28. Juli, London

Liebste Hermine,

es ist großartig, daß man deinen Trank in St. Mungos haben möchte und dies auch direkt in einem Vertrag festgehalten hat. Ich kenne Shipton nicht persönlich, aber ich habe bisher nur Positives über ihn gehört. Raphael kennt ihn wohl auch privat und hat ebenfalls eine gute Meinung von ihm. Daher freut es mich sehr, daß ihr arbeitsmäßig zusammengefunden habt. Auch wenn das Erlebnis das euch nun verbindet das denkbar unwünschenswerteste war, wurde wohl trotzdem eine Vertrauensbasis geschaffen, die von nun an schwer zu erschüttern sein dürfte. Selbst für den Fall, daß Shipton durch die vorausgegangenen Ereignisse auch nur noch den Hauch eines Zweifels an deiner Integrität gehabt haben sollte, dürfte sich das mit dem Überfall erledigt haben.
Wenn Harry Potter neben dir gelegen und geschlafen hat und du in der Lage warst, aufzustehen und den Raum zu verlassen, ist er kein guter Wächter.
Ich mache dir keinen Vorwurf - aber ihm. Du weißt, wie er und ich, daß irgendwo da draußen noch mindestens eine zweite Person existiert, die dir vermutlich ebensoviel Schlechtes will, wie Justin und wenn die Nachrichten über Justins Festnahme erst einmal an der Öffentlichkeit sind, ist es auch kein Geheimnis mehr, daß du in der Lage bist, dich zu wehren. Dann wird man - wenn sie es darauf anlegen - andere Mittel ergreifen.
Ich will dir keine Angst machen, aber ich muß es tun, denn ich will dein Verständnis für die Situation schärfen.
Du bist nicht außer Gefahr.
Daß dich jemand auf diese Weise verletzt hat, daß du in das Gesicht des Mannes sehen mußtest, den du noch vor zwei Wochen heiraten wolltest, und darin die Mordlust gesehen hast, muß ein furchtbares Erlebnis gewesen sein. Es macht mir erneut klar, was die Opfer solcher Brutalitäten erdulden müssen und ruft Erinnerungen hervor, an die Zeiten, zu denen ich gestellte Aufgaben nicht zur vollen Zufriedenheit erledigt habe... Ich werde diese Erinnerungen nun ganz bewußt zurückdrängen, weil... weil es nicht anders geht.
Entschuldige, wenn ich etwas unzusammenhängend schreibe, aber in meinem Kopf schwirren die Gedanken wie ein Bienenvolk umher und ich habe Schwierigkeiten, sie zu greifen und festzuhalten.
Ich habe seit der Nachricht, daß du im Krankenhaus bist, ein paar Dinge getan die mich an meinem Verstand zweifeln lassen und versuche nun, wieder zu ordnen, was eigentlich nicht mehr zu ordnen ist.
Mache dir keine Gedanken, nichts davon bedeutet reale Probleme für mich, da ich mich ausnahmsweise nicht mit der Obrigkeit, sondern nur mit mir selbst angelegt habe.
Trotzdem habe ich, obwohl es fast unmöglich erschien, heute morgen meine Arbeit im Ministerium verrichtet.
Allerdings konnte ich mich vorher vergewissern, daß Justin eine Hölle von Nacht erlebt haben muß. Seltsamerweise ist man mir in der Abteilung in der er nun befragt wird, irgendwie wohler gesonnen, als ich es in den anderen Abteilungen erlebt habe. Dort arbeitet unter anderem ein gewisser Jack Dohorty, der mir, zu meinem großen Erstaunen, dafür auf die Schulter geklopft hat, daß ich die privaten Erinnerungen aus dem Denkarium entfernt habe. Er meinte, daß er sich denken könne, was darin gewesen sei, da er meine Reaktion gesehen habe (er war anwesend, als sie versucht haben, mir die Erinnerungen wieder abzunehmen). Er meinte, er habe sofort gesehen, daß ich diese Erinnerungen lieber sofort als später wieder losgeworden wäre, wodurch für ihn klar gewesen sei, daß ich in der Tat in deinem Interesse handelte. Er war auch derjenige, der das zweite Denkarium gebracht hat. Und wenn er nicht für eine entsprechende Ablenkung der Kollegen gesorgt hätte, wäre es mir wohl nicht möglich gewesen, das Denkarium zu versiegeln.
Langer Rede kurzer Sinn: Dohorty hat mir teilweise gesagt, was bei Justins Vernehmung herausgekommen ist.
Die zweite Person, mit der er vorgegangen ist, ist eine Frau - Jessica Montgomery - seine Frau...
Er bestreitet, daß es weitere Beteiligte gibt, aber das glaubt Dohorty ihm nicht unbedingt. Die Befragungen sind noch nicht abgeschlossen.
Justin hat noch nicht viel gestanden und natürlich kann Dohorty mir nicht alles einfach so erzählen. Aber soviel hat er dann doch gesagt: Justin wollte mit dem Trank in St. Mungos das tun, was man unter Muggeln wohl mit dem Zünden einer kleineren schmutzigen Bombe vergleichen könnte. Er hatte sich davon erhofft, daß in einem größeren Umfeld Zauberer und Hexen davon betroffen sein würden und daß ihre magischen Fähigkeiten unmerklich langsam, aber stetig schwinden würden. Die unmittelbar Umstehenden wären, wie schon vermutet, sehr wahrscheinlich sofort ihrer Magie beraubt gewesen.
Den Grund für diesen Anschlag hat er nicht genannt, aber ich habe die Vermutung, die ich auch Doherty mitgeteilt habe, daß die Tatsache, daß der Imperius nicht funktioniert hat, eventuell darauf zurückzuführen ist, daß mit Justins eigener Magie etwas nicht stimmt. Das würde auch erklären, warum er, als du ihm durch das Brechen des Zauberstabes komplett seine Magie genommen hast, so völlig ausgerastet ist.
Du solltest Shipton fragen, was genau Justin alles geschrieen hat, als man ihn festgenommen hat. Vermutlich finden sich auch darin Hinweise.
Aus den Ermittlungen gegen Jessica Montgomery muß ich mich komplett heraushalten - was mir zwar schwer fällt, aber ich erkenne, daß die Auroren den Fall tatsächlich zum momentan wichtigsten Fall erklärt haben, weil man annimmt, daß Jessica eventuell eine Probe des Trankes besitzt und dementsprechend überall zuschlagen könnte.
Mach mit den wichtigsten Menschen um dich herum unbedingt Kennwörter aus und wechsel diese häufig.
Durch den Fall habe ich, mit Dohertys Hilfe, plötzlich im Eiltempo meine Braugenehmigung zurückerhalten. Man bat mich zwar, pro forma, zu einem späteren Zeitpunkt trotzdem eine Überprüfung zu dulden, aber ich kann zurück an den Kessel.
Geschehen ist dies dadurch, daß ich Doherty davon berichten konnte, daß ich in den letzten zwei Jahren in Hogwarts, nachdem der Zwischenfall mit Alastor Moody geschehen war, an einem Trank gearbeitet habe, der es möglich macht, Zauberer, Hexen und Muggel in ihrer wahren Gestalt zu erkennen. Ich war praktisch fertig damit, als Tag X kam und ich Hogwarts, ohne meiner Arbeitsunterlagen, Hals über Kopf, verlassen mußte.
Ich habe diese Unterlagen heute, mit Hilfe des Ministeriums, aus Hogwarts holen können und sitze nun, während ich diesen Brief schreibe, neben dem brodelnden Kessel, in dem seit etwa zwei Stunden der Trank braut. Für eine weitere Stunde muß er nun unangetastet weiterkochen und in fünf bis sechs weiteren Stunden weiß ich, ob er funktioniert.
Die Assistentin die man mir hier zwangsweise aufgedrückt hat (das war die Bedingung für die sofortige Wiederausstellung meiner Zulassung) hat sich bereiterklärt, unter Aufsicht eines Auroren und einer Medihexe, den Trank zu testen. Das dumme Ding ist aus Gründen die mir unklar sind, vollkommen davon überzeugt, daß meine Fähigkeiten als Zaubertrankmeister eine Garantie für das Gelingen des Trankes sind. Ich hoffe für Sie, daß sie Recht behält.
Es ist sehr unvernünftig, den Trank zu testen, ohne daß ich weitere Versuche vorher damit durchführe, aber die Zeit drängt. Ich habe mir allerdings, trotz Zeitmangel, erlaubt, zu testen, ob sie eventuell Vielsaft getrunken hat, um auszuschließen, daß es Jessica Montgomery ist, die mir da gerade ihr grenzenloses Vertrauen in meine Fähigkeiten ausspricht um mich unvorsichtig zu machen.
Soviel ist sicher - sie ist die Person, als die sie mir ins Labor geschickt wurde.
Wenn der Trank funktioniert, können Wachen an den entscheidenden Stellen im Ministerium, in St. Mungos und anderen größeren öffentlichen Einrichtungen postiert werden, die in der Lage wären, jeden, der versucht, sich mit Hilfe von Vielsafttrank oder anderen Maskeraden einzuschleichen, sofort zu erkennen.

Und da gerade das Stichwort „erkennen" gefallen ist, möchte ich, sehr kurz nur, auf einen sehr entscheidenden Satz deines Briefes eingehen.
Es ist gut, daß du aufhörst, Ehrgeiz in das „Projekt Snape" zu stecken, da ich ein hoffnungsloser Fall bin.
Es ist zwar nicht ganz so, wie du vermutest, denn ich könnte dir niemals wieder verspottende oder anders herabsetzende Dinge entgegenbringen, wie ich es in deiner Schulzeit getan habe, aber ich würde wohl schlicht vollkommen verstummen. Und selbst für jemanden wie dich, wäre es unerträglich, sich ausschließlich über Wissenschaft zu unterhalten...
Auch habe ich im Krankenhaus festgestellt, daß es wohl nicht so wäre, daß ich dich nicht ansehen würde, aber du würdest paranoid werden, weil ich festgestellt habe, daß ich nun, nach all unseren Briefen, den Blick nicht mehr von dir nehmen kann, wenn ich dich sehe. Ich mußte die Augen fast gewaltsam schließen, um das Krankenzimmer verlassen zu können. Es war, als wäre ich an dir festgebunden. Eine grausam-süße Fessel...
Aber, den alten Grund, warum wir nicht zueinandergehören langsam aus dem Gedächtnis verlierend, begreife ich nun den neuen. Ich würde dich einsperren. Ich wäre ein eifersüchtiger, besitzergreifender, überbeschützender Mann an deiner Seite und du würdest anfangen, dich dagegen zu wehren, bis einer von uns zerbricht.
Ich habe seit gestern viele, viele dumme Dinge getan und, wie ich schon schrieb, bin ich noch immer daran, wenigstens das eine oder andere davon wieder ins Lot zu bringen, aber in meinem Kopf herrscht ein Desaster aus Empfindungen, die so unendlich intensiv sind, daß sie einem die Gedanken vernebeln und einen dazu bringen, seltsam zu agieren.
Es war ein Fehler, ins Krankenhaus zu kommen und es war ein noch viel größerer Fehler, dich zu berühren!
Als ich danach kurz in den Strathfarrar appariert bin, hatte ich mich dort entschlossen, die alten Zeiten endgültig hinter mir zu lassen - und dich mit ihnen. Ich habe das Haus, mit unseren Briefen darin, in Brand gesteckt und die Highlands verlassen, um mit Dohorty zu sprechen.
Aber weißt du, was geschehen ist, Hermine? Ich war nach dem Gespräch im Ministerium noch einmal im Glen. Ich fühlte mich dorthin getrieben, um zu sehen, was ich für eine Verwüstung angerichtet habe - und das Haus steht noch...
... es hat geregnet...
Nach all diesen Wochen unerträglicher Hitze und Trockenheit, hat es wider jede Erwartung in Strömen geregnet!
Das ganze kleine Tal stand regelrecht unter Wasser! Die Gegend drumherum ist pulvertrocken, wie ich sie verlassen hatte - nur das Tal in dem das Haus steht, war einem unglaublichen Wolkenbruch ausgesetzt. An den Stellen an denen ich das Feuer gelegt hatte, war das Holz ein wenig angekokelt - aber mehr ist nicht geschehen.
Ich hatte den Überfall auf dich als Zeichen genommen, daß ich mich von dir fern halten soll.
Was will mir das Schicksal denn mit diesem Zeichen nun wieder sagen? Soll ich mich nicht von dir fernhalten? Soll ich mehr auf dich zugehen? WAS soll ich tun?
Was ich will steht außer Frage - aber was ist gut? Was ist gut für dich?
Hermine, auch wenn du mich ganz offensichtlich magst, anscheinend sogar mehr, sind deine Gefühle für mich sicher nicht die gleichen wie die, die ich für dich empfinde. Die Frage ist nun, was du willst. Du hast einmal geschrieben, daß du möchtest, daß unser Briefkontakt bestehen bleibt - aber da waren die Voraussetzungen noch andere als jetzt. Wir hatten uns noch nicht geschrieben, was wir inzwischen voneinander wissen. Deshalb frage ich dich erneut: Möchtest du den Kontakt aufrecht erhalten, oder soll ich ihn, für dich, beenden, um dir den Kopf freizumachen für den neuen Start? Ein Wort von dir, daß du diesen Kontakt abbrechen möchtest und du hörst nie wieder von mir.
Ich könnte dich so gut verstehen...

Dein Severus