mir das Gesicht bitte in allen Farben, die dir geschrieben zur Verfügung stehen!

Nein... auch wenn der Gedanke SEHR verführerisch ist, hättet ihr beide doch zwangsläufig nur Streit miteinander und das soll unser Briefkontakt nun wirklich nicht bewirken.

Es ist erstaunlich, wie in diesem durch und durch seltsamen Haus, Ginevra zu einer so besonderen Frau werden konnte. Ja, sie hat eine Ausstrahlung, die jeden Mann umzuwerfen scheint, aber kennst du die Geschichte, in der ein Mann dem anderen erzählt, daß es ganz einfach sei, mit dem Trinken aufzuhören – er schaffe es mindestens zehn mal im Monat...? Allein die Tatsache, daß Ginevra ein Herz nach dem anderen erobert, zeigt, daß sie damit offenbar nicht das erreicht, was sie will, denn sonst hätte sie sich längst entschieden.

Aber um eine Sache ganz klar zu machen: Natürlich kann ich nicht für alle Männer sprechen – aber ich kann für mich sprechen, wenn ich sage, daß Ginevra anziehend ist, aber daß sie nicht die Faszination verströmt, die von dir ausgeht.

Und, liebste Hermine... habe ich in allem was ich geschrieben habe, mich immer noch so undeutlich ausgedrückt, daß du glaubst, es könne eine Situation geben, in der du gebeten würdest, zur Seite zu treten, um Ginevra, oder irgendeiner anderen Frau, Platz zu machen?

Allein die Umstände verbieten mir, dir in aller Deutlichkeit zu sagen, was ich für dich empfinde. Aber mir fällt gerade etwas ein... mir fällt gerade etwas absolut Unglaubliches ein... Ich habe in der Gegenwart von Albus niemals von dir gesprochen, außer im Zusammenhang mit Potter – ich musste immer davon ausgehen, daß er nichts ahnt.

Bei Merlin, Hermine! Ich bin so ein riesengroßer Trottel! Albus kennt die Hütte natürlich auch von innen und er muß, um das Passwort zu ändern, noch ein letztes Mal dort gewesen sein!

Bei den Bildern in der Hütte...

... es ist eines von dir dabei!

Ich bekomme gerade mehr Sauerstoff als gut ist, weil mein Atem sich nur langsam wieder beruhigt.

Könntest du der Schlüssel zu der Hütte im Glen Strathfarrar sein?

Aber was, wenn ich wieder falsch liege? Ich glaube, wenn ich noch einmal falsch liege, brenne ich vor Frustration das Haus nieder... nein... ich werde es nicht versuchen. Wahrscheinlich liege ich völlig falsch und mache mir nur wieder vergebliche Hoffnungen...

Vergiss, daß ich das Thema angesprochen habe...

Zurück zu Ginevra und dir. Ihr solltet wirklich miteinander sprechen. Ich bin sicher, daß Ginevra es nicht ernst gemeint hat, wenn sie behauptet hat, sie halte mich für attraktiv...

... aber was soll das eigentlich heißen, daß ihr beide euch einmal über mich in dieser Weise unterhalten habt? Wann, bei Merlin, war das?

Ah! ... ich musste den Satz, auf den ich mich damit bezogen habe, gerade noch einmal lesen. DU hältst mich für attraktiv? Bist du sicher, daß du weißt, zu WEM du Briefkontakt hast? Entschuldige bitte, aber das kannst du unmöglich ernst meinen! Ich kann darauf verzichten, beschimpft zu werden – aber ich verzichte genauso gerne darauf, mit netten Floskeln beschenkt zu werden. Ich wäre dir dankbar, wenn du auf derlei unglaubwürdige „Freundlichkeiten" verzichten könntest. Unsere Briefe bewegen sich eindeutig nicht auf Small-Talk-Ebene, oder?

Entschuldige, daß ich das Thema so ernst nehme, aber die Erfahrung hat mich gelehrt, daß ich bei „merkwürdigen" Komplimenten, die mich hellhörig werden lassen, auf Abstand gehen sollte, weil irgendetwas nicht stimmt.

Das unterstelle ich dir keinesfalls – ich bitte dich nur, keine Höflichkeiten zu schreiben, die du vielleicht nicht so meinst, wie sie dann geschrieben stehen.

Wieder neigt sich ein Tag endgültig seinem Ende zu. Im Lager im Ministerium habe ich erste winzige Schritte gemacht. Es wird Monate dauern, bis in diesem Chaos wieder Ordnung herrscht und ich werde unendlich viel entsorgen müssen, weil viele Zutaten längst umgekippt sind und absolute Desaster anrichten würden, wenn man sie noch in Zaubertränken verwenden würde. Aber ich werde darauf achten, ob einige Zutaten nicht sogar bereits SO umgekippt sind, daß sie vielleicht schon wieder für anderes taugen?

Wie auch immer. Der Tag war heute, bis zu seiner letzten Minute, anstrengend und sehr, sehr verwirrend – aber er hatte, speziell während dieses Briefes, auch seine wunderschönen Momente und ich bin sehr gespannt, was du davon hältst, daß ich zum „du" übergegangen bin.

In unruhiger Erwartung deiner Antwort

Severus