Jack war in der Zwischenzeit damit beschäftigt, Ennis wenige Habseligkeiten zu verpacken und auf der Ladefläche seines Wagens zu verstauen. „Hoffentlich hält die Karre bis Childress", dachte Jack, als er eine der schwereren Kisten auf der Ladefläche abstellte und dabei ein Stück verrostetes Metall abbrach.
Jack fragte sich, wie es Ennis wohl gerade geht. Er wünschte sich so sehr, dass Ennis mit seinen beiden Mädchen eine Möglichkeit findet, dass sie sich auch zukünftig regelmäßig sehen können. Ennis vergötterte seine Kinder und so hart und unnahbar er sonst auch immer wirkte, wenn es um seine Kinder ging, leuchteten seine Augen und man spürte mit jeder Faser seines Körpers den Stolz, der aus seiner Stimme sprach. Jack lächelte bei dem Gedanke daran und eine tiefe Zuneigung erfasste ihn.
Dieser weiche Kern an Ennis rührte ihn an und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass Ennis irgendwann auch von ihm mit der gleichen Zuneigung und mit dem gleichen Stolz sprach.
„Soll Leute geben, die haben schon Pferde kotzen sehen", brummte er halblaut und lachte dabei leise auf. Ennis war kein Typ blumiger Worte und großer Gefühle – und doch hatte Jack das Gefühl, dass er ihn in den letzten zwei Tagen anders erlebt hatte. Gelöster, befreiter. Beim Sex war auch Ennis nun einige Male derjenige, der die Initiative gezeigt hatte, war er es, der auf einmal Koseworte für Jack fand, von denen Jack sich nie hätte träumen lassen, dass er sie überhaupt einmal hören würde – schon gar nicht von Ennis.
Jack seufzte auf. Wie viele Jahre hatte er sich danach gesehnt, hatte er diesen Zeitpunkt heraufbeschworen – bisher ohne Erfolg. In seinen einsamsten Nächsten hatte er sich ausgemalt, wie es sein würde, mit Ennis zu leben und er war jedes Mal mit Trauer und Hoffnungslosigkeit eingeschlafen, weil dieser Traum so unerfüllbar erschien.
Ennis Scheidung hatte ihm noch einmal Antrieb gegeben, um Ennis zu kämpfen. Er war bereit gewesen, bereit für ein Leben mit ihm. Ennis Zurückweisung hatte ihn so tief getroffen, dass er für einen Moment Hass auf ihn verspürt hatte.
Hass und Zorn über seine Sturheit, Wut über sein Unvermögen, seinen Gefühlen nachzugeben und Hoffnungslosigkeit bei dem Gedanken an ein Leben danach. Jack hatte sehr wohl gesehen, wie sehr Ennis seine Worte bereute, aber er hatte nicht mehr die Kraft gehabt, einzulenken. Zu viele Jahre schon war er der treibende Motor in ihrer Beziehung gewesen, hatte er sich aufgerieben und sowohl ihn als auch Ennis immer wieder zu weiteren Treffen motiviert.
Dass Ennis jetzt – aus Gründen, die Jack noch nicht eindeutig klar waren – seine Meinung geändert hatte, war für ihn ein Geschenk des Himmels, die Erfüllung aller seiner Träume und wenn er ehrlich war: Ennis Entscheidung hatte ihm das Leben gerettet.
Jack war an einem Punkt in seinem Leben angelangt, wo die Fortsetzung seiner Ehe mit Lureen in eine Farce ausartete, wo die Anwesenheit von fuckin' Newsome zu einer persönlichen Tortur wurde und wo die Beziehung zu seinem Sohn zu einer Form stillschweigendem Nebeneinander geraten war. Er spürte, dass Lureen ihn verachtete, weil er sich gehen ließ, weil er trank und weil er augenscheinlich Probleme hatte, die er mit ihr nicht teilen wollte. Er spürte die beginnende Verachtung von Bobby, der in seinem Vater ein Weichei sah, der sich im Leben nicht durchsetzen konnte und der es ohne fremde Hilfe zu nichts gebracht hatte – und er spürte in jedem Winkel seines Herzens den Hass, der von L.D. ausging.
Er hätte Lureen nie heiraten dürfen, soviel war ihm heute klar und mit ebensolcher Klarheit wusste er, dass er damals gar keine andere Chance gehabt hatte.
Ennis war vergeben, er selbst konnte sich jahrelang alleine kaum über Wasser halten, zu seinen Eltern zurück zu gehen wäre einem Versagen gleich gekommen, was Jack weder vor ihnen noch vor sich selbst je hätte eingestehen können.
Und die Aussicht auf ein Leben ohne Partner war mindestens ebenso unattraktiv. Er wollte Geselligkeit, er wollte beschäftigt werden und er wollte das Leben genießen. Da war die Heirat mit Lureen von allen Übeln das geringste. Sie war hübsch, sie hatte Geld und in gewisser Weise war ihre Ehe ein nettes Arrangement gewesen, das er bereit war so lange zu erfüllen, so lange er keine Alternative hatte.
Die Alternative war nun da und er sehnte sich danach, auch den letzten Schnitt vorzunehmen und die Ehe mit Lureen zu beenden. Er hatte die Ahnung, dass sie es gelassen nehmen würde. Bobby war gut versorgt und er selbst würde alles in seiner Macht stehende tun, um Bobby eine anständige Ausbildung zukommen zu lassen. Obwohl Jack nie Kinder wollte und auch immer das Gefühl hatte, als Vater komplett versagt zu haben, so war ihm Bobby nicht gleichgültig. Er liebte ihn und er fühlte ihn als ein Teil von sich und als Teil seines Lebens. Aber Bobby war eben auch ein Teil eines ungewollten Lebens, eines Lebens voller trauriger Kompromisse und allein diese Tatsache war es, die Jack den unbeschwerten Umgang mit Bobby immer verwehrt hatte. Wenn es etwas in seinem Leben gab, was er bereute, dann das.
Dennoch wusste er, dass Bobby und Lureen gut zurecht kommen würden und das ließ ihn für sich selbst und seine Zukunft hoffen.
Er holte tief Luft und ging leise pfeifend ins Haus zurück. Er wollte, sein neues Leben so schnell wie möglich beginnen. Ennis fehlte im schon jetzt und er wollte unbedingt aufbrechen, sobald Ennis zurück war.
Als er gerade die letzte Kiste mit Ennis Kleidungsstücken und Wertsachen vom Boden aufhob, um sie nach draußen zu tragen, fuhr ein Auto vor.
Voller Freude ging Jack zur Tür und wollte Ennis einen gebührenden Empfang bereiten, als er mehrere Männerstimmen hörte und eine davon laut rief:
„Del Mar, Du Schwein. Komm raus und zeig Dich, wir haben mit Dir zu reden." Jack fuhr es eiskalt den Rücken hinunter und er spürte, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Langsam ging er zur Tür, holte tief Luft und öffnete sie. Draußen standen vier Männer, allesamt grobschlächtige Kerle, die hasserfüllt zur Tür blickten, die Fäuste zum Kampf geballt.
Als sie Jack erblickten, leuchteten ihre Augen dunkel auf vor Wut und ein mörderisches, hässliches Grinsen überzog ihre Gesichter.
Einer der Männer spuckte laut aus. „Sieh an. Eigentlich wollten wir mit Del Mar sprechen. Aber sein schwuler Liebhaber ist uns mindestens genauso lieb. Oder, was sagt Ihr Jungs, he?" Zustimmendes Gejohle ertönte und die Männer kamen geschlossen näher.
