2. August, Norwich
Geliebter Severus,
sicher bist du verwundert, dass ich dir mit diesem Brief gleich zwei Dinge mitschicke.
Der Tintenflohstern, ist - wie du sicher schon vermutet hast - dein Namensvetter Severus.
Nach den neuen Erkenntnissen, die du mir geschrieben hast, habe ich eine vielleicht völlig abstruse Theorie entwickelt, warum er so teilnahmslos ist und warum er mich stets beobachtet hat.
Vielleicht empfindest du sie als zu sentimental, aber nach allem was du selbst entdeckt hast und aufgrund der Tatsache, dass auch du es jetzt als Unrecht empfindest, wie wir bislang mit diesen Wesen umgegangen sind, möchte ich dir gerne sagen, was ich denke.
Severus hat Kummer.
Vielleicht fühlt er sich seiner alten Heimat viel mehr entrissen, als die anderen Tintenflohsterne. Vielleicht ist er zu einer anderen Art von Bindung fähig, als seine Artgenossen.
Vielleicht ist es so, dass er eine Partnerin hat, die er schmerzlich vermisst.
Viele 'Vielleicht', und nach dem, wie die anderen sich verhalten auch recht unwahrscheinlich - doch Severus war schon von Anfang an anders und ich werde das Gefühl nicht los, dass er es war, der bei der Partnerwahl auf Distanz gegangen ist.
Schon allein der Umstand, dass er mich stets angesehen hat - es war so, als wüsste er ganz genau, dass ich in der Lage wäre ihn zu befreien - dafür zu sorgen, dass er zurückkehren kann an den Ort wo er hingehört.
Ich sagte dir ja, dass es wohl reichlich sentimental ist...aber ich bitte dich dennoch...bring ihn dorthin, wo du ihn aufgelesen hast.
Es wäre mir wirklich eine große Erleichterung.
Natürlich ist mir bewusst, dass ich damit das einzige Exemplar aus der Hand gebe, das uns wirklich Aufschluss über diese Wesen geben könnte - aber ich fürchte er wird sterben, wenn ich ihn noch länger hier in diesem Käfig halte...also habe ich die Wahl, zwischen der Befriedigung meiner Neugier auf Kosten eines vielleicht empfindungsfähigen Wesens, und dem Verzicht auf meine Forschungen in dem Gefühl, dass ich das richtige getan habe.
Da die Tintenflohsterne jedoch dir gehören, möchte ich dir die letzte Entscheidung natürlich überlassen.
Die zweite Beigabe zu diesem Brief ist ein Buch, das dich hoffentlich interessiert und das ich in Begleitung meiner Aufpasserin heute morgen extra von Florish&Blotts abgeholt habe. Miss Carpenter war nicht gerade begeistert, dass ich sie genötigt habe, mich in die Winkelgasse zu begleiten - sie hielt das Risiko für zu groß - doch als ich die Nachricht bekam, dass meine Bestellung eingetroffen ist, da konnte ich einfach nicht anders, als es sofort abzuholen.
Nun ja, dies ist der Grund, warum du so lange auf diesen Brief warten musstest, aber ich hoffe das Buch ist eine gute Entschädigung dafür.
Ich habe es von einem Teil des Geldes gekauft, das ich von St. Mungos nach Unterzeichnung meines Auftrages erhalten habe und es ist nicht nur ein Geschenk für dich, sondern auch ein großes Dankeschön, dass du es überhaupt erst möglich gemacht hast, dass ich diesen Auftrag erhalten habe.
Der Brief, den ich Ginny zeigte, war übrigens der letzte den du mir geschrieben hattest - ich wollte, dass sie von der Auseinandersetzung zwischen dir und Harry erfährt, ohne dass die Aurorin es direkt mitbekam - aber, wie gesagt, denke ich, dass sie es von Harry ohnehin erfahren wird.
Ginny ist zwar meine beste Freundin, und ich bin froh, dass sie einen kleinen Einblick in unseren Umgang miteinander bekommen hat, doch würde ich ihr niemals die Briefe zeigen, in denen du mir intime Dinge geschrieben hast, die zum Beispiel deine Kindheit betreffen.
Aber ich bin mir sicher, dass Ginny auch nicht nach solchen Dingen fragen würde. Sie weiß, dass du mich wahrhaftig liebst, nur dies zählt.
Es hat mich sehr beschäftigt, was du mir in deinem letzten Brief geschrieben hast.
Von deiner Angst mich zu berühren.
Auch deine Angst mich mit deiner Dunkelheit zu verschlingen.
Wenn du sagst, ich sei das Sonnenlicht und du die Nacht, dann trifft es unsere momentane Situation erschreckend gut.
Die Sonne sehnt sich nach der Nacht, die sie ablöst und ihr Frieden und Zeit zum Durchatmen verschafft. So wie die Nacht von der Sonne abgelöst wird, um ihrerseits Kraft für ihre neue Herrschaft zu finden - ich weiß natürlich, dass der Rhythmus von Tag und Nacht auf ganz anderen Gesetzen beruht - aber ich mag dieses Bild, dass das eine die Kraftschöpfung des anderen gewährleistet.
Die beiden ergänzen sich tatsächlich - doch sie berühren einander nur kaum - flüchtig...im Vorrübergehen - dies ist es, was wir tun.
Aber ich wünschte mir, wir wären mehr als dies.
Ich habe keine Angst mein Licht zu verlieren, wenn ich mich in dein Dunkel begebe - ich habe den Wunsch dieses Dunkel ein wenig heller zu machen...wenn du es zulässt.
Ich habe den Wunsch, die Schatten kennenzulernen, von denen du sprichst.
Sie mit dir zu erkunden und sie gemeinsam mit dir gestärkt wieder zu verlassen.
Ich möchte dir helfen, dein Leben bewusst wahrzunehmen, ohne dass du dafür an Grenzen gehen musst - und wenn schon, so möchte ich diese Grenze sein, die dich behutsam in Empfang nimmt und dir den Halt gibt, den du brauchst.
In meiner Phantasie - in meinen Träumen scheint es nichts Einfacheres zu geben, als dich zu berühren und dich wissen zu lassen, wie sehr ich dir gehöre.
Doch auch ich muss gestehen, dass ich mehr als nervös bin, wenn ich daran denke, dir gegenüberzustehen.
Darf ich dich überhaupt berühren, oder würde ein Blick von dir mich in die kleine Schülerin verwandeln, die ich nun einmal unter deinen Augen war?
Ich weiß es nicht, Severus.
Wenn ich mir vorstelle, dass deine Hand mich berührt, dann erbebe ich bereits wie unter einem Stromschlag.
Wieviel Strom kann man ertragen ohne dabei die Besinnung zu verlieren?
Ich bin sehr glücklich, dass du mir von deinen Ängsten geschrieben hast - ich kann sie verstehen und ich kann deinen Wunsch so besser akzeptieren, auch wenn alles in mir danach drängt, meine eigenen Fragen beantwortet zu sehen.
Doch ich möchte dich nicht vor neue Probleme stellen. Ich werde warten Severus - ich werde warten, solange es eben nötig sein wird!
Es gibt jedoch etwas, bei dem mir das Warten zur Zeit unglaublich schwer fällt - es geht um die Gefahr, in der du dich befindest.
Wir müssen herausbekommen, wer hinter diesem Anschlag auf dich steckt!
Du brauchtest mir nicht zu sagen, wie hilflos du dich fühlst - ich konnte es gerade deshalb herauslesen, eben weil du nicht näher darauf eingegangen bist.
Dennoch freue ich mich, dass du es dir und mir eingestanden hast - und ich würde mich freuen, wenn du dich fallen lässt...ich bin da für dich...ich werde dich auffangen, wann auch immer du es zulässt.
Es geht nicht, dass du nicht isst, nichts trinkst - ich verstehe deine Angst, dass es eben diese notwendigen Dinge sind, die gegen dich benutzt wurden...aber du brauchst Kraft, Severus - wir müssen eine Möglichkeit finden, den Täter zu überführen. Und dies muss möglichst schnell geschehen!
Ich würde gerne Harry um Hilfe bitten. Er wird sicher spätestens morgen hier auftauchen und nach mir sehen - und nach Miss Carpenter vermutlich.
Lass mich mit ihm reden, damit er uns helfen kann.
Ich werde jedoch auf dein Einverständnis warten - aber ich hoffe, du stimmst dem zu.
Das Gespräch zwischen Harry und dir hat mich sehr betroffen gemacht.
Ich weiß nicht, wie er darauf kommt, solche Dinge zu dir zu sagen - ich weiß auch nicht, wie du zu dieser irrigen Ansicht gelangt bist, du seist nicht gut genug für mich.
Ich liebe dich, Severus, nur dich! Wenn du mir dies aus dem Grunde heraus verwehrst, dass du glaubst, du seist nicht der Richtige für mich, so handelst du wahrhaft grausam - bitte, sei nicht grausam zu mir...gestatte mir, dich zu lieben!
Deine Hermine
