28. Juli, Norwich
Lieber Severus,
endlich komme ich dazu, dir zu schreiben!
Harry hat mich aus dem Krankenhaus abgeholt und seine Rolle als Beschützer mit einer Gewissenhaftigkeit ausgeübt, die mir, ehrlich gesagt, äußerst unangenehm ist.
Vielleicht liegt es aber auch zum großen Teil daran, dass ich mich durch ihn nicht nur bewacht, sondern auch überwacht fühle.
Er bestand darauf, dass er nicht nur in meiner Wohnung bleibt, sondern auch im gleichen Zimmer schläft.
Nun liegt er auf der Couch neben meinem Bett, während ich mich ins Wohnzimmer geschlichen habe, um diesen Brief zu schreiben.
Du wirst doch nicht ernsthaft böse auf mich sein, Severus, wenn ich mich nur in einen anderen Raum begebe, um meinen Aufpasser nicht dadurch zu wecken, dass ich einen Brief an die Person schreibe, die er eben noch aufs hässlichste beschimpft hat.
Zudem brauche ich jetzt Zeit für mich.
Ich muss meine Gedanken sortieren - es gibt so vieles, das ich in eine vernünftige Reihe bekommen muss.
In dieser Nacht werde ich mit Sicherheit ohnehin nicht schlafen können, denn schließlich habe ich den ganzen Tag bereits im Land der Träume verbracht.
Es war schrecklich als ich erkannte, wer mir da wirklich in Professor Shiptons Büro gegenüber stand.
Justin hat mich so in Sicherheit gewiegt, dass ich völlig arglos war, als er den Imperius sprach. Dabei ist es mein Glück, dass er sich nicht sonderlich auf die Schwarze Magie zu verstehen scheint. Vielleicht war auch mein Wille so stark, dass ich den Fluch brechen konnte - ich weiß es nicht!
Er schien nicht zu begreifen, warum der Imperius versagte, und ich konnte den Moment nutzen, um ihm den Zauberstab zu entwinden und entzwei zu brechen.
Doch dann wurde er unglaublich wütend. Ehe ich auch nur um Hilfe rufen konnte, legte er seine Hände um meinen Hals und begann zuzudrücken.
Die Welt um mich herum entschwand immer mehr. Ich versuchte mich zu wehren, doch ich konnte seine Hände nicht lösen - es war ein so furchtbares Gefühl, Severus.
Und plötzlich wurde mir alles egal. Ich wusste, dass es vorbei war...das mein Leben dort enden würde...und ich dachte nur eines - warum ausgerechnet jetzt?
Es war ein so eigenartiges Gefühl, dass ich es jetzt kaum noch nachvollziehen kann. Ich spürte keinen Schmerz mehr - hatte keine Angst vor dem Tod - sondern bedauerte lediglich, dass mir Chancen genommen würden, die sich gerade erst aufgetan haben.
Zu dem Zeitpunkt, als der wahre Professor Shipton Justin mit einigen anderen Leuten überwältigen konnte, war ich bewusstlos; doch man erzählte mir später, dass Justin wohl völlig außer sich herumgeschrien habe.
Ich weiß nicht was er mit dem Imperius bewirken wollte, und der Gedanke, was er mit mir angestellt hätte, wenn er mir seinen Willen hätte aufzwingen können, erschreckt mich zutiefst.
Ging es ihm immer noch um den Trank? Wollte er seinen irrsinnigen Plan immer noch in die Tat umsetzen? Oder ging es ihm um Rache an mir? Und ich frage mich ebenfalls, was aus der zweiten Person geworden ist, die scheinbar mit ihm zusammen arbeitet.
Schriebst du mir nicht, dass Pläne von St. Mungos in seinem Schließfach gefunden wurden? Auch eine Namensliste von wichtigen Personen des Krankenhauses war dabei. Ich hatte es ehrlich gesagt fast vergessen, denn du erwähntest es in deinem Brief, kurz bevor du mich zum ersten mal mit 'du' ansprachst und ich muss zugeben, dass mich dies weit mehr in den Bann zog, als die wichtigen Informationen. Doch jetzt frage ich mich, was zum Teufel hatte Justin geplant?
Wir müssen wohl leider erst abwarten, was seine Aussage ergibt.
Doch jetzt ist dieses Schwein endlich hinter Gittern. Er hat sich sozusagen selbst auf einem goldenen Tablett serviert. Ich frage mich wirklich, welche Pläne er verfolgte, die ihn dazu brachten, dieses Risiko einzugehen. Aber nachdem ich den Wahnsinn in seinen Augen blitzen sah, als er mir langsam die Luft abdrückte, glaube ich, dass Justin Montgomery zu absolut allem fähig ist und keinerlei Skrupel kennt.
Der Gedanke, dass du im Unklaren über meinen Zustand sein könntest, war mir unerträglich, deshalb bat ich Schwester Rebecca um den Gefallen, dir einen Brief zukommen zu lassen. Ich bin unendlich froh, dass er dich offensichtlich erreicht hat.
Severus, du warst bei mir im Krankenhaus - ich weiß nicht was ich sagen soll...außer, dass ich es zutiefst bedaure, die Einnahme des Schlaftrankes nicht nur vorgetäuscht zu haben. Du warst da...bei mir...und ich habe dich nicht gesehen! Ich habe nicht gefühlt wie du mich berührt hast...dies schmerzt fast mehr, als es meine Verletzungen taten. Doch ich verstehe dich und ich nehme es dir nicht übel, dass du so gehandelt hast. Nur dieses Bedauern, dass ich dir nicht ebenfalls nahe sein konnte, bleibt.
Du wirst es nicht glauben, aber es gibt auch noch etwas Erfreuliches zu berichten.
Severus...ich habe den Vertrag!
St. Mungos will meinen Trank!
Professor Shipton teilte es mir an meinem Krankenbett mit. Das war nicht ganz der Anlass, zu dem ich eine solche Nachricht erwartet hätte, aber das Ergebnis bleibt dasselbe.
Ich habe es geschafft - wir haben es geschafft!
Weißt du, was das bedeutet?
So viele Pläne kann ich nun in die Tat umsetzen. Geräte anschaffen, die ich schon seit einer kleinen Ewigkeit haben möchte. Und wenn die Testreihe erfolgreich abgeschlossen ist, dann wird mein Name endlich eine Bedeutung auf dem Gebiet der Heiltränke erlangt haben.
Ich bin so glücklich - ich bin aber gleichzeitig auch schwach und fühle mich hilflos. Professor Shipton sagt, dass dieser Zustand noch länger andauern wird - ihm selbst ginge es auch nicht anders. Wir sprachen nicht nur über den Vertrag, sondern er erzählte mir, dass auch er sich furchtbar fühlen würde nach diesem Angriff auf ihn. Solch eine Tat ließe einen immer mit dem Gefühl der eigenen Ohnmacht zurück, aus der man sich nur langsam befreien könne.
Ja, es ist ein furchteinflößendes Gefühl, die eigene Sterblichkeit so sehr vor Augen geführt zu bekommen.
Aber ich werde dem Mistkerl Justin Montgomery nicht die Genugtuung geben, mich besiegt zu sehen.
Ich beginne gerade erst zu leben, Severus.
Mit jedem Brief von dir wird mir dies ein Stückchen mehr bewusst.
Diese Intensität habe ich nie zuvor gespürt.
Du weißt, dass ich meine Ziele immer mit viel Ehrgeiz verfolgt habe, und es hat mich immer mit Befriedigung erfüllt, wenn ich sie schließlich erreicht hatte.
In deinem letzten Brief fragtest du mich, was der Grund dafür sei, warum wir nicht das ausleben dürfen, wonach wir uns beide sehnen...und ich bin an einem Punkt, Severus, wo auch ich mir diese Frage stelle.
Aber dann weiß ich es wieder...ich erinnere mich, warum wir einander nicht wirklich näher kommen dürfen, als durch Bögen beschriebenen Papieres, oder dem heimlichen Betrachten des anderen, wenn er es nicht wahrnehmen, und nicht reagieren kann.
Die Antwort ist so simpel wie wahr.
Weil wir nicht glücklich würden.
Severus, ich weiß dass du Recht hast, wenn du sagst, dass du mich verspotten würdest - dass du mich nicht ansehen würdest - dass die Worte, die du mir schriftlich zukommen lässt, niemals über deine Lippen kämen, wenn du mir gegenüber stündest und wir wahrhaft eine Unterhaltung führen würden.
Diese Lippen, die ich in meiner Phantasie küsse und die mich wiederum küssen, würden mir in Wahrheit und wachem Zustand Dinge sagen, die mich verletzen würden.
Es ist schwer das zu begreifen, aber ich weiß, dass es wahr ist.
Und auch ich, Severus...ich weiß nicht, ob ich wirklich die Frau wäre, die du in mir zu sehen scheinst.
Liebster Severus, ich muss es dir gestehen...du bist ein Ziel, das ich nicht weiter mit Ehrgeiz verfolgen werde. Ich werde es mir selbst verbieten, denn es gibt Ziele, die sollte man besser nie erreichen.
Doch sei dir versichert, dass du in meinen Gedanken kein alter Graf bist, der auf grausame Art mordet...sei dir versichert, dass du der dunkle Mann bist, der sich nachts in mein Zimmer schleicht, mich in seinen Umhang hüllt und mit mir einen Pakt für die Ewigkeit schließt, indem er sich nimmt, was ich ihm willig gebe.
Oh, mir scheint, dass ich meine eigenen Verbote breche, kaum dass ich sie niedergeschrieben habe. Ich werde mich diesbezüglich bessern, Severus!
Du hast deine Hütte öffnen können! Und es war tatsächlich mein Name, der dies ermöglichte. Meiner? Wie gerne würde ich jetzt mit Albus Dumbledore sprechen! Ich würde ihm Tausend Fragen stellen...oder auch nur die eine - die, die uns Aufschluss darüber geben würde, was er damals schon in uns gesehen hat. Es kann doch unmöglich sein...unmöglich, dass er eine Verbindung zwischen uns sah, die wir uns erst nach all den Jahren eingestanden haben; und gegen die wir nun kämpfen müssen, weil sie einfach nicht richtig ist.
Dies lässt erneut die Frage in meinem Kopf kreisen, die wir uns nun beide schon gestellt haben - warum dürfen wir nicht?
Ich habe es doch gerade noch erklärt und habe das Gefühl, dass ich es erneut lesen muss, damit ich mich wieder erinnere.
Sicherlich wird Ginny mich morgen besuchen kommen, nachdem sich die Nachricht vom Angriff auf mich herumgesprochen hat.
Ich werde mich mit ihr aussprechen was dich betrifft, Severus.
Vielleicht schafft Ginny, was uns beiden zur Zeit so schwer fällt. Und ich brauche nur noch dein Einverständnis, dass du die wenig schmeichelhaften Dinge - sowohl dich, als auch mich betreffend - hören möchtest, warum wir beide niemals zusammenpassen würden.
Ich umarme dich,
Hermine
