Die Eule, die diesen Brief Hermine am 2. August bringt, ist völlig verstrubbelt und wirkt ziemlich verwirrt... und stürzt sich, ohne daß Hermine etwas anreichen muss, auf die bereitstehende Keksdose!


2. August, Glen Strathfarrar

Meine geliebte Hermine,

Der Tintenflohstern ist, als er hier bei mir ankam, in der Luft der Highlands sofort überaus munter geworden. Nicht daß er herumgehüpft wäre, aber in seinen Augen tauchte plötzlich eine unglaubliche Lebendigkeit auf. Er wußte offenbar, wo er war und daß er seinem zu Hause nicht mehr fern war. Ich habe ihn gerade zu dem Platz zurückgebracht, wo ich ihn her hatte. Ich denke, es ist meine emotional eingefärbte Einbildung, daß ich das Gefühl habe, daß er in Norwich tatsächlich etwas blasser geworden ist. Es war recht erstaunlich, was dann an der Stelle geschehen ist, an die ich ihn zurückgebracht habe. Er hat eine ganze Weile einfach nur dort gestanden und dann begann er, sich auf eine Weise zu schütteln, daß seine Blätter raschelten, als bestünden sie aus trockenem Laub. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, aber genau so klang es. Kurz danach kamen die ersten vor... Hermine, es waren bestimmt zwei Dutzend von ihnen! Es waren ein paar dabei, die rote Blätter hatten, was ich vorher noch nie gesehen hatte. Kann es sein, daß die Weibchen bei dir, die Farbe ihrer Blüte ebenfalls verändern? Dann läge die Vermutung nahe, daß sie Nachwuchs erwarten. Und du hattest natürlich, wie könnte es auch anders sein, Recht mit deiner Vermutung. Eines der Weibchen mit den roten Blütenblättern war nicht mehr von seiner Seite wegzubringen. Das ist allerdings insofern sehr erstaunlich, als du doch schriebst, daß sich deine Sterne nach der Paarung sofort wieder getrennt haben, oder? Bei diesen Beiden ist das jedenfalls ganz offensichtlich nicht so. Sie haben sich in der kompletten Zeit die ich sie noch beobachtet habe, nicht mehr losgelassen.

Es war eine gute Idee, ihn mir zurückzuschicken. Wenn man einmal davon absieht, daß mich zwei der roten Weibchen gebissen haben, als ich mich bewegte, um endlich wieder nach Hause zu gehen. So klein diese Bisse auch sind, so höllisch brennen sie. Und es ist irgendetwas, ich vermute in ihrem Speichel, daß mich tatsächlich für einen Moment weggeblendet hat. Als ich, scheinbar nach wenigen Sekunden, neben den Sternen liegend wieder wach wurde, war ich froh, daß ich nicht gestanden hatte. Sie standen mit etwa einem halben Dutzend vor meinem Gesicht und schauten mich geradezu unverschämt zufrieden an. Nun ja – ich habe es aus ihrer Sicht wohl eindeutig nicht besser verdient. Aber außer einem leichten Brennen und der obligatorischen Entzündung, ist von den beiden Bissen nichts geblieben.

Das Buch! Hermine! Wie hast du Florish&Blotts dazu bewegt, dieses Buch zu besorgen? Ich wußte gar nicht, daß es davon überhaupt noch Exemplare zu kaufen gibt. Du bist verrückt, dieses Vermögen auszugeben! Ich kann es unmöglich annehmen und werde es daher so halten, wie du mit den Tintenflohsternen – es gehört dir, aber ich bin sehr dankbar, wenn ich mich für eine unbestimmte Zeit damit beschäftigen darf. Es ist in höchstem Maße erstaunlich, was ich bereits beim ersten Durchblättern alles finden konnte. Ich habe als Jugendlicher einmal in einer Privatsammlung einen Blick hineinwerfen dürfen – aber seitdem habe ich es nicht mehr gesehen. Nicht einmal Raphael besitzt es. Vielen Dank dafür.

Als ich den Vergleich zog, du seist das Sonnenlicht und ich die Nacht, war mir gar nicht bewusst, wie treffend er auch in Bezug auf unsere Unberührtheit ist. Und wieder einmal gelingt es dir, auf deine unnachahmliche Weise, aus diesem profanen Vergleich etwas Wunderschönes zu machen. Zu erklären, daß das eine sich nach dem anderen sehnt und Kraft aus dem jeweils anderen schöpft.

Manchmal – und auch gerade in diesem Moment – glaube ich, daß es ein großer Fehler ist, mich von dir fernzuhalten und ich grüble bereits den halben Abend darüber nach, wie ich es fertig bringen kann, dich zu sehen.

Ich musste so sehr schmunzeln, als du schriebst, daß du Sorge hast, du könntest dich wieder wie die Schülerin fühlen, die du warst – dazu kann ich dir nur sagen: auch diese habe ich bereits geliebt! Und ich überlege, gerade jetzt, ob ich dir diesen Brief selbst bringen soll.

Aber bis ich die letzte Zeile geschrieben habe, ist diese mutige Anwandlung sicher bereits wieder verschwunden.

Mache dir übrigens keine Sorgen, ich könne das Trinken und Essen einstellen. Das werde ich selbstverständlich nicht tun, ich werde es nur im Ministerium unterlassen zu essen oder zu trinken. Im Strathfarrar ist das etwas anderes. Ich kann nur, wenn ich tagsüber nüchtern geblieben bin, abends nicht gleich viel auf einmal zu mir nehmen, sondern verteile es auf den Abend. Daher knurrte mir der Magen gestern, als ich den Brief schrieb noch ganz gehörig. Ich bin allerdings heute morgen – obwohl ich morgens eigentlich keinen Bissen herunterbekomme, mit einem guten Frühstück im Bauch aus dem Haus gegangen.

Allerdings kann ich fühlen, daß ich eindeutig wieder irgendwie mit dem Mittel in Berührung gekommen bin. Die Kälte ist wieder da und ich bin sehr schläfrig. Allerdings nicht in dem Maße, wie es beim ersten Mal der Fall war. Gestern war es nicht so und ich habe überlegt, was ich heute getan habe, aber gestern nicht und das Einzige das mir einfällt ist das Wasser im Labor, mit dem ich mir sehr häufig die Hände und je nach Bedarf auch ab und zu kurz das Gesicht wasche. Ich werde es morgen untersuchen. Das Gute daran ist die Tatsache, daß er oder sie nicht zu wissen scheint, daß meine Reaktion auf die Wirkstoffe entgegengesetzt ist...

Du scheinst meine Assistentin in Verdacht zu haben? Auch wenn ich das für äußerst unwahrscheinlich halte (sie ist zwar das, was man eine Augenweide nennt, aber dumm wie ein Flubberwurm), werde ich deine Mutmaßung nicht in den Wind schlagen und sie im Auge behalten – was mir insofern schwer fällt, als daß sie das ganz offensichtlich zu Dingen ermutigt, zu denen ich sie keinesfalls ermutigen möchte.

Vielleicht könnte Harry in Erfahrung bringen, wer Zugang zu den Laboratorien hat und wer diese Zaubertrankbrauer sind, von denen ich keinen einzigen kenne. Nicht ein einziger von ihnen hat Hogwarts besucht...

Und was mein Gespräch mit Harry betrifft, kann ich dir nur sagen, daß es nichts gibt, das ich dir verwehren würde und daß es allein deine Entscheidung ist, ob ich der Richtige für dich bin... Ich habe dir bereits verraten, daß ich nicht verstehe, wie mir das Geschenk deiner Liebe zuteil werden konnte – aber ich denke, daß ich auch Harry klargemacht habe, daß, wenn ich dich haben kann, ich dich um nichts in der Welt wieder hergeben würde.

Ich liebe dich!

Dein Severus


PS. 3. August, Glen Strathfarrar

Ich habe es gestern mehrere Male versucht, aber die Eule schafft es nicht, das Tal zu verlassen. Es ist, als wisse sie ab einem bestimmten Punkt nicht mehr, wo sie hin soll. Also liegt mein Brief an dich noch hier... seltsam. Noch viel seltsamer ist die Tatsache, daß ich aus irgendeinem Grund ebenso wenig in der Lage zu sein scheine, das Tal zu verlassen. Und ich kann keine Magie anwenden. Durch die Gegebenheiten kann ich auch niemanden darüber informieren – ich verstehe es nicht. Ich werde es den Vogel jetzt noch einmal versuchen lassen, vielleicht war es nur ein dummer Zufall.


PS. 3. August – Nacht

Es geht nicht. Ich komme nicht aus dem Tal heraus und die Eule ebenso wenig. Ich muß davon ausgehen, daß es magische Ursachen hat und frage mich, ob es etwas mit dem Mittel zu tun hat, das ich im Körper habe. Das würde allerdings nicht erklären, warum der Vogel den Weg nicht findet. Ich werde jetzt noch einmal rausgehen um zu sehen, ob sich etwas geändert hat.

Ich war draußen. Die Situation ist die selbe. Aber zu meinem Entsetzen habe ich festgestellt, daß der Himmel von einem vollen Mond erhellt wird – das kann nicht sein – es ist Neumond...Warum ist der Mond voll? Was geht hier vor sich?

Bekomme auch keine Post von dir...


PS. 4. August

Der Vogel hat es wieder versucht, mit dem gleichen Ergebnis, wie in den letzten Tagen. Ich habe die Nacht damit verbracht, sämtliche Theorien durchzugehen, die mir wahrscheinlich erscheinen. Die wahrscheinlichste ist die, daß ich noch immer neben den Tintenflohsternen liege und in absehbarer Zeit aufwache und mir dies alles hier im Traum vorstelle. Die zweitwahrscheinlichste wäre normalerweise die, daß irgendein magischer Wall um das Tal liegt – aber in Kombination mit dem unkorrekten Mond halte ich es für wahrscheinlicher, daß ich in der Zeit gesprungen bin und zwar entweder so weit zurück oder so weit nach vorne, daß es den Wall errichtet hat, den auch der Timeturner zu errichten pflegte, wenn man ihn für zu große Zeitspannen benutzen wollte. Da ich bei einem Sprung in die Vergangenheit irgendwann selbst hier auftauchen müsste... nein... falsch... das Haus befindet sich in dem Zustand, in dem ich es aktuell kenne (glücklicherweise, denn sonst hätte ich keine Lebensmittel hier) – herrjeh... ich habe es immer vermieden, über Zeitsprünge nachzudenken. Es beschert mir nur stets einen Knoten im Hirn! Ich werde stattdessen lieber versuchen, etwas zu finden, das vielleicht den alten Verlauf wieder herstellen kann. Die beiden Tintenflohsternbisse brennen heute mehr als in den letzten Tagen – kann meine kurze Ohnmacht bei den Sternen damit zu tun haben?


PS. 6. August

Neue Versuche, neue Misserfolge. Ich hoffe, daß dieser Zustand nicht mehr allzu lange andauert, weil ich heute morgen die letzten Lebensmittel zu mir genommen habe. Notiz an mich selbst: Den Begriff „Vorrat" neu definieren und umsetzen.

Es wird an der Zeit, daß ich einen Weg aus diesem Zeitdesaster herausfinde. Die Nahrung ist allerdings nicht das Problem – Wasser ist es... der Brunnen hinter dem Haus ist ein magischer Brunnen, es gibt also keinen echten Schacht, in den ich einen Eimer hinablassen könnte, sondern nur die Vorrichtung, die für das magische Heraufholen des Wassers den korrekten Standort angibt.

Hermine, falls du das hier zu lesen bekommst, hoffe ich, daß du dir keine Sorgen gemacht hast. Ich scheine nicht weit von meiner eigentlichen Zeitleiste fort zu sein. Das Tal ist fast unverändert. Da es aber nicht mehr so heiß ist, scheint der Sprung in die Zukunft gegangen zu sein. Ich hoffe sehr, daß sich dieser Effekt irgendwie wieder auflöst und ich dorthin zurückgelange, wo ich hergekommen bin, denn ich bin sicher, daß du dich sehr wundern würdest, wenn ich plötzlich nicht mehr schreibe.

Wenn ich ein Pessimist wäre, würde ich dies alles ja bereits wieder als Zeichen deuten. In dem Moment wo ich ernsthaft darüber nachdenke, die Barriere zwischen uns aufzuheben - - - passiert so etwas.

Manchmal wünsche ich mir, ein Muggel zu sein, damit diese unberechenbaren Magie-Unfälle nicht mehr geschehen.


PS. 10. August

Ich komme gut mit dem Hunger aus, aber wenn ich sehe, wie der Wasservorrat schwindet, mache ich mir doch ein paar ernste Gedanken. Muß noch besser einteilen. Bedenkend, daß ich eigentlich mehr trinken soll als normal wäre, ist das keine gute Situation.

Habe herausgefunden, daß die Tintenflohsterne mich beobachten und offenbar irgendetwas vor haben. Das kann aber auch Einbildung sein.


PS. 10. August – Nacht

Entweder halluziniere ich, oder der Tintenflohstern, der da vor mir auf dem Schreibtisch sitzt und der mich so intensiv beobachtet, ist Snape. Es sieht so aus, als warte er auf etwas. Kann es sein, daß diese Winzlinge mir das angetan haben, um sich an mir für die Entführung ihrer Artgenossen zu rächen? Jetzt spinne ich, nicht wahr? Aber du müsstest ihn mal sehen, wie er mich so überaus intensiv anstarrt. Ob ich meinen Job im Ministerium wohl noch habe? Ob mein Organismus mit dem Wassermangel klar kommt? Stelle fest, daß Durst unangenehmer ist, als Hunger. Die Eule ist frustriert – aber sie findet hin und wieder Mäuse im Tal. Überlege, ob ich mich nach ähnlichem auf die Lauer legen soll.

Wenn die Lage nicht so ernst wäre, wäre sie fast zum lachen. Hermine, ich liebe dich.


PS. 12. August

Es ist kritisch. Schlafe ständig ein – sind die angenehmsten Zeiten – besser als wach sein. „Snape" weicht mir nicht von der Seite. Er nervt. Bin sicher, daß ich mir eingebildet habe, daß er mir vorhin über die Wange gestreichelt hat, als ich auf dem Sofa lag. Er scheint mir sagen zu wollen: „Nicht mehr lange" – Recht hat er.

Habe den Gang zum Rand nicht hinbekommen, stattdessen auf halber Strecke Rast gemacht und bin dann umgekehrt. Die Eule kommt nicht raus, dann kann ich es wohl auch nicht.


PS. 14. August

Ich denke, daß war's. Fällt mir schwer, die Feder zu halten. Habe grauenhaften Durst. Halluziniere seit gestern Nacht. Habe mir eingebildet, daß „Severus" mir auf einem Weg den ich nicht kenne „gesagt" hat (er hat es mich denken lassen – kann das sein?): „Es ist soweit, dann ist Mond wieder richtig und sie kommt her." Frage mich, ob er seine „Frau" meint. Er ist ganz dicht vor mein Gesicht gekommen, hat mich irgendwie freundlich und mitleidig angesehen und noch gesagt: „Ist an der Zeit, ist wichtig." Hab die Rote gestern auch gesehen. Wenn das Biest nur nicht so unglaublich zufrieden mit sich selbst aussähe. Schreiben macht keinen Sinn mehr. Werde die Eule noch einmal losschicken – wird wieder nicht funktionieren – dafür müsste die Zeit wieder stimmen. Lege mich jetzt schlafen. Es ist besser, wenn ich schlafe. Ich will von dir träumen, Hermine. Aber das ist nicht schwer, weil ich immer von dir träume, wenn ich schlafe. Ich liebe dich so sehr. Es ist unfair... Nicht gerade jetzt... Es war immer egal – warum jetzt?