26. Juli, Glen Strathfarrar
Liebste Hermine,
Ich bin hier...
Ich bin in meinem Haus...
Genauer gesagt, sitze ich vor der offenen Tür auf der Kante der kleinen Veranda, die Füße auf der Treppe und habe den Block auf den Knien, während ich diese Zeilen schreibe. Dein Brief liegt neben mir auf dem Holzboden und ich kann einfach nicht glauben, was in den letzten Stunden alles geschehen ist.
Er hat es gewusst, Hermine. Albus hat von dir gewusst und es mit keiner Silbe je erwähnt. Aber warum hätte er auch mehr sagen sollen als ich? Ich hätte es ja doch nur abgestritten...
Wie konnte das alles geschehen? Wann ist es passiert? Heute ist der 26te Juli. Nur siebzehn Tage sind vergangen, seit ich dir geschrieben habe. Siebzehn Tage... Meine gesamte Welt hat sich in diesen siebzehn Tagen gewandelt.
Ich habe die Handfläche gegen die Tür gehalten, vorsichtig, als könne sie zurückweichen und dann habe ich einmal tief Luft geholt, bevor ich gewagt habe, es zu versuchen.
Als ich „Hermine" gesagt hatte, wurde mir bewusst, daß ich deinen Namen das erste Mal überhaupt laut ausgesprochen habe. In der Schule warst du im gesprochenen Wort für mich „Miss Granger", nie habe ich deinen Vornamen ausgesprochen!
Aber nach deinem Namen öffnete sich das Haus nicht. Aber es bildete sich auch nicht der Schutzschild, der bei einem falschen Passwort stets aufgetaucht war und mir wurde klar, daß das Passwort noch nicht komplett war. Für einen kurzen Moment war ich versucht, einfach noch deinen Nachnamen zu nennen, aber dann habe ich innegehalten und mich dafür entschieden, deinen Namen komplett zu versuchen. Also sprach ich vorsichtig weiter. „Jane..." und wieder öffnete sich die Türe nicht, aber auch der Schutzschild erschien nichtund so schloß ich mit deinem Nachnamen „... Granger" und in diesem Moment sprang die Türe auf.
Ich glaube, ich habe eine Weile vergessen zu atmen, Hermine. Und dann tat ich etwas ganz und gar dummes. Ich war mir für einen kurzen Moment so sicher, daß ich es mir nur einbilde, daß ich den Gedanken nicht ertrug, zu erkennen, daß das Haus noch verschlossen war und ich habe mir die Hände vor meine Gesicht gelegt, damit ich es nicht sehen muß. Als mir klar wurde, wie kindisch das war und daß ich gesehen hatte, wie die Türe aufgesprungen war, habe ich die Hände langsam wieder gesenkt und das Haus war (natürlich) noch immer offen.
Jetzt sitze ich hier und es ist genauso unerträglich heiß, wie in Glen Urquhart oder in London – aber hier bin ich wieder alleine inmitten der Highlands und daher gibt es hier keine Kleider-Etikette die beachtet werden müsste. Also sitze ich hier barfuß und genieße den Wind, der um meinen Oberkörper und meine Arme strömen kann und ein klein wenig Erleichterung in die Hitze bringt.
Ich habe mir im Haus den Dreck des Ministeriums vom Körper und aus den Haaren gewaschen. Letztere tropfen noch, sei daher nicht böse, wenn der eine oder andere Buchstabe verschwimmt.
Deinen Brief habe ich mittlerweile sicher dreißig oder vierzig Mal gelesen. Ich bin damit durch die Gegend gewandert, ich habe damit auf der Treppe gesessen, ich habe damit mitten im Raum gestanden, ich habe damit auf dem Bett gelegen ich habe damit auf dem Sofa gesessen und nun sitze ich damit auf der Veranda und habe ich noch einmal gelesen, bevor ich meinen Brief an dich angefangen habe.
Deine Worte sind unglaublich mutig, Hermine und ich danke dir für deine Offenheit. Und ich will dieses Geschenk nun mit ebensolcher Offenheit beantworten.
Du bist die begehrenswerteste Frau, die mir je über den Weg gelaufen ist. Vergiss Ginny, vergiss jede andere, die du selbst vielleicht für attraktiver hältst als dich selbst – oder soll ich im Gegenzug eifersüchtig sein auf Justin?
Fairerweise sollte ich zugeben: ich BIN eifersüchtig auf ihn! Ich war es von Anfang an. Zu hören, daß er sehr gut aussieht, hat diesbezüglich nicht gerade geholfen und ich weiß zwar nicht mehr, welche Bilder ich in dem Denkarium zu sehen bekommen habe, ich weiß aber – was ich dir nicht gesagt hatte – noch sehr genau, wie es sich angefühlt hat, die Szenen zu sehen! Ich hoffe sehr, daß ich ihm niemals von Angesicht zu Angesicht begegnen werde.
Aber es geht hier gerade um dich, Hermine.
Du warst, wie ich bereits geschrieben hatte, in deinem sechsten Jahr und es war kurz bevor die Ereignisse eskalierten, als du in dieser Nacht in den Laboratorien einen Misserfolg nach dem anderen gebraut hast. Ich hatte den Raum betreten, dich bemerkt und wollte eigentlich wieder ungesehen gehen, aber dann hörte ich dich murmelnd fluchen. Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnerst, was du alles vor dich hingemurmelt hast. Zum Teil waren es Severus-Snape-Beleidigungen auf höchstem Niveau! Aber ich glaubte, Untertöne darin zu hören, die eine andere Sprache, sprachen.
Ich war hin und hergerissen zwischen Amüsiertheit, Betroffenheit – und purer Erregung...
Du hast eine so wütende und gleichzeitig entschlossene Energie verbreitet, daß der ganze Raum davon vibriert hat und ich konnte nicht mehr gehen. Also blieb ich im Hintergrund und beobachtete dich. Es war heiß im Labor und der Schweiß lief dir in Strömen durchs Gesicht, der Dampf aus dem Kessel war überaus mächtig und hatte die Luftfeuchtigkeit im Raum auf ein fast unerträgliches Maß ansteigen lassen. Du hattest deine Haare wütend und vollkommen unkontrolliert nach hinten weggesteckt, aber etliche Strähnen fanden ihren Weg aus dem improvisierten Zopf und kräuselten sich um dein schönes Gesicht, das abwechselnd Wut und Verzweiflung zeigte. Es war das erste Mal, daß ich bewusst daran dachte, dich zu berühren. Ich wollte zu dir gehen, hinter dich treten und dir die Haare aus dem Gesicht streichen, sie zu einem Zopf zusammenfassen und bändigen. Und während meine Fingerspitzen mir vorgaukelten, sie würden tatsächlich deine Wangen, deinen Hals und deinen Nacken berühren und in deine Haare tauchen, hobst du selbst erneut die Arme, um deine Haare ein weiteres Mal auf deinem Kopf festzustecken und deine feuchte Kleidung legte sich wie eine zweite Haut auf deinen Oberkörper, deine Hüften... es wundert mich bis heute, daß du mein regelrecht erschrockenes Aufkeuchen nicht gehört hast.
Das war der Moment in dem ich entschied, daß es jetzt nur noch die Flucht nach vorne gab und ich trat vor, um dir die Lösung deines Problems zu nennen und bin verschwunden, um den Rest der Nacht zwischen ungewollter Aufregung und Selbstverachtung hin und herzupendeln. Der Gedanke, eine Schülerin mit derart begehrlichen Gedanken betrachtet zu haben, machte mich völlig verrückt. Aber sobald die Selbstvorwürfe auch nur eine Sekunde lang ruhten, kamen diese „anderen" Gedanken wieder.
Ich kann übrigens sehr gut nachvollziehen, was du meinst, wenn du schreibst, daß die Benutzung des „du" den Klang der Stimme hervorruft. Das Bild das in meinem Kopf entsteht ist das Bild von dir, wie du neben mir sitzt, so daß unsere Seiten sich berühren, ich halte dich umfasst, dein Kopf liegt an meiner Schulter, du hältst deinen eigenen Brief in der Hand und liest ihn mir vor... und wenn ich das „du" für dich in diesem Brief benutze, dann habe ich das Gefühl, sehen zu können, wie du mir zuhörst...
„Erotisiert"... ein sehr faszinierendes Wort hast du da gefunden. Ja, das stimmt wohl. Es passt zu hundert Prozent auf das, was mir damals im Labor geschehen ist. Und ich bin sicher, daß ich heute Nacht das Gefühl haben werde, du lägest neben mir – allein weil du es dir vorstellst.
Du nimmst mir die Zweifel... ich fange an, zu glauben...
Nein – ich fange nicht damit an – ich stelle fest, daß ich es bereits tue. Keine Zweifel zu haben, hieß bisher stets, sich der schrecklichen Dinge sicher zu sein. Aber heute kann ich einmal sicher sein, bei etwas das so ganz und gar unglaubwürdig scheint, daß ich all diese Beteuerungen von dir brauchte, um endlich sicher zu sein.
„Mit Haut und Haar verschlingen" – Hermine! Was tust du! Es wird niemals geschehen, nicht weil wir nicht wollen, sondern weil wir nicht dürfen. Niemals! Du schreibst, daß ich das genauso gut weiß, wie du...
... in diesem Moment habe ich keine Ahnung, wovon du sprichst... was war doch gleich der Grund, warum wir es nicht dürfen?
Oh Hermine... diesen letzten Satz habe ich nicht so gemeint – aber es fällt so unendlich schwer, vernünftig zu bleiben. Allerdings gibt es eine relativ einfache Hilfe in diesem Unterfangen, denn so sehr ich in diesen Briefen nun auch lebe und alles Gefühle zulasse, die auf mich einströmen, weiß ich doch, daß ich in persona ganz der Alte wäre. Niemals würde ich es mir gestatten, dich offen so anzusehen, wie ich es hier mit Worten geschehen lasse. Niemals würde ich dir solche Worte sagen, wie ich sie hier mit der Feder spreche.
Laß mich ein wenig vom Thema abweichen, um zu verhindern, daß die ersten Briefe sich auf die Weise selbst vernichten, die du prophezeist hast.
Zwei Dinge will ich noch zu meiner Zeit als Anhänger des dunklen Lords sagen. Zuerst muß ich dir noch, weil ich es offenbar nicht deutlich genug getan habe, schreiben, daß die Frauen aus den Kreisen des Lords ihre Aufgabe mit Begeisterung wahrgenommen haben. Die anderen Frauen, die für die Armee des Lords Kinder bekommen sollten, waren nicht aus seiner Anhängerschaft... die Frau, die meinetwegen gestorben ist, war ebenfalls nicht...wäre sie eine Todesserin gewesen, wären meine Schuldgefühle wohl kaum existent – aber so...
Und das andere, von dem ich nicht weiß, ob ich das Recht habe, es zu schreiben – aber es ist das Gefühl, das ich jetzt habe und du hast es heraufbeschworen – ist ein Hauch von Stolz, wenn ich lese, daß du es so siehst, daß ich mich mit meiner Entscheidung willentlich gegen ihn gestellt habe. So habe ich es nie gesehen... mit deinen Worten, bedeutet mir der Freispruch plötzlich etwas.
Wie „amüsant" ist angesichts meiner Vergangenheit der Vergleich den Ginevra zu meiner Person gezogen hat. Mich ausgerechnet mit Vlad zu vergleichen ist... ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich kann, da ihr euch auf Bram Stokers Dracula bezieht nur hoffen, daß ihr nicht den verwitterten, greisen Vlad für den attraktiven Mann haltet, sondern sein jüngeres Selbst und daß nicht seine Brutalität im Pfählen seiner Gegner, sondern die Liebe zu seiner Frau die Faszination ausübt. Was ist es nur, was in euren verrückten Frauenherzen genau die Männer attraktiv zu machen scheint, von denen ihr glaubt, daß ihr sie entweder niemals haben könnt, oder die euch wirklich gefährlich werden könnten? Ich verstehe das Prinzip nicht. So, so... ich verfüge also über die gleiche Attraktivität, wie Vlad Dracula? Schaurig und erotisch? Nun ja, ich sollte wohl froh sein, für die Beförderung von der „Fledermaus" zum „Vampir"...
Nein! Glaube nicht gleich wieder, ich hätte dich missverstanden. Ich trage gerade ein für meine Verhältnisse geradezu ausgelassenes Lachen auf den Lippen, die dich so gerne berühren würden.
Verhängnisvolle Erotik? Meine liebe Mina Harker – wenn Ihr selbst sie ausstrahlt, dürft Ihr euch nicht über die Resonanz wundern. Ihr verströmt Eure Erotik wie andere Frauen ihr Parfum und nur ein im Herzen und mit dem Körper blinder Mann kann diesen Duft unbemerkt an sich vorüberstreichen lassen...
Ich hoffe, daß es keinen Unfrieden zwischen dir und Ginny gibt, aber ich fürchte, daß es, aufgrund der Tatsache, daß ihr Freundinnen seid, wirklich an der Zeit ist, daß ihr miteinander redet. Es ist zwar überaus merkwürdig, daß es unter anderem um mich gehen soll, aber notwendig ist dieses Gespräch wohl längst.
Ich bin gespannt, was es in den nächsten Tagen zu berichten geben wird. Vor allem auf den Ausgang deines Termins in St. Mungos bin ich sehr gespannt und darauf, was die Tintenflohsterne noch so alles veranstalten. Hat der Stille noch irgendetwas neues getan? Ich habe eine ganz verrückte Idee, was ihn betrifft... hast du schon einmal versucht, dich mit ihm in irgendeiner Form zu verständigen? Mit Zeichen, Bildern, Worten, Geräuschen? Was macht er eigentlich, wenn du dich vor ihn setzt und ihn im Gegenzug lange beobachtest?
Liebste Hermine, ich habe es, trotz meines festen Vorsatzes und obwohl ich in der Tat im ganzen Brief ebenso ehrlich und offen gewesen bin wie du, doch geschafft, von dem abzuweichen, was ich dir eigentlich schreiben wollte:
Ich habe mich vor vielen Jahren, obwohl ich mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt und obwohl ich mich lange dafür verachtet habe, in meine sechzehnjährige Schülerin verliebt.
Und dieses Gefühl ist in all den Jahren fast unverändert geblieben. Es ist nur mit den Jahren reifer geworden, ruhiger und bewusster. Und ich danke dem Schicksal, das in der Tat ausgerechnet in Form von Ronald Weasley über mich gekommen zu sein scheint, daß es mich wieder zu dir geführt hat.
Ich weiß nicht, wo das hier alles hinführen wird, aber wisse, daß ich es genieße wie nichts sonst in der Welt und daß alles, was für mich wichtig ist, nur die Gewissheit ist, daß es dir gut geht.
In Liebe
Severus
