3. August, London, St. Mungos

Sehr geehrte Miss Granger,

ich soll Ihnen ja schreiben, wie es dem neuen Patienten geht. Das mach ich dann also jetzt.
Es ist nicht leicht, zu tun, was Sie mir gesagt haben - aber es ist sehr nötig. Ihr Freund, Professor Snape, ist so ziemlich der schwierigste Patient, den ich je hatte. Ich tue, was ich kann, aber er will sich nie von mir helfen lassen.
Als er wach geworden ist, konnte er sich kaum bewegen und trotz des Liqvitalis war sein Hals- und Rachenraum noch so sehr in Mitleidenschaft gezogen, daß er kaum sprechen konnte. Aber Sie hätten echt mal sehen sollen, was los war, als ich ihm Brühe einflößen wollte! Er hat mir den Löffel mitsamt der Suppenschüssel aus der Hand geschlage, so daß alles wie verrückt im Zimmer rumgeflogen ist und sich dann mit lautem Krachen auf dem Boden verteilt hat. Die Putzhexe wird sich freuen... Er wollte mich wohl anschreien, aber das konnte er nicht, weil seine Stimme ja noch nicht funktioniert. Da war ich aber gar nicht böse wegen. Ich glaube, das wäre ganz schön laut geworden.
Er wollte überhaupt nur etwas essen, wenn er es am Tisch essen kann. Miss Granger, es war ein Elend, ihm zuzusehen, wie er zum Tisch rüber ist. Er war schweißgebadet, als er dort ankam. Aber er wollte sich ja auch auf keinen Fall von mir helfen lassen. Er hat einen sehr starken Willen, aber manchmal ist das gar nicht gut.
Er schafft immer nur ein paar Bissen, was in seinem Zustand aber normal ist. Deshalb komme ich öfter und biete ihm immer Kleinigkeiten an. Es scheint ihm inzwischen ein klein wenig besser zu gehen, denn seine Stimme kommt sehr eindrucksvoll zurück. Er brüllt inzwischen die ganze Etage zusammen, wenn ich sein Zimmer betrete.
Er hat einen Brief geschrieben, was ihn soviel Kraft gekostet hat, wie ein Marathon-Lauf. Aber er wollte absolut nicht aufhören. Also habe ich ihm vorhin gesagt, daß ich den Raum bald verdunkel. Er hat genauso rumgetobt, wie ich es gedacht hatte. Aber machen kann er nichts, weil ich seinen Zauberstab dem Oberarzt gegeben habe. Der hat ihn bei den privaten Sachen von Professor Snape eingeschlossen. Da ist er sicher aufgehoben. Jetzt werde ich wieder in die Höhle des Löwen reingehen und das Licht ausmachen, damit er wieder ein bißchen schläft. Der Oberarzt will ihn eigentlich noch zehn Tage hierbehalten, aber der Professor hat so lange rumdiskutiert und sogar gedroht, daß er damit meinen Chef auf drei Tage runtergehandelt hat.
Ich halte Sie auf dem Laufenden.
Du liebes Bißchen. Wegen ihnen zwei, fange ich noch das Briefeschreiben an!

Liebe Grüße

Rebecca Gardner


3. August, London, St. Mungos

Liebe Hermine

Schwester Rebecca ist unerträglich! Wie konntest du nur ausgerechnet sie darum bitten, dafür zu sorgen, daß ich "genug esse³? Diese Frau treibt mich in den Wahnsinn. Sie versuchte darauf zu bestehen, mich zu füttern als ich wach geworden war! Es ist mir völlig egal, ob die Reinigungsleute nun mehr Arbeit haben oder nicht - es ist einfach eine Unverschämtheit, mich wie ein Kleinkind zu behandeln. Glücklicherweise hat sie irgendwann dann letztendlich doch ihr Gehirn benutzt und ich konnte meine Mahlzeit am Tisch einnehmen. Aber jetzt kommt sie jede Stunde! Sie versucht mich regelrecht zu mästen. Was glaubt diese Frau eigentlich, was in einen normalgewachsenen Mann üblicherweise an Nahrung hineinpaßt? Sie weiß sehr genau, warum sie meinen Zauberstab unter Verschluß hält. Ich wäre eher jetzt als gleich hier verschwunden, wenn ich ihn hätte. Schwester Rebecca wollte auch unbedingt verhindern, daß ich einen Brief schreibe. Es sei zu anstrengend... eine
Feder zu halten? Fürsorge ist in einem Krankenhaus angebracht – aber dieses Maß an übertriebener Fürsorge kostet mich meine letzten Nerven. Ich wünschte, es gäbt St. Mungos-Hauspunkte, die ich ihr abziehen oder Strafarbeiten, die ich ihr für ihr aufdringliches, unerwünsctes Verhalten auferlegen könnte. Inzwischen lächelt sie wenigstens nicht mehr ihr ach so mütterliches Lächeln, und hat aufgehört in diesem widerlich sanften Ton zu sprechen. Jetzt kann man halbwegs vernünftig mit ihr reden und das beste daran ist die Tatsache, daß sie inzwischen weniger redet.
Ich habe es also den Sternen zu verdanken, daß das Gift in meinem Körper verarbeitet werden konnte? Eine überaus seltsame Geschichte... aber ich denke, daß du in höchstem Maße übertreibst, wenn du von Lebensgefahr sprichst. Ich gebe zu, daß ich mich etwas wackelig fühle, aber das ist nichts, was nicht durch ein paar normale Tage wieder geregelt werden könnte. Es ist Unfug, so eine große Sache daraus zu machen, daß ich lebe. Natürlich lebe ich! Das Gift hat mich beim letzten Mal auch nicht umgebracht. Warum hätte es das diesmal tun sollen? Es ist doch sonst nicht deine Art, so schwarz zu malen. Ich danke dir natürlich, daß du gekommen bist, aber ich bin sicher, daß du das Ganze viel zu dramatisch betrachtest. Es ist nichts, was nicht durch ein Glas Wasser und ein paar Stunden Schlaf wieder in Ordnung zu bringen wäre. Beides hatte ich bereits! Trotzdem bestehen sie darauf, daß ich bleibe...

Bei Merlin... da kommt diese Frau schon wieder mit etwas Essbarem... ich werde sie ignorieren, vielleicht geht sie dann wieder.

Es ist jetzt eine Viertelstunde später. Sie ist natürlich nicht gegangen sondern so lange geblieben, bis ich wenigstens einige Bissen des Obstes gegessen hatte. Ich HASSE es, mir von ihr in dieser Beziehung Vorschriften machen lassen zu müssen. Himmel - ich bin ein erwachsener Mann und sollte selbst entscheiden können, was ich wann wo zu mir nehme. Es ist unglaublich und beinahe deprimierend, mit welcher stoischen Ruhe,sie meine Tiraden über sich ergehen läßt. Ist diese Frau denn mit nichts aus ihrem verfluchten Gleichgewicht zu bringen? Wenigstens ist sie jetzt wieder gegangen und ich habe vermutlich eine Stunde Ruhe, bis sie mit dem nächsten Teller vor mir steht.

Nun ist es etwa eine Stunde später. Natürlich hatte ich nicht meine Ruhe - sondern habe Besuch bekommen... Besuch... ich... wie auch immer... Alexandra war hier und hat mich auf den aktuellen Stand gebracht. Endlich jemand, der mich nicht behandelt, als könne ich in der Mitte druchbrechen, wenn man mich wie einen normalen Menschen behandelt, der durchaus Herr seiner Sinne ist!
Sie hat, was sehr gedankenvoll war, eine Auflistung der Dinge mitgebracht, die im Lager inzwischen mit Etiketten versehen werden konnten. Ich habe ihr mitgeteilt, daß sie dafür sorgen soll, daß man sich von den Wasserleitungen im Labor fernhält und sie meinte, daß ihnen das heute bereits von Leuten mitgeteilt worden war, die eben diese Leitungen und das Wasser daraus untersuchen. Ich habe sie obendrein beauftragt, mir täglich die akutalisierten Listen zukommen zu lassen sowie die alten Kataloge meines Vorgängers, damit ich hier wenigstens irgendetwas nützlichen tun kann, außer Löcher in die Zimmerluft zu starren.

Man will mich noch mindestens drei Tage hierbehalten. Und es sieht nicht so aus, als billige man mir dabei irgendein Mitspracherecht zu. Aber Alexandra hat versprochen, mich auf dem Laufenden zu halten. Nichts an ihrem Verhalten schien irgendwie darauf hinzudeuten, daß sie etwas mit der Sache zu tun haben könnte. Sie schien, im Gegenteil, in einem Maße bestürzt, das mir schon wieder unangenehm war.. Trotzdem wäre es nicht schlecht, wenn Potter sie vielleicht einmal überprüfen könnte.

Miss Carpenter hat übrigens Recht, ungehalten zu sein, wenn du dich ihrem Schutz in dieser Weise entziehst. Aber ihr scheint ja eine Übereinkunft getroffen zu haben. Ich halte es für unvernünftig, dich an der Untersuchung teilhaben zu lassen, aber ich kenne inzwischen aus erster Hand (im wahrsten Sinne des Wortes) den Willen Harry Potters, dich zu beschützen. Von daher will ich mit eurem Arrangement zufrieden sein. Ich bin nun sehr gespannt, ob die Angelegenheit mit dem Wasser a) den Tatsachen entspricht - bisher ist es ja nur eine Vermutung meinerseits und b) nur das Labor betrifft, oder das Ministerium als Ganzes. Ich habe darüber nachgedacht, daß es eventuell möglich ist, daß er oder sie davon ausgeht, daß ich die Gedanken, die ich aus dem Denkarium entnommen hatte, noch in meinem Kopf habe. Wobei ich nicht sicher bin, warum jemand es auf die Szenen abgesehen hat, während derer du dich mit Justin im Bett vergnügt hast. Aber mir fallen keine anderen Möglichkeiten ein, was man von mir wollen könnte, das mit dem Zugriff auf Erinnerungen zu tun hat. Aber vielleicht solltest du selbst noch einmal die Erinnerungen in beiden Denkarien durchgehen, um zu sehen, ob dort eventuell eine Information zu erkennen ist, die man als Nebensächlichkeit abtun könnte. Ein Brief der irgendwo offen liegt, ein Gespräch mit einer anderen Person, ein Blick in einen anderen Raum oder aus dem Fenster - irgendetwas, das vielleicht wichtiger sein könnte, als die eigentliche Erinnerung, die im Mittelpunkt steht...

Gibt es etwas Neues von Justin? Hat er noch irgendetwas ausgesagt? Potter ist doch sicherlich auf dem aktuellsten Stand. Hat man seine Frau gefunden? Weiß man, ob er mit weiteren Leuten zusammengearbeitet hat?

Das ist der Gipfel... das ist der absolute Gipfel! Schwester Rebecca hat mir gerade angekündigt, daß ich nun noch fünf Minuten habe, um diesen Brief zu beenden, weil sie dann das Licht in meinem Zimmer verlöschen wird, damit ich schlafe. Wie ein gottverdammtes Vorschulkind... ich bin fassungslos!

Da ich keine andere Wahl habe, beende ich diesen Brief nun hier und sende dir die besten Grüße

Severus