Ennis setzte sich in sein Auto und ließ den Kopf hängen. Der Verkauf der Pferde tat ihm leid. Sie hatten ihm viel bedeutet, waren sie doch auf allen heimlichen Treffen mit Jack dabei gewesen.
„Del Mar, reiß Dich zusammen", redete er sich zu. „Du hast noch eine wichtige Aufgabe zu erledigen."
Er setzte sich auf, startete den Wagen und fuhr mit durchdrehenden Reifen vom Hof. Eine halbe Stunde später war er in Riverton angekommen und parkte vor Almas Haus. Alma war seit einigen Monaten wieder verheiratet, und das war auch gut so. Es beruhigte Ennis, sie gut aufgehoben zu wissen.
Seufzend zog er den Schlüssel aus dem Schloss und stieg schwerfällig aus dem Wagen. Langsam, mit hängenden Schultern ging er auf das Haus zu und klopfte an die Tür. Es war noch relativ früh am Tag, seine beiden Mädchen waren noch in der Schule, Munroe stand sicher noch im Laden – die einzige Person, die er also treffen konnte und wollte war Alma.
Ennis hörte Schritte und Alma erschien mit gesenktem Kopf an der Tür. Ennis lächelte leise. Typisch Alma. Sie schaute nie, wer vor der Tür stand. Alma öffnete gedankenverloren die Tür „Ja, bitte?" sagte sie und schaute langsam auf.
„Oh, Ennis, was machst Du hier zu dieser Zeit?" Verwirrt blickte sie ihn an. „Die Mädchen sind in der Schule und Du kannst sie auch erst am nächsten Wochenende wieder haben. Das ist so abgesprochen und ich bin im Augenblick nicht gewillt, Ausnahmen zu machen."
„Alma, deswegen bin ich gekommen. Ich ... ich muss mit Dir reden. Kann ich ... hm ... kann ich reinkommen?" Alma blickte ihn misstrauisch an. „Munroe kommt bald zum Mittagessen nach Hause Ennis. Er sieht es nicht gern, wenn ... na ja, Du weißt schon."
„Alma, bitte, es dauert nicht lange und ich versprech Dir, ich bin weg, wenn er da ist." Zögernd öffnete Alma die Tür. „Nun gut, dann komm rein. Setz Dich in die Küche, ich komme gleich."
Ennis ging voran und nahm am Küchentisch Platz. Die Küche war sauber und aufgeräumt. Alma legte viel Wert auf Ordnung. An den Wänden hingen einige Zeichnungen seiner Mädchen. Er sah eine Karte von Junior, die sie ihrer Mutter zum Valentinstag geschenkt hatte. „MAMI, ich hab Dich lieb!" stand dort mit Kinderschrift geschrieben. Ennis lächelte. Sein Blick fiel auf ein Heft, das auf dem Küchentisch lag. Es war ein Schulheft von Jenny, seiner jüngeren Tochter. Behutsam nahm er das Heft in die Hand und blätterte es durch. Tests aus ihrem Englischkurs waren darin enthalten. Sie war eine gute Schülerin, die Lehrerin war voll des Lobes.
Ennis legte das Heft wieder an den angestammten Platz, als Alma zur Tür hereinkam. Sie sah, dass Ennis das Heft gelesen hatte.
„Jenny, sie ist gut in der Schule. Kann gut schreiben." „Das hat sie dann nicht von ihrem Daddy", antwortete Ennis leise und sah lächelnd zu Alma, die den Blick zögernd erwiderte. „Nein, Ennis, das hat sie sicher nicht von Dir", sagte sie und atmete tief ein. „Worüber willst Du mit mir sprechen?"
Ennis schluckte und räusperte sich. Umständlich nahm er einen Briefumschlag aus seiner Jackentaschen. „Alma, das ist für Dich und die Mädchen. Das sind fünftausend Dollar, mein Anteil an Unterhalt für Junior und Jenny für das ganze nächste Jahr." Ohne Alma anzusehen, schob er ihr den Umschlag zu.
Alma sah fassungslos auf das Geld, das sie in der Hand hielt. „Ennis, woher hast Du auf einmal das viele Geld – und warum zur Hölle gibst Du es mir im voraus?" Ennis zuckte zusammen. Alma war eine gläubige Frau und dass sie Schimpfwörter benutzte kam nie vor – fast nie, erinnerte er sich.
„Alma, ich habe meine Pferde und meinen Anhänger verkauft. Daher habe ich das Geld. McGill hat es mir vorhin in bar gegeben und ich wollte es Dir direkt bringen." „Warum hast Du Deine Pferde verkauft?" Irritiert schaute Alma ihn an.
„Alma, was ich Dir jetzt sagen muss, fällt mir sehr schwer. Wir haben nie darüber geredet, warum ... also ... als wir auseinander gegangen sind – als Du die Scheidung eingereicht hast. Alma, ich weiß, ich bin Dir nie gerecht geworden, aber Du sollst bitte eines wissen. Ich hätte Dich nie verlassen, die Mädchen und Du wart mir immer wichtig ..." „Nicht so wichtig wie Deine Angelausflüge mit Deinem Kumpel Jack", warf Alma mit harter Stimme ein.
Ennis zuckte zusammen. „Alma, ...", begann er.
„Ennis, hör auf ! Wenn wir schon nie darüber geredet haben und Du jetzt alles auf den Tisch bringen willst, dann werde ich Dir sagen, weswegen ich die Scheidung eingereicht habe. Verdammt Ennis ! Ich hatte es so satt, das Bett mit einer dritten Person zu teilen, kannst Du das nicht verstehen ?"
„Alma, ich habe nicht ... ich habe nie ... was meinst Du damit, ‚das Bett mit einer dritten Person teilen'?", stammelte Ennis.
„Ach Scheiße, Ennis", schluchzte Alma auf. „Ich habe Dich damals gesehen. Mit Jack. Unten an der Treppe. Wie ihr Euch geküsst habt. ... mich hast Du nie so geküsst, Du Schwein !" schrie Alma ihn an.
Ennis starrte Alma mit aufgerissenen Augen an. Sein Gesicht war aschfahl, seine Hände zitterten. „Du hast mich – Du hast uns gesehen?", flüsterte er mit gebrochener Stimme. „Warum hast du nie etwas gesagt, Alma?"
„Was hätte ich denn sagen sollen, Ennis? Hätte ich Dich bitten sollen, nicht mehr zu fahren? Dann wärst Du trotzdem gefahren. Hätte ich Dich damals verlassen sollen? Ja, vielleicht hätte ich das tun sollen", gab sie sich selbst die Antwort und schluchzte auf. „Aber die Mädchen waren noch so klein. Sie brauchten Mummy und Daddy – und ich wusste nicht wohin und außerdem ... ach vergiss es !" „Was soll ich vergessen, Alma?" fragte Ennis mit leiser Stimme.
„Ennis, ist Dir nie in den Sinn gekommen, dass ich Dich geliebt habe?" sagte sie tonlos und blickte ihn mit gebrochenen Augen an. „Wie sehr habe ich mir gewünscht, dass Du meine Gefühle irgendwann erwiderst. Ich hatte gedacht, dass es mit der Zeit kommt, hatte gehofft, die Mädchen würden Dir dabei helfen. Aber als ich Dich mit ihm gesehen habe wusste ich, dass Du für mich nie so empfinden würdest wie für JACK." Angewidert sprach sie Jacks Namen aus und Ennis hatte den Eindruck, dass sie am liebsten auch noch vor Abscheu auf den Bogen gespuckt hätte.
Ennis starrte sie fassungslos an und wusste nicht, was er sagen sollte. „Alma", begann er stockend. „Es tut mir so unendlich leid. Ich habe das nie gewollt, ich habe Dich nie verletzen wollen, bitte glaube mir das." Er biss sich auf die Lippe, um nicht in Tränen auszubrechen. Die ganze Situation war schlimmer, als er sich je vorgestellt hatte.
„Alma, jetzt wo die Dinge ausgesprochen sind – nun ja ..." Ennis holte tief Luft. „Alma, es ist so, ich habe bei McGill gekündigt. Ich habe meine Pferde und meinen Anhänger verkauft. Ich ... ich habe Dir das Geld gegeben, weil ich ... hm ... ich denke, ich werde die Stadt verlassen."
„Du wirst die Stadt verlassen, um was zu tun, Ennis? Mit Deinem schwulen Freund zusammen ziehen?" Alma spie die Worte förmlich aus. Ennis fühlte sich, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen.
„Alma, ich ... ich bin nicht schwul. Und sprich nicht so von Jack." „Ach Ennis, hör doch auf ! Wie nennst Du das denn sonst, he? Was ist das denn sonst, wenn zwei Männer sich küssen und gemeinsam auf heimliche Ausflüge fahren, he?" Verächtlich blickte sie ihn an.
„Alma, das ist doch völlig unbedeutend", versuchte Ennis einzuwenden, schockiert von der Macht der Gefühle, die Alma über ihn kommen ließ.
„Alles, was ich Dir sagen wollte ist, das es mir leid tut und dass ich möchte, dass die Mädchen im kommenden Jahr gut versorgt sind. Ich werde mir einen neuen Job suchen, ich weiß noch nicht wo ... ich muss erst mit Jack ..." Er unterbrach sich und biss sich erneut auf die Lippe, die mittlerweile anfing zu bluten.
Er holte tief Luft. „Alma, ich bitte Dich, nimm das Geld an, leg es für die Mädchen beiseite. Sobald ich weiß, wo ich einen neuen Job gefunden habe, werde ich die Mädchen wieder zu mir nehmen und Dir den Unterhalt bezahlen." Bittend sah er sie an, doch in ihr Blick war ausdruckslos und in sich gekehrt.
„Ennis, ich denke, dass ich Dir die Mädchen nicht mehr geben werde", sagte sie mit zitternder Stimme. „Was soll ich ihnen sagen, wer Du bist?" „Wer ich bin, Alma? Wer ich BIN? Zur Hölle noch mal, ich bin ihr DADDY. Das bin ich immer gewesen und das werde ich immer sein!" Erregt sprang er auf.
„Ist das so, Ennis? Ich denke nicht. Die Mädchen leben hier in Riverton, einer Kleinstadt. Es wird Gerede aufkommen wegen Dir. Die Mädchen und ich werden es ausbaden müssen – ich bin nicht gewillt, sie der Situation stärker als nötig auszusetzen." Alma stand langsam auf und sah Ennis an.
„Alma", sagte Ennis flehend. „Tu mir und den Mädchen das nicht an ! Niemand außer Dir weiß davon. Lass es mich den Mädchen erklären. Sie werden es verstehen."
„Ennis, Du überschätzt Dich", sagte Alma. „Du verstehst Dich doch selbst kaum, wie willst Du das Deinen Kindern beibringen." Müde seufzte sie. „Ich bitte Dich jetzt, zu gehen, Ennis. Ich verspreche Dir, ich werde das Geld für die Kinder in Deinem Sinne verwenden. Ich werde den Mädchen erzählen, dass Du einen Job in einer anderen Stadt in einem anderen Staat angenommen hast. Ich werde Ihnen Deine Grüße und Deine Liebe ausrichten – mehr kann ich im Augenblick nicht tun, ich bitte Dich, das zu verstehen."
Ennis presste die Zähne aufeinander und sah sie an. Er wusste, er konnte im Augenblick nicht mehr erreichen. Er sah Alma an, nickte ihr zu und ging ohne ein weiteres Wort aus dem Haus.
Erst zu Hause erlaubte er sich, zu weinen wie er noch nie zuvor in seinem Leben geweint hatte.
