1. August, Norwich

Oh, Severus...mein geliebter...dummer Severus!

Kein Auge habe ich zugemacht, nachdem mir die Eule so spät noch deinen Brief brachte.

Den ganzen Tag hatte ich mich gesorgt - hielt Ausschau am Himmel, in der Hoffnung die Botschaft zu erhalten, dass du wohlauf bist.

Ich war kurz davor, einfach vor deiner Tür zu apparieren - aber ich habe mich zusammengerissen, denn ich gab dir mein Wort nichts zu überstürzen und auch meine neue Beschützerin hätte dies wohl kaum zugelassen.

Als ich zu Bett gehen wollte und immer noch keine Nachricht von dir eingetroffen war, da schwor ich mir, dich trotz dieser Hindernisse gleich morgen früh aufzusuchen.

Und dann...endlich...hörte ich das Klopfen eines Eulenschnabels an meinem Fenster.

Miss Carpenter - Harrys Ablösung - bestand darauf, den Vogel samt Botschaft erst genau unter die Lupe zu nehmen, bevor sie mir schließlich deinen Brief aushändigte. Sie hat ihn mit verschiedenen Zaubern untersucht - dein Siegel hat sie jedoch nicht angerührt.

Als ich den Brief las, konnte ich erkennen, dass sie es wohl bedauerte, nicht indiskreter vorgegangen zu sein.

Ich habe den Brief jedoch sofort in eine verzauberte Schatulle gelegt, die sie nicht zu öffnen wagen wird, und sei ihre Neugier - wegen meiner Reaktion auf deine Zeilen - auch noch so groß.

Niemals in meinem Leben habe ich mich so ambivalent gefühlt. Wie ein Tiger bin ich rastlos durch meine Wohnung gelaufen und habe abwechselnd vor mich hingeflucht, Beschwörungen ausgestoßen und gleichzeitig versucht, meine Tränen im Zaum zu halten.

Harry hätte dich nicht aufsuchen dürfen! Wie oft habe ich ihm seit Samstag gesagt, dass es ihn nichts angeht - dass er sich aus meinem Leben raushalten soll! Was bildet er sich ein, dass er glaubt, er dürfe derart hinter meinem Rücken handeln?

Und du, Severus - du hast dich hinreißen lassen zu einer so primitiven Auseinandersetzung! Mit Fäusten habt ihr aufeinander eingeschlagen! Habt euch gegenseitig Verletzungen zugefügt! Ich wollte es erst nicht glauben und es fällt mir immer noch schwer es zu begreifen.

Ich wäre so gerne wütend auf euch beide! Wütend, weil ihr es eigentlich besser wissen müsstet!

Aber ich kann nicht wütend sein! Weder auf Harry, noch auf dich!

Harry hat sich verhalten, wie man es einem großen Bruder nachsagt. Seine Sorge um mich muss ich wohl als Zeichen unserer Freundschaft annerkennen...aber ich denke, dass ihm ganz recht war, dass er seinen jahrelangen Hass auf dich, auf diese Weise und unter diesem Vorwand zum Ausdruck bringen konnte.

Und du warst nur allzu bereit, ihm kämpferisch entgegenzutreten.

Ich kann mir vorstellen, wie ein Wort das andere gab.

Ebenso kann ich verstehen, dass es dich unendlich wütend gemacht haben muss, als Harry dir niedere Motive für dein Interesse an mir unterstellte.

Aber du hättest darüber stehen müssen!

Bei Merlin - ich schreibe dies, weil ich weiß, dass es tatsächlich so hätte sein müssen...aber ich bin auch stolz...stolz, weil...weil du für mich gekämpft hast - für uns gekämpft hast!

Ich muss verrückt sein, dir dies zu schreiben...untersteh dich so etwas je wieder zu tun!

Aber vielleicht musste es so weit kommen, damit Harry begreifen konnte, dass es wirklich ernst zwischen uns ist.

Ich kann mir vorstellen, wie verwirrt er gewesen sein muss, als du ihm sagtest, dass wir beide uns nicht einmal getroffen haben.

Er hatte sich mir so angewidert darüber geäußert, dass wir...das Bett teilen könnten, dass ich ihm nicht gestehen wollte, dass sich Derartiges noch nicht ereignet hat - und es geht ihn auch nicht das Mindeste an, verdammt nochmal!

Aber bei all der Aufregung um eure Kurzschlussreaktion, dürfen wir nicht vergessen, dass es einen Grund zu wirklicher Besorgnis gibt!

Jemand hat versucht dich zu manipulieren!

Wer könnte daran Interesse haben? Und wer hatte die Gelegenheit dazu?

Nenn mich übermäßig misstrauisch, aber es kommt mir merkwürdig vor, dass dies gerade jetzt passiert, nachdem du eine neue Assistentin hast.

Bitte, Severus, sei vorsichtig!

Diesmal hat das Mittel sein Ziel nicht erreicht - und ich danke still deinen scheinbar eingebauten Abwehrmechanismen - aber ich mag gar nicht darüber nachdenken, in welcher Gefahr du schwebst.

Bitte versprich mir, dass du vorsichtig bist!

Um mich selbst abzulenken, während ich auf deinen Brief wartete, ging ich ins Labor und beschäftigte mich mit drei neuen Tränken gleichzeitig.

Genaugenommen ging ich nicht ins Labor, wie ich es sonst zu tun pflege, weil es nur fünf Gehminuten von meiner Wohnung entfernt liegt, sondern mein neuer Schatten bestand darauf, dass wir apparierten. Wenn das so weitergeht, dann weiß ich bald nicht einmal mehr, wie sich die Sonne auf der Haut anfühlt.

Ich spiele ja mit dem Gedanken, dir die gute Miss Carpenter zu deinem Schutz zu überlassen...obwohl...nein, lieber doch nicht!

Zur Zeit wünsche ich mir nichts sehnlicher, als bei dir zu sein und deine Wunden zu verpflegen. Ich kann es immer noch nicht fassen. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf und ich sehe immer wieder die Bilder eures Kampfes vor mir, so wie du ihn mir beschrieben hast - einerseits bin ich davon abgestoßen, andererseits irgendwie geschmeichelt...dieses Gefühl kann unmöglich richtig sein! Ich muss an etwas anderes denken!

Ich hatte dir ja versprochen, dir ein paar meiner Träume zu erzählen, die ich damals bereits von dir hatte.

Nun, es waren Träume eines jungen Mädchens...aber sie waren so intensiv, dass ich mich durchaus noch genau erinnere.

Da war zum Beispiel dieser Traum, dass wir beide ganz allein im Klassenzimmer waren. Keine Ahnung warum dies so war...vielleicht eine Strafarbeit, aber dafür war ich eindeutig zu entspannt.

Egal, jedenfalls kamst du auf mich zu und schlugst langsam, aber sehr bestimmt, das Buch zu, das vor mir auf dem Pult lag.

Ich rührte mich nicht, sondern beobachtete dich aus den Augenwinkeln, wie du um mich herum gingst und dann fühlte ich deine Hände in meinem Nacken. Langsam und warm strichen sie an den Seiten meines Halses entlang. Ich wagte kaum zu atmen. Dann spürte ich, wie du mein Haar zu einem Zopf bandest und schließlich einen Hauch deines Atems auf meiner freigelegten Schulter.

Das klingt nicht nach geballter Lust - aber für mich hatte dies damals so etwas eindeutig Unwirkliches und irgendwie auch Verbotenes an sich, dass ich lange Zeit nicht von dieser Vorstellung loskam.

Einmal, als du im Unterricht durch die Klasse gingst und du gerade hinter mir standest, da band ich wie in Trance meine Haare zu einem Zopf und glaubte fast, den Hauch deiner Lippen spüren zu können.

Ich hatte auch noch andere Träume und manche waren eindeutig körperbetonter, aber dieser hatte für mich wirklich eine so fesselnde Erotik, dass ich heute selbst ein wenig darüber schmunzeln muss.

Ich musste diesen Brief unterbrechen, denn Ginny kam heute morgen überraschend vorbei.

Sie sagte, sie wolle so schnell wie möglich mit mir reden und hat daher eine Kollegin gebeten, ihren Dienst im Flugüberwachungszentrum zu übernehmen.

Wir wollten eigentlich ins Café gehen, aber mein Wachhund hatte etwas dagegen...die Frau macht mich wahnsinnig - sie ist noch strenger als Harry!...und so sind wir in meiner Wohnung geblieben und ich habe uns einen Kaffee gekocht, der Tote wecken könnte.

Vielleicht hätten wir lieber einen Kamillentee trinken sollen, denn wir waren ohnehin beide schon sehr aufgekratzt.

Von Ron konnte sie mir kaum etwas berichten, denn er hat sie gar nicht groß mit ihm reden lassen, sondern ist ohne ein Wort des Abschiedes vor ihren Augen disappariert.

Wir sind uns jedoch einig, dass er sich erst einmal beruhigen muss; dann kann man auch wieder mit ihm sprechen...aber wenn er in diesem Zustand ist, dann ist jedes Wort eines zuviel.

Ich habe Ginny deinen Brief gegeben, weil ich nicht wollte, dass Miss Ich-seh-alles so direkt mitbekommt, was geschehen ist. Sie wird es wahrscheinlich ohnehin erfahren, denn ich vermute, dass Harry engen Kontakt zu ihr hat. Ist nur so ein Gefühl, aber ich denke, er hat nicht umsonst sie ausgewählt und sie könnte genau sein Typ sein.

Ginny ist die beste Freundin, die man sich wünschen kann!

Sie hat mir gesagt, dass sie unsere Verbindung in Ordnung findet. Gut, das war nicht gerade sonderlich überschwenglich, aber man muss auch bedenken, dass sie Ärger mit Ron und Harry wegen uns hat.

Zudem sagte sie, dass ich ja wüsste, dass sie dich nicht abstoßend findet, wie Ron es gestern durchs ganze Haus geschrien hat.

Dann fragte sie mich, warum ich damals nicht schon gesagt hätte, dass ich dich anziehend finde, als sie mir gestanden hat, dass du sie faszinierst.

Und dann haben wir lange gesprochen - über Gefühle, die vorhanden sind, die man sich aber nicht eingestehen will. Ich habe ihr erklärt, dass ich damals schon merkte, dass ich mehr für dich empfand, als nur ein erotisches Interesse und das ich eben aus diesem Grunde nicht selbst so ohne weiteres dazu stehen konnte.

Einen Mann attraktiv zu finden, ist die eine Sache, aber wenn man merkt, dass er einen bis ins Innerste berührt, dass es Liebe ist, die man für ihn empfindet, dann ist Schluss mit leichtfertigen Reden.

All dies haben wir besprochen und es würde zu lange dauern, auf alles einzugehen.

Ich bin mir sicher, dass sie beeindruckt war, wie liebevoll dein Brief klang - es hat ihr einen Einblick gegeben, der mir wichtig war und ihre Reaktion hat mich davon überzeugt, dass sie uns wirklich alles Gute wünscht.

Ich hoffe es ist dir recht, dass sie deinen Brief gelesen hat. Ich würde nur ungern einen Vergessenszauber bei ihr einsetzen müssen, denn es ist wirklich eine Erleichterung für mich, dass ich meine beste Freundin nicht mehr anlügen muss.

Ich bin glücklich, dass jetzt endlich kein Geheimnis mehr zwischen uns herrscht.

Ja, trotz all dieser Dinge, die uns nun schon passiert sind, seit wir uns Schreiben, kann ich doch sagen, dass ich ein unglaublich glücklicher Mensch bin...eine glückliche Frau, die einen Mann liebt, der um sie kämpft...

Ich liebe dich,

Hermine