1. August, Glen Strathfarrar
Meine geliebte Hermine,
das kannst wirklich nur du... aus der peinlichsten Angelegenheit, aus der dümmsten Dummheit noch etwas Positives ziehen. Du bist absolut unglaublich.
Du warst kurz davor, vor meiner Türe zu apparieren! Bei dem Gedanken daran, schwanke ich zwischen Panik daß es hätte passieren können und Enttäuschung, daß es nicht geschehen ist.
Ich kann nur nochmals betonen, daß es mir sehr, sehr leid tut, daß es so weit gekommen ist. Aber vielleicht hast du Recht, wenn du sagst, daß sich da auf primitivster Ebene etwas entladen hat, was wohl schon seit Jahren unterschwellig vorhanden war.
Aber wie oft hast du in den letzten Tagen schon meinetwegen geweint... Jede dieser Tränen lastet auf meinem Gemüt, weil ich sie verursacht habe. Bin der Grund dafür und halte dich nun nicht einmal im Arm.
Hermine... in einem deiner allerersten Briefe schriebst du mir, daß ich nicht gerade für meine Fairness bekannt sei. Und es stimmt. Wie unglaublich unfair ist es, daß ich dich meide? Daß ich es nicht wage, zu dir zu kommen? Daß ich mich in Briefe flüchte, dir mein Herz ausschütte und gleichzeitig schenke, und doch von dir erwarte, daß du duldest, was ich mit dir tue. Es stimmt, was Harry sagte. Ich nutze dich aus. Vielleicht nicht gerade deine emotionale Lage, aber doch dich, deine Güte, deinen unbedingten Willen, Gutes in mir zu sehen.
Ich habe mich noch nie so gefühlt, wie in diesen Tagen, Hermine. Manchmal glaube ich, es zerreißt mich, wenn ich nur eine Sekunde länger ohne deine Berührung bin und dann ertappe ich mich dabei, daß ich mich – obwohl ich in den Highlands und alleine bin – in einen Schatten drücke, aus Sorge, man könne mich zu deutlich sehen.
Ich habe zurückgeschlagen, als Harry den ersten Hieb getan hatte. Zum Teil war es sicher eigene Raserei, die mich so hat handeln lassen, aber ein Teil von mir wußte auch, daß er nur dann weitermachen würde, wenn ich meinen Teil zu der Prügelei beitrage. Und ich glaube, verzeih es mir, daß ich wollte, daß er weitermacht. Manchmal fühlt man sich so unsichtbar, daß man sein eigenes Blut sehen muß, um Gewissheit darüber zu haben, daß man lebt. Kennst du dieses Gefühl?
Vermutlich nicht...
Hoffentlich nicht...
Ich habe Angst davor, dich zu berühren, weil ich nicht weiß, wie es sein wird – wie du sein wirst. Ich berühre die Menschen um mich herum nur sehr, sehr selten, Hermine, genau wie sie mich. Die wenigen Gelegenheiten waren stets Mittel zum Zweck. Man kann keinen Sex mit einer fremden Frau haben, ohne sie zwangläufig zu berühren. Viele Arten der Folter der Todesser bedurften zwangsläufig der Berührung anderer Menschen. Das eine oder andere Händeschütteln konnte nicht umgangen werden... aber ansonsten...
Ich wollte es nie, weil ich es nicht kenne. Ich bin ohne Berührung aufgewachsen. Zumindest ohne Berührungen an die man sich freiwillig erinnern möchte. Und was uns unbekannt ist, ist uns meist auch unheimlich oder unangenehm.
Doch mein Bauch, mein Kopf, mein Körper, meine Seele flüstern mir zu, daß es anders sein wird, dich zu berühren und von dir berührt zu werden. Diese Berührung wäre nicht Mittel zum Zweck, sondern es wäre die Berührung selbst, um die es geht.
Berühren, um zu liebkosen, berühren, um den anderen zu fühlen. Ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll, Hermine. In meinem Geist, in meinen Träumen scheint es völlig einfach zu sein, aber sobald der Gedanke aufkommt, zu dir zu gehen und es einfach zu tun, werde ich unruhig und meine Beine weigern sich, auch nur einen einzigen Schritt zu tun.
Ich sehne mich nach dir, Hermine. Ich möchte dich in meinen Armen halten – ich möchte, ich wage kaum, es zu schreiben, in deinen Armen liegen und alle Anspannung von mir abfallen lassen.
Ich habe mein ganzes Leben auf einen Menschen wie dich gewartet, Hermine. Ich habe es nicht gewusst. Erst jetzt, da ich dich gefunden habe, da ich dich wiedergefunden habe, erkenne ich es. Ich habe mich schon nach dir gesehnt, als ich dich noch gar nicht kannte, als hätte ich schon immer gespürt, daß etwas von mir fehlt – ein Stück meiner Seele.
Dein Traum ist so wunderschön und ich kann sehr gut verstehen, daß du ihn immer wieder geträumt hast. Was mich sehr verwundert, ist die Tatsache, daß ich mich sehr genau daran erinnern kann, daß du einmal im Unterricht vor mir gesessen hast, als ich durch die Reihen ging, und dir die Haare zusammengebunden hast. Und es ist gar nicht so unwahrscheinlich, daß du tatsächlich etwas gefühlt hast – zumindest bewegte Luft – denn als sich deine Locken bei diesem Vorgang einmal kurz zu lösen drohten, was du mit einem einzigen weiteren Griff zu verhindern wusstest, hatte ich automatisch meine Hand nach deinem Haar ausgestreckt und hätte es beinahe berührt. Natürlich habe ich diesen Impuls sofort unterbrochen und bin, mit beinahe hörbar schlagendem Herzen, erschrocken weitergegangen – aber die Szene ist mir in Erinnerung geblieben. Ich war damals heilfroh, daß es niemand gesehen zu haben schien.
Hermine, mit dir erleben zu dürfen, was ich erlebe, ist Segen und Fluch zugleich.
Ich bin heute nicht anders als vor einem Jahr, aber ich weiß heute, sehr viel besser als vor einem Jahr, daß ich ein emotionaler Krüppel bin. Ich kann dir Zaubertränke brauen, deren Rezepturen mancher in seinem ganzen Leben nicht begreifen wird, ich bin in der Lage, jeden einzelnen der Unverzeihlichen zu sprechen, ich bin in der schwarzen wie in der weißen Magie bewandert wie wenige andere – aber wenn es darum geht, die Frau zu küssen, die ich liebe, dann versage ich schändlich, flüchte vor ihr, verstecke mich regelrecht vor ihr und fühle mich wie ein alter Kater, der sich unter dem Schrank versteckt und Wunden leckt, die er sich selbst geschlagen hat.
Warum bin ich so? Warum kann ich nicht annehmen, was du mir vielleicht ohne Zögern schenken würdest? Warum möchte ich dir soviel mehr geben als ich es tue – und kann es einfach nicht? WARUM?
Warum finde ich Ausflüchte, um dir nicht zu schreiben, wenn ich weiß, daß du dir Sorgen machtest, wenn ich dir schriebe, daß es mir nicht gut geht? Warum schreibe ich dir nicht, daß ich regelrecht in Panik bin, bei dem Gedanken, daß mir irgendjemand dieses Zeug eingeflößt hat, ohne daß es mir bewusst war? Warum spiele ich es in einem Nebensatz herunter? Warum schreibe ich dir nicht dann, wenn es angebracht wäre – nämlich sofort – daß ich heute morgen stocksteif war, als ich mein Büro, das Lager und das Labor betreten habe, weil ich hinter jeder Ecke den- oder diejenie vermute, der oder die in meine Gedanken eindringen will. Warum schreibe ich dir nicht ohne zu zögern, daß ich heute abend höllische Schwierigkeiten habe, mich zu konzentrieren, weil ich aus meiner Paranoia heraus den ganzen Tag im Ministerium nichts zu mir genommen habe, weder gegessen noch getrunken habe, aus Sorge, daß man mir etwas in die Nahrung getan haben könnte, was mir im Moment der einzige erklärbare Weg zu sein scheint wie das Mittel in mich hineingelangen konnte.
Selbst vor dir spiele ich den kühlen, berechnenden Zaubertrankmeister, der mit jeder Situation klar kommt. Mein Problem war immer schon, daß es in der Regel tatsächlich so war – ich bin mit so ziemlich jeder Situation klar gekommen – das hieß aber in den seltensten Fällen, daß ich sie auch verarbeitet habe. Doch ich habe stets funktioniert.
Und ich will, daß das so bleibt, denn – was bleibt von mir übrig, wenn nicht einmal mehr das da ist? Wer wäre ich noch?
Ich habe dir geschrieben, daß Harry mich, mehr feststellend, gefragt hat, ob ich dich wirklich liebe. Aber auch hier habe ich dir unterschlagen, was ihn wirklich hat begreifen lassen, was ich empfinde, denn unmittelbar davor hat er mir entgegengespien „Sie sind nicht gut genug für Sie" und ich habe zurückgefaucht „Glauben Sie, daß wüsste ich nicht?" und er setzte nach „Sie verdient etwas besseres als Sie!" und ich stimmte ihm, während er mir auf eine beinahe suchende Weise in die Augen sah, mit „Ich weiß..." zu.
Erst danach hielt er wirklich inne und sagte dann den Satz, den ich dir bereits geschrieben hatte: „Sie lieben Sie wirklich..."
Ich denke, dass ich diesen Dialog nie wieder vergessen werde.
Du bist so voll von Leben, Hermine und ich komme mir vor, als verdunkle ich dein Licht, als sei ich die Nacht, die sich über deinen Sonnenschein legt.
In guten Momenten sage ich mir, daß wir uns dadurch phantastisch ergänzen – in schlechten frage ich mich, ob ich dich nicht mit meiner Dunkelheit verschlinge.
Im Moment ist es so, dass ich glaube, daß ich dich beschädigen, beschmutzen, unheilig machen könnte, indem ich dich berühre und gleichzeitig kann ich dich fühlen, auf eine Weise, die mich ganz automatisch die Augen schließen lässt, um auch dein Bild vor meinen Augen erscheinen zu lassen.
Und nun sage mir nicht, daß ich dich nicht beschmutzen könnte – ich weiß, daß das nicht der Fall ist, Hermine – aber leider ändert diese Kopferkenntnis nichts an der Gewissheit meines Herzens.
Seit deinem letzten Brief und der Beschreibung deines Traumes ist es dann wieder der Gedanke, hinter dir zu stehen, deine Haare mit den Fingern zu durchkämmen und zu ordnen und dabei mit den Fingerspitzen deinen Hals zu berühren. Hermine... mein Bauch spielt verrückt bei diesem Gedanken und ich kann es beinahe real fühlen, wie ich deine Haare zu einem lockeren Zopf zusammenflechte, um danach meine Hände auf deine Schultern zu legen, sie leicht zu massieren und dabei so dicht hinter dir zu stehen, daß du deinen Kopf nur einen Hauch zurücklegen brauchst, um gegen mich gelehnt zu sein. In meiner Vorstellung ziehe ich dich dann hoch zu mir und erkunde deine warme, samtige Nackenbeuge mit meinen Lippen, während ich fortfahre, deine Schultern zu massieren...
Doch, Hermine – es klingt in der Tat nach geballter Lust. Es klingt nicht nach Sex – aber es klingt nach purer Lust.
Doch bevor mir nun vor Erregung die Feder aus den Fingern fällt, will ich diesen Teil des Briefes endgültig beenden.
Du konntest also mit Ginevra sprechen? Das ist gut. Ich denke, daß Ron sich beruhigen wird. Ich gebe zu, daß es mich ein paar sehr unruhige Momente gekostet hat, zu erfahren, daß sie einen meiner Briefe gelesen hat (zumal ich nicht weiß, welchen...) aber ich habe dann entschieden, daß es völlig gleichgültig ist und schließlich hatte ich dir jede Erlaubnis gegeben, mit ihr über alles zu sprechen. Und es war sicherlich eine gute Möglichkeit an der Aurorin vorbeizuagieren. Bitte richte Ginevra, wenn ihr euch wiederseht, Grüße von mir aus und bitte sie in meinem Namen um Verzeichung für den Streit den sie nun mit Ron und Harry hat (wobei ich die Hoffnung hege, daß sich der Streit mit Harry kürzer halten könnte, als befürchtet und daß das eventuell auch Einfluß auf Ron haben könnte.)
Auch wenn es jetzt überhaupt nicht zu passen scheint – aber ich habe etwas über die Tintenflohsterne herausgefunden, das, soweit ich das beurteilen kann, absolut neu ist. Im Lager habe ich einige getrocknete Sterne gefunden (war mir, angesichts unserer Beobachtungen, nun ebenfalls beinahe so etwas wie Schuldgefühle beschert hat – vor allem angesichts meiner neuesten Erkenntnis!) und genauer untersucht. Als ich einen von ihnen in einer Tinktur eingelegt hatte, um ihn danach unter dem Vergrößerungsglas anzusehen, ist mir etwas Unglaubliches aufgefallen: Die Musterung ihrer Haut, die Streifen, die Punkte und Wellen, ließ sich ablösen... Hermine – das, was man bei den Winzlingen immer für unterschiedlich gemusterte Hautfärbungen hielt – ist Kleidung! Ein immens dünnes Material, das, wenn man es dann ganz genau betrachtet, wie gestrickt aussieht. Und die spitz zulaufenden Füße – sind nicht ihre Füße, sondern eine Art Schuhwerk, das sie über Füßen tragen, die genauso ausgebildet sind wie ihre kleinen Hände...
Tintenflohsterne tragen Kleidung! Was eindeutig bezeugt, daß sie über eine weitaus komplexere Gesellschaft verfügen müssen, als wir je angenommen haben!
Hermine – ich hoffe, daß dich dieser Brief nun nicht noch ungehaltener macht, als du es ohnehin schon sein musst. Ich versuche gerade, innerhalb weniger Tage eine Entwicklung zu durchlaufen, für die man üblicherweise wohl eine Kindheit, eine Jugend und einen nicht unerheblichen Teil seines erwachsenen Lebens benötigt.
Ich sehe, daß ich in diesem Versuch von vornherein zum Scheitern verurteilt bin. Aber all die Liebe in deinen Briefen hat mich verstehen lassen, daß du gar nicht von mir erwartest, daß ich perfekt bin. Warum das so ist, verstehe ich nicht, aber es gehört wohl zum Entwicklungsprozess, daß ich mir klar mache, daß ich nicht alles verstehen muß.
Ich liebe dich von ganzem Herzen
Näher als mit deiner Liebe, kann man dem Himmel nicht sein.
Dein Severus
