30. Juli, Glen Strathfarrar

Meine liebste Hermine,

es ist beinahe wieder Abend und ich habe noch nicht zu Papier und Feder gegriffen. Ich kann nicht genau sagen, was mit mir los ist, ich weiß nur, daß es nicht nur von der Hitze kommen kann. Ich war gestern abend so müde wie ewig nicht mehr und fühlte mich, gelinde gesagt, seltsam. Ich habe es auf den gestrigen Tag geschoben, aber als ich heute wach wurde, ging es bereits auf den Mittag zu und ich bin den ganzen Tag über irgendwie nicht richtig wach geworden. Und wenn ich recht darüber nachdenke, waren die ersten Anzeichen für diese seltsame Müdigkeit bereits am Abend meines ersten Labortages vorhanden.

Außerdem ist mir kalt und das allein lässt mich verwundert sein.

Nun ja, vielleicht ist es einfach nur eine Sommergrippe.

Du fragst dich, ob es je schon zwanzig Tag in deinem Leben gab, die so ereignisreich waren – wenn ich für mich und mein Leben sprechen soll, wäre die Antwort ein klares „nein".

Ich fand es sehr aufrüttelnd, was du darüber geschrieben hast, daß es keinen Weg gibt, Liebe zu beweisen. Es hat mich deshalb aufgerüttelt, weil ich noch nie darüber nachgedacht habe, daß du zu meinen Beteuerungen auch einfach hättest sagen können „so ein Unfug".

Du freust dich, daß ich deine Liebe nicht anzweifel – aber warum hast du eigentlich nie meine in Frage gestellt? Es verwundert mich sehr, daß ich überhaupt nie daran gedacht habe, daß du es tun könntest. Meine Angst war, daß du sie für verachtenswert hältst, daß du mich dafür auslachst – aber daß du glauben könntest, ich erzähle dir Unwahrheiten... nein, daran habe ich nie gedacht.

Was mir gerade beim nochmaligen Lesen deines Briefes erneut einen Schauer über den Rücken gejagt hat, war eine deiner zahllosen, hirnverdrehend zweideutigen Anspielungen. Dir wäre also der eine oder andere Weg eingefallen, mir dein Begehren zu beweisen? Ich habe gerade, während ich diesen Satz schrieb wieder einen hörbaren Atemzug getan. Deine Andeutungen bergen mehr Erotik in sich, als die meisten Frauen in sich tragen, selbst wenn sie sich einem nackt präsentieren. Ich glaube, einer der wichtigsten Gründe dafür, mich noch von dir fernzuhalten, ist die Tatsache, daß ich nur schwer davon abgebracht werden könnte, dies oder das in die Tat umzusetzen, was ich im Sinn habe, wenn ich an dich denke.

Ich danke dir, daß du mich die Irrfahrt deiner Gefühle für mich, hast miterleben lassen. Dadurch, daß du all die Positionen, all die Eckpunkte aufgezählt hast, habe ich ein ungefähres Bild davon bekommen, wie es dazu gekommen ist, daß wir heute da sind, wo wir sind.

Ja, ich erinnere mich daran, dich im ersten Jahr mit Harry und Ron bei euren Mutmaßungen überrascht zu haben. Ich erinnere mich deshalb sogar noch sehr gut daran, weil mich dein Blick ein klein wenig verstört hatte. Die Angst darin war zwar deutlich zu erkennen, aber auch etwas anderes. Ich hatte das Gefühl, daß du einen anderen Grund als die Jungs dafür hattest, daß du um keinen Preis wolltest, daß ich davon weiß, wessen ihr mich verdächtigt. Ich habe keine Sekunde an Schwärmerei gedacht – ich hatte das Gefühl, daß du, trotz deiner jungen Jahre, glaubtest, mir gleichgestellt zu sein. Und zwar nicht in dem Sinne, daß du dich für ebenso fähig oder wissend gehalten hättest – sondern so, als könntest du erkennen, daß deine Intelligenz meiner ebenbürtig war – unerfahrener noch – aber ebenbürtig.

Ich hatte dir ja schon einmal geschrieben, daß Albus wollte, daß ich mich vor allem von dir, Ginevra, Ron und Harry fernhalte und daß ich ihm in Bezug auf Ginevra und dich Recht gegeben habe... Ginevra hat allerdings nie Anstalten gemacht, in meiner Richtung zu forschen – was man von dir nicht gerade behaupten kann.

Übrigens... die Verdächtigungen die ihr hattet, waren zwar falsch... aber nicht dumm.

Als ich dir lange später die Beleidigung über dein Aussehen an den Kopf geworfen habe, konnte ich im gleichen Moment spüren, daß ich zu weit gegangen war... wieder einmal... aber ich habe mir stets verboten, daß es mir leid tut, weil Mitleid meiner Aufgabe nur im Wege gestanden hätte. Außerdem muß ich zugeben, daß Harry und Ron, sowie diverse andere Schüler stets soviel Grund für ernst gemeinte Verachtung gegeben haben, daß ich oftmals auch dort nur mit einem Maß gemessen habe, wo zweierlei Maß angebracht gewesen wäre.

Die Verachtung für die Schüler, die irgendwann in der Tat so etwas wie ein Wesenszug meiner Person wurde, sorgte gleichzeitig für eine völlige Gleichgültigkeit den Beleidigungen gegenüber, die man mir entgegenbrachte. So war die Situation beiden Seiten dienlich.

Hurensohn... ja, doch... ich kann mich auch an dieses Wort erinnern. Allerdings wußte ich nicht, daß du es so früh schon für mich benutzt hast. Eines meiner geläufigsten Worte für dich war wohl das gedankliche „Miststück", aber härter getroffen habe ich dich sicherlich mit dem so oft ausgesprochenen „dummen Mädchen" – vor allem, als du längst keins mehr warst...

Es war so leicht, dich zu verletzen. Du hast immer versucht, es zu verbergen und es ist dir nie gelungen...

Und es ist sehr gut zu verstehen, daß du dir Gründe an den Haaren herbeigezogen hast, als andere Gefühle aufkamen... die Faszination, die du offenbar für mich empfunden hast, weil ich über vieles von dem verfügte, was du dir erträumt hast, hatte ich auch für dich – auch damals schon – weil du deine Klassenkameraden so meilenweit überragtest – nicht nur in anerlerntem Wissen, sondern auch in einer Weisheit, die für dein Alter völlig unüblich war. Ich habe die eine oder andere „Anekdote" am Rande mitbekommen, als Harry und Ron plötzlich das andere Geschlecht zu entdecken begannen, ohne wirklich zu wissen, was sie mit dieser Entdeckung anstellen sollten. Ich habe innerlich vor Lachen gebebt, wenn ich gesehen habe, wie du die Augen verdreht hast, angesichts der völligen sozialen Inkompetenz der beiden.

Ich habe immer mal wieder mitbekommen, wie du über mich geschimpft hast, mich beleidigt hast – aber ich habe, seltener zwar, aber trotzdem, auch mitbekommen, wie du mich, zu meiner grenzenlosen Verwunderung, vor den anderen verteidigt hast...

Und dann kamen deine Träume? Ich weiß nicht, wie alt du warst, als sie kamen (und auch wenn es dir absolut uncharakteristisch vorkommen sollte, interessiert es mich durchaus, welcher Natur diese Träume genau waren...) aber ich begann von dir erst nach jener Nacht zu träumen in der ich dich im Labor angetroffen hatte. Aber dann dafür umso „schlimmer"... diese Träume sollte ich dir in der Tat ersparen... sie haben jedenfalls während der Tage ganz schön Nerven gekostet.

Was deine Träume betrifft, vergiss bitte meine Vorliebe für präzise und kurze Antworten... da wäre mir gefühlsbetont und ausschweifend lieber...

Was ich ganz erstaunlich finde, ist deine rückblickende Analyse, betreffend deine Wahl von Justin Montgomery. Das hat mich – wie sagt man es so schön – regelrecht umgehauen. Und daß auch deine Arbeit selbst dich an mich erinnerte, ist... absolut erstaunlich. Es ehrt mich und macht mich gleichzeitig betroffen.

Du erinnerst dich an den ruhigen und bestimmten Klang meiner Stimme, als ich dir damals die Lösung genannt habe? Bei Merlin! Meine Schauspielerischen Leistungen waren besser, als ich gedacht habe. Ich war davon überzeugt, daß du ein Zittern in meiner Stimme hören musstest und daß es dir völlig unnormal vorkommen mußte, daß der scharfe Klang, der meine Stimme üblicherweise ins Labor und ins Klassenzimmer begleitet hat, völlig fehlte.

Du hast mir, auch wenn dir das vielleicht nicht bewusst war, den präzisen Zeitpunkt benannt – die letzten Jahre deines Lebens...

Und die Vorstellung daß du mir derlei Dinge beim Frühstück erzählst, ist vielmehr ein Grund dafür und nicht dagegen, dich aufzusuchen...

Mein Lieblingstagtraum im Moment ist es, dich zu wecken, wenn die Sonne bereits in sichtbaren Bahnen durchs Zimmer streift, dir Kaffee zu bringen, mich neben dir auf das Bett zu setzen und zuzusehen, wie du langsam wach wirst. Und der allerschönste Teil dieses Traumes ist der Augenblick in dem du deine braunen Augen aufmachst, mich ansiehst und lächelst...

Ich verspreche dir, daß ich nur Zeit brauche – keine Ewigkeit – nur Zeit...

Du hast Harry gesagt, daß du jemanden liebst? War er nicht erschüttert von dieser Nachricht, ganz egal wen es betrifft? Wir wissen, wie es dazu kommen konnte – aber für jeden anderen muß es in diesem kurzen Zeitraum sehr seltsam aussehen...

Ich hoffe sehr, daß du Gelegenheit hattest, mit Ginny zu sprechen...

Richte bitte Snape ein dickes Dankeschön aus – ohne wirklichen Grund – einfach nur so...

Und was Severus betrifft, werde ich mich noch einmal auf die Lauer legen – vielleicht können wir die ungerade Anzahl ja ausgleichen... ich werde auch noch über Gründe für Severus seltsames Verhalten nachdenken. Hattest du einmal versucht, in irgendeiner Form mit ihm zu kommunizieren? Ihn ebenfalls einmal lange zu beobachten, oder ähnliches?

Auch wenn dir deine „Gefangenschaft" im Moment sehr auf die Nerven geht – bitte halte sie noch ein wenig durch, bis der Fall entgültig geklärt ist! Ich werde wahninnig bei dem Gedanken, daß dir noch etwas passieren könnte!

Ich möchte noch so viel schreiben, aber die Müdigkeit ist wieder übermächtig. Außerdem werde ich jetzt den Kamin anmachen, damit mir endlich wieder warm wird. Entschuldige die krakelige Schrift in den letzten Zeilen, aber es fühlt sich an, als hielte ich einen Eiswürfel. Albern, nicht wahr? Die Kälte ist, angesichts der heißen Temperaturen draußen, sehr entnervend. Vermutlich wirklich eine Grippe...

Aber ich werde jetzt einen wunderschönen Traum von dir träumen – ich bin sicher, daß mir dann wieder warm wird!

Ich liebe dich!

Dein Severus